BT-Drucksache 17/10846

Baugesetzbuch wirklich novellieren

Vom 26. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10846
17. Wahlperiode 26. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Friedrich Ostendorff, Britta
Haßelmann, Ulrich Schneider, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Dr. Valerie
Wilms, Cornelia Behm, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-
Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann E.
Ott, Dorothea Steiner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Baugesetzbuch wirklich novellieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland leben 75 Prozent der Menschen in Städten und die Tendenz ist
steigend. Daneben haben wir es auch mit einem räumlichen Nebeneinander von
Schrumpfung und Wachstum zu tun. Auch Klimawandel, soziale Segregation
und der demographische Wandel werden die Gemeinden in Deutschland auf
ganz unterschiedliche Weise treffen. Die Stadtentwicklung steht vor der Heraus-
forderung, diese parallel ablaufenden Prozesse zu steuern. Das Baugesetzbuch,
die Grundlage der kommunalen Handlungsspielräume in der Stadtentwicklung,
muss entsprechend novelliert werden, um den Kommunen für diese Herausfor-
derungen wirkungsvolle Instrumente an die Hand zu geben. Gleichzeitig müssen
die Kommunen in die Lage versetzt werden, aus der Novellierung resultierende
Mehraufwendungen finanziell tragen zu können. Dabei sollen die Ziele der
Charta von Leipzig weiter umgesetzt und eine nachhaltige Stadtentwicklungs-
politik ermöglicht werden. Nur durch einen sparsamen Umgang mit unseren
Ressourcen können wir unsere Umwelt für kommende Generationen erhalten.
Flächenverbrauch ist in diesem Zusammenhang eines der gravierendsten unge-
lösten Umweltprobleme unserer Zeit, verbleibende Naturräume sind daher zu
erhalten und zu schützen. Die neue Aufgabe der Stadtplanung ist es, bereits ge-
nutzte Siedlungsflächen zukunftsfähig umzubauen, um nutzungsgemischte und
sozial gemischte lebendige Stadtorganismen zu schaffen.

Insbesondere durch einen im Gesetz verankerten ausdrücklichen Vorrang der In-
nenentwicklung kann dies erreicht werden, dennoch sind weitere Anpassungen
erforderlich. Der Stadt- und Regionalentwicklung müssen Mittel an die Hand
gegeben werden, um den Flächenfraß zu stoppen. Die Inanspruchnahme von
Flächen im Außenbereich muss auf ein Minimum reduziert werden.

Besonders die Privilegierung von Massentierhaltungsanlagen und Atomkraft-

werken muss abgeschafft werden. Handlungsbedarf besteht ebenfalls im Innen-
bereich bei verwahrlosten Immobilien. Diese können bisher nur in aufwendigen
Verfahren auf Kosten der Gemeinden abgerissen werden. Hier muss eine finan-
zielle Beteiligung der Eigentümer ermöglicht werden, um die Gemeinden zu-
künftig handlungsfähig zu machen. Unsere Städte müssen auf die Herausforde-
rungen vorbereitet werden: Demographische Entwicklung, Klimawandel und

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steigende Energiekosten erfordern eine Anpassung des besonderen Städtebau-
rechts in puncto energetische Sanierung und sozialgerechter Mietobergrenzen.

Partizipation ist der Schlüssel für ein wirkliches Stadt-„Leben“. Der Dialog auf
Augenhöhe mit Bürgerinnen und Bürgern ist daher in allen Planungsprozessen
sicherzustellen und weiterzuentwickeln. Die Öffentlichkeit muss auch bei ein-
zelnen Bauvorhaben frühzeitige Information und echte Mitspracherechte haben.
Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht erst dann von Plänen erfahren, wenn längst
planerische Fakten geschaffen wurden. In diesen Fällen läuft ihre Einfluss-
nahme dann zu oft ins Leere. Beteiligung muss zu einem Zeitpunkt ansetzen, an
dem es noch wirkliche Planungsalternativen gibt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bei der anstehenden Novelle des Baugesetzbuchs (BauGB) und der Baunut-
zungsordnung:

