BT-Drucksache 17/10727

Polizeiliche Zusammenarbeit mit Belarus

Vom 19. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10727
17. Wahlperiode 19. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Frank Tempel, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Polizeiliche Zusammenarbeit mit Belarus

Die Fraktion DIE LINKE. weist schon lange darauf hin, dass die parlamenta-
rische Kontrolle von Auslandseinsätzen deutscher Polizisten verbesserungswür-
dig sei. Derzeit befindet sich ein entsprechender Antrag der Fraktion in der par-
lamentarischen Beratung (Bundestagsdrucksache 17/8381).

Um ihrem Anliegen einer verbesserten parlamentarischen Kontrolle zu entspre-
chen, erkundigt sich die Fraktion DIE LINKE. seit dem Jahr 2008 jedes Quartal
nach Auslandseinsätzen sowie nach Ausbildungstätigkeiten, die deutsche Poli-
zisten im Ausland anbieten bzw. die ausländischen Polizisten innerhalb
Deutschlands angeboten werden.

Im Zusammenhang mit der öffentlichen Aufmerksamkeit der polizeilichen Zu-
sammenarbeit mit belarussischen Sicherheitsbehörden verdichten sich jetzt Hin-
weise, dass die Antworten der Bundesregierung nicht vollständig erfolgt sind.

So wurde ein Praktikum für belarussische Sprengstoffexperten beim Bundeskri-
minalamt (BKA) im November 2010 nicht erwähnt. Ein Hinweis darauf befand
sich lediglich in einer Mitteilung des belarussischen Innenministeriums, das auf
der Homepage der belarussischen Botschaft in Deutschland eingestellt wurde
(http://germany.mfa.gov.by/de/news/~page__m12=1~news__m12=749314).
Darin ist von insgesamt 50 Ausbildungsmaßnahmen allein im Zeitraum 2009/
2010 die Rede. Das sind deutlich mehr, als aus den Antworten der Bundesregie-
rung hervorgeht.

„DER TAGESSPIEGEL“ (7. September 2012) berichtet darüber hinaus, es gebe
eine ganze Reihe von Kooperationen, die nicht in den Antworten auf die Kleinen
Anfragen berücksichtigt wurden: Fünf Seminare, die für belarussische Polizis-
ten in Deutschland angeboten, und vier Seminare, die von deutschen Polizisten
in Belarus durchgeführt wurden. Hinzu kommen mehrere Einsatzbeobachtun-
gen (Beobachtung von Demonstrationsgeschehen in Deutschland durch bela-
russische Polizisten). Einige dieser Maßnahmen sind offenbar von Seiten ver-
schiedener Länderpolizeien durchgeführt und deshalb vom Bund nicht erfasst
worden. Die Fraktion DIE LINKE. sieht dies als Bestätigung für ihre Meinung,
dass die öffentliche Kontrolle von Polizeieinsätzen im Ausland, wie der ganze
Bereich der internationalen Polizeizusammenarbeit, sehr lückenhaft ist.
Markenzeichen der konkreten Zusammenarbeit mit Belarus war offenbar – zu-
mindest soweit die veröffentlichten Angaben hierzu zutreffen – weniger die
Ausbildung im „Schlagstockeinsatz“, wie es bisweilen polemisch formuliert
worden ist, sondern vielmehr die Ausbildung belarussischer Polizisten im Be-
reich des so genannten Migrationsmanagements. Grenzschutz, Dokumenten-
kontrolle, Abwehr „illegaler“ Migration lauten die Stichworte. Es geht damit vor
allem gegen Flüchtlinge bzw. darum, Belarus in die Lage zu versetzen, Flücht-

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linge, die das Land auf dem Weg nach Westeuropa durchqueren, zu erkennen
und von der Weiterreise in die EU abzuhalten. Die Fraktion DIE LINKE. sieht
auch hierin ein menschenrechtliches Problem, da es letztlich zu einer Gefähr-
dung von Flüchtlingen führen kann.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwiefern waren die Antworten der Bundesregierung auf die regelmäßigen
Quartalsanfragen der Fraktion DIE LINKE. („Polizei- und Zolleinsätze im
Ausland“, beginnend mit Bundestagsdrucksache 16/10252 im September
2008) unvollständig?

a) Welche Einsätze bzw. Kooperationen mit ausländischen Polizeien fehlten
in den Antworten der Bundesregierung (bitte nach dem Schema der ent-
sprechenden Anfragen beantworten)?

b) Warum wurden diese Maßnahmen nicht in den früheren Antworten auf-
geführt?

c) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der gegebenenfalls
unvollständigen Beantwortung der parlamentarischen Anfragen, und wie
will sie sicherstellen, dass solche Anfragen in Zukunft vollständig be-
antwortet werden?

