BT-Drucksache 17/11284

Aktuelle Situation in Mali und die geplante EU-Ausbildungsmission malischer Streitkräfte

Vom 31. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11284
17. Wahlperiode 31. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Niema Movassat, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Annette Groth, Harald Koch, Stefan Liebich, Paul Schäfer (Köln),
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Aktuelle Situation in Mali und die geplante EU-Ausbildungsmission malischer
Streitkräfte

Mit dem Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi in Libyen sind Teile des
dortigen hoch modernen Waffenarsenals durch vormalige in Libyen dienende
Tuareg-Soldaten nach Mali transferiert worden und haben das dortige Macht-
gefüge nachhaltig verschoben. Im März 2012 gelang der Nationalen Bewegung
für die Befreiung des Azawad (MNLA) hierdurch die Eroberung der strategisch
wichtigen Stadt Kidal. Dies hatte einen Putsch in der Nacht vom 21. auf den
22. März 2012 durch Angehörige der malischen Armee zur Folge, aus deren
Sicht die malische Regierung im Kampf um den Norden Malis versagt habe.
Nach dem Putsch der Regierung gelang es der MNLA, wichtige Städte des
Nordens unter ihre Kontrolle zu bringen und diese in Kooperation mit islami-
schen Fundamentalisten (Ansar Dine und Mujao) und Al-Qaida im islamischen
Maghreb (AQMI) auf weite Teile des Nordens auszuweiten. Seither ist Mali fak-
tisch geteilt.

Die MNLA, deren Hauptanliegen auf säkulare Autonomie ausgerichtet ist, pro-
klamierte am 6. April 2012 die international von keinem Staat anerkannte Un-
abhängigkeit des „Azawad“, unmittelbar nachdem sie die Kontrolle über den
Großteil von Nordmali errang. Sie wurde jedoch kurz darauf von den fundamen-
talistischen Kräften von Ansar Dine, Mujao und AQMI vertrieben. Unter der
jetzigen Herrschaft dieser islamistischen Kräfte, die eine radikale Form der
Sharia eingeführt haben, leidet die ohnehin von Dürre und Nahrungsmittel-
knappheit stark betroffene Bevölkerung unter schwersten Menschenrechtsver-
letzungen, zu denen neben Amputationen und Steinigungen auch die Rekrutie-
rung von Kindersoldaten zählen soll. Die Versorgungssituation hat sich seit Be-
ginn der Kämpfe drastisch verschlechtert, mehr als 500 000 Menschen sind auf
der Flucht.

Die jetzige Krise ist nur mittelbar auf die Kämpfe in Nordmali und den darauf
folgenden Putsch zurückzuführen. Die Krise hat ihren Ursprung in seit Langem
bestehender Verteilungsungerechtigkeit, vor allem gegenüber den Bevölke-
rungsgruppen im strukturschwachen Norden, mangelnder demokratischer Teil-
habe, aber auch in den Folgen des Klimawandels, von dem die gesamte Sahel-

zone stark betroffen ist. Die Sahelregion und insbesondere Nordmali dient schon
seit Längerem als Umschlagplatz für Schmugglernetzwerke. Zudem verfügt
Nordmali über größtenteils noch unerschlossene Rohstoffreserven (insbeson-
dere Gold-, Uran- und Erdölvorkommen), um die internationale Akteure kon-
kurrieren, unter ihnen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich.

