BT-Drucksache 17/10861

Hochschulzugang bundesgesetzlich regeln - Recht auf freien Zugang zum Master sichern

Vom 26. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10861
17. Wahlperiode 26. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Nicole Gohlke, Jan Korte, Agnes Alpers, Herbert Behrens,
Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, Jens Petermann, Raju
Sharma, Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Hochschulzugang bundesgesetzlich regeln – Recht auf freien Zugang zum
Master sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In diesem Wintersemester werden erneut tausende Studierwillige von den Hoch-
schulen abgewiesen und erhalten keinen Studienplatz. Zusätzlich verstärkt wird
dieses Problem durch die Aussetzung der Wehrpflicht und doppelte Abiturjahr-
gänge. Eine steigende und langfristig hohe Nachfrage von Studienplätzen in den
kommenden Jahren wird durch einen wachsenden Anteil von Menschen mit Stu-
dienberechtigung, nicht zuletzt aber auch durch eine steigende Studierneigung
ausgelöst. Daher besteht ein weitaus größerer Bedarf an zusätzlichen Studien-
plätzen als die Kultusministerkonferenz (KMK) für die erste und zweite Phase
des Hochschulpaktes 2020 prognostiziert hat. So ist die Zahl der Erstsemester in
Deutschland in der ersten Phase des Hochschulpaktes stetig gewachsen. Für die
bereits laufende zweite Phase des Hochschulpaktes (2011 bis 2015) kann von
über 568 000 zusätzlichen Studienanfängerinnen und -anfängern (CHE Centrum
für Hochschulentwicklung gGmbH 2012) ausgegangen werden. Nach langem
Drängen wurde die Prognose der Studienanfängerzahlen seitens der KMK im
Januar 2012 auf 357 000 zusätzliche Erstsemester nach oben korrigiert, dennoch
ist in den kommenden fünf Jahren ein Defizit von über 200 000 Studienplätzen
für Studienanfängerinnen und - anfänger zu erwarten. Der Hochschulpakt 2020
ist also immer noch stark unterdimensioniert und wird dem tatsächlichen Bedarf
nicht gerecht. Außerdem bedarf es einer weiteren Säule des Hochschulpaktes für
die Planung und Schaffung von Masterstudienplätzen. Gut drei Viertel der Ba-
chelorabsolventinnen und - absolventen streben einen weiteren Studienabschluss
in Form eines Masterstudienganges an (HIS Hochschul-Informations-System
GmbH 2012). Diese hohen Übergangsabsichten zwischen dem Bachelor- und
Masterstudium müssen in einer weiteren Säule des Hochschulpaktes 2020
Berücksichtigung finden und eine solide Ausfinanzierung muss sichergestellt
werden. Bei der Kapazitätsermittlung und -finanzierung von Masterstudienplät-

zen müssen nicht nur die Studienabsolventinnen und -absolventen mit einem
Bachelorabschluss, sondern beispielsweise auch jene mit einem Fachhochschul-
diplom, die ein Masterstudium anstreben, mit einbezogen werden. Das bedeutet,
dass weitaus mehr Masterstudienplätze geschaffen werden müssen, als die reine
Absolventenzahl der Bachelorstudiengänge erwarten lässt.

Drucksache 17/10861 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die seit Jahrzehnten andauernde Unterfinanzierung der Hochschulen sowie die
Unterdimensionierung des Hochschulpaktes haben zudem Kapazitätsprobleme
zur Folge, die die Hochschulen veranlassen, örtliche Zulassungsbeschränkungen
auszusprechen. Im Wintersemester 2011/2012 waren rund 53 Prozent aller
grundständigen Studiengänge örtlich zulassungsbeschränkt. Nach Angaben des
Hochschulkompasses der Hochschulrektorenkonferenz unterliegen rund 33 Pro-
zent der Masterstudiengänge an Universitäten und 46 Prozent an Fachhochschu-
len Zulassungsbeschränkungen. Gleichzeitig fehlen öffentlich zugängliche und
transparente Angaben über weitere Zugangsbeschränkungen (Noten, Auswahl-
verfahren etc.). Zeitnahe Analysen könnten die vorhandenen Kapazitäten und
Bewerberzahlen öffentlich dokumentieren, um einheitliche Kriterien und
gleichwertige Bedingungen im Zulassungsverfahren zu schaffen. Die immer
restriktiveren Zulassungsregeln (Eignungstests, Praktika, Motivationsschreiben
etc.) haben in den letzten Jahren zu problematischen Verhältnissen bei der Be-
setzung von freien Studienplätzen und bei der sozialen Zusammensetzung der
Studierendenschaft geführt. Die Deregulierung des Hochschulzugangs hat
zudem zu einer unüberschaubaren Landschaft unterschiedlicher örtlicher Zu-
lassungskriterien geführt. Der Versuch, diese durch die Entwicklung eines dia-
logorientierten Serviceverfahrens (DoSV), mit der auf Bundesebene die Firma
T-Systems beauftragt wurde, handhabbar zu machen, ist zu einem Scheitern in
Serie geworden. So bleiben trotz des Studienplatzmangels jedes Semester tau-
sende Studienplätze unbesetzt. Darüber hinaus besteht ein weiteres Problem in
der dezentralen Vergabe von Masterstudienplätzen. Völlig ungelöst ist derzeit
noch die Vergabe bzw. bundesweite Koordinierung von Masterstudienplätzen.

