BT-Drucksache 17/11688

Energieforschung konsequent am Atomausstiegsbeschluss des Deutschen Bundestages ausrichten

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11688
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring,
Hans-Josef Fell, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Dr. Hermann E. Ott,
Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Krista Sager, Ulrich Schneider,
Markus Tressel, Arfst Wagner (Schleswig), Beate Walter-Rosenheimer und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Energieforschung konsequent am Atomausstiegsbeschluss des Deutschen
Bundestages ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 30. Juni 2011 hat der Deutsche Bundestag mit dem fraktionsübergreifenden
Beschluss zum Atomausstieg die Lehre aus dem GAU (größter anzunehmender
Unfall) von Fukushima gezogen und damit den Weg frei gemacht für eine
Energiewende hin zu erneuerbaren Energien, Energieeinsparung und Energie-
effizienz. Deutschland steht jetzt vor der historischen Chance und epochalen He-
rausforderung, als erste große Industrienation die Transformation in eine post-
nukleare und CO2-neutrale Energiewirtschaft zu meistern. Damit das gelingt,
bedarf es einer Energieforschung, die konsequent am Atomausstiegsbeschluss
des Deutschen Bundestages ausgerichtet ist und die Energiewende vorantreibt.

Eine entsprechende Neuausrichtung der Energieforschung steht noch aus. So
fließen derzeit immer noch große Summen öffentlicher Forschungsgelder in die
Atomforschung und eine Umwidmung von Geldern hin zur Forschung für die
Energiewende hat bislang nicht stattgefunden.

Die Bundesregierung investiert unverändert mindestens ein Drittel des 2,7 Mrd.
Euro umfassenden Gesamtetats des 6. Energieforschungsprogramms in die
Atomforschung. In den Jahren 2011 bis 2014 werden dafür 900 Mio. Euro ver-
anschlagt, wovon nur ein Drittel in die weiterhin notwendige Sicherheits- und
Endlagerforschung fließen und mindestens 600 Mio. Euro für Fusions- und an-
dere atomare Forschung verwendet werden.

Zusätzliche deutsche Steuermittel fließen über das EU-Forschungsrahmenpro-
gramm in die Atomforschung, insbesondere in das Programm Europäische Atom-
gemeinschaft (EURATOM). Für die Jahre 2007 bis 2011 erhielt EURATOM
2,75 Mrd. Euro aus europäischen Steuermitteln. Davon flossen 1,95 Mrd. Euro

in das Forschungsprojekt des gemeinschaftlichen Kernfusionsversuchsreaktors
ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor). Dieser soll im
südfranzösischen Cadarache gebaut werden und entpuppt sich inzwischen als
Milliardengrab mit geringen Erfolgsaussichten. Des Weiteren finanziert die
Europäische Union die Erforschung von Transmutation und Reaktoren der vier-
ten Generation. Die europäische Nuklearforschung verschlingt Unsummen an
Geld, ihre Erfolgsaussichten sind ungewiss und sie widerspricht den mit der

Drucksache 17/11688 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Energiewende verbundenen Forschungszielen. Sollten die neuen Atomtechnolo-
gien tatsächlich eines Tages zum Einsatz kommen, droht statt des energiepoliti-
schen Fortschritts ein Rückschritt ins atomare Zeitalter mit all seinen un-
beherrschbaren Gefahren und Problemen.

Wie hoch der deutsche Anteil an der europäischen Atomforschung ist, ist wenig
transparent und kaum nachvollziehbar. Auf Anfragen antwortet die Bundes-
regierung lediglich, dass der Anteil der Bundesrepublik Deutschland am gesam-
ten EU-Haushalt rund 20 Prozent betrage.

Bis zum Jahr 2050 müssen es die Industrienationen geschafft haben, mit einem
wesentlich geringeren Energiebedarf auszukommen und ihre Energieproduktion
möglichst vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben. Nur so
können die Klimaschutzziele erreicht werden. Statt neuer nuklearer Großtech-
nologien bedarf es dazu effizienter, kostengünstiger und umweltverträglicher er-
neuerbarer Energien in einem System der effizienten Energiebereitstellung und
-nutzung.

Die Energiewende auf der Basis von erneuerbaren Energien und Energieeffi-
zienz ist die große Chance für den Innovations- und Industriestandort Deutsch-
land. Die Energieforschung muss Wege in eine klimaverträgliche und ressour-
censchonende Energieversorgung aufzeigen und dazu beitragen, die erforder-
lichen Technologien weiterzuentwickeln sowie deren Anwendung und Markt-
einführung durch ökonomische, ökologische und soziale Begleitforschung zu
optimieren. Eine solche Forschungsstrategie verspricht neben der Stärkung der
Energiesicherheit und Nachhaltigkeit enorme wirtschaftliche Potenziale.

