BT-Drucksache 17/11134

Menschen- und Organhandel auf der Sinai-Halbinsel

Vom 23. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11134
17. Wahlperiode 23. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, Heike
Hänsel, Inge Höger, Niema Movassat, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Menschen- und Organhandel auf der Sinai-Halbinsel

Menschenhandel wird häufig als moderne Sklaverei bezeichnet. Durch Men-
schenhandel werden zahlreiche internationale Standards und Protokolle zu Men-
schenrechten verletzt. Menschenhandel wird häufig von gut organisierten, inter-
national agierenden Netzwerken durchgeführt und hat sich in den letzten
Jahrzehnten zu einem der lukrativsten Geschäftsfelder für international organi-
sierte Kriminalität entwickelt. Sehr oft ist Menschenhandel mit den ebenfalls
sehr profitablen Strukturen des Drogen- und Waffenschmuggels verbunden.

Wiederholt wiesen Medienberichte seit Ende 2010 auf die Situation von Flücht-
lingen auf der Sinai-Halbinsel hin: Menschen- und Organhandel, Folter, Verge-
waltigungen und Lösegelderpressungen nehmen zu. Laut Menschenrechtsorga-
nisationen wie den Physicians for Human Rights – Israel, der New Generation
Foundation for Human Rights und „The UN Refugee Agency“ entwickelte sich
in den letzten Jahren die Sinai-Wüste im Grenzgebiet von Ägypten und Israel zu
einem wichtigen Ort des Menschen- und des Organhandels. Die Weltgesund-
heitsorganisation hat Ägypten sogar als regionalen Knotenpunkt für Organhan-
del bezeichnet.

Ägyptische Experten bezeichneten in einem CNN-Bericht (The CNN Freedom
Project, Death in the Desert, 8. November 2011) den Organhandel als ein lukra-
tives Geschäft. Der Preis je Organ liegt nach ihren Angaben bei 20 000 Dollar
(14 800 Euro). Vor allem sind Flüchtlinge betroffen, die auf irregulärem Weg die
Grenze passieren und abhängig von Schleppern sind. Eine weitere Gruppe, so
wird in Berichten geschrieben, sind Flüchtlinge aus dem Mai-Ayni-Flüchtlings-
lager, die in Äthiopien entführt und in den Sinai gebracht werden (vgl. Schwei-
zerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: Entführungen, Erpressungen, Organhandel,
5. Juli 2012).

Bei den Betroffenen handelt es sich vorwiegend um Flüchtlinge aus dem Sudan
und aus Eritrea, die über die Sinai-Halbinsel nach Israel oder Europa gelangen
wollen. Nach dem Freundschaftsabkommen zwischen Italien und Libyen im
Jahr 2008 wurde der Weg über Libyen schwieriger. 2009 ist die Fluchtroute auf-
grund der zusätzlichen Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für die
operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) weitgehend

blockiert worden (PRO ASYL 2010, Fatale Allianz: Zur Kooperation der Euro-
päischen Union mit Libyen bei der Flucht- und Migrationsverhinderung). Also
mussten neue Wege gefunden werden. Eine dieser Routen führt durch das
Grenzgebiet des Sinai. Dadurch etablierten sich neue Konstellationen von
Akteuren, die den Menschenschmuggel durch Lösegeldforderungen und durch
Organhandel lukrativ ausweiteten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea:
Entführungen, Erpressungen, Organhandel, 5. Juli 2012).

