BT-Drucksache 17/11102

Haltung der Bundesregierung zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen

Vom 17. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11102
17. Wahlperiode 17. 10. 2012

Große Anfrage
der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, Rainer Arnold,
Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer,
Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Wolfgang Hellmich, Dr. h. c. Susanne
Kastner, Lars Klingbeil, Hans-Ulrich Klose, Fritz Rudolf Körper, Ute Kumpf,
Ullrich Meßmer, Thomas Oppermann, Johannes Pflug, Franz Thönnes, Heidemarie
Wieczorek-Zeul, Uta Zapf, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Haltung der Bundesregierung zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen

Der Einsatz von Kampfdrohnen wurde in den letzten Jahren kontinuierlich aus-
geweitet. So werden nicht nur in Afghanistan und Libyen Kampfdrohnen einge-
setzt, sondern auch im Jemen, in Somalia sowie vor allem in Pakistan. Während
sich die Einsatznationen bei Kampfdrohneneinsätzen in Afghanistan und Libyen
auf ein Mandat des UN-Sicherheitsrates (UN = United Nations) berufen konn-
ten, gibt es für die anderen Länder kein UN-Mandat.

Nach öffentlich zugänglichen Zahlen sollen allein im Westen und Nordwesten
von Pakistan bis Juli 2012 mehr als 300 Angriffe mit Kampfdrohnen durch-
geführt worden sein. Hierbei wurden bis zu 2 400 tatsächliche oder vermutete
Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer getötet. Verlässliche Zahlen über getötete Zivi-
listen gibt es nicht. Schätzungen gehen jedoch von mindestens 240 weiteren
unbeteiligten Personen aus, die bei den Angriffen zu Tode kamen.

Über die Art des Einsatzes von Kampfdrohnen ist in den USA eine öffentliche
Diskussion entstanden, in der neben außen- und sicherheitspolitischen Aspekten
auch rechtliche und ethische Fragen debattiert werden. Auch der US-Kongress
hat sich in einer Anhörung intensiv mit dem Einsatz von Kampfdrohnen be-
schäftigt.

Die Bundesregierung hat sich bislang einer substantiellen Diskussion um die
rechtlichen Aspekte von Kampfdrohneneinsätzen entzogen. Vor allem der für
die Sicherheitspolitik, die Rüstungskontrolle und das Völkerrecht zuständige
Bundesminister des Auswärtigen fällt durch inhaltliche und fachliche Abwesen-
heit auf. Stattdessen hat die Bundesregierung mit allgemeinen Hinweisen auf die
Beachtung des humanitären Völkerrechts und des Rechtsrahmens in jedem Ein-
zelfall, eine klare Positionierung zu diesem Thema vermieden. Ebenso vermei-
det es die Bundesregierung, den „Einsatz von Kampfdrohnen“ politisch zu be-
urteilen. Nicht anders lassen sich ihre unbefriedigenden Antworten auf konkrete

Fragen aus dem Parlament interpretieren. Es besteht der Eindruck, dass die Bun-
desregierung keine abgestimmte Position zu diesem Thema hat.

Dank einer parlamentarischen Initiative wurde das Thema „Kampfdrohnen“
wissenschaftlich aufgearbeitet. Auf Anregung des Verteidigungsausschusses
des Deutschen Bundestages hat der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages eine Studie zu „Stand

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und Perspektiven der militärischen Nutzung unbemannter Systeme“ beim Büro
für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag in Auftrag gegeben.
Naturgemäß blieb die im Mai 2011 veröffentlichte Studie vor allem Antworten
auf politische Fragen schuldig.

Nachdem der Bundesminister der Verteidigung noch im Juli dieses Jahres Fra-
gen nach der Einführung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr als nicht „ent-
scheidungsrelevant“ qualifiziert hatte und die Zeit für eine öffentliche Diskus-
sion als nicht gekommen sah, änderte er überraschend einige Wochen später
diese Haltung. In einem Zeitungsgespräch bezeichnete er Kampfdrohnen als
„ethisch neutrale Waffe“ und kündigte an, Kampfdrohnen für die Bundeswehr
ab dem Jahr 2014/2015 beschaffen zu wollen. Seine Argumentation, eine
Kampfdrohne sei nichts anderes als ein Flugzeug ohne Pilot, vernachlässigt
nicht nur die bekannten völkerrechtlichen und politischen, sondern auch ethi-
sche Bedenken im Zusammenhang mit dem Einsatz von Kampfdrohnen.

Die Aussage des Bundesministers der Verteidigung, man müsse die „sehr spezi-
elle Form des Einsatzes“ von Kampfdrohnen diskutieren, ist richtig. Es ist not-
wendig, das Thema Kampfdrohnen unter den verschiedenen außen- und sicher-
heitspolitischen sowie rechtlichen und ethischen Aspekten intensiv zu beraten.
Für eine politische Diskussion muss die Bundesregierung jedoch zunächst ein-
mal eine abgestimmte Haltung zum Einsatz von Kampfdrohnen sowohl gegen-
über dem Parlament als auch gegenüber der Öffentlichkeit einnehmen. In Anbe-
tracht der nunmehr bestätigten konkreten Beschaffungsabsichten sind
substantielle Antworten auf Fragen in diesem Zusammenhang essentiell. Ohne
sie kann die von der Bundesregierung gewünschte Debatte zum Erwerb und Ein-
satz von Kampfdrohnen nicht geführt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Allgemein

1. Wie viele Einsätze von Kampfdrohnen im Zeitraum ab 2001 sind der
Bundesregierung bekannt (bitte nach Einsatzorten und Einsatzdatum auf-
schlüsseln)?