Die deutsche Forschungslandschaft ist für diese Neuausrichtung in weiten Tei-
len gut gerüstet, viele Forschungseinrichtungen in Deutschland haben durch ihre
Arbeit die Möglichkeit einer Energiewende überhaupt erst eröffnet. Doch für
viele der vor uns liegenden Aufgaben fehlt es noch an Grundlagen und gezielten
Forschungsprogrammen: So sind z. B. Speichertechnologien wie auch Mobili-
tätskonzepte und energetische Lösungen im Gebäudebereich nicht ausreichend
erforscht und entwickelt. Effizienztechnologien für den Energieverbrauch, in-
novative Technologien für den erforderlichen großräumigen und verlustarmen
Stromtransport müssen ebenso entwickelt werden wie Methoden zur Erhöhung
der gesellschaftlichen Partizipation beim Ausbau der Energiewende. Gerade die
interdisziplinäre Forschung zu sozialwissenschaftlichen und technischen Fragen
einer Energiewende mit ihren dezentralen Strukturen wird in der Hochschul-
landschaft eher ab- als ausgebaut.

Es besteht dringender Handlungsbedarf; die Bundesregierung muss die Ener-
gieforschungspolitik in Deutschland neu justieren. Die vom Deutschen Bundes-
tag fraktionsübergreifend beschlossene Abkehr von der Risikotechnologie
Atomkraft erfordert auch den Atomausstieg in der Energieforschung. Die damit
frei werdenden Ressourcen müssen auf die notwendige Forschung für das Ge-
lingen der Energiewende umgeleitet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• die noch nicht verausgabten finanziellen Mittel des 6. Energieforschungspro-
gramms, die in die Erforschung von Kernfusion, Transmutation und Reakto-
ren der vierten Generation fließen, umzuwidmen in die Bereiche erneuerbare
Energien, Energieeffizienz, Infrastruktur und gesellschaftliche Begleitfor-
schung;

• künftige Energieforschungsprogramme so auszurichten, dass öffentliche
Mittel nicht mehr für Atomforschung vorgesehen werden, die bei Anwen-
dung einen Wiedereinstieg in Atomtechnik bedeutet, sondern stattdessen

zum Gelingen der Energiewende eingesetzt werden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11688

• die deutsche Beteiligung an dem Projekt ITER aufzukündigen;

• sich auf europäischer Ebene für eine Revision von EURATOM in Bezug auf
die Sonderstellung der Atomkraft, was Investitionen, Forschungsförderung
und Genehmigungsprivilegien betrifft, demokratische Kontrolle und eine
Neuausrichtung der EU auf erneuerbare Energien einzusetzen. Sollte diese
Revision nicht durchsetzbar sein, ist der EURATOM-Vertrag von deutscher
Seite aus zu kündigen;

• grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung in den für die Ener-
giewende wichtigen Bereichen Energieeffizienz und Einsparung, erneuer-
bare Energien, ressourcen- und energiesparende Mobilität, Nachhaltigkeit
und Dezentralisierung der Energieerzeugung, Speichersysteme für Wärme
und Strom und Energiekompetenz der Bürgerinnen und Bürger durch ent-
sprechende Schwerpunktsetzung verstärkt zu fördern und auszubauen. Insge-
samt muss nichttechnologischen Forschungsvorhaben eine stärkere Rolle als
bisher zukommen. Dabei geht es beispielsweise um Forschungsvorhaben zu
Energiemärkten und ihren rechtlichen als auch ökonomischen Rahmenbedin-
gungen;

• zentrale Datenbanken einzurichten, die allgemein verständlich die wesent-
lichen Informationen über die öffentlich geförderten Forschungsprojekte ent-
halten und so die Verwendung der Steuergelder für Bürgerinnen und Bürger
transparent machen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11029);

• Anreize für privat finanzierte Forschung und Entwicklung in wichtigen Tech-
nologiefeldern zu schaffen, z. B. durch eine steuerliche Forschungsförderung
für kleine und mittlere Unternehmen, besseren Zugang zu Wagniskapital, die
Förderung standardisierter und offener Technologieplattformen und Open-
Source-Innovationen sowie neue Wettbewerbe und Ausschreibungen;

• interdisziplinäre Kompetenzzentren für die Energieforschungslandschaft zu
schaffen, um die Vernetzung von technischen und gesellschaftswissenschaft-
lichen Disziplinen, die für eine erfolgreiche Energiewende zentral ist, voran-
zubringen.

Berlin, den 27. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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