BT-Drucksache 17/1049

Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt über ein Individualbeschwerdeverfahren ratifizieren

Vom 16. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1049
17. Wahlperiode 16. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Christoph Strässer, Angelika Graf (Rosenheim), Iris
Gleicke, Wolfgang Gunkel, Ute Kumpf, Ullrich Meßmer, Thomas Oppermann,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt über ein Individualbeschwerdeverfahren
ratifizieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 10. Dezember 2008
das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt über ein Individualbeschwerdeverfah-
ren angenommen (A/RES/63/117). Das Zusatzprotokoll ermöglicht, dass Ein-
zelpersonen oder Gruppen – auch im Namen anderer – Beschwerden einlegen
können, wenn sie die im UN-Sozialpakt festgeschriebenen wirtschaftlichen, so-
zialen und kulturellen Rechte (WSK-Rechte) verletzt sehen und den nationalen
Rechtsweg ausgeschöpft haben. Durch diesen Beschwerdemechanismus werden
die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in ihrer Bedeutung gestärkt
und den bürgerlichen und politischen Rechten gleichgesetzt. Der Deutsche Bun-
destag würdigt die aktive und konstruktive Rolle, die die Bundesregierung bei
der Erarbeitung des Zusatzprotokolls gespielt hat.

Das Zusatzprotokoll tritt in Kraft, wenn es von zehn Staaten ratifiziert ist. Am
24. September wurde in einer feierlichen Zeremonie in New York das Protokoll
zur Unterzeichnung ausgelegt. Seitdem haben es 31 Staaten gezeichnet, darunter
zehn europäische Staaten. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die Bundes-
republik Deutschland nicht zu ihnen zählt. Die Bundesregierung prüft das wei-
tere Vorgehen noch.

Bislang einziges Instrument zur Überwachung der Umsetzung des UN-Sozial-
pakts ist die Prüfung von Staatenberichten durch den WSK-Ausschuss der Ver-
einten Nationen. Ein Beschwerdeverfahren für Betroffene könnte dem Monito-
ring eine neue Qualität geben und staatliche Verpflichtungen konkretisieren. Die
Bundesregierung vertritt im 5. Staatenbericht zum UN-Sozialpakt, der sich auf
den Berichtszeitraum 1998 bis 2005/2006 bezieht, die Auffassung, „dass die
Verfügbarkeit von Individualbeschwerdemöglichkeiten grundsätzlich dazu ge-
eignet ist, die Rechtsstellung und das Rechtsbewusstsein der Betroffenen zu
stärken und die Bereitschaft der Vertragsstaaten zur Implementierung ihrer Ver-

pflichtungen zu fördern und dass für das effiziente Funktionieren eines Be-
schwerdemechanismus im Bereich der WSK-Rechte die Klärung des genauen
Regelungs- und Verpflichtungsgehalts dieser Rechte sowie der Beschwerdebe-
fugnis äußerst wichtig ist“. Dies schien offenbar gelungen zu sein, da in dem im
Juli 2008 erschienenen „8. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschen-
rechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und anderen Politikbereichen“
das Verhandlungsergebnis positiv bewertet wird: „Deutschland […] hat sich für

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ein menschenrechtsfreundliches, juristisch sauber gestaltetes und praktisch
handhabbares Individualbeschwerdeverfahren eingesetzt. Deutschland hat des-
halb den umfassenden Ansatz befürwortet und sich allen Versuchen widersetzt,
menschenrechtsfremde Zulässigkeits- und Begründetheitskriterien zu schaffen.“
Äußerst hilfreich bei den Verhandlungen war der fachkundige Rat des deutschen
Vertreters im WSK-Ausschuss Prof. Dr. Eibe Riedel.