1. Qualitative Innenentwicklung

a) Den Vorrang einer qualitativen Innenentwicklung zu implementieren, die
im Innenbereich wichtige Freiräume erhält sowie eine maßvolle Verdich-
tung und Nutzungsmischung ermöglicht.

b) Dazu verpflichtend Brachflächenkataster vorzusehen, die über eine strate-
gische Grünraum- und Freiflächenplanung eine Flächenbewertung nach
den Kriterien Biodiversität und Grünraumvernetzung, Klimafolgenanpas-
sung und Naherholung beinhalten.

c) Das Rückbau- und Entsiegelungsgebot von einem Duldungsgebot in eine
Beseitigungspflicht umzuwandeln, die es kommunalen Planungsträgern
ermöglicht, gegen verwahrloste Immobilien (Schrottimmobilien) unter
finanzieller Beteiligung der Eigentümer vorzugehen.

d) Im Sinne der energetischen Quartiersanierung die Erfordernisse einer kli-
magerechten Stadtentwicklung explizit als städtebaulichen Missstand, der
eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme rechtfertigt, aufzunehmen.

e) Das beschleunigte Verfahren für Bebauungspläne der Innenentwicklung
in § 13a BauGB umfassend zu evaluieren und daraufhin zu überarbeiten
und ggf. komplett zu streichen.

f) Für die Ausweisung neuer Bauflächen eine fiskalische Wirkungsanalyse
aufzunehmen, die der Erhebung langfristiger Folgekosten für die kommu-
nalen Haushalte dient.

g) Eine umfassende Überarbeitung der Baunutzungsverordnung im Sinne
einer nutzungsgemischten Stadt im Sinne der Charta von Leipzig vorzu-
nehmen.

2. Schutz des Außenbereichs und Eindämmung der Massentierhaltung

a) Für gewerbliche Tierhaltungsanlagen, die weniger als 50 Prozent des Fut-
ters auf eigenen Flächen erzeugen, ist die Privilegierung im Außenbereich
zu streichen. Diese Anlagen benötigen zukünftig den klaren Planungswil-
len der Kommune, der sich in einem Bebauungsplan ausdrückt. Zudem
müssen Tierfabriken mit industrieller Haltung sowie Gemeinden mit ho-
hen Tierbesatzdichten von der Privilegierung ausgeschlossen werden.

b) Die Brandschutzvorschriften im Bereich der Tierhaltung zu vereinheit-
lichen und deren Einhaltung zur zwingenden Voraussetzung jeder Geneh-
migung von Tierhaltungsanlagen zu machen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10846

c) Keine neuen Privilegierungstatbestände für Anlagen im Außenbereich
aufzunehmen, insbesondere nicht für Ersatzneubauten zur Wahrung der
Kulturlandschaft.

d) Die immer noch fortbestehende Privilegierung von Kernkraftanlagen im
Außenbereich aufzuheben.

3. Teilhabe und sozialgerechte Stadtentwicklung

a) Die zeitlich befristete Festsetzung von Mietobergrenzen bei Neuvertrags-
mieten in der Sanierungssatzung und Erhaltungssatzung wieder zu ermög-
lichen.

b) Eine allgemeine Zulässigkeit von Kindertagesstätten in reinen Wohnge-
bieten rechtssicher zu ermöglichen.

c) Die formale Öffentlichkeitsbeteiligung in allen baurechtlichen Planungs-
verfahren weiterzuentwickeln durch frühzeitige Einbindung der Bürger
vor dem Vorliegen der einen Planung sowie durch stärkere Nutzung inte-
grierter strategischer Planungen, sogenannter informeller Planungen, auf
der Basis von Öffentlichkeitsbeteiligung im allgemeinen und im besonde-
ren Städtebaurecht.