2. Wie viele Menschen wurden hierdurch nach Kenntnis der Bundesregierung
getötet?

3. Wie viele Einsätze fanden in Ländern statt, in denen die Nation, die Kampf-
drohnen zum Einsatz brachte, sich nicht in einem bewaffneten Konflikt be-
fand?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung das bekannt gewordene Verfahren der
USA, wonach auf der Grundlage einer sogenannten Zielliste politisch über
die gezielte Tötung von Personen entschieden wird?

5. Welche rechtlichen und politischen Konsequenzen hat die Bundesregierung
aus dem vom Deutschen Bundestag angeforderten und im Mai 2011 ver-
öffentlichten Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deut-
schen Bundestag zu „Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung un-
bemannter Systeme“ zum Themenkomplex „Kampfdrohnen“ gezogen?

6. Welches sicherheitspolitische Konzept verfolgt die Bundesregierung auf EU-
bzw. NATO-Ebene bei den Plänen zur Beschaffung von Kampfdrohnen?

7. Welche Konzepte verfolgen nach Kenntnis der Bundesregierung andere EU-
und NATO-Staaten zur Beschaffung von Kampfdrohnen?

8. Wird es eine abgestimmte Beschaffungspraxis bei den EU- und NATO-Staa-

ten geben, die bislang noch über keine Kampfdrohnen verfügen?

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9. In welcher Form unterstützt die Bundesregierung die Forderung des UN-
Sonderberichterstatters für Menschenrechte, Ben Emmerson, nach einer
unabhängigen Untersuchung der US-Drohnenangriffe auf vermutete Terro-
risten?

10. Plant die Bundesregierung, die zu beschaffenden Kampfdrohnen mit der
Fähigkeit einer „autonomen Bekämpfung von Zielen“ auszurüsten?

Falls ja, welche sicherheitspolitischen und militärischen Intentionen sind
damit verbunden?

II. Völkerrechtliche Implikationen

11. Teilt die Bundesregierung die Beurteilung jener Nationen, die Kampfdroh-
nen zum Einsatz brachten, wonach die Bekämpfung der getöteten Personen
stets rechtlich legitimiert war, und wenn ja, was sind die Argumente der
Bundesregierung für diese Haltung?

12. Beabsichtigt die Bundesregierung die Verwendung von Bundeswehr-
Kampfdrohnen zur gezielten Tötung von Menschen, die nicht in aktiven
Kampfhandlungen eingebunden sind bzw. nicht als Kombattanten nach den
Regeln des humanitären Völkerrechts gelten?

13. Wo sieht die Bundesregierung rechtliche und politische Grenzen bei der
gezielten Tötung von Menschen, die nicht in aktiven Kampfhandlungen
eingebunden sind bzw. nicht als Kombattanten nach den Regeln des huma-
nitären Völkerrechts gelten?

14. Welche Einzelfälle von Kampfdrohneneinsätzen sind der Bundesregierung
auf entsprechender Faktengrundlage bekannt, in denen Kampfdrohnen in
Ländern eingesetzt wurden, mit denen sich die Einsatzstaaten in keinem
Kriegszustand befanden, und welche rechtlichen Folgerungen zieht sie aus
der jeweiligen Einsatzbewertung?

15. Welchen völkerrechtlichen Status haben nach Ansicht der Bundesregierung
z. B. Al-Qaida-Terroristen, die außerhalb des Gebietes eines bewaffneten
Konflikts agieren?

Betrachtet die Bundesregierung sie als Kombattanten im Sinne des humani-
tären Völkerrechts, die u. a. durch den Einsatz von Kampfdrohnen getötet
werden dürfen?

16. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Kampfdrohnen außerhalb
bewaffneter Konfliktszenarien gar nicht völkerrechtsgemäß eingesetzt wer-
den dürfen?

17. Handelt es sich bei Bodenstationen von Kampfdrohnen um legitime militä-
rische Ziele im Sinne des humanitären Völkerrechts?

III. Außenpolitische Implikationen

18. Welche negativen außenpolitischen Implikationen gab es aufgrund des Ein-
satzes von Kampfdrohnen, z. B. in Pakistan?

19. Welche Einzelfälle von Kampfdrohneneinsätzen sind der Bundesregierung
auf entsprechender Faktengrundlage bekannt, in denen Kampfdrohnen in
Ländern eingesetzt wurden, mit denen sich die Einsatzstaaten in keinem
Kriegszustand befanden, und welche außenpolitischen Folgerungen zieht
sie aus der jeweiligen Einsatzbewertung?

