BT-Drucksache 17/11402

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/10744, 17/10797, 17/11387 - Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes

Vom 7. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11402
17. Wahlperiode 07. 11. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Dorothee Menzner,
Sabine Stüber, Dr. Barbara Höll, Harald Koch und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/10744, 17/10797, 17/11387 –

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und
des Stromsteuergesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

I. den Gesetzentwurf zurückzuziehen;

II. eine Konzeption zur Unterstützung der energieintensiven Industrie zu er-
arbeiten und einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher folgende Kriterien
erfüllt: Ausnahmen bzw. Ermäßigungen für die energieintensive Industrie
sind nur dann zu gewähren, wenn Unternehmen ansonsten nachweislich
Wettbewerbsnachteile erleiden würden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu Produktionsverlagerungen ins außereuropäische Ausland führen könn-
ten. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie trotz einer Produktion nach Stand
der Technik technologiebedingt überdurchschnittlich energie- bzw. CO2-in-
tensiv produzieren und gleichzeitig mit dem Hauptteil ihrer Produkte im
Wettbewerb mit Unternehmen außerhalb der EU stehen, welche keinen
adäquaten umweltpolitischen Regelungen unterliegen;

III. entsprechend dem Abschnitt II bei folgenden Tatbeständen die Unterstüt-
zung der energieintensiven Industrie auf ein angemessenes Maß zurück-
zufahren bzw. aufzuheben:
• Privilegierungen des produzierenden Gewerbes bei selbst verbrauchtem

Strom sowie beim Spitzenausgleich im Rahmen der Energie- und der
Stromsteuer;

• Ermäßigungen bei der Umlage nach § 37 des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes (EEG);
• Ermäßigungen/Befreiungen bei Netzentgelten;
• geplante Kompensation der emissionshandelsbedingten Strompreis-

erhöhungen über den Energie- und Klimafonds;

IV. sich entsprechend dem Abschnitt II in der Europäischen Union dafür ein-
zusetzen, die bislang ab 2013 vorgesehene kostenlose benchmarkgestützte
Vergabe von Emissionsrechten an die Industrie durch eine Auktionierung in

Drucksache 17/11402 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der dritten Handelsperiode 2013 bis 2020 zu ersetzen – adäquat der Rege-
lung für die Energiewirtschaft nach 2012.

Berlin, den 6. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Fortführung des Spitzen-
ausgleichs für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes bis zum Jahr 2022
ist ein milliardenschweres Steuergeschenk an große Unternehmen ohne umwelt-
politische Gegenleistung. Sie ist ein weiterer Baustein der Politik der Bundes-
regierung, die Kosten der Energiewende einseitig zu Gunsten der Industrie zu
verschieben – zu Lasten von Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie kleinen
und mittleren Unternehmen bzw. von öffentlichen Haushalten. Darüber hinaus
dürfte der Gesetzentwurf gegen europäisches Beihilferecht verstoßen und ist
nicht vereinbar mit dem Demokratieprinzip. Diese gravierenden Mängel im
Gesetzentwurf weist auch eine Analyse der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH)
von August 2012 nach.

Die Fortführung des Spitzenausgleichs über das Jahr 2012 hinaus ist an keine
relevante Anstrengung der Industrie geknüpft, die Energieeffizienz zu steigern.
Der – erst ab dem Jahr 2015 – zu erreichende Zielwert für die Minderung der
Energieintensität von 1,3 Prozent pro Jahr entspricht laut Trendprognose der EU
exakt der ohnehin erwartbaren Effizienzsteigerung. Zudem verlangt die Vorgabe
keine individuellen Einzelnachweise der Unternehmen über erzielte Energieein-
sparungen. Die zunächst vorgesehene individuelle Nachweispflicht für begüns-
tigte Unternehmen wurde auf Druck des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Den Nachweis zur Erfüllung
des Zielwerts muss nun nur noch der Wirtschaftszweig insgesamt liefern. Ferner
wird das Verfahren zur Erreichung des Zielwerts nicht vom Gesetzgeber ge-
regelt, sondern über eine am 1. August 2012 zwischen Bundesregierung und In-
dustrie abgeschlossene „Effizienzvereinbarung“. Diese läuft am Parlament vor-
bei über zehn Jahre, in denen der Bundestag dreimal neu gewählt wird. Ohnehin
sind die darin festgelegten Verpflichtungen zur Einführung und zum Betrieb von
Energiemanagementsystemen bzw. zur Durchführung von Energieaudits bereits
europarechtlich zwingend vorgeschrieben. Insofern erfolgt der Spitzenausgleich
auch in dieser Hinsicht ohne Gegenleistung, erfüllt also den Tatbestand einer rei-
nen Subvention. Überdies ist nach dem Gesetzentwurf der Betrieb von Energie-
managementsystemen bzw. die Durchführung von Energieaudits erst ab dem
Jahr 2016 Voraussetzung für die Gewährung des Spitzenausgleichs, welcher
aber bereits in den Jahren zuvor gewährt werden soll. Nicht zuletzt werden auf-
grund der Architektur des Spitzenausgleichs einer bestimmten Gruppe von Un-
ternehmen Vorteile bei der Steuerlast eingeräumt, welche andere Unternehmen
hingegen tragen müssen. Dies dürfte eine Wettbewerbsverzerrung darstellen.