d) Mit einer Schärfung der Baunutzungsverordnung Wohnraum in inner-
städtischen Lagen zu erhalten und die Umwandlung von leerstehenden
Büro- und Gewerbeflächen in Wohnraum baurechtlich zu erleichtern.

e) Die Umsetzung der Teilhaberechte mobilitätseingeschränkter Menschen
mit Vorrang sicherzustellen.

f) Kinder- und jugendgerechte Formen und Methoden der Öffentlichkeits-
beteiligung vorzuschreiben.

g) Die Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Bauleitplanung durch
eine Präzisierung der Planungsleitlinien und der Festsetzungsmöglichkei-
ten (z. B. Jugendplätze und Naturerfahrungsräume) zu stärken. Bei allen
Maßnahmen die Kinder und Jugendliche betreffen, ist ihr Wohl ein Ge-
sichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

Berlin, den 25. September 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1a

Der Vorrang der Innenentwicklung ist als verbindliche Vorgabe der planerischen
Abwägung voranzustellen. Die Umsetzung dieser Vorgabe ist durch eine Kon-
kretisierung der Nachweispflichten sicherzustellen. Dafür werden eingeführt:

• eine Nachweispflicht zu fehlenden Innenentwicklungspotenzialen,

• eine Pflicht zur validen Ermittlung des Neubaubedarfs,

• eine verbindliche fiskalische Wirkungsanalyse zur Erhebung langfristiger
Folgekosten neuer Baugebiete.

Als Grundlage zur Beurteilung der Innenentwicklungspotenziale ist § 200 des

Baugesetzbuchs zu einem verpflichtenden Flächenmonitoring auszubauen. In

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Verbindung damit ist dem Flächennutzungsplan seine Aufgabe als Instrument
zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung der Gemeinde durch eine Wie-
dereinführung der Revisionspflicht zurückzugeben. Die Flächennutzungspläne
sind derzeit häufig nicht an die aktuelle demographische Entwicklung der Kom-
munen angepasst, es sind zu viele Entwicklungsflächen ausgewiesen. Durch
eine Pflicht zur turnusmäßigen Revision der Flächennutzungspläne könnten die-
ses Potenzial zur Flächeneinsparung ausgenutzt und gleichzeitig die Innenent-
wicklung gestärkt werden.

Zu Nummer 1b

Damit in den Kommunen Flächenrecycling betrieben werden kann, müssen die
Baulandpotenziale systematisch erfasst werden. Eine Brachflächenkataster im
Sinne des § 200 BauGB reicht nicht aus. Es sollte daher in dem Sinne erweitert
werden, dass in jeder Kommune verpflichtend Flächenmonitoring betrieben
werden muss. Grundlage dafür ist ein Baulandkataster, in dem alle Grundstücke
einer Gemeinde eingetragen werden, die potenziell bebaut werden können oder
erwartungsgemäß in Zukunft verfügbar sein werden. Die Gemeinden erhalten so
eine Informationsbasis über Alternativen zur Neuausweisung von Bauflächen
auf der grünen Wiese. Um der Gefahr von Nachverdichtung an der falschen
Stelle zu begegnen, muss ein Flächenmonitoring zudem Informationen über den
ökologischen und sozialen Wert der Flächen enthalten. Eine strategische Grün-
raum- und Freiflächenplanung, die eine Flächenbewertung nach den Kriterien
Biodiversität und Grünraumvernetzung, Klimafolgenanpassung und Nah-
erholung beinhaltet, ist dabei eine wichtige Grundlage.

Zu Nummer 1c

Ein Beitrag zur Innenentwicklung und zu einer zukunftsfähigen Stadtentwick-
lung kann auch über die Reaktivierung von innerstädtischen Liegenschaften ge-
schehen: Liegenschaften, die nicht angemessen genutzt werden und teils verfal-
len und verwahrlosen. Durch die momentane Gesetzeslage haben Städte keine
realistischen Möglichkeiten, um eine solche Reaktivierung durchzusetzen –
wenn die Eigentümer nicht dazu bereit sind, sich an der städtebaulichen Erneu-
erung zu beteiligen. Ansonsten sind die erforderlichen Maßnahmen auf Kosten
des kommunalen Haushaltes zu finanzieren, gegebenenfalls kommt dazu eine
Entschädigungspflicht für entstandene Vermögensnachteile.

