BT-Drucksache 17/10540

Pläne der Bundesregierung zur Neuregelung des Beschäftigtendatenschutzes unter besonderer Berücksichtigung des Bereiches der Call-Center

Vom 22. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10540
17. Wahlperiode 22. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Jan Korte, Heidrun
Dittrich, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Pläne der Bundesregierung zur Neuregelung des Beschäftigtendatenschutzes
unter besonderer Berücksichtigung des Bereiches der Call-Center

Der Hang von Unternehmen, Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz zu über-
wachen, zu bespitzeln und mit dubiosen Mitteln zu kontrollieren, wird immer
wieder öffentlich. So ließ die Einzelhandelskette Lidl ihre Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter mit versteckten Kameras überwachen, Daten zu deren Krankheiten
sammeln und diese firmenintern aufzeichnen. Die Deutsche Bahn AG hat ohne
Tatverdacht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Angehörige über-
prüfen lassen. Erst jüngst bekam ein Tiefkühlkostlieferant den „Big Brother
Award 2012“ für die rechtswidrige Ausforschung von Daten auf einem Be-
triebsratscomputer.

Die Bundesregierung hat angekündigt, den Beschäftigtendatenschutz neu zu
regeln und dafür einen Gesetzentwurf vorgelegt (Entwurf eines Gesetzes zur
Regelung des Beschäftigtendatenschutzes, Bundestagsdrucksache 17/4230).
Der Gesetzgeber hat den Auftrag, die rechtlichen Rahmenbedingungen derart zu
gestalten, dass das Grundrecht der Beschäftigten auf Datenschutz am Arbeits-
platz gesichert ist. Der vorliegende Gesetzentwurf hat aber eine andere Stoßrich-
tung. Er formuliert zuerst wirtschaftliche Interessen der Arbeitgeber und fragt
erst danach, an welchen Stellen diese wegen der Interessen der Beschäftigten
ausnahmsweise eingeschränkt werden müssen. Datenschützer, Betriebsräte und
Gewerkschaften warnen deshalb, mit dem Entwurf würde sich der Beschäftig-
tendatenschutz massiv verschlechtern. Die Initiative „Big Brother Awards“
spricht davon, der neue Gesetzentwurf schütze „nicht die Beschäftigten, wie der
Name suggeriert, sondern nur die Interessen der Unternehmen. Das Beschäftig-
tendatenschutzgesetz müsste deshalb eigentlich ‚Beschäftigtenausspionierungs-
erlaubnisgesetz‘ heißen.“

Besonders gefährdet sind Arbeitsbereiche, die stark durch moderne Kommuni-
kationsmittel gestaltet werden wie etwa der Bereich der Call-Center. Ohne ent-
sprechende schützende Regelungen ergeben sich dort aus dem unmittelbaren
Arbeitsprozess heraus für die Arbeitgeber unzählige potentielle Überwachungs-
möglichkeiten. Mit dem geplanten § 32i des Gesetzentwurfs will die Bundes-

regierung hier einen gesetzlich normierten Sonderbereich schaffen, der den
Arbeitgebern weitgehend unbegrenzte Freiheiten zur Überwachung und Kon-
trolle der ohnehin schon schwierigen Beschäftigungsverhältnisse im Call-Center-
Bereich ermöglicht.

Drucksache 17/10540 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was sind nach Ansicht der Bundesregierung – aus Sicht der Beschäftigten –
die drängendsten Probleme beim Beschäftigtendatenschutz, und was will die
Bundesregierung hier tun?

2. Warum will die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ge-
genüber der bisherigen Rechtslage und entgegen der gültigen Rechtspre-
chung des Bundesarbeitsgerichts die Möglichkeit zur Videoüberwachung
am Arbeitsplatz noch einmal ausweiten, insbesondere durch die Über-
wachung zur „Qualitätskontrolle“?

Mit welchen Erkenntnissen und Fakten begründet die Bundesregierung
diese Ausweitung?

3. Kann nach Ansicht der Bundesregierung ausgeschlossen werden, dass nach
dem vorliegenden Gesetzentwurf Arbeitgeber Druck auf die Bewerberin-
nen, Bewerber und Beschäftigten ausüben, die Einwilligung dazu zu ge-
ben, auch unzulässige Datenerhebungen, -speicherungen und -verarbeitun-
gen durchzuführen?