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Am 12. Oktober 2012 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
(VN) eine von Frankreich eingebrachte Resolution, die nun den Weg für einen
internationalen Militäreinsatz in Mali ebnet. Zentrale Elemente der Resolution
sind die Aufforderung an die Afrikanische Union (AU) und die ECOWAS (Eco-
nomic Community Of West African States), innerhalb von maximal 45 Tagen
ein Konzept für ein militärisches Eingreifen vorzulegen sowie die Aufforderung
an alle Mitgliedstaaten sowie die Afrikanische und die Europäische Union, die
malische Übergangsregierung im „Kampf gegen Terroristen“ zu unterstützen,
u. a. mit der Ausbildung und Ausstattung der malischen Streitkräfte. Die EU-
Außenminister kündigten daraufhin an, eine EU-Militärausbildungsmission für
Mali einzurichten und ein entsprechendes Konzept bis zum 19. November 2012
zu erarbeiten. Planungen für eine EU-Ausbildungsmission in Mali und den
Nachbarstaaten laufen offenbar bereits seit spätestens 2010, als die EU hierfür
eine Erkundungsmission nach Mali, Mauretanien und Niger entsandt hatte,
deren Beobachtungen in die im Jahr 2011 verabschiedete EU-Sahel-Strategie
einflossen. Am 16. Juli 2012 beschloss der Rat der EU mit EUCAP Niger
(European Union Capacity Building Mission in Niger) die Entsendung einer als
zivil deklarierten 50- köpfigen Expertenmission nach Niger mit Verbindungs-
büros in Mali und Mauretanien. Seither ist die EU vornehmlich mit militä-
rischem Personal im Rahmen von EUCAP Niger in der Region präsent.

Die explizite Verknüpfung der Krisenbewältigung in Mali mit dem Antiterror-
kampf in der VN-Resolution lässt befürchten, dass das zukünftige internationale
Engagement weniger auf eine Beendigung der Gewalt und die Verbesserung der
konkreten Lebensbedingungen der malischen Bevölkerung ausgerichtet sein
wird, als auf die militärische Bekämpfung vermeintlicher Terroristen. Über die
konkreten Ziele der geplanten EU-Ausbildungsmission, deren operative Umset-
zung und deren Umfang hat die Bundesregierung bislang ebensowenig infor-
miert, wie über ihre politische Strategie zum Umgang mit der Krise in Mali und
der Region.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die derzeitige politische und humanitäre
Lage im Norden und Süden Malis?

2. Welche internationalen und deutschen Hilfsorganisationen haben nach
Kenntnis der Bundesregierung derzeit Zugang zum Norden Malis zur huma-
nitären Notversorgung der dort lebenden Bevölkerung, wo sind sie jeweils
mit wie vielen Kräften, welchen und wie vielen Hilfsgütern präsent?

3. Wie viele der ca. 500 000 Flüchtlinge werden nach Kenntnis der Bundes-
regierung von internationalen Organisationen an welchen Orten versorgt
(bitte unter Angabe der jeweiligen Organisation und der Region/Land)?

4. Welche Strategie verfolgen die Bundesregierung und die EU, um eine ausrei-
chende Nahrungsmittelversorgung in allen Teilen Malis zu gewährleisten,
und wurden hierfür auch Gespräche mit den bewaffneten Gruppen geführt,
die derzeit den Norden Malis kontrollieren, und wenn nicht, warum nicht?

5. Inwiefern passt die Bundesregierung ihre Ziele, Schwerpunkte und Planun-
gen im Bereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für Mali an die
derzeitige Krise an, welche Änderungen hat dies im Einzelnen zur Folge, und
welchen Stellenwert nimmt hierbei die Förderung der ländlichen Entwick-
lung ein (bitte unter Angabe der einzelnen Projekte, des Planungsstands, der
Einsatzgebiete und des finanziellen Umfangs)?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die verschiedenen bewaff-
neten Gruppen, die derzeit in Mali und der Region mit welchen Zielen ope-

rieren (bitte einzeln auflisten)?

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7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Größe, Bewaffnung
und Vernetzung der Gruppen, die gegen die malische Armee kämpfen, und
wie bewertet sie das derzeitige Kräfteverhältnis zwischen malischer Armee
und den bewaffneten Gruppen, die den Norden des Landes kontrollieren?

8. Woher bezogen und beziehen derzeit die bewaffneten Gruppen in Nordmali
nach Kenntnis der Bundesregierung ihre Waffen, und was ist der Bundes-
regierung bekannt über

a) ehemalige Waffenbestände aus Libyen in den Händen bewaffneter Grup-
pen in Nordmali sowie den angrenzenden Staaten Algerien, Niger und
Mauretanien und

b) eine Beteiligung Saudi Arabiens, Katars und anderer arabischer Staaten
an der Aufrüstung dieser Gruppen?

