BT-Drucksache 17/10621

EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Werra- und Weserversalzung

Vom 6. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10621
17. Wahlperiode 06. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Britta Haßelmann, Bettina Herlitzius, Bärbel Höhn,
Katja Keul, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn, Undine Kurth
(Quedlinburg), Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Werra- und
Weserversalzung

Die Europäische Kommission hat am 22. Juni 2012 ein Vertragsverletzungsver-
fahren nach Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union (AEUV) gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Hintergrund
ist die Überprüfung der Einleitung von salzhaltigen Abwässern in Flüsse, insbe-
sondere der Kaliabwässer in Werra und Weser, und inwiefern diese den Bestim-
mungen und Zielen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie entgegenstehen.

Nach wie vor werden über 450 Kilometer Flusslauf der Werra und Weser durch
die Einleitungen von Salzabwässern aus der Kaliindustrie erheblich geschädigt
und dadurch die biologische Vielfalt massiv beeinträchtigt.

Eine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im hessischen Land-
tag ergab, dass es bislang keinerlei messbare Ergebnisse dafür gibt, dass die
bisherigen Bemühungen zu einer Verringerung der Salzfracht in der Werra ge-
führt haben. Die Werra und die Weser sind die am stärksten salzbelasteten
Flüsse in Deutschland.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann und wie wurde die Bundesregierung erstmals durch die Einleitung des
Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission gegen Deutsch-
land wegen der Einleitung salzhaltiger Abwässer in Flüsse, insbesondere in
Werra und Weser, informiert?

2. Welche Gespräche, Schreiben oder Vereinbarungen zwischen der Europäi-
schen Kommission, der Bundesregierung und den Landesregierungen und
den Behörden (v. a. in Hessen, Thüringen und Niedersachsen) wurden nach
Kenntnis der Bundesregierung diesbezüglich im Vorfeld der förmlichen Ver-
fahrenseinleitung geführt, und wie hat sich die Bundesregierung hier positio-

niert?

3. Wie lautet der konkrete Wortlaut des Schreibens der Europäischen Kommis-
sion an die Bundesregierung, und welche konkreten Gründe werden im
Schreiben zur Begründung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutsch-
land vorgetragen, welche Artikel der Wasserrahmenrichtlinie sieht die Euro-
päische Kommission insbesondere betroffen?

Drucksache 17/10621 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich des Schreibens der
Europäischen Kommission, und wie will sie den Beanstandungen und For-
derungen der Europäischen Kommission gerecht werden?

5. Teilt die Bundesregierung die vorgebrachten Beschwerden, insbesondere
den Vorwurf der Verletzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie durch die
hessischen Behörden, aufgrund der Einleitungserlaubnis der Abwässer der
Kaliindustrie?

6. Wie wird sich die Bundesregierung auf das Schreiben der Europäischen
Kommission positionieren?

Wird sie schriftlich Stellung beziehen oder weitere Schritte der Europä-
ischen Kommission bis hin zur Klage gegen Deutschland riskieren?

7. a) Von welchen Akteuren und Institutionen wurden nach Kenntnis der Bun-
desregierung bereits im Vorfeld in den letzten Jahren Beschwerden gegen
die Verschmutzung von Werra und Weser und des Grundwassers durch
die Abwässer der Kaliproduktion eingereicht und Verfahren angestrebt
(bitte nach Akteuren, vorgebrachten Beschwerdegründen, jeweiligem
Zeitpunkt und Entscheid über die Beschwerden aufschlüsseln)?

b) Welche Rolle haben diese nach Kenntnis der Bundesregierung bezüglich
des Einleitens des Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische
Kommission gespielt?

8. Wie will die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Anforderungen der
Wasserrahmenrichtlinie in Zukunft eingehalten werden und nicht weiter
durch die Zulassung der Einleitung der Abwässer der K+S AG gegen EU-
Recht verstoßen wird?

9. Wie viel Kubikmeter Salzabwasser fallen bei der Kaligewinnung in Deutsch-
land jährlich seit dem Jahr 2007 an, und wie werden diese Abwässer be-
handelt bzw. entsorgt (bitte nach Jahren, Standort, Produktionsabwasser,
Haldenabwasser und jeweiliger Entsorgungs-/Verwendungsart der Abwäs-
ser aufschlüsseln)?

10. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die stoffliche Zu-
sammensetzung der Salzabwässer gemäß Frage 9 vor (bitte Benennung der
Stoffe, nicht nur die Elemente, besonders bei schon in kleinen Mengen
toxischen Stoffen)?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Verpressung von Salzabwässern in
den Untergrund generell und insbesondere in den Plattendolomit des hes-
sisch-thüringischen Raums bezüglich der Auswirkungen auf Grundwasser,
Böden und Biodiversität, und wie bewertet die Bundesregierung die Aus-
wirkungen der Einleitung in Werra und Weser auf das Gewässerökosys-
tem?

12. a) Welche wissenschaftlichen Studien sind der Bundesregierung bekannt,
die die Umwelt- und Gewässerbeeinträchtigungen sowie eine Reduzie-
rung dieser untersuchen?

b) Hat die Bundesregierung selbst diesbezügliche wissenschaftliche Gut-
achten in Auftrag gegeben oder plant dies?

Wenn ja, welche, und wenn nein, weshalb nicht?

13. Welche Technologien sind bei den Abbau- und Aufbereitungsverfahren
nach Kenntnis der Bundesregierung anzuwenden, um die Bestimmungen
der Wasserrahmenrichtlinie einzuhalten und um eine Klage gegen Deutsch-
land abzuwenden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10621

14. Welche alternativen Entsorgungs- und Aufbereitungsmöglichkeiten zieht
die Bundesregierung in Betracht und hält sie für geeignet, um dem Ver-
tragsverletzungsverfahren zu begegnen und die Umwelt- und Gewässer-
schädigungen zu vermindern?

15. Wie ist der derzeitige Diskussionsstand bezüglich einer Festlegung von
neuen Grenzwerten für die Einleitung von salzhaltigen Abwässern in Werra
und Weser, wie hoch sollten solche Grenzwerte sein, um die Bestimmungen
der Wasserrahmenrichtlinie zukünftig einzuhalten, und wann wären solche
Einleitungen vollständig einzustellen?

16. Befindet sich die Bundesregierung derzeit, auch aufgrund des Verfahrens,
in Abstimmungen mit den Landesregierungen von Hessen und Niedersach-
sen sowie den anderen Weseranliegerländern, und wann ist hier mit Lö-
sungsansätzen zu rechnen, um weitere Vertragsverletzungen in Zukunft zu
verhindern?

17. Welche konkreten Pläne verfolgt die Bundesregierung bzw. welche Pläne
der hessischen und niedersächsischen Behörden sind der Bundesregierung
bekannt, um die Gewässerqualität von Werra und Weser entsprechend den
Zielen der Wasserrahmenrichtlinie zu verbessern?

18. Welche Rolle und Verantwortung sieht die Bundesregierung beim Dünge-
mittelhersteller K+S AG?

Welche Gespräche werden derzeit mit der K+S AG geführt, wie ist der der-
zeitige Verhandlungsstand?

19. Welche möglichen Kosten sind mit der Einleitung des Vertragsverletzungs-
verfahrens und einer möglichen Klage der Europäischen Kommission gegen
Deutschland verbunden, nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, son-
dern nach Kenntnis der Bundesregierung auch für die Bundesländer Hessen,
Thüringen, Niedersachsen oder den Düngemittelhersteller K+S AG, und
welche Bestrebungen werden von Seiten der Bundesregierung unternom-
men, um die Kosten möglichst gering zu halten und unnötige Kosten zu ver-
meiden?

20. Welche Auswirkungen sind aufgrund des Vertragsverletzungsverfahrens
auf die Einleitungsgenehmigung für die K+S AG, salzhaltige Lauge in die
Werra einzuleiten, zu erwarten, und teilt die Bundesregierung die Auffas-
sung, dass eine Verlängerung der Genehmigung, die im November 2012
anstehen würde, aufgrund des Verstoßes gegen EU-Recht nicht möglich
ist?

21. Welche Konsequenzen wird das jetzt eingeleitete Vertragsverletzungsver-
fahren aus Sicht der Bundesregierung auf den geplanten Bau einer Pipeline
aus dem Fuldarevier an die Werra und somit die sofortige Vollziehbarkeit
des Planfeststellungsbeschlusses des Regierungspräsidiums Kassel vom
25. Juni 2012 haben?

22. Welche Konsequenzen sind damit für den geplanten Bau einer Abwasser-
pipeline an die Nordsee verbunden?

23. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung für schnellstmögliche Planungs-
sicherheit ein?

Berlin, den 6. September 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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