BT-Drucksache 17/10555

Einsatz der Agro-Gentechnik zur Hungerbekämpfung

Vom 28. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10555
17. Wahlperiode 28. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Jan van Aken, Karin Binder, Sevim Dag˘delen,
Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Paul Schäfer (Köln), Sabine Stüber,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz der Agro-Gentechnik zur Hungerbekämpfung

Die Agro-Gentechnik ist eine Risikotechnologie, deren Chancen und Risiken in
Deutschland, der Europäischen Union (EU) und weltweit seit Jahren kontrovers
diskutiert werden. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen (GVP) in der
EU stagniert. In der EU dürfen nur zwei GVP kommerziell angebaut werden:
Der Bt-Mais MON 810 und die Kartoffel Amflora. In Deutschland wurde Am-
flora im Jahr 2012 nicht angebaut und der Anbau von MON 810 bleibt weiter-
hin verboten.

Während der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland
und der EU, trotz der Einflussnahme durch die Lobby der Agro-Gentechnik,
stark eingeschränkt ist, wird ihm für die weltweite Hungerbekämpfung eine
Schlüsselrolle zugeschrieben. Staatliche Initiativen und multilaterale Pro-
gramme – oft in enger Kooperation mit der Agrar- und der Chemieindustrie –
treiben Einsatz und Verbreitung der Agro-Gentechnik in Afrika, Asien und
Lateinamerika massiv voran.

Die 2006 von der Bill & Melinda Gates Foundation sowie der Rockefeller Foun-
dation und dem britischen Entwicklungsministerium gegründete Allianz für eine
Grüne Revolution in Afrika (Alliance for a Green Revolution in Afrika, AGRA)
betreibt die Forschung, Produktion und Verbreitung von Hochertragssorten
weltweiter und afrikanischer Kulturpflanzen mittels eines eigenen Saatgutpro-
gramms (Program for Africa’s Seed Systems, PASS). Neben der Ausbildungs-
förderung von Master- und Promotionsprogrammen im Bereich der Pflanzen-
zucht, die in enger Absprache mit Agrar- und Chemiekonzernen erfolgt, dient
das Agro Dealer Development Program dem Ausbau regionaler Verteilungs-
netze für den Verkauf von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln wie Saatgut,
Mineraldünger und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Als Anteils-
eigner des weltweit größten Saatgutkonzerns Monsanto verfolgt die Bill
& Melinda Gates Foundation mit der AGRA die Markterschließung auf dem
afrikanischen Kontinent (www.gatesfoundation.org/agriculturaldevelopment/
Pages/connecting-poor-farmers-to-good-seeds-feature.aspx).
Am 6. April 2011 hat die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel, eine Zusam-
menarbeit mit der Bill & Melinda Gates Foundation, u. a. in dem Bereich Land-
wirtschaft und Entwicklung ländlicher Räume, verabredet. Gemeinsam finan-
zierte Projekte im Bereich ländliche Entwicklung in früheren Jahren (2008,
2009) zielten auf die Förderung der Wertschöpfungsketten Baumwolle, Kakao
und Cashewnüsse (siehe auch African Cashew Initiative, ASi) ab.

Drucksache 17/10555 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die auf dem G8-Gipfel 2012 in Camp David initiierte Neue Allianz für Ernäh-
rungssicherung (New Alliance for Food Security and Nutrition) setzt erneut auf
private Investitionen in die Landwirtschaft. Bereits 45 Unternehmen – darunter
Agrarkonzerne wie Monsanto, Syngenta und Yara International, aber auch
Vodafone, Unilever und Kraft Foods – haben Investitionen in Höhe von insge-
samt 3 Mrd. US-Dollar für die nächsten zehn Jahre angekündigt. 16 internatio-
nale Unternehmen haben entweder größere Produktionsstandorte in Deutsch-
land oder sind Kooperationspartner der deutschen Entwicklungszusammen-
arbeit (z. B. African Cashew Initiative, SABMiller).

Daneben hat die Bundesregierung im Juni 2012 eine spezifische Deutsche Initia-
tive für Agrarwirtschaft und Ernährung in Schwellen- und Entwicklungsländern
(DIAE) gegründet. Als Partner der Initiative hat das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) neben der Deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und der Deut-
schen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG) Tochterunter-
nehmen führender internationaler Agrar- und Chemiekonzerne wie Bayer
CropScience, BASF und Syngenta gewählt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Vertritt die Bundesregierung die Ansicht, dass der Schutz vor gesundheit-
lichen Risiken durch GVP sowie die Gewährleistung der Wahlfreiheit
zwischen ökologischem, konventionellem und GVP-Anbau allen Menschen
zuteil werden sollten, und bekennt sie sich in diesem Sinne zu den Werten
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (bitte begründen)?

