BT-Drucksache 17/11271

Zukunft des deutschen Polizeieinsatzes in Afghanistan und Menschenrechtsverletzungen der afghanischen Polizei (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/10665)

Vom 30. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11271
17. Wahlperiode 30. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Andrej Hunko, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Zukunft des deutschen Polizeieinsatzes in Afghanistan
und Menschenrechtsverletzungen der afghanischen Polizei
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/10665)

Die überwiegend optimistischen Einschätzungen der Bundesregierung zum
Aufbau der afghanischen Polizei, die den Tenor diesbezüglicher Antworten auf
Kleine Anfragen ausmachen, werden aus Sicht der Fragesteller durch reale Ent-
wicklungen gleich mehrfach konterkariert. Am schwersten wiegt dabei der im-
mer wieder von Menschenrechtsorganisationen erhobene Vorwurf, die afghani-
schen Sicherheitskräfte (ANSF) begingen schwere Menschenrechtsverbrechen
und genössen weitgehende Straflosigkeit. In aktuellen Einschätzungen sowohl
des Bundesnachrichtendienstes (BND) als auch der International Crisis Group
(ICG) wird davon ausgegangen, dass die Entwicklung nach dem Abzug zumin-
dest einiger Kampfeinheiten der ISAF-Truppensteller nach 2014 äußerst un-
sicher ist und die ANSF nicht in der Lage sind, die Sicherheit in eigener Verant-
wortung zu garantieren (zum BND: DER SPIEGEL vom 1. Oktober 2012, zur
ICG: www.crisisgroup.org).

Auch die immer zahlreicher werdenden Innentäterangriffe durch afghanische
Soldaten oder Polizisten erwecken eher den Eindruck, dass sich deren „Eigen-
ständigkeit“, die ihr von der Bundesregierung zugeschrieben wird, in eine an-
dere als die von den ISAF-Staaten gewünschte Richtung bewegt. Der BND
geht offenbar davon aus, dass sich solche Innentäterangriffe in Zukunft noch
vermehren.

Fragen wirft aus Sicht der Fragesteller weiterhin der in der „Süddeutschen
Zeitung“ vom 2. Juli 2012 beschriebene Vorfall auf, bei dem afghanische Poli-
zisten einen – nach Darstellung eines Hauptmanns der Bundeswehr unbewaff-
neten – Mann von hinten zu erschießen versuchten, ohne dass die Bundeswehr
versucht hat, sie daran zu hindern (der Bericht ist auch auf der Bundeswehr-
homepage eingestellt, www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/NYvBCs
IwEET_KNsgonizVNCriLVeyrZZymKalGRjQfx4k4Mz8C5vBp6Q6_DNEwp

7hxYe0I18GFY1rIYUviSRtRQVptgbmntiF1E0JZnXozekRQKOeHMKaD4o
BYfxBaTQshGsYGu0k2td9U_-ru_307ndrPVzaW-wjLPxx-LKKnR/, Abruf am
9. Oktober 2012).

Drucksache 17/11271 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen ihrer Antwort
zu Frage 4 auf der mit dem Datum vom 10. September 2012 erstellten Ant-
wort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestags-
drucksache 17/10665, die aktuelle Stärke der Afghan Public Protection
Forces (APPF) betrage 12 027 Mann, und der Angabe der NATO Training
Mission – Afghanistan (NTM-A), den APPF hätten mit Stand vom 4. Juni
2012 schätzungsweise 16 000 Mann angehört (http://ntm-a.com/archives/
11425)?

2. Inwiefern werden die APPF von Deutschland unterstützt, und inwiefern gibt
es eine Zusammenarbeit zwischen den APPF und der Bundeswehr, dem
deutschen Polizeiprojektteam GPPT oder der EU-Mission EUPOL AFG?

3. Auf welche Gesamtstärke sollen nach Kenntnis der Bundesregierung Kräfte
wie die APPF, die CIP-Guards und ggf. weitere regierungsfreundliche
Sicherheitskräfte, die nicht den ANSF angehören, anwachsen, und bis zu
welchem Zeitpunkt?

4. Kann die Bundesregierung bereits absehen, wie viele deutsche Polizistinnen
und Polizisten nach 2014 noch in Afghanistan eingesetzt werden (ggf. bitte
nach GPPT und EUPOL AFG trennen), und wenn nein, bis zu welchem
Zeitpunkt will sie ihre diesbezüglichen Planungen vorstellen?