2. Welche Erklärung kann die Bundesregierung dazu geben, dass nach Mit-
teilung des belarussischen Innenministeriums im Zeitraum 2009/2010 insge-
samt 50 Maßnahmen der polizeilichen Zusammenarbeit stattgefunden haben,
und damit weit mehr, als aus den Antworten der Bundesregierung auf die par-
lamentarischen Anfragen der Fraktion DIE LINKE. hervorgeht?

a) Welche dieser Maßnahmen wurden bislang nicht aufgeführt, und warum
nicht?

b) Um welche Maßnahmen handelt es sich im Einzelnen (bitte nach dem üb-
lichen Antwortschema angeben)?

3. Inwiefern und mit welcher Zuverlässigkeit wird die Bundesregierung bzw.
die Bundespolizei von Kooperationen, die die Länderpolizeien durchführen,
unterrichtet?

Inwiefern und mit welchem Erfolg versucht sie von sich aus, einen möglichst
vollständigen Überblick über solche Kooperationen zu erhalten?

4. Wird der Aufenthalt von Beamten oder Mitarbeitern der Polizeien der Länder
typischerweise im Vorfeld eines Einsatzes zu Ausbildungszwecken im Aus-
land der jeweiligen deutschen Auslandsvertretung angezeigt, oder halten sich
regelmäßig deutsche Vollzugsbeamte im dienstlichen Auftrag auch ohne
Kenntnis deutscher Auslandsvertretungen im Ausland auf?

Welche Vereinbarungen gibt es hierzu gegebenenfalls zwischen Bund und
Länder?

5. Inwiefern trifft die Angabe des „DER TAGESSPIEGEL“ zu, es seien insge-
samt neun Seminare, die deutsche Polizisten in Deutschland bzw. in Belarus
durchgeführt haben, nicht in den Antworten der Bundesregierung auf die par-
lamentarischen Anfragen der Fraktion DIE LINKE. angegeben worden?

Um welche Seminare handelt es sich im Einzelnen, und wann wurden diese
durchgeführt?

6. Worum handelt es sich beim vom „DER TAGESSPIEGEL“ genannten Pro-
jekt „Heranführung der Miliz Belarus an die EU-Standards am Beispiel der
deutschen Polizei“?
a) Worin besteht das Projekt, und was ist bzw. war sein wesentliches Ziel?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10727

b) Wer (Bundesministerium, Referat, Dienststelle) hat es entworfen, und wer
beteiligt sich daran?

c) Wann wurde mit seiner Umsetzung begonnen, und wann wurde es be-
endet?

d) Wie wurde das Projekt im Einzelnen umgesetzt (bitte Einzelmaßnahmen
schildern)?

e) Inwiefern wurde das Projekt in Kooperation oder Absprache mit weiteren
(welchen) EU-Staaten durchgeführt, und welche Polizei- bzw. Gendar-
merieformen von EU-Staaten waren daran mit welchen konkreten Maß-
nahmen beteiligt?

f) Welche sonstigen Projekte bzw. sonstigen Kooperationsformen gab es auf
EU-Ebene (bspw. im Rahmen sogenannter EU-twinning-Projekte), die der
„Heranführung der Miliz Belarus an EU-Standards“ dienten, und welche
deutsche Beteiligung gab es an diesen Projekten oder sonstigen Koopera-
tionsformen?

7. Wie viele und welche Einsatzbeobachtungen von Demonstrationsgeschehen
hat es seit dem Jahr 2008 durch belarussische Sicherheitskräfte (bitte ange-
ben, aus welcher Sicherheitsbehörde diese genau kamen) in Deutschland ge-
geben (bitte mit Datum, Ort und Anlass)?

a) Wer hat jeweils die Einladung ausgesprochen?

b) Inwiefern wird die Bundesregierung von solchen Beobachtungen regel-
mäßig und zuverlässig durch die einladenden Polizeibehörden (sofern es
sich um Länderpolizeien handelt) unterrichtet?

c) Inwiefern sieht sie angesichts dieser politisch umstrittenen Einladungs-
praxis Handlungsbedarf, um eine verbesserte Unterrichtung zu erhalten,
und welche Konsequenzen will sie ziehen?