Wenn ja, warum?

4. Warum soll es nach dem vorliegenden Gesetzentwurf künftig möglich sein,
Betriebs- oder Dienstvereinbarungen abzuschließen, um vom gesetzlichen
Standard zuungunsten der Beschäftigten abzuweichen?

5. Was sind die Gründe dafür, dass die Bundesregierung mit dem bestehenden
Gesetzentwurf anlasslose Screenings, wie sie bei der Deutschen Bahn AG
angewandt worden sind, künftig noch offener gestalten will, indem sie dies
durch § 32d Absatz 3 des Gesetzentwurfs ermöglicht?

6. Warum ist es nach Ansicht der Bundesregierung notwendig, mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf, das Fragerecht des Arbeitgebers bei Einstellun-
gen erheblich auszuweiten?

7. Warum soll nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Arbeitgeber die
Befugnis erhalten, von Beschäftigten, die Teilnahme an ärztlichen Unter-
suchungen zu verlangen, wenn er Zweifel an der weiteren Eignung für die
ausgeübte Tätigkeit hat?

8. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der Initiative von mehr als
3 000 Betriebs- und Personalratsgremien gegen die von ihr geplanten Än-
derungen im Beschäftigtendatenschutz zu?

Inwiefern werden die dort geäußerte Kritik bzw. die eingeforderten Ände-
rungen im Gesetzgebungsverfahren ihren Niederschlag finden?

9. Aus welchen Gründen gesteht die Bundesregierung mit ihrem Gesetzent-
wurf den Beschäftigten weniger Rechte zu als Bürgerinnen und Bürgern
nach § 201 des Strafgesetzbuchs zustehen, wonach bei „Verletzung der
Vertraulichkeit des Wortes“ eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe droht, für den Fall, dass unbefugt das nichtöffentlich gespro-
chene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufgenommen und ge-
braucht wird oder im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach
öffentlich mitgeteilt wird?

Wie begegnet die Bundesregierung dem bekannten Vorwurf, dass die
Demokratie immer noch an den „Werkstoren“ ende?

10. Warum plant die Bundesregierung in § 32i Absatz 2 Satz 2 des Gesetzent-
wurfs, einen Sonderfall der „Telekommunikationsdienste“ zu definieren
(als eine „ausschließlich zu beruflichen oder dienstlichen Zwecken er-

brachte telefonische Dienstleistung“ als „wesentlichen Inhalt der geschul-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10540

deten Arbeitsleistung“), für die der Arbeitgeber ohne Kenntnis des Beschäf-
tigten stichprobenartige oder anlassbezogene Leistungs- oder Verhaltens-
kontrollen erheben kann?

11. Welche anderen Bereiche, als der in der Begründung des Gesetzentwurfs
vorgesehene Bereich der Call-Center, sind möglicherweise als solche
„Sonderfälle“ anzusehen, und warum verzichtet der Gesetzentwurf auf eine
abschließende Aufzählung solcher Sonderbereiche?

12. Warum soll nach § 32i Absatz 1 des Gesetzentwurfs bei der Verwendung
von Daten für Leistungs- und Verhaltenskontrollen eine nur nachträgliche
Unterrichtung des Beschäftigten ausreichen?

13. Warum soll es eine Sonderregelung für Call-Center geben, wonach heim-
liches Mithören ohne Kenntnis im Einzelfall erlaubt ist?

14. Wie gestaltet sich das derzeitige Richterrecht zum offenen Mithören und
wie zum heimlichen Mithören, bzw. welche einschlägigen Urteile sind der
Bundesregierung dazu bekannt?

15. Aus welchen Gründen hält es die Bundesregierung für erforderlich, das
Mithören von Gesprächen über die vom Bundesarbeitsgericht gezogenen
Grenzen hinaus zu erweitern?

Sind der Bundesregierung die diesbezüglichen Positionen der Sozialpartner
bekannt, und welche hat sie bei ihrem Gesetzentwurf berücksichtigt?

