BT-Drucksache 17/10369

Austritt Deutschlands aus der Pompidou-Gruppe des Europarates

Vom 23. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10369
17. Wahlperiode 23. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Tom Koenigs, Maria Klein-Schmeink,
Elisabeth Scharfenberg, Viola von Cramon-Taubadel, Uwe Kekeritz,
Thomas Gambke, Katrin Göring-Eckhardt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Austritt Deutschlands aus der Pompidou-Gruppe des Europarates

Die Bundesrepublik Deutschland hat am 4. März 2011 mit Wirkung zum 31. De-
zember 2011 ihren Austritt aus der Pompidou-Gruppe des Europarates erklärt.
Die Pompidou-Gruppe wurde 1971 auch mit deutscher Beteiligung gegründet
und ist die älteste europäische Institution der internationalen Drogenpolitik. Ihr
gehören derzeit 37 Mitgliedstaaten an. Die Pompidou-Gruppe vertritt in der
Drogenpolitik einen Ansatz, der primär auf gesundheitspolitischen und men-
schenrechtlichen Grundsätzen beruht. Zentrales Anliegen der Gruppe ist es, den
Dialog zwischen Forschung, Politik und Praxis zu fördern. Die Beteiligung von
zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Nichtregierungsorganisationen (NRO) ist
integraler Bestandteil der Pompidou-Gruppe. Über den Austritt hat die Bundes-
regierung bislang nur in ihrer schriftlichen Unterrichtung über die Tätigkeiten
des Europarates im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/9891 ohne Angabe von Gründen informiert. Auf Nachfrage
begründete die Bundesregierung ihren Schritt damit, dass wichtige Funktionen
der Pompidou-Gruppe durch die EU, andere europäische Institutionen sowie die
Vereinten Nationen übernommen wurden. In den Drogen- und Suchtberichten
2011 und 2012 wurde der Schritt weder offengelegt noch begründet. Auch die
deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
wurde über diesen Schritt nicht weitergehend informiert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet, über den Austritt aus der
Pompidou-Gruppe in den Drogen- und Suchtberichten 2011 und 2012 zu in-
formieren?

2. Warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet, die deutsche Delegation in
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über den Austritt aus
der Pompidou-Gruppe zu informieren?

3. Wann und im Rahmen welches Entscheidungsprozesses hat die Bundes-
regierung entschieden, die Mitgliedschaft in der Pompidou-Gruppe zu be-
enden?

4. a) Wann und in welcher Weise wurde das Auswärtige Amt in die Beratung
über die Beendigung der Mitgliedschaft einbezogen?

b) Welche Auffassung hat das Auswärtige Amt hierbei vertreten?

Drucksache 17/10369 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Wann wurde die Drogenbeauftragte der Bundesregierung über diesen
Schritt informiert?

6. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass über den beabsichtigten Aus-
tritt aus internationalen Organisationen wie der Pompidou-Gruppe der
Deutsche Bundestag nicht zu unterrichten ist?

Wenn ja, warum?

7. Wie hoch war der bisherige Mitgliedsbeitrag Deutschlands in der Pompi-
dou-Gruppe?

8. In welchen weiteren Teilabkommen des Europarates hat die Bundesrepu-
blik Deutschland seit 2009 die Mitgliedschaft beendet, und wie hat sie den
Deutschen Bundestag darüber jeweils unterrichtet?

9. Wurden die im November 2008 von der damaligen Drogenbeauftragten der
Bundesregierung Sabine Bätzing angeregten Weiterentwicklungsmöglich-
keiten (vgl. Drogen- und Suchtbericht 2009, S. 139) durch die Pompidou-
Gruppe im „Work Program 2011–2014“ umgesetzt?

Wenn ja, warum hat die Bundesregierung dennoch den Austritt Deutsch-
lands aus der Pompidou-Gruppe erklärt?

10. a) Hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
GmbH Projekte im Rahmen der Pompidou-Gruppe direkt oder indirekt
unterstützt (z. B. durch Entsendung von Experten)?

Wenn ja, welche waren dies?

b) Haben andere Institutionen, wie beispielsweise deutsche Botschaften,
Projekte der Pompidou-Gruppe finanziell, logistisch oder personell
(z. B. durch Experten) unterstützt?