8. Welche Motive lagen der Zusammenarbeit von Bundessicherheitsbehörden
(und soweit die Bundesregierung hierzu Stellung nehmen kann, von Landes-
sicherheitsbehörden) mit dem belarussischen Grenzschutz zugrunde?

a) Welche Bedeutung hatte Belarus in der Vergangenheit, und welche hat es
gegenwärtig als Transitland für Flüchtlinge?

b) Welche Bedeutung hat aus Sicht der Bundesregierung die Abwehr soge-
nannter irregulärer Migration durch belarussische Sicherheitsbehörden?

c) Inwiefern gibt es hierzu Beschlüsse oder Erklärungen auf Ebene der EU?

d) Inwieweit ist nach Ansicht der Bundesregierung in Belarus die Anwendung
der Genfer Flüchtlingskonvention (insbesondere das Zurückweisungsver-
bot) sichergestellt, und inwieweit entspricht das dortige Asylsystem men-
schenrechtlichen Mindeststandards?

e) Inwieweit kann Belarus nach Ansicht der Bundesregierung als ein „siche-
rer Drittstaat“ angesehen werden, in dem Sinn, dass Polen, Litauen oder
Lettland Asylsuchende an den EU-Außengrenzen ohne inhaltliche Prü-
fung nach Belarus zurückweisen dürften?

f) Inwieweit trägt die polizeiliche Zusammenarbeit mit Belarus im Bereich
des „Migrationsmanagements“ dazu bei, dass Asylsuchende nicht in die
EU bzw. an die EU-Außengrenze gelangen?

9. Welche Formen der Zusammenarbeit mit dem belarussischen Grenzschutz
hat es seit dem Jahr 2000 von Seiten anderer EU-Staaten gegeben?

Drucksache 17/10727 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
10. Wer kontrolliert bei der Bundespolizei bzw. dem Bundesministerium des
Innern bzw. dem BKA intern und politisch die Ergebnisse der Kurse, Semi-
nare und weiteren Kooperationen mit ausländischen Sicherheitsbehörden,
und welche Beispiele kann die Bundesregierung nennen, in denen solche
Kooperationsaktivitäten nachweisbar zu rechtsstaatlich und menschen-
rechtlich arbeitenden Sicherheitsbehörden geführt haben?

11. Für welche der seit 2008 von der Fraktion DIE LINKE. abgefragten Polizei-
kooperationen wurden Abschlussberichte vorgelegt?

a) Was sind die wesentlichen Aussagen dieser Abschlussberichte, bzw. wel-
che generelle Einschätzung hat die Bundesregierung zum Verlauf und
zur Wirkung der einzelnen Polizeikooperationen im Allgemeinen und zu
jenen mit Belarus im Besonderen?

b) Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag allfällige Ab-
schlussberichte oder Erfahrungsberichte zukommen zu lassen, und wenn
nein, warum nicht?

12. Welche privaten deutschen Sicherheitsunternehmen sowie wie viele ehema-
lige oder freigestellte Angehörige der Bundespolizei sind/waren in der Ver-
gangenheit nach Kenntnis der Bundesregierung zu welchem Zweck und mit
welchen Aktivitäten in Belarus tätig?

13. Inwiefern kann die Bundesregierung zusichern, dass die von Bundespolizei
und BKA gelieferte Ausstattung für den belarussischen Grenzschutz (Com-
puter usw.) bei diesem verblieben ist bzw. inwiefern kann sie ausschließen,
dass diese an andere belarussische Sicherheitsbehörden oder Geheimdienste
weitergegeben wurde?

14. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass in der Vergangenheit von Sei-
ten des Bundes oder der Länder polizeiliche Repressionsmittel wie Helme,
Schilde, Schlagstöcke, Handfesseln, Pfefferspray usw. an die Sicherheits-
behörden Belarus’ geliefert wurden?

Hat sie hierüber konkrete Erkenntnisse, und wenn ja, welche?

15. Wie erklärt die Bundesregierung ihre Aussage in der Antwort auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/8119), in der
es heißt: „Eine Zusammenarbeit mit Milizen oder Geheimdiensten bestand
nicht“, angesichts der Tatsache, dass in den vom „DER TAGESSPIEGEL“
zitierten Unterlagen die Projekttitel mit „Stadtmiliz Minsk“ und „Miliz des
Gebietes Minks“ überschrieben waren und die belarussische Polizei, wie
andere in Osteuropa, die Selbstbezeichnung „Milizija“ trägt?

16. Welche Position nimmt die Bundesregierung nun, nachdem sich herausge-
stellt hat, dass ihre Antworten auf die parlamentarische Anfragen zum
Umfang internationaler Polizeikooperationen nicht vollständig waren, zu
Forderungen nach gesetzlich festgelegten verbesserten Informationsrechten
des Deutschen Bundestages ein, wie sie beispielsweise im eingangs erwähn-
ten Antrag der Fraktion DIE LINKE. gefordert werden (bitte begründen)?

17. Aus welchen Gründen und zu welchem Zeitpunkt wurde die polizeiliche
Zusammenarbeit mit Belarus eingestellt, und inwiefern gibt es Überlegun-
gen, sie wieder aufzunehmen?

Berlin, den 19. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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