BT-Drucksache 17/11004

Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen

Vom 17. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11004
17. Wahlperiode 17. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, Oliver Krischer,
Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann E. Ott,
Dorothea Steiner, Cornelia Behm, Harald Ebner, Kai Gehring, Bettina Herlitzius,
Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Daniela
Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die unter anderem
erhebliche Investitionen in neue Stromerzeugungsanlagen sowie Netze und
Speicher erfordert. Ihr Erfolg hängt maßgeblich von einer fairen Verteilung der
Lasten und des Nutzens auf Wirtschaft, Verbraucherinnen und Verbraucher ab,
denn nur so ist die erforderliche Akzeptanz für die Umstellung auf erneuerbare
Energien und Energieeinsparung dauerhaft zu sichern.

Die erforderlichen Investitionen im Stromsektor werden sich vornehmlich über
den Strommarkt, das heißt letztlich über die Stromverbraucherinnen und -ver-
braucher, refinanzieren müssen. Diesen Mehrkosten steht jedoch ein erheblicher
wirtschaftlicher Nutzen gegenüber. So werden durch die Energiewende jährlich
allein im Erneuerbarensektor mehr als 20 Mrd. Euro investiert, die zahlreichen
Unternehmen Aufträge verschaffen und hunderttausende Arbeitsplätze in
Deutschland sichern. Ebenso profitiert die deutsche Wirtschaft von dem wach-
senden Anteil an Ökostrom. Dieser senkt über den so genannten Merit-Order-
Effekt den Börsenstrompreis, der vor allem für stromintensive Unternehmen die
Basis für die Strombeschaffungskosten bildet. Einer neuen Untersuchung des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zufolge
senkt das wachsende Angebot erneuerbar erzeugten Stroms den Stromhandels-
preis inzwischen um 0,9 Cent/kWh. Die von der EEG-Umlage (EEG = Erneuer-
bare-Energien-Gesetz) weitgehend befreiten Unternehmen konnten dadurch ihre
Energiekosten in diesem und im vergangenen Jahr um jeweils etwa 600 Mio.
Euro senken.

Die weit verbreitete Sorge, dass die Energiewende gerade energieintensive Un-
ternehmen hart treffen werde, hat sich als unbegründet erwiesen. Im Gegenteil:

Die günstige Strombeschaffung hat kürzlich den Aluminiumhersteller Norsk
Hydro ASA zu dem Plan bewogen, seine Produktion in Deutschland deutlich zu
erhöhen. Der Industriestandort Deutschland profitiert also auch in stromintensi-
ven Branchen von der Umstellung auf erneuerbare Energien.

Von dieser Preisdämpfung des erneuerbar erzeugten Stroms profitieren bislang
allerdings nur die von der EEG-Umlage weitgehend befreiten Industriekunden.
Mittelstand und Privathaushalte zahlen dagegen doppelt drauf. Zum einen er-

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höhen sinkende Börsenpreise die EEG-Umlage, denn die Verbraucherinnen
und Verbraucher bezahlen über das EEG die Differenz zwischen Verkaufserlös
des Stroms und den tatsächlichen Erzeugungskosten. Fällt der Börsenpreis um
1 Cent/kWh, erhöht das die EEG-Umlage um etwa 1 Mrd. Euro. Zum anderen
werden die steigenden EEG-Kosten auf immer weniger Schultern verteilt. So
wurden von der Regierungskoalition der CDU, CSU und FDP die Anforderun-
gen für die Besondere Ausgleichsregelung im EEG deutlich gesenkt. Dadurch
steigt die Zahl der privilegierten Unternehmen von in diesem Jahr 600 auf bis
zu 2 000 Firmen im Jahr 2013.