5. Woher rühren die Informationen der Bundesregierung (Antwort zu Frage 11
auf Bundestagsdrucksache 17/10665), die im Bericht „Afghanistan: Ge-
meinsam einsam“ beschriebene Person habe zum Zeitpunkt des Vorfalls eine
Handfeuerwaffe geführt?

a) Seit wann verfügt die Bundesregierung über diese Information?

b) Hat die Bundesregierung Anlass, daran zu zweifeln, dass der in dem Be-
richt zitierte Hauptmann der Bundeswehr sich geweigert hat, auf den
Mann zu schießen und dies mit den Worten begründete: „Vielleicht war
der Mann nur ein Hirte, der es mit der Angst bekam. Ich weiß es nicht und
er hat uns ja nicht bedroht.“, und wenn ja, woher rühren diese Zweifel?

Hat der Hauptmann nach Kenntnis der Bundesregierung rechtliche
Schritte gegen die „Süddeutsche Zeitung“ eingeleitet?

c) Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Annahme der Fragesteller
richtig, ein Hauptmann der Bundeswehr wisse einen Fotoapparat von ei-
ner Schusswaffe zu unterscheiden, und wenn ja, für wie glaubwürdig hält
die Bundesregierung die ihr zugetragene Information, der fragliche Mann
habe eine Schusswaffe geführt?

d) Warum hat der Hauptmann, der zumindest nach eigenen Worten davon
überzeugt war, die beschriebene Person habe keine Bedrohung darge-
stellt, nach Kenntnis der Fragesteller keine Meldung über ein mutmaßlich
strafrechtlich relevantes Verhalten der afghanischen Polizei erstattet,
wozu er eigentlich verpflichtet gewesen wäre, da zumindest nach seiner
eigenen Überzeugung von dem Mann keine Bedrohung ausgegangen ist
und es auch in Afghanistan strafbar sein dürfte, einer unbewaffneten,
keine Bedrohung darstellenden Person in den Rücken zu schießen?

e) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Vorfall?

6. Warum kann die Bundesregierung keine Angaben darüber machen, ob An-
gehörige der in dem Bericht geschilderten Polizeieinheit eine Ausbildung
durch deutsche Polizisten absolviert hatten, was Aufschluss darüber geben
könnte, wie effektiv diese Ausbildung – sowohl in praktischer als auch men-
schenrechtlicher Hinsicht – ist?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11271

a) Gehen die Fragesteller recht in der Annahme, dass die Namen derjenigen
afghanischen Polizisten, die an Ausbildungskursen durch deutsche Poli-
zisten teilnehmen, erfasst werden, und wenn ja, warum ist es nicht mög-
lich, diese Namen mit den Namen jener Polizisten zu vergleichen, die an
dem beschriebenen Vorfall beteiligt waren?

b) Gehen die Fragesteller recht in der Annahme, dass der Bundeswehr je-
denfalls einige der Polizisten, die an dem Vorfall beteiligt waren, nament-
lich bekannt sind bzw. durch Befragen der anwesenden Bundeswehrsol-
daten ermittelbar wären?

c) Falls eine Rekonstruktion der Teilnehmernamen und ihr Abgleich mit
den Polizisten, die an dem Vorfall beteiligt waren, möglich sein sollte,
wurde sie vorgenommen, und wenn nein, warum nicht?

7. Warum ist für die Finanzierung der afghanischen Polizei ab 2015 eine dras-
tische Steigerung der deutschen Ausgaben (von jetzt 20 Mio. Euro auf
70 Mio. Euro pro Jahr, vgl. die Antwort zu Frage 16 auf Bundestagsdruck-
sache 17/10665) vorgesehen?

a) Reduzieren andere Staaten ihre Beiträge an dem von der UNO verwalte-
ten LOTFA-Fonds, aus dem die Gehälter der afghanischen Polizisten
maßgeblich finanziert werden, und wenn ja, welche Staaten reduzieren
ihre Beiträge, und was sind hierfür nach Kenntnis der Bundesregierung
die Gründe?

b) Welche Planungen bestehen hinsichtlich der Ausstattung des LOTFA-
Fonds für die Jahre ab 2014 durch die Geberstaaten insgesamt (bitte er-
wartete Gesamtbeiträge und soweit möglich die wichtigsten Geberländer
mit jeweiligen Beiträgen anführen)?

c) Falls nicht nur die deutschen Beiträge, sondern auch das LOTFA-Ge-
samtvolumen signifikant ansteigen sollten, wodurch erklärt sich ein der-
art gestiegener Finanzierungsbedarf der afghanischen Polizei?

d) Für wie realistisch hält die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die
Erwartung, dass die afghanische Regierung den Eigenanteil an der Finan-
zierung ihrer Sicherheitskräfte steigert, und wie beziffert sie diese Erwar-
tungen konkret?

8. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen ihrer Aussage
auf Bundestagsdrucksache 17/8039 (Antwort zu Frage 23), im Rahmen der
Basiskurse fänden „keine Abschlussprüfungen“ statt, und ihrer Aussage auf
Bundestagsdrucksache 17/10665, die Lehrinhalte der Basiskurse würden in-
nerhalb einer „Final Patrol Exercise praktisch überprüft“?

a) Worin sieht sie den Unterschied zwischen einer Abschlussprüfung und
der von ihr genannten finalen Übung?

b) Worin besteht die „Final Patrol Exercise“?

c) Inwiefern ist sie mit einer Prüfung vergleichbar, bei der Wissen abgefragt
wird und ein (objektiv messbares) Bestehen oder Nichtbestehen darüber
entscheidet, ob ein Polizeirekrut die Prüfung besteht und regulärer Poli-
zist werden kann?

d) In welchem Maße werden bei der „Final Patrol Exercise“ – oder in ande-
rem Rahmen – neben polizei-handwerklichen auch theoretische Kennt-
nisse überprüft, und inwiefern gehören hierzu Kenntnisse über die Kom-
petenzen der Polizei, Menschenrechte und die Rechte Beschuldigter
(bitte den Verlauf der entsprechenden Prüfung beschreiben)?

Drucksache 17/11271 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
e) Welche Bedeutung hat nach Kenntnis der Bundesregierung der Verlauf
der „Final Patrol Exercise“ für die Frage, ob ein Rekrut in den regulären
Polizeidienst übernommen wird?

f) Nach welchen konkreten Kriterien entscheiden nach Kenntnis der Bun-
desregierung die afghanischen Funktionsträger (Leiter der Ausbildungs-
stätten) darüber, ob ein Polizeirekrut in den regulären Polizeidienst
übernommen wird oder nicht?

g) Worin unterscheidet sich diese Praxis von der in Deutschland üblichen?

9. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Annahme des ISAF-Kommandeurs
John Allen, ein Viertel der Angriffe Angehöriger der ANSF (Innentäter-
angriffe) sei auf die Infiltration durch Aufständische zurückzuführen
(Reuters, 23. August 2012, www.reuters.com/article/2012/08/23/us-usa-
afghanistan-idUSBRE87M0S220120823)?

10. Wie begründet sie ihre ggf. abweichende Meinung?

11. Wie teilen sich nach Kenntnis der Bundesregierung Innentäter der Jahre
seit 2002 jeweils auf Angehörige der afghanischen Polizei, der afghani-
schen Armee und, soweit erfasst, auf Angehörige regierungsfreundlicher
Milizen auf (bitte die absolute Zahl zumindest jener Angriffe nennen, bei
denen es erheblichen Sachschaden, Verletzte oder Tote gegeben hat)?

12. Inwiefern ist von der im September 2012 getroffenen Entscheidung des
ISAF-Kommandos (www.isaf.nato.int/article/isaf-releases/isafclarifies-
information-on-partnering-with-ansf.html), das Partnering mit afghanischen
Sicherheitskräften unterhalb der Bataillonsebene nur noch nach Einzelfall-
prüfung und nach expliziter Zustimmung durch hohe Führungsgremien
durchzuführen, auch die Zusammenarbeit der Bundeswehr sowie des
GPPT mit der Afghanischen Nationalpolizei betroffen?

13. Inwiefern werden für Angehörige des GPPT intensivierte Schutzmaßnah-
men vor Innentäterangriffen getroffen?

14. Trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die Meldung des Nachrichten-
magazins „DER SPIEGEL“ vom 1. Oktober 2012, der zufolge der BND
davon ausgehe, dass die Zahl solcher Innentäterangriffe weiter zunehmen
werde, zu, und wenn ja, welche Informationen veranlassen den BND zu
dieser Annahme, und inwiefern wird diese von der Bundesregierung ge-
teilt?

Berlin, den 30. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.