BT-Drucksache 17/11323

Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland - Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen

Vom 6. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11323
17. Wahlperiode 06. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Uta Zapf, Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter
Bartels, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Karin
Evers-Meyer, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Wolfgang Hellmich,
Dr. h. c. Susanne Kastner, Lars Klingbeil, Hans-Ulrich Klose, Ute Kumpf,
Ullrich Meßmer, Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Johannes Pflug,
Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland –
Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist mit dem Ziel angetreten, die letzten
verbliebenen US-Nuklearwaffen aus Deutschland abzuziehen. Im Koalitions-
vertrag zwischen CDU, CSU und FDP kündigte sie an: „Wir werden uns im
Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen,
dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden“. Dieses
Ziel hat die Bundesregierung nicht erreicht. Mehr noch: Inzwischen scheint sie
sich von dieser Zielsetzung sogar verabschiedet zu haben.

Der Abzug der substrategischen Waffen und weitere Abrüstungsinitiativen im
Bereich der nuklearen Abrüstung wurden auf einer breiten Grundlage im Deut-
schen Bundestag unterstützt. Am 24. März 2010 verabschiedete der Deutsche
Bundestag mit großer Mehrheit, getragen von allen Fraktionen, einen Antrag, in
dem die Bundesregierung aufgefordert wurde,

„4. nach erfolgreichem Abschluss eines START-I-Nachfolgeabkommens Ver-
handlungen zwischen den USA und Russland zur verifizierbaren vollständigen
nuklearen Abrüstung im substrategischen Bereich anzuregen;

5. sich auch bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der NATO
im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck
für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen; (…)“ (Bun-
destagsdrucksache 17/1159, S. 2, Forderungen 4 und 5).

Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat am 10. Novem-

ber 2010 einen Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht, in dem sie
die Reduzierung der Rolle der Nuklearwaffen in der NATO-Strategie als einen
ersten Schritt in der Abrüstung der Abzug der amerikanischen Nuklearwaffen
aus Deutschland und den Verzicht auf die Modernisierung der Tornado-Flug-
zeuge, der Trägersysteme für die Nuklearwaffen forderte (Bundestagsdruck-
sache 17/3677, S. 4, Forderung 8 Buchstabe d und e).

Drucksache 17/11323 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Diese Positionen finden sowohl im Bundestag wie auch in der Bevölkerung
breite Zustimmung.

Die Bundesregierung ist ihren eigenen Zielen nicht gerecht geworden und hat
die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuscht. Sie hat auf dem NATO-Gipfel in
Chicago am 31. Mai 2012 dem neuen Strategischen Konzept der NATO zuge-
stimmt, das keine Reduzierung der Rolle von Nuklearwaffen vorsieht. Im Ge-
genteil, in der Defense and Deterrence Posture Review (DDPR) stellt die NATO
fest:

„Kernwaffen sind neben konventionellen Kräften und Raketenabwehrfähig-
keiten ein zentraler Bestandteil der Gesamtfähigkeiten der NATO zur Abschre-
ckung und Verteidigung“ (Nummer 8).

Dies wird an mehreren Stellen bekräftigt:

„Die Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs der NATO
hat bestätigt, dass die NATO über das gesamte Spektrum der Fähigkeiten verfü-
gen muss, die notwendig sind für die Abschreckung und Verteidigung gegen Be-
drohungen der Sicherheit ihrer Bevölkerungen und der Sicherheit ihres Gebiets,
was die Hauptverantwortung des Bündnisses ist“ (Nummer 31).

Damit bleiben mit dem Einverständnis der Bundesregierung Nuklearwaffen eine
zentrale Komponente der NATO-Strategie. Die Bundesregierung muss nun
zeigen, dass sie die Aussagen des Koalitionsvertrages ernst nimmt und sich wei-
ter für den Abzug der US-amerikanischen Nuklearwaffen aus Europa und
Deutschland als einen ersten Schritt hin zu einer nuklearfreien Welt einsetzt.

Die Themen der Lebensdauerverlängerung und der Modernisierung des
Tornados, der gegenwärtig als Trägersystem für die substrategischen Nuklear-
waffen fungiert, muss Teil dieser Abrüstungsstrategie sein. Die Lebensdauer des
Tornados läuft 2025 aus.

In den Vereinigten Staaten wird gegenwärtig über eine Modernisierung der B61
diskutiert und in diesem Jahr im Kongress und im Senat über deren Durchfüh-
rung entschieden. Diese Modernisierung hätte zur Folge, dass die Technik der
Trägersysteme an die modernisierte Version der B61 angepasst werden müsste.
Das würde nicht nur eine Lebensdauerverlängerung, sondern auch eine Moder-
nisierung des Tornados, verbunden mit zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht
abschätzbaren Kosten, notwendig machen.

Eine Modernisierung und Lebensdauerverlängerung des Tornados würde dem
Ziel des Abzugs der substrategischen Waffen aus Deutschland und Europa wi-
dersprechen. Daher ist die Bundesregierung aufgefordert, sich politisch gegen
eine Modernisierung und Lebensdauerverlängerung des Tornados auszuspre-
chen und keine Haushaltsmittel dafür zur Verfügung stellen.