Deutschland hat bereits Individualbeschwerdemechanismen zum UN-Zivilpakt,
zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung,
zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau, zur UN-Anti-Folter-Konvention und zur UN-Behinderten-Konvention an-
erkannt. Gegen Deutschland wurden insgesamt 22 Beschwerden eingereicht,
von denen 17 als unzulässig abgewiesen wurden. In zwei Fällen wurde keine
Rechtsverletzung festgestellt, ein Verfahren wurde abgebrochen. In einem Fall
hat eine Verletzung der Rechte des UN-Zivilpakts stattgefunden, ein weiterer
Fall läuft noch. Mit einer Flut von Beschwerden ist daher auch durch den neuen
Beschwerdemechanismus nicht zu rechnen. Den Abschluss eines Verfahrens
bilden sog. Auffassungen (Views) des Fachausschusses; einen verbindlichen Ur-
teilsspruch gibt es nicht. Die Auffassungen enthalten jedoch Empfehlungen an
den Verletzerstaat, wie er die Rechtsverletzung wiedergutmachen kann.

Gegner des Zusatzprotokolls führen aus, dass die Rechte des UN-Sozialpakts
unbestimmt formuliert, schwer justiziabel und möglicherweise mit dem deut-
schen Arbeits- und Sozialrecht nicht vereinbar seien. Als Argumente für diese
skeptische Haltung dienen u. a. das Streikverbot für Beamte oder die Einführung
von Studiengebühren in einigen Bundesländern. Diese Punkte waren auch vom
zuständigen Vertragsausschuss in seinen Schlussfolgerungen (Concluding
Oberservations) zum 4. Staatenbericht kritisch angemerkt worden. Der 5. Staa-
tenbericht liegt vor und soll im November 2010 behandelt werden. Es ist zu
vermuten, dass sich der Ausschuss zu einigen innenpolitischen Punkten erneut
kritisch äußern wird.

Seit der Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte 1993 gelten die wirtschaft-
lichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte sowie die bürgerlichen und
politischen Menschenrechte als unteilbar miteinander verknüpft. Menschen-
rechtsorganisationen wie FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netz-
werk) setzen sich seit langem für die Gleichrangigkeit der Menschenrechte und
– als Konsequenz – für ein Zusatzprotokoll über ein Individualbeschwerderecht
auch zum UN-Sozialpakt ein. Deutschland hat in den letzten Jahren insbeson-
dere auf internationaler Ebene aktiv die WSK-Rechte gefördert, so z. B. das
Recht auf angemessene Unterbringung, das Recht auf Nahrung oder das Recht
auf Wasser. Mit seiner konstruktiven Rolle in der internationalen Menschen-
rechtspolitik hat Deutschland für viele Staaten eine Vorbildfunktion. Die Rati-
fizierung des Zusatzprotokolls wäre daher ein wichtiges politisches Signal an
andere Staaten.

Die Ratifizierung des Protokolls bedeutet keine neuen Verpflichtungen über jene
hinaus, zu denen sich Deutschland als Vertragsstaat des Sozialpakts sowieso ver-
pflichtet hat. Im Laufe der Jahre wurden 21 sog. Allgemeine Bemerkungen (Ge-
neral Comments) zu einzelnen Artikeln oder Teilbestimmungen des UN-Sozial-
pakts erarbeitet, mit denen der WSK-Ausschuss den Vertragsstaaten Interpreta-
tionshilfen zur Erfüllung ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen gibt.
Dieser Auslegungsprozess wird voranschreiten und Rechtssicherheit schaffen.
Damit verringert sich zugleich das Risiko von Beschwerden.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Zusatzprotokoll über ein Individualbeschwerdeverfahren zum UN-Sozial-
pakt rasch zu zeichnen und zu ratifizieren;

2. zur Klärung juristischer Bedenken den deutschen Vertreter im WSK-Aus-
schuss Prof. Dr. Eibe Riedel zu Rate zu ziehen;

3. im Fall einer länger andauernden Prüfung, ob eine Zeichnung möglich sei,
dem Bundestag einen Bericht über die juristischen Bedenken zu liefern, die
einer Zeichnung entgegenstehen;

4. sich national wie international weiterhin für die Achtung, den Schutz und die
Gewährleistung der WSK-Rechte einzusetzen.

Berlin, den 15. März 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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