BT-Drucksache 17/11230

Funkzellenabfrage durch Ermittlungsbehörden

Vom 25. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11230
17. Wahlperiode 25. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Jens Petermann,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Funkzellenabfrage durch Ermittlungsbehörden

Bereits im Jahr 2011 geriet die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage im Rah-
men der Dresdner Anti-Nazi-Proteste in die Kritik der Öffentlichkeit. Bei der
sogenannten Funkzellenabfrage handelt es sich um verdeckte Ermittlungsmaß-
nahmen der Behörden zum Zweck der Strafverfolgung. Es werden Telekommu-
nikationsverbindungsdaten einer bestimmten räumlich begrenzten Funkzelle in
einem festgelegten Zeitraum abgefragt und analysiert. So kann ohne großen
Aufwand rekonstruiert werden, wer wann mit wem wie lange telefoniert hat
bzw. wer wann von wem kontaktiert wurde. Auch das Senden und Empfangen
von SMS oder MMS kann durch die Behörden eingesehen werden.

Die Bundesregierung hat auch nach mehreren Nachfragen keine weitreichenden
Erkenntnisse auf dem Gebiet der Funkzellenabfrage. „Eine Statistik speziell zu
Funkzellenabfragen oder zu der Erhebung von Standortdaten wird weder beim
GBA noch beim Bundeskriminalamt BKA geführt.“, heißt es beispielsweise in
der Antwort der Bundesregierung vom 5. Mai 2011 auf die Schriftliche Frage 12
des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE.) auf Bundestagsdrucksache
17/5876. Zu ihrer Rechtfertigung verweist die Bundesregierung darauf, dass die
Gesetzgebung keine gesonderte statistische Erhebung zur Anzahl von Funkzel-
lenabfragen vorsehe. Trotz des massenhaften Anstieges bei der Anwendung die-
ser äußerst umstrittenen Ermittlungsmethode, änderte sich an der Erkenntnis-
lage und der entsprechenden Begründung der Bundesregierung dafür nichts
(vgl. die Bundestagsdrucksachen 17/6630 und 17/6724).

Im September 2012 wurde bekannt, dass der Berliner Datenschutzbeauftragte
Alexander Dix eine Stichprobenprüfung von Funkzellenabfragen der Berliner
Polizei durchführte. Der Datenschutzbeauftragte prüfte dafür 108 Ermittlungs-
akten und kam in seinem 20-seitigen Bericht zu dem Ergebnis, dass es bei den
zwischen 2009 und 2011 vorgenommenen Funkzellenabfragen zu „gravie-
rende[n] Mängel[n]“ bei der Durchführung kam. Insgesamt fragte die Berliner
Polizei im genannten Zeitraum rund 6,6 Millionen Datensätze von Mobilfunk-
providern ab. Alexander Dix kritisiert jedoch nicht nur die übermäßige Häufig-
keit der durchgeführten Abfragen. Insbesondere betrachtet er die geprüften Ein-
griffe als nicht verhältnismäßig. Laut § 100g Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Satz 2

der Strafprozessordnung (StPO) bedarf die Durchführung einer Funkzellenab-
frage des Vorliegens oder des Verdachts einer Straftat von erheblicher Bedeu-
tung sowie grundsätzlich der Genehmigung eines Richters. Bei den von Alexan-
der Dix geprüften Fällen handelte es sich bei mehr als der Hälfte entweder um
Kfz-Brandstiftung oder um Betrug durch den sogenannten Enkeltrick. Zudem
bemängelt der Datenschutzbeauftragte, dass Verhältnismäßigkeitsprüfungen –
von denen die Genehmigung durch einen Richter abhängt – „unzureichend und

Drucksache 17/11230 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zum Teil überhaupt nicht“ durchgeführt worden seien. Neben der Kritik hin-
sichtlich der Häufigkeit und Verhältnismäßigkeit mahnte Alexander Dix auch
den Umgang mit den aus Funkzellenabfragen erworbenen Daten an – hier wur-
den Löschfristen regelmäßig nicht beachtet. Im Übrigen merkt Alexander Dix
an, dass keine der von ihm geprüften Straftaten durch die Anwendung von Funk-
zellenabfragen aufgeklärt werden konnten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung bekannt, wie oft die oben beschriebenen Stichproben
hinsichtlich der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage durch die Daten-
schutzbeauftragten der Länder durchgeführt werden?

a) Wenn ja,

– wie oft,

– auf welchem Wege werden der Bundesregierung die Ergebnisse durch
wen mitgeteilt,

– wie bewertet die Bundesregierung die durch das Stichprobenverfahren
erzielten Ergebnisse im Bereich der Funkzellenabfrage,

– welche Schlüsse und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Ergebnissen?

b) Wenn nein, aus welchen Gründen hat die Bundesregierung keine Kennt-
nisse diesbezüglich?

2. Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit die Landesdatenschutzbeauf-
tragten diesbezüglich mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit korrespondieren?

3. Sind die in Berlin aufgetretenen Mängel bei der Durchführung von nichtindi-
vidualisierten Funkzellenabfragen nach Kenntnis der Bundesregierung ein
Einzelfall?

Wenn nein, hat die Bundesregierung Kenntnisse über ähnliche Vorgehens-
weisen der übrigen Länderpolizeien, und welche sind dies im Einzelnen?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassungen aus dem Bericht des Landes-
datenschutzbeauftragten Alexander Dix, und welche Schlussfolgerungen
zieht sie aus dem Bericht?

5. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der vom Berliner Landesdaten-
schutzbeauftragen geäußerten Kritik hinsichtlich

a) der Häufigkeit von nichtindividualisierten Funkzellenabfragen im Allge-
meinen,

b) der Verhältnismäßigkeit von nichtindividualisierten Funkzellenabfragen
und der Durchführung der Maßnahme bei Straftaten ohne erhebliche Be-
deutung im Einzelfall?

6. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der geäußerten Kritik der Funk-
zellenabfrage hinsichtlich

a) der Nichteinhaltung von Löschfristen der durch Funkzellenabfragen er-
worbenen Daten,

b) der Benachrichtigung der Betroffenen,

c) der fehlenden, fehlerhaften oder ungenügenden Kennzeichnung der durch
Funkzellenabfragen erworbenen Verkehrsdaten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11230

7. Wie viele Funkzellenabfragen wurden im Zeitraum von 2001 bis 2012
durch

a) die Bundespolizei vorgenommen,

b) die Polizeien der einzelnen Länder nach Kenntnis der Bundesregierung
vorgenommen (bitte nach Ländern aufschlüsseln),

c) das Bundeskriminalamt vorgenommen,

d) die Landeskriminalämter nach Kenntnis der Bundesregierung vorge-
nommen (bitte nach Ländern aufschlüsseln),

e) den Zoll vorgenommen,

f) das Bundesamt für Verfassungsschutz vorgenommen,

g) die Verfassungsschutzämter der Länder nach Kenntnis der Bundesregie-
rung vorgenommen (bitte nach Ländern aufschlüsseln),

h) andere Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung vorgenommen
(bitte nach Behörden aufschlüsseln)?

8. In wie vielen Fällen der durch die Bundespolizei vorgenommenen Funkzel-
lenabfragen wurde eine richterliche Anordnung beantragt, erteilt, abgelehnt
oder eine Funkzellenabfrage ohne richterliche Anordnung durchgeführt
(bitte nach den angegebenen Kategorien aufschlüsseln)?

9. In wie vielen Fällen der durch andere Behörden vorgenommenen Funkzel-
lenabfragen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung eine richterliche
Anordnung beantragt, erteilt, abgelehnt oder eine Funkzellenabfrage ohne
richterliche Anordnung durchgeführt (bitte nach Behörden und den angege-
benen Kategorien aufschlüsseln)?

10. Wie viele Datensätze wurden im Zusammenhang mit nichtindividualisier-
ten Funkzellenabfragen im Zeitraum von 2001 bis 2012 durch

a) die Bundespolizei abgefragt (bitte nach Monat, Jahr, Mobilfunkprovider
und Anzahl der Datensätze aufschlüsseln),

b) die Polizeien der einzelnen Länder nach Kenntnis der Bundesregierung
abgefragt (bitte nach Bundesland, Monat, Jahr, Mobilfunkprovider und
Anzahl der Datensätze aufschlüsseln),

c) das Bundeskriminalamt abgefragt (bitte nach Monat, Jahr, Mobilfunk-
provider und Anzahl der Datensätze aufschlüsseln),

d) die Landeskriminalämter nach Kenntnis der Bundesregierung abgefragt
(bitte nach Bundesland, Monat, Jahr, Mobilfunkprovider und Anzahl der
Datensätze aufschlüsseln),

e) den Zoll abgefragt (bitte nach Monat, Jahr, Mobilfunkprovider und An-
zahl der Datensätze aufschlüsseln),

f) das Bundesamt für Verfassungsschutz abgefragt (bitte nach Monat, Jahr,
Mobilfunkprovider und Anzahl der Datensätze aufschlüsseln),

g) die Verfassungsschutzämter der Länder nach Kenntnis der Bundesregie-
rung abgefragt (bitte nach Bundesland, Monat, Jahr, Mobilfunkprovider
und Anzahl der Datensätze aufschlüsseln),

h) andere Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung abgefragt (bitte
nach Behörden, Monat, Jahr, Mobilfunkprovider und Anzahl der Daten-
sätze aufschlüsseln)?

11. In wie vielen Ermittlungsverfahren, in denen die nichtindividualisierte

Funkzellenabfrage angewendet wurde, war nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die Anlasstat vom Katalog in § 100a Absatz 2 StPO nicht erfasst?

Drucksache 17/11230 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
12. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, wie viele Straftaten bundes-
weit und in den Ländern durch die Durchführung von nichtindividualisier-
ten Funkzellenabfragen in den Jahren von 2001 bis 2012 aufgeklärt werden
konnten?

13. Was spricht nach Meinung der Bundesregierung gegen die Forderung, kei-
nen Gebrauch mehr von nichtindividualisierten Funkzellenabfragen zu ma-
chen?

14. Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit die Funkzellenabfrage zur Auf-
klärung von Straftaten geeignet ist?

Wenn ja, woraus zieht sie diesen Schluss?

Wenn nein, hat die Bundesregierung Untersuchungen, Forschungsvorhaben
o. Ä. in Auftrag gegeben, um dieses herauszufinden?

15. Unterstützt die Bundesregierung die Bundesratsinitiative des Landes Sach-
sen hinsichtlich der Neuregelung der Funkzellenabfrage?

16. Ist der Bundesregierung bekannt, welche weiteren Länder sich der Initiative
bereits angeschlossen haben oder eigene Gesetzesinitiativen planen?

17. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung, dass auch in den Fällen
eine allgemein zugängliche Information der Öffentlichkeit über Zeit und
Ort einer Funkzellenanfrage zu gewährleisten sei, in denen nach § 101 Ab-
satz 4 Satz 4 StPO eine Information der betroffenen Personen unterblieben
ist, weil diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde?

Berlin, den 25. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.