Die Zulassungsbeschränkungen haben außerdem eine Verschärfung der sozialen
Ausgrenzung zur Folge. Insbesondere Kinder aus Arbeiterfamilien und aus
Familien mit niedrigeren Einkommen sind an den Hochschulen aufgrund for-
maler und faktischer Zugangshürden unterrepräsentiert. Während von 100 Aka-
demikerkindern 71 den Hochschulzugang schaffen, sind es nur 24 Kinder aus
Familien ohne akademische Tradition (19. Sozialerhebung des Deutschen Stu-
dentenwerks). Durch die durchweg einseitige Orientierung der Hochschulzu-
gangsberechtigung am Abitur erhalten zudem viele Menschen erst gar nicht das
Recht, sich auf einen Studienplatz zu bewerben. Zudem wurde der Ausbau der
Möglichkeiten, über die eine Hochschulzugangsberechtigung erworben werden
kann, sträflich vernachlässigt. Die Hochschulen sind immer noch nicht ausrei-
chend für beruflich Qualifizierte geöffnet. Nach wie vor haben viele Menschen,
die eine berufliche Ausbildung erfolgreich absolviert haben, nicht das Recht,
sich an einer Hochschule einzuschreiben. Für die meisten Studienfächer beste-
hen zudem sozial selektierende Zulassungs- und Zugangsbeschränkungen. Dies
gilt auch für Masterstudiengänge. Die Übergangsquoten in ein Masterstudium
liegen derzeit bei Absolventinnen und - absolventen aus Elternhäusern mit aka-
demischem Bildungshintergrund höher als bei Absolventinnen und -absolventen
ohne familiären akademischen Bildungshintergrund. Diese soziale Selektivität
beim Übergang in die Masterstudiengänge führt dazu, dass der Masterabschluss
Gefahr läuft, ein Eliteabschluss zu werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein Bundeshochschulzulassungsgesetz auf den Weg zu bringen, das folgende
Gegenstände regelt:

a) Ein Studium ist ein Bildungsrecht und darf kein Privileg für wenige sein.
Wer eine Studienberechtigung besitzt, hat das Recht, ein Studium im dem
Fach seiner Wahl und wohnortnah aufzunehmen. Studienberechtigt sind
auch diejenigen, die über eine berufliche Ausbildung gemäß dem Berufs-
bildungsgesetz (BBiG) oder eine vergleichbare Ausbildung verfügen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10861

b) Zulassungs- und Zugangsbeschränkungen müssen überwunden werden.
Für grundständige Studiengänge entfallen jegliche Zugangsvoraussetzun-
gen über die Studienberechtigung hinaus.

c) Das Recht auf einen Masterstudienplatz wird sichergestellt, zusätzliche
Zugangsvoraussetzungen neben dem Bachelorabschluss sind auszuschlie-
ßen. In Masterstudiengängen darf es über einen grundständigen Abschluss
hinaus keine weiteren Zugangsvoraussetzungen geben.

d) Die Vergabeverfahren von Studienplätzen müssen transparent und gebüh-
renfrei sein und dürfen nicht sozial selektiv wirken. Dabei haben Bund
und Länder anzustreben, freie Studienplätze unverzüglich und unbüro-
kratisch zu besetzen. Die Teilnahme der Hochschulen an einem bun-
desweiten, gebührenfreien und für die Bewerberinnen und Bewerber
transparenten Zulassungsverfahren ist verbindlich im Rahmen des Bun-
deshochschulzulassungsgesetzes zu verankern. Im Mittelpunkt der Ver-
fahren steht die Selbstbestimmung der Studienbewerberinnen und -bewer-
ber. Darüber hinaus wird sichergestellt, dass die Vergabeverfahren in
öffentlicher Verantwortung verbleiben und nicht durch private Anbieter
gestaltet werden.

e) Studienanfängerinnen und -anfänger erhalten zukünftig schon mit der Zu-
lassung zum Bachelorstudiengang die Zulassung zu einem darauf aufbau-
enden Masterstudiengang – sofern dies gewünscht wird an der gleichen
Hochschule. Sie müssen das Recht erhalten, dieses Masterstudium inner-
halb von 18 Monaten annehmen zu können, sofern sie das Bachelor-
studium erfolgreich absolvieren. Sofern der Masterstudiengang Berufs-
erfahrung voraussetzt, verlängert sich diese Frist entsprechend. Die
gleichzeitige Zulassung zum Bachelorstudiengang und anschließenden
Masterstudiengang erfolgt diskriminierungsfrei unter den Bewerbungen
unabhängig von Wohnort und Bundesland, in dem die Studienberechti-
gung erworben wurde.