Um die kommunalen Planungsträger handlungsfähig zu machen, sollte bei der
Baurechtsnovelle eine Möglichkeit geschaffen werden, Eigentümer/„Störer“
beim Rückbau verwahrloster Immobilien zu beteiligen, wenn durch Abnutzung,
Alterung, Witterungseinflüsse oder Einwirkungen Dritter die bestimmungsge-
mäße Nutzung eines Gebäudes nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird oder
das Gebäude wegen seiner äußeren Beschaffenheit das Straßen- oder Ortsbild
nicht nur unerheblich beeinträchtigt.

Zu Nummer 1d

Im ersten Teil der Novelle des Baugesetzbuchs wurde die Integration der Erfor-
dernisse der klimagerechten Stadtentwicklung in das Besondere Städtebaurecht
nur unzureichend umgesetzt. Durch die bisherige Formulierung ist der Klima-
schutz in der Sanierung praktisch bedeutungslos, da kaum Anwendungsfälle
denkbar sind, für die eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme gerechtfertigt
wäre.

Konkret steht weiterhin aus, die Erfordernisse der klimagerechten Stadtentwick-
lung in § 136 Absatz 2 BauGB als Indikator eines städtebaulichen Missstandes

einzuführen. Dementsprechend sollten bei der Beurteilung, ob ein städtebau-
licher Missstand vorliegt, nicht nur die bauliche Beschaffenheit, sondern auch

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die energetische Beschaffenheit und die Gesamtenergieeffizienz der vorhande-
nen Bebauung und der Versorgungseinrichtungen des Gebiets berücksichtigt
werden.

Zu Nummer 1e

Das beschleunigte Verfahren in § 13a BauGB wurde am 1. Januar 2007 in das
Baugesetzbuch eingeführt, mit dem Ziel, eine Erleichterung von Planungsvor-
haben für die Innenentwicklung der Städte zu erreichen.

Der Preis, der gezahlt wurde ist klar: Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltbe-
richt sind bei diesem Verfahren nur noch fakultativ, Ausgleichsmaßnahmen ent-
fallen ganz. Durch die Möglichkeit der nachträglichen Berichtigung des Flä-
chennutzungsplans wurde diesem die letzte Autorität zur Steuerung der
gemeindlichen Entwicklung genommen. Die Heilungsregeln in § 214 BauGB
öffnen der folgenlosen missbräuchlichen Anwendung des beschleunigten Ver-
fahrens Tür und Tor.

Das Verfahren nach § 13a BauGB hat im deutschen Planungsalltag mittlerweile
als Standardverfahren den „klassischen“ Bebauungsplan abgelöst. Völlig unklar
bleibt bisher, ob das neue Instrument tatsächlich die Innenentwicklung forciert.
Signifikante Änderungen im Flächenverbrauch sind nicht ablesbar. Eine Evalu-
ation hierzu ist dringend erforderlich. Grundsätzlich ist nachzuweisen, inwiefern
die Einschränkungen bei Beteiligung, Umweltbericht, Ausgleich und Flächen-
nutzungsplan tatsächlich einen Beitrag zur Innenentwicklung leisten. Ohne ei-
nen solchen Nachweis ist das Verfahren aufgrund oben genannter Einschränkun-
gen bei der Novelle zu streichen.