2. Sieht sich die Bundesregierung im Rahmen der bi- und multilateralen Zu-
sammenarbeit in der Verantwortung, Bäuerinnen und Bauern sowie Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in den Ländern des Südens vor den Risiken der
Agro-Gentechnik zu schützen (bitte begründen)?

a) Wenn ja, durch welche Maßnahmen kommt sie dieser Verantwortung
nach?

b) Wenn nein, warum nicht?

3. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung ein Widerspruch zwischen
der nationalen Gentechnikgesetzgebung und der Förderung von privatwirt-
schaftlich dominierter Agro-Gentechnik durch öffentlich-private Partner-
schaften des BMZ (bitte erläutern)?

4. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass durch Pakete, bestehend
aus GVP-Saatgut, Mineraldünger und chemisch-synthetischen Pflanzen-
schutzmitteln, die Agrarkonzerne an die Bäuerinnen und Bauern verschen-
ken, deren Wahlfreiheit nicht gewährleistet ist?

a) Falls nein, warum nicht?

b) Falls ja, was unternimmt die Bundesregierung, um gegen diese Praxis
vorzugehen, bzw. verlangt die Bundesregierung von ihren privaten Part-
nern in der Entwicklungszusammenarbeit, dass diese davon absehen,
GVP-Saatgut zu verschenken?

5. Welche Einschätzung der gesundheitlichen und sozioökonomischen Risiken
des GVP-Anbaus in Deutschland respektive in den Ländern des Südens liegt
der Entscheidung der Bundesregierung zugrunde, in der bi- und multilate-
ralen Entwicklungszusammenarbeit auf Partnerschaften zu setzen, in deren
Rahmen Märkte für GVP geschaffen werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10555

6. Welche weiteren nichtstaatlichen Partner außer der Bill & Melinda Gates
Foundation (mit 16,9 Mio. Euro) finanzieren nach Kenntnis der Bundes-
regierung neben dem BMZ (mit 3,4 Mio. Euro) die African Cashew Initia-
tive und stellen weitere 17 Mio. Euro zur Verfügung?

7. Gibt es neben den 2008 und 2009 unterstützten Projekten zu Baumwolle,
Kakao und Cashewkernen weitere kombifinanzierte Vorhaben des BMZ
und der Bill & Melinda Gates Foundation im Bereich Ernährungssicherung
und ländliche Entwicklung?

8. Wie stellt sich die Bundesregierung zu Bedenken, auch die indirekte Förde-
rung privatwirtschaftlich dominierter Agro-Gentechnik durch die Zusam-
menarbeit mit der Bill & Melinda Gates Foundation laufe dem im Koa-
litionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP festgehaltenen Ziel der Bun-
desregierung zuwider, zur Verbesserung der Ernährungssouveränität in den
Ländern des Südens beizutragen (bitte erläutern)?

9. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung die Gefahr, dass die Förde-
rung privatwirtschaftlich dominierter Agro-Gentechnik die Verwirklichung
des Menschenrechts auf Nahrung unzulässig behindert (bitte erläutern)?

10. Welchen Kriterien unterlag die Auswahl der privatwirtschaftlichen Unter-
nehmen für die DIAE, und kann die Bundesregierung darstellen, inwiefern
die ausgewählten Partner (bitte einzeln aufführen) diese Kriterien erfüllen?

11. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die DIAE durch die enge
Zusammenarbeit mit internationalen Agrarkonzernen der Verbreitung der
Agro-Gentechnik in den Länden des Südens Vorschub leistet?

a) Wenn nein, warum nicht (bitte erläutern)?

b) Wenn ja, warum hält sie die Zusammenarbeit dennoch für vereinbar mit
ihrem Anspruch, die Ernährungssouveränität in den Ländern des Südens
fördern zu wollen und mit dem Anspruch auf Schutz vor gesundheitli-
chen Risiken für Mensch, Tier und Ökosystem sowie auf Wahlfreiheit
zwischen ökologischem, konventionellem und GVP-Anbau?

12. In welchem Umfang werden in der deutsch-afrikanischen Forschungsini-
tiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)
„GlobE – Globale Ernährungssicherung“ Projekte zur Entwicklung oder
Erprobung von gentechnisch veränderten Pflanzen gefördert (bitte Projekte
einzeln aufführen)?

13. Wie schätzt die Bundesregierung die Zulassung von GVP-Saatgut per Eil-
verfahren in Paraguay vor dem Hintergrund ein, dass der Bundesminister
Dirk Niebel die im Juni 2012 per Staatsstreich an die Macht gekommene
Regierung zur Fortführung der Landreformen ermutigt hat?

14. Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung aus dem Weltagrar-
bericht IAASTD gezogen, und wie ist die Förderung der internationalen
Agrar- und Chemieindustrie im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften
mit der im IAASTD erhobenen Forderung nach Unterstützung einer klein-
bäuerlichen, standortangepassten und unabhängigen Landwirtschaft zu
vereinbaren?

Berlin, den 29. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.