Drucksache 17/11134 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Nach dem erwähnten CNN-Bericht wurden im Jahr 2010 14 000 Flüchtlinge
über die israelische Grenze transportiert. Die Flüchtlinge bezahlen 2 000 bis
3 000 Dollar an Schleuserorganisationen, um durch den Sinai gebracht zu wer-
den. Viele Flüchtlinge werden auf diesem Weg von Menschenhändlern festge-
halten. Diese stellen Lösegeldforderungen zwischen 5 000 und 40 000 Dollar an
Verwandte der Flüchtlinge in ihrem Herkunftsland bzw. an diejenigen, die es be-
reits nach Israel geschafft haben. Den Verwandten wird angedroht, die Flücht-
linge würden an Banden in den Nordsinai verkauft, sollte den Forderungen nicht
nachgekommen werden. Dort sollen viele der Flüchtlinge unter sklavenähnli-
chen Bedingungen leben, zum Teil getötet und ihre Organe entnommen werden
(Fleming, Melissa, Spokesperson of the UNHCR, Screams of Desert, 15. Fe-
bruar 2012: www.huffingtonpost.com/melissa-fleming/sudan-women-rape_b_
1279733.html; The CNN Freedom Project, Death in the Desert, 8. November
2011).

An diesem Geschäft sind offenbar auch ägyptische Ärzte beteiligt. Sie sollen
die Organe der Gefangenen entnehmen (www.welt.de/politik/ausland/article
13723382/Das-blutige-Geschaeft-mit-Organen-vor-Israels-Grenze.html).

Bislang ging die ägyptische Regierung nicht gegen die Menschenhändler vor,
obwohl die Entführungen und die illegalen Organentnahmen weiter zugenom-
men haben. So hat am 13. März 2012 das Europäische Parlament einen Ent-
schließungsantrag formuliert, der die ägyptischen Behörden auffordert, den
Menschenhandel im Sinai zu bekämpfen und diese Sache vorrangig zu behan-
deln.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Entwicklung des
Menschen- und Organhandels im ägyptisch-israelischen Grenzgebiet vor?

2. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher ergriffen, um
die Regierungen in Israel und Ägypten zur Bekämpfung des Menschenhan-
dels und des Organhandels auf der Sinai-Halbinsel zu drängen?

3. Welche internationalen und lokalen Organisationen arbeiten nach Erkennt-
nissen der Bundesregierung an der Bekämpfung des Menschenhandels in der
Sinai-Wüste?

4. Welche konkrete Zusammenarbeit und Unterstützung gewährt die Bundes-
regierung den ägyptischen und israelischen Behörden zur Bekämpfung des
Menschen- und Organhandels auf der Sinai-Halbinsel?

5. Unterhält die Bundesregierung Programme zur Unterstützung von Organisa-
tionen, die sich gegen den Menschen- und Organhandel auf der Sinai-Halb-
insel einsetzen?

6. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, wie viele
Flüchtlinge wo und von wem auf der Sinai-Halbinsel in den letzten Jahren ge-
fangen gehalten wurden, und wie hoch an deren Verwandte gerichtete Löse-
geldforderungen waren?

7. Gibt es nach Erkenntnissen der Bundesregierung konkrete Hinweise darauf,
dass Ärzte in Ägypten und Israel mit den Menschenhändlern in der Sinai-
Wüste zusammenarbeiten?

8. Werden nach Erkenntnissen der Bundesregierung ägyptische Ärzte, die an
den illegalen Organentnahmen beteiligt waren, strafrechtlich belangt?

9. Inwieweit wird die Entschließung des Europäischen Parlaments vom
15. März 2012 zu Menschenhandel auf der Sinai-Halbinsel, insbesondere zu

dem Fall von Solomon W. (2012/2569(RSP)) in die Tat umgesetzt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11134

10. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, wohin diese Organe
gelangen und wer die Abnehmer sind?

11. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die illegal entnommenen Or-
gane aus der Grenzregion zwischen Israel und Ägypten auch in Staaten der
Europäischen Union geliefert wurden?

12. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Organe aus illegalem Handel
nach Deutschland gelangt sind?

13. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass es darüber hinaus indirekte
Verbindungen nach Deutschland wie z. B. Verbindungsmänner oder über
Deutschland abgewickelte Geldtransfers gibt?

14. Ist der Bundesregierung der Bericht von van Reisen/Estefanos/Rijken
„Human Trafficking in the Sinai: Refugees between Life and Death“ be-
kannt?

Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den darin enthaltenen In-
formationen, und welche konkreten Maßnahmen gedenkt sie diesbezüglich
zu treffen?

Berlin, den 23. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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