Über die Modernisierung der B61 wurde in der NATO bisher kein Konsens
herbeigeführt. Da von der Modernisierung durch die USA auch die Entscheidun-
gen anderer NATO-Mitglieder betroffen sind, gehört die Diskussion auf den
Tisch der NATO; um so mehr, als die US-Administration in der Nuclear Posture
Review vom März 2010 die Modernisierung der B61 selbst mit der Frage der
Bündnissolidarität verknüpft hat und angekündigt hat, die NATO-Partner
darüber zu konsultieren.

Das heißt, dass die Frage der Stationierung der substrategischen Waffen in Europa
und Deutschland offen und keineswegs entschieden ist, sondern von der Hand-
lungsbereitschaft der NATO-Mitglieder abhängig ist.

Einerseits definierte sich die NATO auf dem Gipfel von Chicago als nukleare
Allianz. Andererseits können gerade die Bedrohungen, die die NATO auf dem

Gipfel von Chicago definiert hat, mit Nuklearwaffen nicht bekämpft werden. Es
handelt sich dabei um Cyber-Sicherheit, Umwelt- und Ressourcenprobleme,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11323

scheiternde Staaten (failed States), die Proliferation von Massenvernichtungs-
waffen und Piraterie und Terrorismus. Alle diese Bedrohungen und Probleme
sind real. Sie lassen sich aber nicht oder nur sehr eingeschränkt militärisch
beantworten. Fragen wie Umwelt und Ressourcen können am besten durch mul-
tilaterale Regelwerke bearbeitet werden. Failed States benötigen ein Konzept
präventiver Friedens- und Sicherheitspolitik. Auch Cyber-Sicherheit ist kein mi-
litärisches, sondern in erster Linie ein polizeiliches Problem, sofern es sich nicht
um militärische Anlagen handelt. Piraterie und Terrorismus könnten weitgehend
durch eine verstärkte internationale polizeiliche Kooperation bekämpft werden.

Notwendig ist eine verantwortungsvolle und vorausschauende Sicherheits-
politik, die sich am Konzept der Gemeinsamen Sicherheit orientiert.

Dazu gehört die Wiederbelebung der europäischen konventionellen Rüstungs-
kontrolle einschließlich Verifikation und vertrauensbildender Maßnahmen. Nu-
kleare Abrüstung und konventionelle Rüstungskontrolle gehören zusammen.

Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland muss gestärkt werden
im Sinne des Aufbaus einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft, wie sie im
Rahmen der OSZE diskutiert wird.

Nuklearwaffen sind eindeutig ein Relikt des Kalten Krieges.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich vor dem Hintergrund des Bekenntnisses der NATO, die Voraussetzungen
für eine Welt ohne Atomwaffen schaffen zu wollen, nicht nur auf der Ebene
des Bundesministers des Auswärtigen, sondern durch die Bundeskanzlerin
persönlich für eine Reduzierung der Rolle der Nuklearwaffen in der NATO
und ein aktives Engagement der NATO für Global Zero einzusetzen;

2. sich mit dem notwendigen politischen Gewicht, wie im Koalitionsvertrag
angekündigt, für den Abzug der substrategischen Nuklearwaffen der Ver-
einigten Staaten aus Deutschland einzusetzen und bei den skeptischen
NATO-Mitgliedern dafür im Sinne einer vertrauensbildenden Maßnahme ge-
genüber Russland zu werben;

3. sich verstärkt und intensiv für den Abzug der substrategischen Nuklear-
waffen der Vereinigten Staaten aus Europa einzusetzen;

4. sich für die Fortsetzung des Rüstungskontroll- und Abrüstungsprozesses von
Nuklearwaffen insbesondere unter Einbeziehung der substrategischen Nukle-
arwaffen zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation
einzusetzen;

5. deutlich klarzustellen, dass die Bundesregierung gegen die Stationierung
modernisierter B61 in Deutschland und Europa ist;

6. dafür einzutreten, dass die Modernisierung der in Europa stationierten B61
nur auf der Grundlage eines politischen Beschlusses der NATO durchgeführt
werden kann;

7. auf eine Modernisierung, Anpassung und Lebensdauerverlängerung des
deutschen Trägersystems für substrategische Nuklearwaffen zu verzichten
und hierfür auch keine Haushaltsmittel einzuplanen;

8. sich dafür einzusetzen, dass der NATO-Abrüstungsausschuss verstetigt wird,
und bei der Definition des Mandats darauf zu drängen, dass Fragen der
nuklearen und der konventionellen Abrüstung und Rüstungskontrolle gleich-
wertig diskutiert werden, dass in dem Abrüstungsausschuss Maßnahmen ent-
wickelt werden, die eine substantielle Reduzierung der Rolle der Nuklear-

waffen in der NATO zur Folge haben und zur Herausbildung von Voraus-
setzungen für die Schaffung einer nuklearwaffenfreien Welt führen;

Drucksache 17/11323 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
9. sich verstärkt für die Umsetzung des auf der Überprüfungskonferenz des
Nichtverbreitungsvertrages beschlossenen Aktionsplanes einzusetzen.

Berlin, den 6. November 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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