Das Vorhaben der Bundesregierung, den Spitzenausgleich bis 2022 ohne adä-
quate umweltpolitische Gegenleistung zu verlängern, ist nur eine Facette unbe-
rechtigter Privilegien für die energieintensive Industrie. Letztere ist in Deutsch-
land sehr erfolgreich darin, mit der Bundesregierung und der Mehrheit des
Parlaments bei wesentlichen Gesetzesvorhaben Lücken und Ausnahmetatbe-
stände auszuhandeln bzw. entsprechend auf die europäische Gesetzgebung Ein-

fluss zu nehmen. Als Begründung dient in der Regel die internationale Wettbe-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11402

werbsfähigkeit der Unternehmen, welche durch umweltpolitische Instrumente
oder den Atomausstieg bedroht sei. In der Folge wird die energieintensive In-
dustrie in der Bundesrepublik Deutschland durch ein Bündel von Befreiungs-
oder Ermäßigungstatbeständen im Steuerrecht (insbesondere beim Spitzenaus-
gleich im Rahmen der Energie- und der Stromsteuer), im EEG, bei den Netzent-
gelten oder beim europäischen Emissionshandel von der Wirkung umweltpoli-
tischer Instrumente ganz oder teilweise befreit. In der Summe führen diese
Begünstigungen zu enormen Umverteilungen von den privaten Haushalten und
kleinen Firmen hin zu energieintensiven Unternehmen sowie zu zusätzlichen
Haushaltsbelastungen, wie bereits der Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Un-
berechtigte Privilegien der energieintensiven Industrie abschaffen – Kein Spon-
soring der Konzerne durch Stromkunden“ auf Bundestagsdrucksache 17/8608
feststellte.

Nach einer Studie von arepo consult für die Rosa-Luxemburg-Stiftung betrugen
diese Umverteilungen im Jahr 2010 zirka 8,6 Mrd. Euro und werden in diesem
Jahr rund 9,2 Mrd. Euro ausmachen. Zumindest ein Teil der energieintensiven
Industrie wird durch diese Begünstigungen nicht nur nicht zusätzlich belastet,
sondern erzielt in der Gesamtwirkung sogar leistungslos zusätzliche Einnah-
men. Dies verkehrt die ursprünglich gewollte Lenkungswirkung der Klima-
schutzinstrumente in ihr Gegenteil. Eine solche Politik führt zudem zu einer
sozialen Schieflage bei der Verteilung der Kosten für Energiewende und Klima-
schutz sowie zu Wettbewerbsverzerrungen. Unberechtigte Vergünstigungen
müssen daher abgebaut werden. Damit werden zugleich Anreize gesetzt, die
Energieeffizienz in den bislang privilegierten Unternehmen zu erhöhen. Dies
wird dabei helfen, langfristig sowohl Arbeitsplätze als auch die Wettbewerbs-
fähigkeit der Firmen zu sichern.

Nicht jede vom Staat initiierte Unterstützung von Unternehmen im Bereich der
Energiekosten ist grundsätzlich abzulehnen. Schließlich wäre es unverantwort-
lich, leichtfertig Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen, nur weil zwischen Staaten
oder Staatengruppen das Ambitionsniveau in der Umweltpolitik unterschiedlich
hoch ist. Diesbezügliche Unterstützungen dürfen aber nur angemessen und unter
der Maßgabe erfolgen, dass Unternehmen tatsächlich mit dem Hauptteil ihrer
Produkte – welche trotz Stand der Technik mit einem hohen Aufwand an Ener-
gie- oder Treibhausgasemissionen hergestellt werden – im internationalen Wett-
bewerb stehen, wobei Wettbewerber vergleichbaren Klimaschutzregeln nicht
unterliegen und ansonsten eine Verlagerung des jeweiligen Industriebereiches
ins Ausland real zu befürchten wäre. An einer Verlagerung der CO2-Emissionen
ins Ausland kann niemandem gelegen sein – ebenso wenig jedoch an der Aus-
setzung ökologischer Lenkungsinstrumente für ganze Branchen oder gar an der
Finanzierung von Extragewinnen für die energieintensive Industrie ausgerech-
net über umweltpolitische Instrumente.

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