BT-Drucksache 17/10522

Aufnahme und Unterstützung syrischer Flüchtlinge

Vom 12. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10522
17. Wahlperiode 12. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat, Wolfgang
Neskovic, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Aufnahme und Unterstützung syrischer Flüchtlinge

Nachdem zunächst nur relativ wenige Syrerinnen und Syrer, meist aus grenz-
nahen Siedlungen, vor den Kämpfen in Syrien insbesondere in die Türkei und in
den Libanon geflohen waren, hat deren Zahl angesichts der militärischen Eskala-
tion deutlich zugenommen. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars
der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 17. August 2012 waren 1,5 Millionen
Menschen im Land auf der Flucht, 170 000 sind in den umliegenden Staaten
vom UNHCR als Flüchtlinge registriert worden. Hinzu kommen zigtausende
nicht registrierte Flüchtlinge. Über 26 000 irakische Flüchtlinge sind aus Syrien
in ihr Herkunftsland zurückgeflohen. Die Zahlen steigen stetig weiter an. Der
griechische Minister für Öffentliche Sicherheit Nikos Dendias hat angekündigt,
wegen eines vermeintlich drohenden Flüchtlingsstromes über die Türkei nach
Griechenland die bislang eingesetzten 600 Grenzschützer mit 1 800 Beamten zu
verstärken und mehr Patrouillenboote auf dem Grenzfluss Evros einzusetzen.
Der drei Meter hohe und mit Stacheldraht versehene Grenzzaun an der 10,2 km
langen Landesgrenze zur Türkei soll im Oktober fertiggestellt sein (www.
athensnews.gr/portal/9/57344). Nach Angaben des Nachrichtenportals South-
Eastern Times (www.setimes.com) gibt es jedoch keine Anzeichen, dass mas-
senhaft Syrerinnen und Syrer versuchen, über die Türkei nach Griechenland und
weiter in andere EU-Staaten zu gelangen („Greece to ,seal‘ border against
Syrian refugees“, 2. August 2012). Nach Angaben des Statistischen Amts der
Europäischen Union (Eurostat) kamen im ersten Quartal 2012 ca. 2 600 syrische
Schutzsuchende in die EU, davon 1 025 nach Deutschland. Im zweiten Quartal
stieg diese Zahl in Deutschland auf 3 460, von denen 97,1 Prozent einen Schutz-
status erhielten (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/10454). Angesichts dieses
offensichtlichen Schutzbedürfnisses syrischer Flüchtlinge ist es mindestens ver-
wunderlich, dass die Ankündigung des griechischen Ministers Nikos Dendias,
diese Schutzbedürftigen mit militärischen Mitteln und einem Grenzzaun an der
Einreise in die EU hindern zu wollen, nicht auf entschiedenen Widerspruch der
EU-Kommission bzw. seiner Amtskollegen traf.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zahl syrischer
Binnenflüchtlinge und zur Zahl syrischer Flüchtlinge in den angrenzenden
Staaten?

Drucksache 17/10522 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. In welcher Form leistet die Bundesregierung, wie von einem Sprecher des
Auswärtigen Amts und dem Beauftragten für Menschenrechtspolitik und
Humanitäre Hilfe der Bundesregierung Markus Löning angekündigt
(KNA, 8. Juni 2012), für die Flüchtlinge Hilfe vor Ort in ihren Zufluchts-
staaten?

3. Welche Maßnahmen wurden darüber hinaus geplant, eingeleitet oder ge-
prüft, um den Flüchtlingen vor Ort zu helfen?

4. Hat die Bundesregierung die Möglichkeit der Aufnahme von einzelnen
Flüchtlingen aufgrund ihres besonders schweren Verfolgungsschicksals
oder ihrer Traumatisierungen im Rahmen des deutschen Resettlementkon-
tingents oder im Rahmen der Einzelfallprüfung geprüft, und mit welchem
Ergebnis, und unter welchen Bedingungen und in welcher Größenordnung
hält sie eine solche Aufnahme künftig für möglich?