Im zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) wer-
den in diesem Jahr allein 40 neue Stellen besetzt, um die hohe Zahl von Anträ-
gen zeitnah bearbeiten zu können. Schon 2011 kosteten die Befreiungen die
Stromverbraucher 2,2 Mrd. Euro. Sogar der Stein- und Braunkohlebergbau
wurde mit 100 Mio. Euro von der EEG-Umlage entlastet. Für 2012 liegt der Ge-
samtwert bei rund 2,5 Mrd. Euro, 2013 dürfte er auf bis zu 4 Mrd. Euro steigen.

Dazu kommen über 2 Mrd. Euro Entlastungen für Unternehmen, die die so ge-
nannte Eigenstromregelung in Anspruch nehmen. Vor allem im Zeitraum 2010
und 2011 haben Unternehmen Stromerzeugungsanlagen ganz oder teilweise
übernommen und den dort erzeugten Strom als „Eigenstrom“ deklariert. Damit
wird er von der EEG-Umlage vollständig befreit. Erst ab September 2011 gilt
eine neue Regelung, die eine Befreiung nur noch für Strom vorsieht, der nicht
über das öffentliche Stromnetz transportiert wird. Alle zuvor befreiten Unter-
nehmen genießen jedoch Bestandsschutz. Viele Unternehmen haben in letzter
Minute Stromerzeugungsanlagen erworben, um unter diese Regelung zu fallen.

Rechnet man die Privilegien bei der Eigenstromregelung und im bundesweiten
Ausgleichsmechanismus zusammen, sind rund 30 Prozent des gesamten deut-
schen Stromverbrauches weitgehend oder ganz von der Finanzierung der erneu-
erbaren Energien ausgenommen.

Auch außerhalb des EEG hat die Bundesregierung Privilegien für die Industrie
zu Lasten von Privathaushalten und Mittelstand geschaffen; so etwa bei der Be-
freiung von stromintensiven Unternehmen von den Stromnetzentgelten. Ohne
sachgerechte Begründung wurde vom Bundeskabinett die Stromnetzentgeltver-
ordnung so geändert, dass stromintensive Unternehmen sich nicht mehr an den
Kosten für den Netzbetrieb und den Netzausbau beteiligen müssen. Die
Einnahmeausfälle von rund 300 Mio. Euro müssen von den anderen Stromver-
brauchern kompensiert werden. 2012 wird der Einnahmeausfall voraussichtlich
auf etwa 500 Mio. Euro anwachsen.

Weitere Zusatzbelastungen der Stromkunden ergeben sich durch die von der
Koalition beschlossenen Fehlkonstruktionen innerhalb des Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetzes. So erweist sich der Versuch, die Direktvermarktung von erneu-
erbar erzeugtem Strom über die so genannte Marktprämie anzureizen, als teuer
und annähernd wirkungslos. Statt den Bau neuer Anlagen anzureizen, werden
lediglich Mitnahmeeffekte erzeugt. So streichen die Anlagenbetreiber z. B. über
die Einnahmen in Höhe der EEG-Vergütung zusätzlich eine Managementprämie
ein, die die Mehrkosten im EEG um 500 Mio. Euro steigert. Zwar wird die Prä-
mie jetzt abgeschmolzen, doch auch im kommenden Jahr werden die Stromver-
braucherinnen und -verbraucher durch diesen untauglichen Vermarktungsver-
such mit 300 Mio. Euro belastet werden.

Und schließlich wird den Übertragungsnetzbetreibern eine so genannte Liquidi-
tätsreserve für den Ausgleich des EEG-Kontos zugebilligt. Sie können aktuell
3 Prozent des gesamten EEG-Umlagevolumens als Rücklage einbehalten, um
nicht in Zeiten, in denen das EEG-Konto ein Minus aufweist, in Vorleistung bei
der Auszahlung der Vergütung an die Anlagenbetreiber treten zu müssen.

