BT-Drucksache 17/11355

Bedingungen in Schlachthöfen verbessern

Vom 7. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11355
17. Wahlperiode 07. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg),
Beate Müller-Gemmeke, Cornelia Behm, Harald Ebner, Nicole Maisch, Markus
Tressel, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
Sven-Christian Kindler, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn,
Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bedingungen in Schlachthöfen verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für mehr Tierschutz an Schlachthöfen, aber auch für bessere Arbeitsbedingun-
gen, sind Änderungen der Schlachtpraxis dringend nötig.

Es ist bekannt, dass bei den Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche eklatante
Missstände herrschen. Unzulässige Arbeitszeiten und Dumpinglöhne sind
ebenso an der Tagesordnung wie der Missbrauch von Werkverträgen. Vielfach
schlachten niedrigqualifizierte Arbeitnehmer aus Osteuropa zu sittenwidrigen
Löhnen im Akkord. Die Bezahlung nach Stückzahlen führt gehäuft zu Arbeits-
unfällen, aber auch zu Tierschutzproblemen. Insbesondere die aus wirtschaft-
lichen Gründen immer weiter beschleunigten Bandgeschwindigkeiten und
erhöhten Schlachtzahlen lassen für die Betäubung und Tötung des Einzeltiers
nur wenige Sekunden Zeit.

Jährlich werden in Deutschland etwa 770 Millionen Tiere geschlachtet, darun-
ter rund 60 Millionen Schweine, drei Millionen Rinder sowie über 700 Millio-
nen Stück Geflügel. Nach der Tierschutzschlachtverordnung müssen Tiere
unter Vermeidung von Schmerzen oder Leiden in einen bis zum Tod anhalten-
den Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt werden.
Dies ist gegenwärtig nicht immer gewährleistet. Immer wieder kommt es zu
gravierenden Missständen durch das Versagen der Betäubungsverfahren wie
dem nicht ausreichenden Entbluten der Tiere oder dem nicht korrekten Anset-
zen des Bolzenschussapparates bei Rindern. Auch eine zu lange zeitliche Aus-
dehnung zwischen der CO2-Betäubung und dem Ausbluten von Schweinen
kann dazu führen, dass Tiere unbetäubt dem weiteren Schlachtvorgang zuge-
führt werden.
Nach wissenschaftlichen Untersuchungen ist dies – abhängig von der Methode –
durchschnittlich bei 0,1 bis 12,5 Prozent der Schweine sowie bei 4 bis 9 Prozent
der Rinder der Fall (Bundestagsdrucksache 17/10021). Dies muss umgehend
durch verbesserte gesetzliche Vorgaben beendet werden.

Drucksache 17/11355 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter

1. die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen zu verbessern und dazu

– einen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro einzuführen, um Lohndum-
ping zu verhindern,

– festzuschreiben, dass die aus Arbeitsschutzgründen und zur Erfüllung der
Arbeitstätigkeit notwendige Ausrüstung für Arbeitskräfte durch den
Arbeitgeber gestellt werden muss,

– festzulegen, dass Kosten für Kost und Logis nicht auf den Mindestlohn
angerechnet oder mit ihm verrechnet werden dürfen,

– auf die Arbeitgeber hinzuwirken, einen Arbeitgeberverband zu gründen,
mit dem die Arbeitnehmerseite Verhandlungen zur Schaffung eines bran-
chenspezifischen Mindestlohns für die Branche aufnehmen kann und

– die Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auszuweiten, um zwei-
felhafte Werkvertragskonstruktionen sowie verdeckte Arbeitnehmerüber-
lassung zu identifizieren;

Tierschutz im Schlachtverfahren

2. geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Schlachtverfahren für Wirbel-
tiere zu ergreifen. Dies bedeutet insbesondere

– Regelungen zu treffen, die sicherstellen, dass alle am Schlachtvorgang Be-
teiligten über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten (Fachkunde)
verfügen, die für eine tierschutzgerechte Schlachtung erforderlich sind,