5. Hält die Bundesregierung insbesondere eine Aufnahme derjenigen Perso-
nen aus Syrien für möglich, die in den vergangenen Jahren trotz bestehen-
der Bedenken dorthin abgeschoben wurden und deren erneutes Verfol-
gungsschicksal also vermeidbar gewesen wäre?

6. Welche Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, um den nach sei-
ner Abschiebung nach Syrien misshandelten und mittlerweile in Bulgarien
gestrandeten Anuar Naso und seinen Vater Badir Naso, die kurz vor der
Aussetzung von Abschiebungen nach Syrien im Mai 2011 noch abgescho-
ben worden waren, auch im Hinblick auf das ihnen wiederfahrene Unrecht
nach Deutschland zurückzuholen (Süddeutsche Zeitung vom 26. Juli 2012,
„Endstation Sofia, Zimmer 708“)?

7. Was ist der Bundesregierung über Hilfsmaßnahmen seitens anderer EU-
Staaten und der EU-Kommission für die syrischen Flüchtlinge in den
Nachbarstaaten bekannt?

8. Inwieweit koordiniert sich die Bundesregierung bei ihren angekündigten
oder geplanten Hilfsmaßnahmen mit anderen EU-Staaten oder der EU-
Kommission?

9. Welche eigenen Erkenntnisse (z. B. aus der Tätigkeit von Verbindungsbe-
amten und Beamten im Einsatz bei der Europäischen Agentur für die opera-
tive Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der EU –
FRONTEX) hat die Bundesregierung zu einem verstärkten Aufkommen
syrischer Schutzsuchender an der türkisch-griechischen Grenze?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Behandlung aufgegriffe-
ner syrischer Staatsangehöriger durch die griechischen und zypriotischen
Grenz- und Asylbehörden, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bun-
desregierung hieraus?

11. Hat der Bundesminister des Innern Dr. Hans-Peter Friedrich die Äußerun-
gen des griechischen Ministers für Öffentliche Sicherheit zur Grenzsiche-
rung zur Kenntnis genommen, welche Schlussfolgerungen zieht er hieraus,
und gab es hierzu einen fachlichen oder politischen Austausch zwischen den
Ministern, und wenn ja, welchen Inhalts?

12. Inwieweit hält es die Bundesregierung angesichts der europäischen
höchstrichterlichen Rechtsprechung einerseits und der hohen Anerken-
nungsquote syrischer Flüchtlinge andererseits für gerechtfertigt, solche
Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen abzuweisen, bzw. inwieweit
setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass Schutzsuchende aus Syrien
ungehinderten Zugang zu einer Asylprüfung in der EU erhalten (bitte aus-
führen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10522

13. War die Situation in Syrien bzw. seinen Nachbarstaaten bislang Inhalt von
„Risiko-Analysen“ der Grenzschutzagentur FRONTEX, welchen Inhalt
hatten diese „Risiko-Analysen“ jeweils, und in welchen Arbeitszusammen-
hängen hat die Bundesregierung sie bislang zur Kenntnis genommen bzw.
diskutiert?

14. Wurden auf europäischer Ebene durch andere Agenturen, Gremien etc.
Einschätzungen zur Entwicklung der Zahl syrischer Schutzsuchender in
der EU unternommen, und mit welchem Inhalt?

15. In welchen Gremien (Ratsarbeitsgruppen etc.) der EU wurden bislang Ab-
sprachen getroffen, die der Vorbereitung auf eine verstärkte Einreise syri-
scher Schutzsuchender in die EU bzw. einzelne Staaten (Griechenland, Zy-
pern) dienen, auch wenn bislang von einer solchen Einreise nicht ausge-
gangen wird, und wenn ja, mit welchem Inhalt?

16. Unter welchen Bedingungen wird sich die Bundesregierung für die An-
wendung der Richtlinie der EU 2001/55/EG zum vorübergehenden Schutz
im Falle eines „Massenzustroms“ Schutzbedürftiger einsetzen?

17. Unter welchen Voraussetzungen hält es die Bundesregierung für statthaft,
im politischen und publizistischen Raum von einem „Massenzustrom“ von
Flüchtlingen aus Syrien zu reden, solange die besagte Richtlinie nicht zur
Anwendung kommt (bitte ausführen)?

Berlin, den 22. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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