9. Wie bewertet die Bundesregierung den derzeitigen völkerrechtlichen Status
der nach dem Putsch gebildeten Übergangsregierung, und wie schätzt sie
deren Akzeptanz in der malischen Bevölkerung ein?

10. Welche Staaten haben die derzeitige Übergangsregierung in Mali als legi-
time Vertretung der Bevölkerung anerkannt, gehört die Bundesregierung
dazu, und was bedeutet dies für die Anfrage der malischen Übergangsregie-
rung nach militärischer Unterstützung und die Anfrage der ECOWAS beim
VN-Sicherheitsrat zur Autorisierung eines internationalen Militäreinsatzes
aus völkerrechtlicher Sicht?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Einflussmöglichkeiten der ECOWAS
und der Afrikanischen Union auf die Krise in Mali, und inwiefern kann und
sollte die ECOWAS nach Auffassung der Bundesregierung eine konstruk-
tive Rolle bei der Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen und
der Wiederherstellung der territorialen Souveränität/Integrität Malis spie-
len?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die Rolle des Nachbarlands Burkina Faso
und insbesondere ihres Präsidenten Blaise Compaoré ein, der derzeit als
Mediator der ECOWAS im Mali-Konflikt fungiert, insbesondere vor dem
Hintergrund des Vorwurfs aus der dortigen Opposition, er unterstütze be-
waffnete Gruppen im Norden Malis (mit Waffenlieferungen, Rückzugsräu-
men in Burkina Faso etc.)?

13. Wie schätzt die Bundesregierung die Rolle des Nachbarlandes Côte d’Ivoire
und ihres Präsidenten Allassane Ouattara, der zugleich neuer ECOWAS-
Präsident ist, in dem Konflikt ein, und welche Erkenntnisse hat die Bundes-
regierung darüber, ob die Regierung plant, ehemalige Rebellen aus dem
eigenen Land in den geplanten Militäreinsatz der ECOWAS in Nordmali zu
entsenden?

14. Wie sollen nach Auffassung der Bundesregierung die Nachbarstaaten Alge-
rien und Mauretanien, die nicht Mitglied der ECOWAS sind, in das interna-
tionale Engagement für eine Beendigung der Gewalt in Mali einbezogen
werden, und wie schätzt die Bundesregierung deren regionale Rolle ein?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mutmaßliche ehemalige
und aktuelle Verbindungen zwischen Rebellengruppen in Nordmali und alge-
rischen Sicherheits- und Geheimdienstorganen?

16. Welche Anstrengungen um eine friedliche Beilegung des Konflikts, bei-
spielsweise durch Verhandlungen, wurden seit dem Putsch im März 2012
und der Unabhängigkeitserklärung des „Azawad“ durch die MNLA im
April 2012 seitens der VN, AU, ECOWAS, EU nach Kenntnis der Bundes-

regierung anderer internationaler Vermittler, Frankreichs, der USA und der

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Bundesregierung selber unternommen, und mit welchem jeweiligen Ergeb-
nis?

17. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass alle möglichen diploma-
tischen Anstrengungen und Verhandlungsbemühungen unternommen wur-
den, um den Konflikt friedlich zu lösen und dass diese gescheitert seien?

Wenn ja, welche waren dies im Einzelnen, und woran macht die Bundes-
regierung das Scheitern fest?

Wenn nein, warum beteiligt sich die Bundesregierung nun an der Vorberei-
tung einer militärischen Lösung?

18. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Gefahr ein, dass sich der Konflikt
in Mali – auch durch einen internationalen Militäreinsatz – zu einem
Flächenbrand in der gesamten Region entwickeln und sich auch auf Niger,
Mauretanien, Algerien und Tschad ausweiten könnte, und mit welchen
Maßnahmen plant die Bundesregierung einer solchen Entwicklung entge-
genzuwirken?