f) Die Entwicklung der Hochschulzulassungen wird von den Hochschulen
und der Bundesregierung regelmäßig daraufhin evaluiert, ob Studierende
aus Arbeiterhaushalten, aus Haushalten mit unterdurchschnittlichen Ein-
kommen, mit Migrationshintergrund, mit Behinderung und weiblichen
Geschlechts unterrepräsentiert sind. Bund, Länder und Hochschulen
werden verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, der in der Unter-
repräsentation zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Ausgren-
zung entgegenzuwirken;

2. gemeinsam mit den Ländern unverzüglich eine Aufstockung des bestehenden
Hochschulpaktes zu vereinbaren, die verlässlich ein bedarfsdeckendes Ange-
bot an qualitativ hochwertigen Studienplätzen sichert und dazu beiträgt, die
strukturelle Unterfinanzierung des deutschen Hochschulsystems zu beenden.
Der Hochschulpakt muss so erweitert werden, dass mehr Masterstudienplätze
zur Verfügung gestellt werden. Im Rahmen der Verhandlungen sollen in der
Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz folgende Punkte verwirklicht wer-
den:

a) Der Hochschulpakt muss das Ziel erfüllen, jeder und jedem Studien-
berechtigten einen Studienplatz zu gewähren. Dafür muss die Zahl der
zusätzlich zur Verfügung gestellten Studienplätze für das grundständige
Studium auf mindestens 600 000 Studienplätze erhöht werden.

b) Der Hochschulpakt muss um eine weitere Säule ergänzt werden. Im
Hinblick auf die hohen Übergangsquoten zwischen dem Bachelorstudien-
gang und Masterstudiengang müssen für die Bachelorabsolventinnen und

-absolventen, die ein Masterstudium absolvieren möchten, entsprechende
Masterstudienplätze geschaffen werden. Bei der Planung von Studienplät-

Drucksache 17/10861 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
zen für die Masterstudiengänge müssen nicht nur die Absolventenzahlen
der Bachelorstudiengänge einbezogen werden, es müssen auch ausrei-
chend Kapazitäten für Absolventinnen und Absolventen anderer Studien-
gänge, die eine zusätzliche Qualifikation durch ein Masterstudium anstre-
ben, geschaffen werden. Dabei müssen den Hochschulen ausreichende
finanzielle Spielräume eingeräumt werden, um vor dem Hintergrund der
Analyse lokaler Bedingungen und Übertrittsneigungen auch kurzfristig
Masterstudienplätze bereitstellen zu können.

c) Die Studienplatzkosten im Rahmen des Hochschulpaktes müssen den re-
alen Kosten eines durchschnittlichen Bachelor- und Masterstudiums ange-
passt werden, sowohl im Hinblick auf die Kosten je Studienjahr als auch
auf die Studiendauer. Dabei ist nach Fächergruppen zu unterscheiden, da-
mit auch in kostenintensiveren Studiengängen ausreichend neue Studien-
plätze geschaffen werden können. Bei Ländern, die allgemeine Studienge-
bühren erheben, sind die Einnahmen vom Bundeszuschuss abzuziehen.

d) Auf die derzeitigen Studienplatzkosten muss ein Zuschuss zur Verbesse-
rung der Betreuungssituation und der Lehre aufgeschlagen werden.

e) Das Kapazitätsrecht darf nicht abgeschafft, sondern muss reformiert wer-
den. Die Hochschulen müssen begründet darlegen, dass sie keine zusätz-
lichen Kapazitäten besitzen, wenn sie Bewerberinnen oder Bewerber
abweisen. Eine strukturelle Trennung der Hochschulen in Forschungsuni-
versitäten mit niedriger Lehrleistung und Lehrhochschulen muss verhin-
dert werden, indem das Kapazitätsrecht wie bisher grundsätzlich die glei-
chen Anforderungen stellt.

f) Der Deutsche Bundestag wird an den Verhandlungen zum Hochschulpakt
beteiligt.

g) Die bundesweite Förderung von Studienplätzen ist durch den Bund dauer-
haft sicherzustellen. Hierzu muss das Kooperationsverbot zwischen Bund
und Ländern aufgehoben werden;

3. Informationen über beruflich qualifizierte Studierende und Zulassungs- und
Zugangsbedingungen zu Bachelor- und Masterstudiengängen systematisch
aufzuarbeiten sowie eine Bedarfsanalyse und Kapazitätsberechnung für
Bachelor- und Masterstudiengänge in einem halbjährlichen Turnus zu ver-
öffentlichen. Daneben sind Untersuchungen zur Verbesserung der Rahmen-
bedingungen für Studierende, die ihren Weg an die Hochschulen über ihre be-
rufliche Qualifikation finden, in Auftrag zu geben;

4. dem Deutschen Bundestag quartalsweise über den Verlauf der in Nummer 3
aufgeführten Analysen bzw. Untersuchungen schriftlich zu berichten.

Berlin, den 26. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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