Wenn ja, welche waren dies?

c) Welche Konsequenzen hat der Austritt aus der Pompidou-Gruppe für
die künftige Unterstützung von Projekten der Pompidou-Gruppe durch
die GIZ GmbH und andere deutsche Regierungsorganisationen oder
-stellen oder zivilgesellschaftliche Organisationen?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass zahlreiche Länder Süd- und Osteu-
ropas sowie des Mittelmeerraums kürzlich der Pompidou-Gruppe beigetre-
ten (Mazedonien, Montenegro, Serbien, Republik Moldau und Marokko)
sind, das Beitrittsverfahren initiiert (Albanien, die Ukraine und Israel) bzw.
ihr Beitrittsinteresse bekundet haben (Georgien, Algerien und Tunesien)?

Wie bewertet die Bundesregierung dies?

12. Welchen Stellenwert hat nach Auffassung der Bundesregierung die Förde-
rung einer humanen Drogenpolitik in den ost- und südosteuropäischen
Nicht-EU-Staaten sowie im Mittelmeerraum?

13. Inwieweit ist die Förderung einer humanen Drogenpolitik in den ost- und
südosteuropäischen Nicht-EU-Staaten und im Mittelmeerraum Gegenstand
der Horizontalen Gruppe Drogen der Europäischen Union?

Welche konkreten Projekte der Horizontalen Gruppe widmen sich dieser
Zusammenarbeit?

Inwieweit bedient sich die Europäische Union hierbei auch der Pompidou-
Gruppe?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10369

14. Inwieweit ist die Förderung einer humanen Drogenpolitik in ost- und süd-
osteuropäischen Staaten und im Mittelmeerraum Gegenstand des United
Nations Office on Drugs and Crime (UNODC)?

Welche konkreten Projekte existieren hierzu in der UNODC?

Inwieweit bedient sich das UNODC hierbei auch der Pompidou-Gruppe?

15. Teilt die Bundesregierung den menschenrechtlichen und gesundheitspoli-
tisch ausgerichteten Ansatz der Pompidou-Gruppe?

Wenn nein, warum nicht?

16. Sieht die Bundesregierung den menschenrechtlich und gesundheitspoli-
tisch ausgewogenen Ansatz der Pompidou-Gruppe (insbesondere Harm
Reduction) auch im UNODC und im International Narcotics Control Board
(INCB) gleichermaßen verwirklicht?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum rechtfertigt die Bundesregierung mit der Mitgliedschaft
in diesen Organisationen den Austritt aus der Pompidou-Gruppe?

17. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der deutsche Austritt aus
der Pompidou-Gruppe zu einer Schwächung des drogenpolitischen Enga-
gements anderer Länder in Europa führen kann?

Wenn nein, warum nicht?

18. Trifft es zu, dass sich die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und
Drogensucht, die von der Bundesregierung als eine Rechtfertigung für den
deutschen Austritt aus der Pompidou-Gruppe genannt wurde, anders als die
Pompidou-Gruppe nicht mit Projekten zur Drogenpolitik, sondern haupt-
sächlich mit der Datensammlung und statistischen Erfassung des Drogen-
konsums und von Drogenproblemen beschäftigt?

Wenn ja, warum rechtfertigt die Bundesregierung mit der Mitgliedschaft in
dieser Organisation den Austritt aus der Pompidou-Gruppe?

19. a) Inwieweit teilt die Bundesregierung den Ansatz der Pompidou-Gruppe,
Netzwerke zwischen Forschung, Praxis und Politik insbesondere zum
Wissenstransfer in der Drogenpolitik zu schaffen?

In welcher der von der Bundesregierung zur Rechtfertigung des Aus-
tritts aus der Pompidou-Gruppe genannten Organisationen (Horizontale
Gruppe der EU und UNODC) wird dieser Ansatz ebenfalls verfolgt?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch den Austritt aus
der Pompidou-Gruppe die Vernetzung und der fachliche Austausch
deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Drogenbereich
mit Experten und Behörden anderer Staaten erschwert wird?

Wenn nein, warum nicht?

20. Wird die Bundesregierung im Rahmen ihres Monitorings die Arbeit der
Pompidou-Gruppe künftig weiterverfolgen und gegebenenfalls Arbeits-
ergebnisse und Anregungen aufgreifen?

21. Unter welchen Bedingungen käme für die Bundesregierung eine erneute
Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Pompidou-Gruppe
infrage?

Berlin, den 23. Juli 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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