BT-Drucksache 17/10470

Menschenrechtliche Relevanz von Sicherheitsabkommen mit anderen Staaten

Vom 8. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10470
17. Wahlperiode 08. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Heidrun Dittrich, Annette Groth, Andrej Hunko, Stefan Liebich, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechtliche Relevanz von Sicherheitsabkommen mit anderen Staaten

Die Bundesregierung verhandelt derzeit mit Albanien, Bosnien-Herzegowina,
Georgien, Indonesien, Kasachstan, Marokko, Mexiko, Montenegro, Oman,
Russland, Serbien, Tadschikistan und Tunesien Abkommen zur Zusammenarbeit
im Sicherheitsbereich (Antwort vom 21. Juni 2012 auf die Schriftliche Frage 5
der Abgeordneten Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 17/10194). Die Ab-
kommen sollen ähnliche Inhalte haben wie jene, die in der Vergangenheit mit
anderen Staaten geschlossen worden sind.

In einigen der Staaten, mit denen solche Abkommen vereinbart wurden oder in
Planung sind, werden die Menschenrechte verletzt, es wird zum Teil gefoltert,
die demokratische Opposition unterdrückt und/oder die Todesstrafe praktiziert.
Die Weitergabe personenbezogener Daten ist in solchen Fällen extrem heikel.
Die bisher abgeschlossenen Abkommen lassen nach Auffassung der Fragesteller
aber nicht erkennen, dass die Bundesregierung die nötige Umsicht zeigt.

Die Abkommen weisen zum Teil erhebliche Unterschiede hinsichtlich der be-
nannten Zwecke, der Verbindlichkeit der Zweckbindung und den Regelungen
zur Übermittlung personenbezogener Daten sowie dem Datenschutz auf.

Als Zweck der Zusammenarbeit wird regelmäßig „insbesondere“ die Bekämp-
fung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität genannt. Der Begriff
„Terrorismus“ ist allerdings nicht definiert und wird gerade von diktatorischen
Regimen – zu Recht oder zu Unrecht – häufig auf oppositionelle Bewegungen
angewandt.

Die Voranstellung des Begriffs „insbesondere“ hebt die Zweckbindung tenden-
ziell auf, so dass eine Informationsübermittlung zumindest anlassweise auch in
Fällen gewöhnlicher Kriminalität möglich ist. Mitunter wird die Zweckbindung
ausdrücklich aufgehoben und etwa die Weitergabe personenbezogener Daten
über den vereinbarten Zweck hinaus „zum Zwecke der Abwehr von erheblichen
Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ erlaubt (nur als Beispiel seien hier die
Abkommen mit Saudi-Arabien und Katar genannt). Der Begriff „öffentliche
Sicherheit“ ist jedoch nicht definiert und wird von autokratischen Systemen er-

heblicher rigider aufgefasst als von rechtsstaatlichen.

In manchen Abkommen ist festgehalten, dass die Übermittlung und der Emp-
fang personenbezogener Daten aktenkundig zu machen sind und die betroffenen
Personen einen Auskunftsanspruch haben. Wie immer man die Effizienz dieses
Anspruchs in Ländern wie beispielsweise Katar einschätzen mag: Solche Be-
stimmungen fehlen in anderen Abkommen gleich völlig.

Drucksache 17/10470 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Manche Abkommen schließen die Nutzung der übermittelten Informationen als
Beweismittel in Strafverfahren aus, manche nicht. Aber auch in den Fällen, in
denen ein solcher Ausschluss vereinbart wurde, muss gerade angesichts der Tat-
sache, dass zahlreiche der Kooperationsstaaten die Menschenrechte verletzen,
schon die Nutzung von Informationen als Hinweis an Strafverfolgungsbehörden
problematisch sein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen Staaten hat die Bundesregierung Abkommen über die Sicher-
heitszusammenarbeit geschlossen?

2. Welche dieser Staaten und welche jener 13 Staaten, mit denen derzeit verhan-
delt wird,
a) verletzen nach Auffassung der Bundesregierung systematisch und wieder-

holt die Menschenrechte,
b) praktizieren Folter,
c) unterdrücken demokratische Oppositionskräfte,
d) wenden die Todesstrafe an
(bitte angeben, auf welche Quellen sich die Bundesregierung bei ihrer Dar-
stellung stützt)?

3. Wie ist der Stand der Verhandlungen mit den genannten 13 Staaten (bitte ein-
zeln aufgliedern, noch strittige Punkte benennen und angeben, bis wann mit
einem Verhandlungsergebnis gerechnet wird)?