19. Welche Maßnahmen wurden seit Verabschiedung der EU-Sahel-Strategie
2011 in Bezug auf Mali wann in welchen EU-Gremien beraten und entschie-
den, wie war die Bundesregierung in diesen Beratungen vertreten, und wel-
che Initiativen hat die Bundesregierung jeweils eingebracht?

20. Welche Vorschläge für Mali hat die Bundesregierung in die EU-Sahel-Stra-
tegie eingebracht, und welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregie-
rung zu deren Umsetzung vorgeschlagen?

21. Welche Maßnahmen bzw. Programme in den Bereichen Ausbildung und
Ausstattung von malischen Polizei- und Armeekräften wurden in den letz-
ten fünf Jahren durch die Bundesregierung, die EU und nach Kenntnis der
Bundesregierung andere EU-Staaten durchgeführt, und welche sind in Pla-
nung (bitte unter Angabe der einzelnen Maßnahmen, ihrer Laufzeit und dem
finanziellen Umfang)?

22. Inwiefern beteiligt sich die Bundesregierung konkret an der EU-Mission
EUCAP Niger?

23. Aus welchen Gründen wurde für die als „zivil“ deklarierte EUCAP-Niger-
Mission größtenteils militärisches Personal rekrutiert, und warum soll die-
ses Personal Uniformen mitführen, um sie im Bedarfsfall zu tragen?

24. Wie ist der derzeitige Sachstand der Implementierung der EUCAP-Niger-
Mission, insbesondere im Hinblick auf die Einrichtung von Verbindungs-
büros in Bamako und Nouakschot und deren personelle Ausstattung?

25. Welchen Auftrag haben die Verbindungsbüros, mit wem stehen sie in Kon-
takt, und welche Ziele werden verfolgt?

26. In welcher Form ist EUCAP Niger an der Vorbereitung eines künftigen Mi-
litäreinsatzes in Nordmali beteiligt, und wie soll EUCAP Niger die mali-
schen Streitkräfte bei militärischen Offensiven zur Rückeroberung der Ge-
biete im Norden Malis unterstützen?

27. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Defizite bei den mali-
schen Streitkräften in Bezug auf Bewaffnung, Organisation und Ausbil-
dung, und auf welchen Informationen beruhen diese Kenntnisse?

28. Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung demnach
zur Stärkung der malischen Streitkräfte nötig, welche konkreten Elemente
soll die Ausbildung malischer Streitkräfte beinhalten, und wo soll die Aus-
bildung nach derzeitigem Planungsstand durchgeführt werden?

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29. Ist im Rahmen der Ausbildungsmission auch Ausstattungshilfe vorgesehen,
und wenn ja, um welche konkreten Ausstattungselemente handelt es sich?

30. Welche Form der Kooperation und Kommunikation wird zwischen der EU-
Ausbildungsmission und dem geplanten internationalen Militäreinsatz von
Afrikanischer Union und ECOWAS angestrebt, und in welcher Form plant
die EU, sich an diesem Militäreinsatz zu beteiligen?

31. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sie sich über eine reine Aus-
bildungsmission hinaus an einem etwaigen internationalen Militäreinsatz
beteiligen wird, und welche Schlussfolgerungen zieht sie in diesem Zusam-
menhang aus den Warnungen des Deutschen Bundeswehr-Verbandes e. V.
vor einer direkten Verwicklung in kriegerische Auseinandersetzungen?

32. Was ist der Bundesregierung über die Rolle und die Interessen Frankreichs
und der USA in Mali und der umliegenden Region bekannt, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen?

33. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über derzeit in Mali präsente
französische und US-amerikanische Truppen, und gegebenenfalls auf wel-
cher Grundlage sind diese dort stationiert?

34. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der von den
USA angekündigten militärischen Unterstützung bei der Bekämpfung von
terroristischen Gruppen, die in Mali operieren?

35. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über militärische Operationen
durch die Operation Enduring Freedom (OEF) in Mali?

Berlin, den 31. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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