– zur Vermeidung tierschutzrelevanter Fehler und zur Verbesserung des Ar-
beitsschutzes für das Schlachten von Wirbeltieren für die Arbeitsvorgänge
des Treibens, Ruhigstellens, Betäubens und Tötens der Tiere die Zahlung
von Stücklöhnen oder Akkordlöhnen zu verbieten,

– unter Berücksichtigung aller tierschutzrelevanter Aspekte für das Betäu-
ben und Töten von Wirbeltieren je Art eine maximal zulässige Tierzahl
pro Stunde festzulegen,

– Forschung zu Alternativen zur CO2-Betäubung bei Schweinen durch Gas-
gemische, insbesondere Helium, zügig voranzutreiben und Pilotprojekte
verstärkt zu fördern,

– sich für die Anwendung ausschließlich solcher Betäubungsverfahren ein-
zusetzen, die sicherstellen, dass jedes Schlachttier bis zum Eintritt des
Todes irreversibel empfindungs- und wahrnehmungslos bleibt und ein
vorzeitiges Wiedererwachen ausgeschlossen ist,

– zu regeln, dass jedes Schlachttier erst nach vollständigem Entbluten dem
nächsten Arbeitsschritt zugeführt wird,

– sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, die Wasserbadbetäubung von Ge-
flügel schnellstmöglich zu beenden,

– den Einsatz mobiler Schlachtstationen zu fördern, um unnötigen Trans-
portstress der Tiere zu vermeiden;

Kontrollen an den Schlachthöfen

3. mit Zustimmung des Bundesrates die Voraussetzungen für die Kontrollen an
den Schlachthöfe zu verbessern, und dazu insbesondere
– die Entwicklung verlässlicher automatisierter Verfahren zur Überprüfung
des Erfolgs von Betäubung und Entblutung voranzutreiben; bis zu deren

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11355

Verfügbarkeit soll eigens dafür abgestelltes und permanent damit befass-
tes Kontrollpersonal (verbunden mit einem Rotationsverfahren) eingesetzt
werden,

– zu überprüfen, ob die Videoüberwachung von Betäubung und Tötung der
Tiere, in Verbindung mit einer stichprobenartigen Überprüfung der Auf-
zeichnungen, bei uneingeschränkter Gewährleistung der Arbeitnehmerin-
nen- und Arbeitnehmerrechte möglich ist,

– Kontrollstandards und Kontrollintervalle, insbesondere das Vier-Augen-
Prinzip bei Tierschutzkontrollen, das Rotationsverfahren für das amtliche
Tierschutzüberwachungspersonal sowie das Melden von Unregelmäßig-
keiten auch an das jeweilige Landesamt, zu verbessern und bundesweit zu
vereinheitlichen,

– die Verpflichtung einzuführen, statistische Angaben über Häufigkeit, Art,
Umfang und Ergebnis der durchgeführten tierschutzrechtlichen Kontrol-
len zu erheben, die geeignet sind, in anonymer Form die Zuverlässigkeit
der Betäubungs- und Schlachtverfahren abzubilden,

– sich dafür einzusetzen, die bundesweit einheitlichen Zeitintervalle für die
Fleischbeschau zu verlängern bzw. zu präzisieren,

– für die Fleischbeschau tierbezogene Indikatoren zu entwickeln, die Rück-
schlüsse über die Haltungsbedingungen der Tiere zulassen, z. B. Doku-
mentation von Schäden an Beinen und Brust bei Geflügel.

Berlin, den 6. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Da ein Arbeitgeberverband in der Fleischbranche fehlt, gibt es auch keine flä-
chendeckenden Tarifverträge, so dass jeweils Haustarifverträge verhandelt wer-
den müssen. Da die Fleischbranche für ihre niedrigen Löhne, die Beschäftigung
von Leiharbeitern, Werkverträge von Auftragnehmern aus Drittländern bekannt
ist, fordert die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) seit Jahren
mit Nachdruck Mindestlöhne als wirksames Mittel gegen Lohndumping und un-
menschliche Arbeitsbedingungen.