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IV. Rüstungs- und rüstungsexportpolitische Implikationen und Beschaffungen

20. Welche rüstungskontrollpolitischen Initiativen verfolgt die Bundesregie-
rung zum Thema „Entwicklung und Einführung bewaffneter unbemannter
Plattformen“, und was sind die bisherigen konkreten Ergebnisse?

21. Hat sich der zuständige Bundesminister des Auswärtigen mit dem Thema
„Einsatz von Kampfdrohnen“ bei bilateralen oder internationalen Regie-
rungsgesprächen befasst, und was sind die konkreten Ergebnisse?

22. Teilt die Bundesregierung die Analyse, dass je stärker Länder in bewaffne-
ten Konflikten auf den Einsatz von u. a. Kampfdrohnen zurückgreifen,
umso mehr die Gefahr wachse, dass die technisch unterlegene Seite den An-
reiz hat, den Konflikt in die Herkunftsländer der Einsatznation zu tragen, in
denen in der Regel auch die Bodenstationen für Kampfdrohnen liegen?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus, und
welche Mittel plant die Bundesregierung zusätzlich zur entsprechenden Ge-
fahrenabwehr einzusetzen?

23. Welche Initiativen plant die Bundesregierung im Bereich der präventiven
Rüstungskontrolle zum Thema „militärische Nutzung unbemannter fliegen-
der Kampfsysteme“?

24. Teilt die Bundesregierung die Auffassung verschiedener Wissenschaftsein-
richtungen, Drohnen als eigenständige Kategorie in das UN-Waffenregister
aufzunehmen und Rüstungskontrolle zu fordern, die auf die Ächtung dieser
hinausläuft, und wenn nein, wie begründet sie dies?

25. Welchen Bedarf sieht die Bundesregierung für die Beschaffung bewaffneter
UAVs (UAV = unmanned aerial vehicle – unbemannte Fluggeräte) (nach
Fähigkeit und Stückzahl), und wie hoch sind die hierfür notwendigen Haus-
haltsmittel?

26. Wann sollen solche Systeme in welchem Umfang verfügbar sein?

27. Welche gegenwärtig bereits verfügbaren Systeme hat die Bundeswehr bis-
her begutachtet?

Welche sind der Bundesregierung bekannt (aus welchen Ländern)?

28. Welchen Einsatzzweck wird die Bundesregierung der Beschaffung von be-
waffneten Drohnen ggf. zugrundelegen?

29. Welche Art der Bewaffnung ist heute möglich?

Welche Bestrebungen zur Weiterentwicklung sind der Bundesregierung be-
kannt?

30. Geht die Bundesregierung davon aus, dass UAVs in absehbarer Zeit ganz
oder teilweise den Einsatz bemannter Kampfflugzeuge entbehrlich machen
werden?

V. Ethische Implikationen

31. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es sich bei Kampfdrohnen
um eine „ethisch neutrale Waffe“ handelt?

32. Teilt die Bundesregierung darüber hinaus die Auffassung, dass eine Waffe
„stets als neutral zu betrachten“ sei?

33. Sind nach Auffassung der Bundesregierung auch Antipersonenminen,
Streubomben oder chemische Kampfstoffe als „ethisch neutrale Waffen“ zu
bezeichnen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11102

34. Teilt die Bundesregierung den durch das Internationale Rote Kreuz for-
mulierten Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“, der eine verstärkte Be-
achtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch in bewaffneten Konflikten
fordert, und welche Schritte gedenkt sie zu unternehmen, um dieser wich-
tigen Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts, international Aner-
kennung zu verleihen?

35. Inwiefern wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass das völker-
rechtliche Unterscheidungsgebot in bewaffneten Konflikten (Schutz der Zi-
vilbevölkerung und Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen
Zielen) bei Kampfdrohneneinsätzen voll zur Geltung kommen wird, wenn
das Bedienpersonal, das in der Regel weit entfernt vom Einsatzgebiet agiert,
ausschließlich auf der Informationsgrundlage von Sensoren und Kameras,
die Entscheidung zum Waffeneinsatz in einer komplexen Lagesituation fäl-
len muss?

VI. Parlamentarische Kontrollrechte

36. Ist nach Auffassung der Bundesregierung ein Einsatz von Kampfdrohnen
der Bundeswehr durch den Deutschen Bundestag gemäß Parlamentsbetei-
ligungsrecht („Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des
Geltungsbereichs des Grundgesetzes“) zu mandatieren?

Falls nein, welche politische Begründung macht die Bundesregierung hier-
für geltend?

37. Welche Änderungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes plant die Bundes-
regierung nach ihrer angekündigten Entscheidung zur Beschaffung von
Kampfdrohnen für die Bundeswehr?

38. Wird die Bundesregierung dem Parlament Informationen über Kampfdroh-
neneinsätze nach einem geregelten Verfahren übermitteln?

39. Welche Personen, neben dem befehlshabenden Offizier, werden ggf. die
rechtliche und die politische Verantwortung für einen konkreten bewaffne-
ten Einsatz von Kampfdrohnen übernehmen?

Berlin, den 17. Oktober 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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