300 Mio. Euro kostet diese Rücklage die Stromkunden. Nachdem im laufenden
Jahr erhebliche negative Kontostände aufgetreten sind, werden Forderungen laut,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11004

die Rücklage auf 10 Prozent des EEG-Umlagevolumens zu erhöhen. Das würde
die Stromverbraucherinnen und -verbraucher mit rund 1,2 Mrd. Euro belasten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU
und FDP durch die Ausweitung der Privilegien sowie falsche Weichenstellun-
gen innerhalb des EEG die Industrieunternehmen insgesamt um 7 Mrd. Euro
entlastet, auf Kosten der Privathaushalte und des Mittelstands.

Es ist Aufgabe der Politik, die Kosten der Energiewende zu begrenzen und ihre
Lasten und ihren Nutzen fair zu verteilen. Der Deutsche Bundestag erwartet da-
her von der Bundesregierung, dass sie die sich bietenden Möglichkeiten nutzt,
statt durch immer neue Tatbestände die Belastung der Verbraucherinnen und
Verbraucher über Gebühr zu erhöhen. So sollten nur Unternehmen, die tatsäch-
lich im internationalen Wettbewerb stehen, zukünftig von Ausnahmeregelungen
im EEG profitieren. In Anlehnung an die europäischen „Leitlinien für bestimmte
Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit dem System für den Handel mit
Treibhausgasemissionszertifikaten nach 2012“ können damit nur noch die Un-
ternehmen profitieren, deren Handelsintensität mit Drittstaaten außerhalb der
EU 10 Prozent übersteigt und bei denen das Verhältnis ihrer Energiekosten zur
Bruttowertschöpfung größer als 15 Prozent ist. Die Befreiung von den Netz-
entgelten sollte dagegen komplett entfallen. Um einen fairen Ausgleich für die
Preissenkungen beim Börsenstrom zu leisten, sollten privilegierte Unternehmen
künftig 10 Prozent der EEG-Umlage bezahlen, statt wie bislang lediglich 1 Pro-
zent. Diese Regelung sollte auch auf die Eigenstromregelung übertragen wer-
den. Und schließlich sollten teure Sonderregelungen wie die Marktprämie oder
die Liquiditätsreserve abgeschafft oder deutlich abgeschmolzen werden.

Dieses Maßnahmenpaket dient dazu, Unternehmen fair an dem Ausbau der er-
neuerbaren Energien zu beteiligen, ohne sie wirtschaftlich zu überfordern. Mit-
hilfe dieser Korrekturen könnten im kommenden Jahr Zusatzbelastungen für
Privathaushalte und Mittelstand in Höhe von gut 4 Mrd. Euro bzw. 1 Cent/kWh
vermieden werden. Damit wäre es möglich, den Anstieg der EEG-Umlage deut-
lich zu reduzieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• die Ausweitung der Befreiungen für die stromintensiven Unternehmen in
§ 19 der Stromnetzentgeltverordnung rückgängig zu machen;

• die Anforderungen an die Besondere Ausgleichsregelung im EEG wieder auf
den Stand von 2008 zurückzuführen, d. h. auf Unternehmen mit einem
Stromanteil von 20 Prozent an den Gesamtproduktionskosten sowie einen
Jahresverbrauch von mindestens 10 GWh, sowie die Berücksichtigung der
Handelsintensität mit Drittstaaten außerhalb der EU und das Verhältnis der
Energiekosten zur Bruttowertschöpfung als Grundlage für die künftige Inan-
spruchnahme der Ausgleichsregelung konzeptionell vorzubereiten;

• für die durch Ausgleichsregelung und Eigenstromregelung begünstigten Un-
ternehmen eine EEG-Umlage in Höhe von 0,5 Cent/kWh als Ausgleich für
den Merit-Order-Effekt und angemessene Beteiligung an den Kosten der
Energiewende einzuführen;

• das Marktprämienmodell sowie die damit verbundene Zahlung einer
Managementprämie zu beenden;

• die Liquiditätsreserve im EEG weiterhin auf 3 Prozent des Umlagevolumens
zu begrenzen, statt sie auf 10 Prozent zu erhöhen.

Berlin, den 17. Oktober 2012
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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