BT-Drucksache 17/10828

Umsetzung der einstweiligen Anordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012 zum ESM-Vertrag und zum Fiskalvertrag

Vom 26. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10828
17. Wahlperiode 26. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Thomas
Nord, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der einstweiligen Anordnung im Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012 zum ESM-Vertrag und zum
Fiskalvertrag

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem Verfahren über verschie-
dene Verfassungsbeschwerden und über das von der Fraktion DIE LINKE. be-
antragte Organstreitverfahren im Wege der einstweiligen Anordnung bestimmt,

„dass die Ratifikation des Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabili-
tätsmechanismus (Bundestagsdrucksache 17/9045, S. 6 ff.) nur erfolgen darf,
wenn zugleich völkerrechtlich sichergestellt wird, dass,

1. die Regelung des Artikel 8 Absatz 5 Satz 1 des Vertrages über die Errich-
tung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sämtliche Zahlungsver-
pflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag der
Höhe nach auf die in Anhang II des Vertrages genannten Summe in dem
Sinne begrenzt, dass keine Vorschrift dieses Vertrages so ausgelegt wer-
den kann, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des
deutschen Vertreters höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden;

2. die Regelungen der Artikel 32 Absatz 5, Artikel 34 und Artikel 35 Absatz 1
des Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus
nicht der umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrats
entgegenstehen.“

Am 17. September 2012 haben die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Euro-
zone, die Vertragsparteien des Vertrages zur Errichtung des Europäischen Sta-
bilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) sind, auf ihrer Sitzung in Nikosia einer
„interpretativen Erklärung“ zugestimmt, die im Wesentlichen den Inhalt der
einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts wiedergibt.

Diese Erklärung hat der Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen in
englischer Sprachfassung am 18. September 2012 dem Ausschuss für die Ange-
legenheiten der Europäischen Union übermittelt. In seinem Schreiben heißt es
unter anderem: „Den Zwischenstand der Abstimmung füge ich mit dem anlie-
genden Text bei. Die Detailabstimmung ist noch nicht abgeschlossen. Ziel ist die
Erstellung einer interpretativen Erklärung zum ESM-Vertrag, die die Anforde-

rungen des BVerfG erfüllt. … Vor der abschließenden völkerrechtlichen Umset-
zung werden wir den Deutschen Bundestag mit einem separaten Unterrichtungs-
schreiben beteiligen.“. Von einer Zustimmung des Deutschen Bundestages ist
nicht die Rede.

In seiner erwähnten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht außerdem
einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung „gegen Maßnahmen der
Europäischen Zentralbank zur Eurorettung, insbesondere den Ankauf von

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Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt,“ in „verständiger Auslegung“ umge-
deutet und der „Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.“ (Rn. 202).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung eine „interpretative Erklärung“ der Finanzminis-
ter der Mitgliedstaaten der Eurozone für eine hinreichende Maßnahme, die
Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts völkerrechtlich sicherzu-
stellen?

2. Genügt eine derartige gemeinsame „interpretative Erklärung“ insbesondere,
um „deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass (die Bundesrepublik Deutsch-
land) an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich
der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte“?

3. Reicht es nach Auffassung der Bundesregierung insbesondere aus, dem
Deutschen Bundestag die „interpretative Erklärung“ zur Kenntnis zu ge-
ben?

Ist insofern nicht – wie bei jeder Vertragsänderung – die Billigung durch Zu-
stimmungsgesetz nach Artikel 59 Absatz 2 des Grundgesetzes erforderlich?

4. Bedarf es bei dem neuen ergänzenden Zustimmungsgesetz ebenfalls einer
Mehrheit von zwei Dritteln im Deutschen Bundestag und Bundesrat?

5. Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Änderung des ESM-Vertra-
ges auch auf Seiten der anderen Vertragsparteien durch Vertragsänderung
mit der jeweils verfassungsmäßig vorgesehenen parlamentarischen bzw.
plebiszitären Beteiligung erforderlich?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Europäische Zentral-
bank zu einem Ankauf von Staatsanleihen EU-vertraglich nicht ermächtigt
ist und sich im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung
auch nicht selbst ermächtigen kann?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit, die Maßnahmen der
Europäischen Zentralbank im Hinblick auf die ihr eingeräumten Befugnisse
zum Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt in dem bevorste-
henden Hauptsacheverfahren des Bundesverfassungsgerichts abschließend
zu klären?

8. Hält die Bundesregierung es nicht für sachgerecht, dass – zumindest zusätz-
lich – der Europäische Gerichtshof (EuGH) unmittelbar angerufen wird?

9. Ist die Bundesregierung bereit, zur Klärung der bestehenden Rechtsunsicher-
heit insofern selbst den EuGH anzurufen und eine Nichtigkeitsklage gemäß
Artikel 263 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zu erheben?

10. Erscheint ein Vorgehen gegen die Europäische Zentralbank nach Auffas-
sung der Bundesregierung nicht schon deshalb besonders geboten, weil
durch Ankäufe von Anleihen auf den Sekundärmärkten die Gefahr besteht,
dass Banken und andere Finanzkonzerne „Schrottpapiere“ abstoßen und
diese dann zuhauf bei der Europäischen Zentralbank gesammelt werden?

Berlin, den 26. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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