Zu Nummer 1f

Erkenntnisse der REFINA (Forschung für die Reduzierung der Flächeninan-
spruchnahme und ein nachhaltiges Flächenmanagement) bestätigen, dass in der
kommunalen Praxis planungsrelevante Entscheidungen zur Siedlungsentwick-
lung oft auf der Basis unvollständiger Informationen über die langfristigen Fol-
gekosten von Flächenausweisungen fallen. Die Kosten für technische und so-
ziale Infrastruktur für die nächsten Jahrzehnte werden kaum ermittelt. Dabei ist
gerade vor dem Hintergrund demographischer und wirtschaftlicher Veränderun-
gen Transparenz über die Kosten des Flächenverbrauchs notwendig.

Zu Nummer 1g

Mit der Novelle des Baugesetzbuchs sollte auch eine umfangreiche Prüfung und
Novellierung der Baunutzungsverordnung erfolgen. Ein ökologischer und kli-
magerechter Stadtumbau setzt auf eine Siedlungsplanung, die Verkehr vermei-
det und Flächen spart und eine kompakte Stadt der kurzen Wege mit aktivem In-
nenleben und geschütztem Außenbereich schafft. Die Voraussetzung dafür sind
gemischte Wohnquartiere. An diese Anforderung ist die Baunutzungsverord-
nung, die auf das immissionsschutzrechtliche Prinzip der Trennung aufbaut, bis-
her nicht ausgelegt.

Zu Nummer 2a

Grundsätzlich sind im Sinne einer Stärkung der Innenentwicklung die Privile-
gierungstatbestände im Außenbereich auf ein Minimum zu reduzieren. Ansätze
dazu, die Privilegierung von Anlagen zur Massentierhaltung im Außenbereich
zu beschränken, sind zu begrüßen. Grundsätzlich gibt es jedoch keinen Grund
dafür, Massentierhaltung durch eine Privilegierung im Außenbereich zu beför-

dern. Eine Bindung der Privilegierung von Tierhaltungsanlagen an die Pflicht
zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist unzureichend, weil die Tierplatz-

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zahlen, die darauf basieren, viel zu hoch sind und eine UVP-Pflicht aus anderen
Gründen (z. B. allgemeine Vorprüfung) von den Genehmigungsbehörden so gut
wie nie gefordert wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Antragsteller die
Schwellenwerte, die eine UVP-Pflicht auslösen, nur geringfügig unterschreiten
müssen, um eine UVP-Pflicht zu vermeiden und damit einen Bebauungsplan zu
verhindern. Um das starke Wachstum von Tierhaltungsanlagen im ländlichen
Raum zu beschränken und die Gemeinden bei der Standortentscheidung zu stär-
ken, soll die Privilegierung von Massentierhaltungsanlagen im Außenbereich
aufgehoben werden. Die Gesetzgebung hat hierfür alle Freiheiten und ist nicht
durch andere nationale oder europäische Rechtsetzungen verpflichtet.

Zu Nummer 2c

Die Aufnahme weiterer Privilegierungstatbestände für Anlagen im Außenbe-
reich in § 35 BauGB ist absolut kontraproduktiv zum eigentlichen Ziel der No-
velle, nämlich der Stärkung der Innenentwicklung, und sollte unbedingt unter-
lassen werden.

Zu Nummer 2d

Deutschland wird bis 2022 aus der Atomkraft aussteigen. Nach der aktuellen
Fassung des § 35 Absatz 1 Nummer 7 BauGB erfährt die Neuerrichtung von
Kernenergieanlagen, die der Erforschung, Entwicklung und Nutzung von Kern-
energie dienen, eine Privilegierung. Diese Privilegierung wird bisher lediglich
dahingehend eingeschränkt, dass hiervon die Neuerrichtung von Anlagen zur
Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität
ausgeschlossen ist. Mit dem Ende der gewerblichen Nutzung von Kernenergie
zur Elektrizitätserzeugung entfällt der Bedarf an Kernbrennstoffen und damit
die Notwendigkeit, Anlagen zur Erforschung oder Entwicklung von Kernener-
gietechnik oder zur Erzeugung oder Aufarbeitung von Kernbrennstoffen zu be-
treiben. Ein weitergehendes gesamtgesellschaftliches Interesse daran besteht
nicht. Der Weiterbetrieb solcher Anlagen mit erheblichem Gefährdungspotenzial
lediglich für Exportzwecke ist abzulehnen. In diesem Zusammenhang sollten
auch Anlagen zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen von der baurecht-
lichen Privilegierung ausgenommen werden, da diese nach dem Atomgesetz be-
reits zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr genehmigungsfähig sind.