Arbeit im Akkord führt zu deutlich höherer Unfallhäufigkeit in der Fleischbran-
che. Auch deshalb hat sie im Schlachthof nichts zu suchen. Während 2009 in der
Fleischwirtschaft 63 meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1 000 Vollarbeiter auftra-
ten, waren es bei den Unfallversicherungsträgern der gewerblichen Wirtschaft
und der öffentlichen Hand im Durchschnitt nur 24,3 Fälle (Bundestagsdrucksa-
che 17/4341).

Die Vermeidung von Fehlbetäubungen beim Schlachten von Wirbeltieren hängt
insbesondere von der Zeitspanne ab, die für die ordnungsgemäße Ruhigstellung
und Betäubung zur Verfügung steht. Da Betriebe aus wirtschaftlichen Interessen
diese so knapp wie möglich bemessen, müssen verbindliche Regelungen getrof-
fen werden.

Untersuchungen zur CO2-Betäubung haben gezeigt, dass Schweine bei dieser
Betäubungsform unter Erstickungsängsten leiden (Troeger 2010, Bundestags-

drucksache 16/3296). Eine mögliche Alternative bieten Gemische mit Edel-
gasen. Während Argon zu Blutpunkten im Fleisch führt, zeigten sich Helium-

Drucksache 17/11355 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
gemische in Versuchen des Max Rubner-Instituts als sehr vielversprechend. Die
Praxiserprobung muss vorangetrieben werden. Bis diese Methode für die indus-
trielle Schlachtung zur Verfügung steht, muss die Verweildauer der Tiere im CO2
verlängert werden, hin zu einer zuverlässig irreversiblen Betäubung. Sonst
besteht die Gefahr, dass bei CO2-Gondeln, die viele Schweine gleichzeitig
befördern, die Betäubungsdauer nicht bis zur Entblutung ausreicht und Tiere zu-
vor das Bewusstsein wiedererlangen. Alternativ ist auch das Auslösen von Herz-
kammerflimmern aus Tierschutzsicht akzeptabel.

Zur Sicherstellung einer vollständigen Entblutung der Tiere müssen für jede Art
ausreichende Zeitintervalle festgelegt werden; bei Schweinen sollte der Zeit-
raum zwischen dem Ausblutestich und dem Eintritt in die Brühanlage mindes-
tens drei Minuten betragen. Die genauen Festlegungen sollten nach wissen-
schaftlichen Kriterien erfolgen.

Die Kontrolle, ob Tiere tatsächlich betäubt und entblutet sind, wird langfristig
sinnvollerweise durch automatische Systeme erfolgen. Da die in der Entwick-
lung befindlichen Systeme (Entblutekontrollsysteme, Überprüfung der Reflex-
losigkeit) sich bisher noch in der Erprobungsphase befinden, muss bis zu deren
Nutzung aus Tierschutzgründen Personal für die Überprüfung abgestellt wer-
den.

Qualität und Quantität der Kontrollen haben erheblichen Einfluss auf den Tier-
schutzstandard an Schlachthöfen. Mit dem Einverständnis der Länder kann die
Bundesregierung Regelungen treffen. Um möglichen Druck auf Amtstierärzte
abzuwenden und deren unvoreingenommenes Handeln sicherzustellen, ist die
Einführung der Rotation sowie des Vier-Augen-Prinzips unerlässlich. Mögliche
Schwachstellen können mit der Einführung einer Statistik über die Kontrollen
ermittelt werden. Die bereits bestehende Allgemeine Verwaltungsvorschrift
Lebensmittelhygiene (AVV LmH) sollte mit Zustimmung der Länder aktuali-
siert werden.

Kontrollen an Schlachthöfen bieten die Möglichkeit, Haltungsfehler aufzude-
cken und zu sanktionieren. Sinnvoll ist die verpflichtende Erfassung von tierbe-
zogenen Indikatoren, wie Merkmale der Ballengesundheit und Organbefunde,
aber auch Transportverletzungen. Dazu bietet die bereits (teilweise obliga-
torisch) durchgeführte elektronische Erfassung der Befunddaten der Fleisch-
beschau hervorragende Möglichkeiten. Um auch zwischen den Schlachthöfen
vergleichbare Daten zu erhalten, braucht es klare Kriterien, fachgerechte Ausbil-
dung der Fleischkontrolleure sowie ausreichend Zeit zur Fleischbeschau.

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