4. In welchen Abkommen (gemeint ist hier und in den folgenden Fragen immer:
Abkommen mit welchen Staaten; es wird jeweils um vollzählige Auflistung
gebeten) ist bei der Übermittlung personenbezogener Daten ein Auskunfts-
anspruch für die Betroffenen vorgesehen?
a) Warum ist dieser Anspruch nicht in allen Abkommen vorgesehen, und

welche Seite hat eine Vereinbarung hierzu abgelehnt?
b) Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, die Einhaltung der Be-

stimmung durch den Vertragspartnerstaat zu überprüfen?
c) Wie schätzt die Bundesregierung das Datenschutzniveau und die Mög-

lichkeit von Betroffenen, eine Auskunft einzuholen, in den jeweiligen
Staaten ein?

d) Wie häufig haben die Vertragspartner und wie häufig hat die Bundesregie-
rung eine Auskunft unter Berufung auf ein höher zu bewertendes Interesse
des Staates verweigert, und welche Staaten waren das?

e) Wie und durch wen werden die Betroffenen in der Regel von ihren Aus-
kunftsrechten informiert, und für wie effizient hält die Bundesregierung
diese Information in den jeweiligen Vertragsländern?

Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den ge-
planten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nachverhand-
lungen an?

5. Welche der Abkommen lassen die Verwendung der Daten über den bezeich-
neten Zweck hinaus zur Verhütung und Verfolgung von schwerwiegenden
Straftaten sowie zum Zwecke der Abwehr von erheblichen Gefahren für die
öffentliche Sicherheit zu?
a) In welchen Abkommen ist der Begriff „öffentliche Sicherheit“ definiert,

und wie lautet diese Definition?
b) Sofern es keine Definition gibt, inwiefern ist der Begriff gegebenenfalls an

anderer Stelle verbindlich definiert, und von wem?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10470

Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den ge-
planten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nachverhand-
lungen an?

6. Inwiefern ist gewährleistet, dass mit „Straftaten von erheblicher Bedeutung“,
die als Regelzweck zahlreicher Abkommen genannt werden, von sämtlichen
Vertragsparteien die gleichen Deliktsbereiche gemeint sind, bzw. welche Un-
terschiede gibt es?
a) Wie lauten gegebenenfalls die unterschiedlichen Regelungen/Definitio-

nen, und wo sind diese festgehalten (bitte gegebenenfalls für sämtliche
Vertragsstaaten angeben)?

b) Wie verhält sich die zuständige deutsche Behörde, wenn sie ein Informa-
tionsersuchen einer ausländischen Stelle erhält, bei der es erkennbar um
eine Straftat geht, die nach deutschem Verständnis nicht „erheblich“ ist?
Hat es bereits Informationsübermittlungen in solchen Fällen gegeben, und
wenn ja, wem gegenüber, wann, und welche Fälle betreffend?

7. In welchen Abkommen ist ein Austausch personenbezogener Daten aus-
drücklich vereinbart bzw. ausdrücklich ausgeschlossen?
a) Welche Abkommen enthalten eine Klausel, die die Übermittlung perso-

nenbezogener Daten ausschließt, wenn befürchtet werden muss, dass da-
durch gegen den Zweck eines innerstaatlichen Gesetzes verstoßen oder
schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden,
und warum ist eine solche Klausel nicht in jedem derartigen Abkommen
enthalten?

b) In welchen Abkommen ist die Übermittlung personenbezogener Daten
über den vereinbarten Zweck hinaus auch zur Abwendung von Gefähr-
dungen der „öffentlichen Sicherheit“ zulässig, und inwiefern ist in diesen
Fällen der Begriff definiert?

Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den
geplanten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nach-
verhandlungen an?

8. Welche Abkommen beschränken sich auf die Übermittlung von Informatio-
nen über Straftaten auf dem Hoheitsgebiet der Vertragspartner bzw. erstre-
cken sich auch auf Straftaten, die in einem Drittstaat verübt oder vorbereitet
werden, und welche erlauben auch die Zusammenarbeit zur Bekämpfung ein-
facher Kriminalität?

Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den ge-
planten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nachverhand-
lungen an?

9. In welchen Sicherheitsabkommen ist vereinbart, dass auf Ersuchen eine
Unterrichtung über die Verwendung der übermittelten Daten und die dadurch
erzielten Ergebnisse erfolgt?
a) Wie häufig hat die Bundesregierung hiervon Gebrauch gemacht, und ge-

genüber welchen Staaten (Antworten bitte jeweils seit Unterzeichnung der
Abkommen)?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Verwendung und die Ergebnisse der
übermittelten Daten, und welche Defizite oder Probleme sieht sie bezüg-
lich einzelner Staaten?

c) Wie häufig haben die Partnerstaaten ihrerseits ein Ersuchen gestellt, und
welche Staaten waren das?

Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den ge-
planten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nachverhand-

lungen an?

Drucksache 17/10470 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

10. In welchen Staaten, mit denen Sicherheitsabkommen bestehen oder verhan-
delt werden, gehören zu den zuständigen Stellen außer dem jeweiligen
Innenministerium noch andere Behörden wie etwa militärische?

a) In welchen dieser Staaten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung ein
verbindliches Trennungsgebot von Polizei und Militär, bzw. in welchen
Staaten ist die Polizei ganz oder teilweise in militärischen Strukturen
integriert?

b) In welchen dieser Staaten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung ein
verbindliches Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten, bzw. in
welchen Staaten erfüllen Geheimdienste auch polizeiliche Funktionen?

11. In welchen Abkommen wird eine Weitergabe der von Deutschland übermit-
telten Informationen an andere als im Abkommen genannte Stellen explizit
ausgeschlossen?

a) Wie bewertet die Bundesregierung das Risiko, dass autoritäre Regime
die übermittelten Informationen dazu nutzen, demokratische Bewegun-
gen zu unterdrücken oder verdächtige Personen menschenrechtswidri-
gen Repressalien auszusetzen?

b) Welche praktischen Möglichkeiten hat die Bundesregierung, einen Miss-
brauch wie oben beschrieben auszuschließen bzw. zu registrieren?

12. In welchen Abkommen ist vereinbart, dass die Übermittlung und der Emp-
fang der Daten aktenkundig gemacht werden?

a) Aus welchen Gründen enthalten nicht alle derartigen Abkommen eine
solche Vereinbarung, und war es die deutsche oder die ausländische
Seite, die sie nicht abschließen wollte?

b) Wo und in welcher Form werden die entsprechenden Aufzeichnungen
aufbewahrt, und inwiefern sind sie einer statistischen Auswertung
zugänglich?

c) Wie häufig hat die Bundesregierung Daten übermittelt, wie häufig hat sie
Daten erhalten, und an welchen bzw. von welchem Staat (bitte seit 2001
auflisten)?

Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den
geplanten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nachver-
handlungen an?

13. In welchen dieser Abkommen ist die Verwendung der übermittelten Daten
oder Informationen als Beweismittel in Strafverfahren ausdrücklich ausge-
schlossen bzw. von der Zustimmung der übermittelnden Seite im Einzelfall
abhängig?

Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den
geplanten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nachver-
handlungen an?

14. Wie begegnet die Bundesregierung dem Problem, dass auch bei einem Aus-
schluss der Verwendung als Beweismittel in Strafverfahren die Daten den-
noch als Hinweise dienen können, die zur Festnahme einer Person und
deren Folterung führen können?

15. Hat es in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen die Bestimmung, die in
dringenden Fällen möglichen mündlichen Ersuchen spätestens innerhalb
einer bestimmten Frist schriftlich zu bestätigen, nicht eingehalten worden
ist, und wenn ja,

a) von Seiten welcher Staaten,

b) wie häufig,
c) was war Gegenstand der Ersuchen, und wurde ihnen stattgegeben,

d) welche Konsequenzen hat die Bundesregierung daraus gezogen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10470

16. Wie häufig haben die Vertragspartner von der Möglichkeit Gebrauch ge-
macht, unter bestimmten Bedingungen ein Ersuchen nicht zu erfüllen, und
welche Staaten waren das?
Wie oft hat die Bundesregierung von dieser Möglichkeit Gebrauch ge-
macht, und gegenüber welchen Staaten?

17. Welche Abkommen sehen Unterstützung bei der Ausbildung der ausländi-
schen Polizei durch die Bundesrepublik Deutschland vor, und welche eine
Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheitstrainings?
Welche Regelungen strebt die Bundesregierung in dieser Hinsicht in den
geplanten Abkommen mit weiteren 13 Staaten sowie in etwaigen Nachver-
handlungen an?

18. Welche Abkommen sehen eine Evaluierung vor, und in welchen Fällen und
wann wurde diese vorgenommen und Arbeitsgruppen hierzu eingerichtet?
Welche Resultate gab es dabei?

19. Evaluiert oder analysiert die Bundesregierung unabhängig von expliziten
Evaluationsvereinbarungen solche Abkommen, und nach welchen Kriterien
werden die zu evaluierenden Vertragsstaaten ausgewählt?
Wann hat eine solche Evaluierung mit welchem Vertragsstaat und mit wel-
chem Ergebnis zuletzt stattgefunden?

Berlin, den 8. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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