Zu Nummer 3a

Nach den Berechnungen der Kommission Wohnen im Alter wird der Bedarf an
altersgerechten bzw. barrierereduzierten Wohnungen bis 2030 auf drei Mil-
lionen ansteigen.

Parallel dazu bietet der Gebäudebereich ein enormes Einsparpotenzial beim
deutschlandweiten CO2-Ausstoß. Diese beiden Modernisierungstatbestände
müssen auch fördertechnisch mehr verknüpft werden. Die energetische Sanie-
rung im Gebäudebestand ist daher eine Voraussetzung, um das Ziel der interna-
tionalen Gemeinschaft, den globalen Temperaturanstieg auf unter 2 Grad Cel-
sius zu begrenzen, zu erreichen.

Der sich daraus abzeichnende Investitionsbedarf wird erhebliche Folgen für
Mieterinnen und Mieter sowie Eigentümerinnen und Eigentümer aller Wohnun-
gen in Deutschland haben. Insbesondere die Kosten der energetischen Sanierung
dürfen dabei nicht zu sozialen Konflikten führen. Städtebaulich besteht die Ge-
fahr, dass es durch steigende Mieten zu Abwanderungen und einseitigen Verän-
derungen in der Sozialstruktur von Quartieren kommt. Einer solchen sozialen
Segregation kann mit Mitteln des besonderen Städtebaurechts begegnet werden,

indem die §§ 142, 144 (Sanierungssatzung) und 172 (Erhaltungssatzung) des
Baugesetzbuchs dahingehend ergänzt werden, dass bei der Ausweisung von

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/10846

Sanierungs- und Milieuschutzgebieten die Möglichkeit von Mietobergrenzen
wieder zugelassen wird.

Zu Nummer 3b

Insbesondere im Zusammenhang mit dem zum 1. August 2013 inkrafttretenden
Rechtsanspruch auf ein Kinderbetreuungsangebot, aber auch darüber hinaus, ist
ein Ausbau der Angebote uneingeschränkt erforderlich. Maßgeblich für die
Größe bzw. Platzzahl ist der Bedarf an wohnortnahen Betreuungsangeboten.
Wichtig ist das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern. Der Bedarf sollte durch die
kommunale Jugendhilfeplanung gemäß den Regelungen des Achten Buches So-
zialgesetzbuch ermittelt und die Bedarfsdeckung sachgerecht gesteuert werden.
Unbestimmte Rechtsbegriffe zur Beschränkung der Anzahl der Betreuungs-
plätze von Einrichtungen in reinen Wohngebieten befördern weitere Rechtsstrei-
tigkeiten, bei denen es im Kern um Kinderlärm geht. Diese gilt es jedoch zu ver-
hindern.

Zu Nummer 3c

Stadtentwicklung ist ein Prozess, den Bürgerinnen und Bürger mitgestalten kön-
nen. Dazu gehört das frühzeitige Einbringen von ernsthaften Planungsalterna-
tiven in Beteiligungsprozesse. Die Öffentlichkeitsbeteiligung sollte in allen Pla-
nungsverfahren konsequent angewendet werden, insbesondere auch bei be-
schleunigten Verfahren gemäß § 13a BauGB. Auch die Heilungsvorschriften
sind diesbezüglich anzupassen.

