BT-Drucksache 17/10849

Schwächung der Arbeit für Demokratie durch Einführung einer Extremismusklausel im Bundesprogramm "TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN"

Vom 26. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10849
17. Wahlperiode 26. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig), Sönke Rix, Petra Crone, Petra
Ernstberger, Martin Gerster, Iris Gleicke, Kerstin Griese, Michael Hartmann
(Wackernheim), Christel Humme, Oliver Kaczmarek, Ute Kumpf,
Steffen-Claudio Lemme, Caren Marks, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz,
Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Marlene Rupprecht (Tuchenbach),
Rolf Schwanitz, Stefan Schwartze, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Schwächung der Arbeit für Demokratie durch Einführung einer
Extremismusklausel im Bundesprogramm
„TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“

Das Verwaltungsgericht Dresden hat am 25. April 2012 die im Jahr 2011 einge-
führte und als Extremismusklausel bekannte Bestätigungserklärung in den
Richtlinien des Bundesprogramms „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ
STÄRKEN“ für rechtswidrig erklärt (Az. 1 K 1755/11). Die Erklärung, wonach
der Zuwendungsempfänger seine Partner hinsichtlich ihrer Absicht, die Ziele
des Grundgesetzes zu verfolgen, überprüfen solle, sei zu unbestimmt. Beispiels-
weise sei unklar, wer etwa „Partner“ ist und welches Verhalten den Zuwen-
dungsempfängern konkret abverlangt wird.

Die durch das Bundesprogamm „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ
STÄRKEN“ und ähnliche Programme geförderten Träger leisten durch ihre Bil-
dungs- und Präventionsarbeit einen unverzichtbaren Beitrag zur Stärkung der
demokratischen Zivilgesellschaft und für die Achtung der Menschenrechte.
Ohne die Förderung des Bundes wären die meisten dieser Projekte nicht durch-
führbar. Dass diese Arbeit als Teil einer systematischen präventiven Bekämp-
fung rechtsextremistischer Ideologie und Gewalt eine zentrale gesamtgesell-
schaftliche Aufgabe ist, haben alle im Deutschen Bundestag vertretenen Frak-
tionen angesichts des Bekanntwerdens der Mordserie der Neonazi-Terrorgruppe
„Nationalsozialistischer Untergrund“ einhellig bekräftigt. Der Deutsche Bun-
destag hat in seiner Entschließung vom 22. November 2011 (Bundestagsdruck-
sache 17/7771) beschlossen zu überprüfen, wo dem Engagement demokrati-
scher Gruppen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemi-
tismus Hindernisse entgegenstehen.

Jenseits der juristischen Bewertung ist die tatsächliche Wirkung der Klausel für

die zivilgesellschaftlichen Projekte verheerend. Viele Initiativen stehen der For-
derung, die Gesinnung ihrer Partner überwachen zu müssen, kritisch bis ableh-
nend gegenüber und beklagen eine Kultur des Misstrauens, die der Arbeit für
Demokratie abträglich ist. Sie werden dabei von einem breiten Bündnis von Bil-
dungsträgern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und religiösen Orga-
nisationen unterstützt. Die Kritik an der Klausel äußert sich einerseits in kriti-

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schen Begleitschreiben der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, andererseits
in der Weigerung, gemäß den Vorgaben der Klausel die Partner zu bespitzeln.

Diese Haltung führt zu einer Ablehnung von Projektanträgen und der Zurück-
gabe von Geldern und verhindert somit die Durchführung dringend benötigter
Projekte gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit. Wie viele Ini-
tiativen von der Klausel negativ betroffen sind, ist noch nicht in vollem Umfang
ersichtlich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Maßnahmen zur Überprüfung von Hindernissen hat die Bundes-
regierung angesichts des Bekanntwerdens der Verbrechen der Neonazi-Ter-
rorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ und angesichts der Ent-
schließung des Deutschen Bundestages auf Bundestagsdrucksache 17/7771
getroffen?

2. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Intensivierung der Un-
terstützung des Engagements demokratischer Gruppen gegen Rechtsextre-
mismus, Rassismus und Antisemitismus?

3. Wie viele Projektanträge wurden im Rahmen des Bundesprogramms
„TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ bisher bewilligt,
und um welche handelt es sich dabei (bitte nach Bundesländern auflisten)?

4. Wie viele Mittel wurden für die Jahre 2011 und 2012 bisher bewilligt (bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

5. Auf welche Programmbestandteile entfallen die bisher bewilligten Mittel
(bitte nach Bundesländern und Jahren aufschlüsseln)?

6. Wie viele Projektanträge wurden im Rahmen des Bundesprogramms
„TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ bisher abgelehnt,
und aus welchen Gründen erfolgte die Ablehnung (bitte Anträge einzeln
und sortiert nach Bundesländern aufführen)?

7. Welche antragstellenden Städte, Gemeinden, Stadtbezirke etc. weigern sich
nach Einführung der Extremismusklausel, die bereits bewilligten Lokalen
Aktionspläne vor Ort umzusetzen oder verzichten mit dieser Begründung
auf den Mittelabruf?

8. Wie viele der abgelehnten Projekte im Rahmen des Bundesprogramms
„TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ wurden wegen
Nichtunterzeichnung der Extremismusklausel abgelehnt, bzw. bei wie vielen
wurde die Projektbewilligung aufgrund der Nichtunterzeichnung zurück-
gezogen (bitte nach Bundesländern und nach den Programmbestandteilen
Lokale Aktionspläne, Modellprojekte und Beratungsnetzwerke aufschlüs-
seln)?

9. In wie vielen Fällen wurde bei bewilligten Projekten im Rahmen des Bun-
desprogramms „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“
durch die Antragsteller auf den Mittelabruf verzichtet, und in wie vielen
Fällen wurde dabei explizit auf die zu unterzeichnende Extremismusklausel
verwiesen (bitte nach Bundesländern und nach den Programmbestandteilen
Lokale Aktionspläne, Modellprojekte und Beratungsnetzwerke aufschlüs-
seln)?

10. Bei wie vielen bewilligten Anträgen wurde der unterzeichneten Extremis-
musklausel ein kritisches Begleitschreiben angefügt (bitte nach Bundeslän-
dern und nach den Programmbestandteilen Lokale Aktionspläne, Modell-
projekte und Beratungsnetzwerke aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10849

11. In wie vielen Fällen führte die Einreichung eines kritischen Begleitschrei-
bens zur Verweigerung der Förderung eines Projektantrags, und warum?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der Extremismusklausel
hinsichtlich der Zweckbestimmung des Programms „TOLERANZ FÖR-
DERN – KOMPETENZ STÄRKEN“, Vielfalt und Demokratie zu stärken
sowie demokratische Teilhabe erlebbar zu machen?

Berlin, den 26. September 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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