16. Was versteht die Bundesregierung konkret unter der in § 32i des Gesetzent-
wurfs vorgesehenen „stichprobenartigen oder anlassbezogenen Leistungs-
oder Verhaltenskontrolle“?

a) Was heißt stichprobenartig, d. h. wie oft darf dies monatlich auftreten?

b) Was heißt anlassbezogen?

c) Welche Bestandteile umfasst die Leistungskontrolle?

d) Welche Bestandteile unfasst die Verhaltenskontrolle?

e) Wer legt die entsprechenden Bestandteile fest?

f) Was ist der Bewertungsmaßstab für die Einschätzung der Sachgerech-
tigkeit der Befugnis des Arbeitgebers zum heimlichen Mithören (§ 32i
Absatz 2 Satz 2 des Gesetzentwurfs)?

17. Was versteht die Bundesregierung darunter, dass „der Beschäftigte in ge-
eigneter Weise vorab“ über eine stichprobenartige oder anlassbezogene
Leistungs- oder Verhaltenskontrolle zu informieren ist (§32i Absatz 2 des
Gesetzentwurfs)?

Wie definiert sie „vorab“ zeitlich?

18. Was versteht die Bundesregierung darunter, dass der Arbeitgeber „den Be-
schäftigten unverzüglich über die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der
Inhaltsdaten nach Satz 2 zu unterrichten“ (§32i Absatz 2 des Gesetzent-
wurfs) hat?

19. Welche höchstrichterlichen Grenzen bestehen bzw. welche höchstrichter-
lichen Urteile sind der Bundesregierung hinsichtlich der Verarbeitung per-
sonenbezogener Daten, bezogen auf einen möglichen Überwachungsdruck
und ein mögliches Abbild der Persönlichkeit bekannt?

20. Woraus leitet die Bundesregierung die Fallzahl von jährlich 100 000 Stich-
proben ab, die nach § 32i Absatz 2 Satz 2 des Gesetzentwurfs (vgl. S. 13
im Gesetzentwurf auf Bundestagsdrucksache 17/4230) vorgenommen wer-

den können?

Drucksache 17/10540 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Will die Bundesregierung der Bitte des Bundesrates nachkommen und im
weiteren Gesetzgebungsverfahren prüfen,

a) unter welchen Voraussetzungen eine stichprobenartige oder anlassbe-
zogene Leistungs- und Verhaltenskontrolle erfolgen darf und

b) wie sichergestellt wird, dass eine dauerhafte Kontrolle nach § 32i Ab-
satz 2 Satz 2 des Gesetzentwurfs nur in einem eingegrenzten Zeitraum
erfolgt, ohne den Beschäftigten dauerhaft unter den Druck einer für ihn
nicht erkennbaren Kontrolle zu stellen?

Wenn ja, welche Regelungen will sie aufnehmen?

Wenn nein, warum nicht?

22. Woraus leitet die Bundesregierung die Fallzahl von jährlich fünf Millionen
Stichproben ab, die nach 32i Absatz 2 Satz 1 des Gesetzentwurfs (vgl. S. 13
im Gesetzentwurf auf Bundestagsdrucksache 17/4230) vorgenommen wer-
den können?

23. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Gesamtzahl der Fälle, in denen
die Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten nach Inkrafttreten des Be-
schäftigtendatenschutzes in der vorliegenden Fassung ihrer Informations-
pflicht nachkommen müssen?

a) Welche Gesamtkosten wären damit verbunden?

b) Welche Branchen und Berufsgruppen wären davon schwerpunktmäßig
betroffen?

24. Wie oft wurde in den vergangenen zehn Jahren nach Kenntnis der Bundes-
regierung gegen bestehende Regelungen des Beschäftigtendatenschutzes
verstoßen, und welches waren die häufigsten Delikte?

25. Gibt es bereits Änderungsanträge oder -formulierungen der Bundesregie-
rung für den bestehenden Gesetzentwurf, und wenn ja, welche sind dies?

26. Ist der Bundesregierung das Gutachten von Prof. Dr. Marita Körner „Gut-
achten zum Regierungsentwurf zur Regelung des Beschäftigtendatenschut-
zes“ (im Auftrag des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht, Frankfurt
am Main vom 8. November 2010) bekannt, und wenn ja, wie steht sie zu dem
in den Punkten 1 bis 5 angeregten Änderungs- bzw. Regelungsbedarf (S. 15
bis 16)?

27. Welchen Einfluss könnte das derzeit in Entwurfsfassung vorliegende neue
EU-Datenschutzrecht auf den deutschen Beschäftigtendatenschutz haben?

Berlin, den 22. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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