Zu Nummer 3d

Es darf nicht sein, dass in innerstädtischen Lagen zunehmend Quartiere entste-
hen, in denen keine Wohnnutzung mehr vorgesehen ist. In allen innerstädtischen
Quartieren sollte die Bereitstellung von Wohnraum zwingend vorgeschrieben
werden. Es ist daher notwendig, die Baunutzungsverordnung (BauNVO) zu
schärfen. Nach den §§ 4a und 7 BauNVO können den Bauherren bereits heute
Vorschriften für Wohnbebauung gemacht werden. So können Bebauungspläne
vorschreiben, dass in Gebäuden ab bestimmten Geschossen nur Wohnnutzungen
zulässig sind oder auch ein bestimmter Anteil der Geschossfläche für Wohnnut-
zungen zur Verfügung zu stellen ist. Für innerstädtische Gebiete sollte diese
Kannregelung geschärft werden, damit der Verödung von Kerngebieten entge-
gengewirkt wird beziehungsweise der Druck auf dem Wohnungsmarkt durch ein
zusätzliches Wohnraumangebot entlastet werden kann. Außerdem sollte geprüft
werden, ob bei längerfristigen Leerständen von Büro- und Gewerbeflächen eine
Umwandlung in Wohnraum baurechtlich erleichtert werden kann.

Zu Nummer 3e

Die Möglichkeiten, Barrierefreiheit im Baugesetzbuch zu verankern, sind be-
grenzt, mit der Nennung der Bedürfnisse von alten und behinderten Menschen
als Belang der Abwägung jedoch noch nicht ausgeschöpft. So sollte z. B. in den
Regelungen zur Beteiligung der Öffentlichkeit explizit festgeschrieben sein,
dass Auslegungen, Veranstaltungen usw. stets barrierefrei zugänglich sein müs-
sen. Im Besonderen Städtebaurecht sollten Regelungsmöglichkeiten geschaffen
werden, die den barrierefreien Um- und Ausbau seiner aktuellen und zukünfti-
gen Bedeutung entsprechend fördern.

Zu Nummer 3f
Kinder und Jugendliche sind intensive Nutzer ihrer Städte und Gemeinden. Sie
sind von vielen Planungen und Bauvorhaben direkt betroffen. Die üblichen In-

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formationsverfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung wie zum Beispiel die Mög-
lichkeit der Einsichtnahme in Planungsunterlagen, die Auslage in Schaukästen
oder Veröffentlichungen im Amtsblatt werden Minderjährigen jedoch nicht ge-
recht. Bebauungspläne müssen der Verantwortung gegenüber zukünftigen Ge-
nerationen und den sozialen Bedürfnissen von jungen Menschen gerecht wer-
den. Soll die Planung diesem Anspruch gerecht werden, muss sie altersgerechte
Information und Partizipationsangebote unterbreiten.

Zu Nummer 3g

Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert
und ist zur vorbehaltlosen Umsetzung der Vorgaben verpflichtet. Dies ist auch
im Baugesetzbuch zu berücksichtigen. So ist gemäß Artikel 3 der UN-Kinder-
rechtskonvention bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kin-
des ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Dies ist insbeson-
dere bei Abwägungsentscheidungen im Planungsrecht von Bedeutung. Daher
sollten die Planungsleitlinien in § 1 Absatz 5 um die Formulierung „sowie für
kindgerechte Lebensbedingungen zu sorgen“ erweitert werden. In Absatz 6 ist
eine Formulierung in Anlehnung an Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention
zu ergänzen. Bei den Festsetzungsmöglichkeiten der Bebauungspläne reicht die
undifferenzierte Kategorie „Spielplätze“ nicht aus. Es fehlt die explizite Nen-
nung von Kinderspielplätzen und Jugendplätzen. Auch Naturerfahrungsräume,
also Grünflächen im besiedelten Bereich, auf denen sich Natur frei entwickeln
kann und die sich als „wilde“ Spielräume für Kinder und Jugendliche eignen,
fehlen im Gesetzbuch. Eine entsprechende Erweiterung des § 9 Absatz 1 Num-
mer 15 würde Rechtsunsicherheiten vorbeugen. Darüber hinaus müsste eine sol-
che Änderung auch in der Planzeichenverordnung nachvollzogen werden.

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