BT-Drucksache 17/10283

Unterstützung in Deutschland anerkannter Asylberechtigter in Auslieferungsverfahren im Ausland

Vom 9. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10283
17. Wahlperiode 09. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge
Höger, Harald Koch, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak und der
Fraktion DIE LINKE.

Unterstützung in Deutschland anerkannter Asylberechtigter in
Auslieferungsverfahren im Ausland

Bereits in früheren Anfragen hatte die Fraktion DIE LINKE. Fragen nach der
Praxis der Türkei gestellt, über Interpol Haftbefehle gegen türkische Staatsange-
hörige auszuschreiben, die im Rahmen politisch motivierter Prozesse in Abwe-
senheit verurteilt worden sind (Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen
Anfragen der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksachen 17/1470 und
17/1978). Immer wieder geraten dabei selbst anerkannte Asylberechtigte und
Flüchtlinge in Deutschland in ein Auslieferungsverfahren und in Auslieferungs-
haft, auch wenn im Endeffekt eine Auslieferung zumeist abgelehnt wird. In Ein-
zelfällen können auch anerkannte Asylberechtigte betroffen sein, die die deut-
sche Staatsangehörigkeit erworben haben.

Wenn anerkannte türkische Flüchtlinge Auslandsreisen unternehmen, müssen
sie hingegen verstärkt mit einer Auslieferung in die Türkei rechnen. In der Ver-
gangenheit häuften sich die Meldungen über Personen mit dauerhaftem Aufent-
haltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland oder auch deutsche Staatsange-
hörige, die in anderen Staaten aufgrund von Interpolhaftbefehlen der Türkei in
Auslieferungshaft geraten sind. So wurde N. S. am 4. Mai 2012 in Moldawien
festgenommen. Er lebte seit 1996 als Asylberechtigter in Deutschland. Am
30. Mai 2012 wurde B. S. D. in Kroatien ebenfalls aufgrund eines Haftbefehls
festgenommen. Sie ist seit 2006 mit einem Deutschen verheiratet. Sie wurde in
der Türkei in Abwesenheit wegen Unterstützung einer illegalen Organisation
verurteilt, nachdem sie bei einer friedlichen Demonstration gegen die Verab-
schiedung neuer Antiterrorgesetze festgenommen worden war. Sie saß drei Mo-
nate in Untersuchungshaft und wurde Opfer von Misshandlungen durch türki-
sche Justizbeamte.

Auch umgekehrt gibt es Fälle, in denen in anderen Staaten anerkannte Flücht-
linge aus der Türkei in Deutschland aufgrund eines Haftbefehls der türkischen
Behörden festgenommen worden sind. Am 27. Mai 2006 wurde D. G. in Lörrach
in Abschiebehaft genommen; er war 2004 in der Schweiz als asylberechtigt an-
erkannt worden. Er wurde schließlich nach achteinhalb Monaten aus der Haft
entlassen und konnte in die Schweiz zurückkehren.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Fälle aus den vergangenen Jahren seit 2006 sind der Bundesregierung
bekannt, in denen Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder mit
einem Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines
türkischen Interpolhaftbefehls in einem anderen Staat in einem Ausliefe-

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rungsverfahren waren (bitte soweit wie möglich nach Jahren, Aufenthalts-
status, Drittstaat und Ergebnis des Verfahrens auflisten)?

2. Welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen aufgrund eines tür-
kischen Interpolhaftbefehls in einem anderen Staat anerkannte Flüchtlinge in
Deutschland (vorläufig) festgenommen wurden (bitte soweit wie möglich
auflisten nach Jahren seit 2006, Drittstaat, Ausgang der Verfahren)?

3. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zur Zahl und zum Ausgang
der Auslieferungsverfahren gegen (ehemalige) türkische Staatsangehörige in
der Bundesrepublik Deutschland vor, die sich auf Straftatbestände analog den
§§ 129, 129a und 129b des Strafgesetzbuchs in den Jahren 2010 und 2011 be-
ziehen?

4. Welche Erkenntnisse und Erfahrungen aus anderen EU-Staaten sind der Bun-
desregierung bekannt, die das Problem der Interpolhaftbefehle gegen Perso-
nen betreffen, die in einem EU-Staat internationalen Schutz genießen?

Gibt es dabei weitere Staaten neben der Türkei, die in vergleichbarer Weise
vom Interpolfahndungssystem Gebrauch machen, um der aus politischen
Gründen strafrechtlich verfolgten eigenen (ehemaligen) Staatsangehörigen
habhaft zu werden?

5. Inwiefern sieht die Bundesregierung eine Gefahr darin, dass diejenigen Staa-
ten, die Haftbefehle über Interpol international ausschreiben, über die Voll-
zugsmeldung über einen solchen Haftbefehl in einem anderen Staat Details
zum Aufenthalt ihrer (ehemaligen) Staatsangehörigen, die Opfer von Verfol-
gung waren oder einen Schutzstatus wegen drohender Verfolgung erhalten
haben, erhalten?

6. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, regelmäßig Daten der Inter-
polfahndungsdateien mit den Daten von Personen abzugleichen, die in
Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU internationalen
Schutz genießen, um unbillige Härten für diese Personen durch Inhaftierung
und eine eventuelle retraumatisierende Konfrontation mit den Repressions-
behörden ihres Verfolgerstaates im Auslieferungsverfahren zu vermeiden?

7. Inwieweit war der hier dargestellte Problemkomplex bereits Gegenstand von
Gesprächen und Beratungen in zuständigen Gremien auf EU-Ebene oder in
bilateralen Gesprächen?

8. Inwieweit war der hier dargestellte Problemkomplex bereits Gegenstand von
Konsultationen und Gesprächen zwischen Deutschland und der Türkei, und
welche Position haben die Vertreter der Bundesregierung bzw. ihre Gegen-
über bei diesen Konsultationen vertreten?

9. Inwieweit gibt es auf EU-Ebene Fortbildungsprogramme für türkische Juris-
ten bzw. Behördenvertreter zur Einweisung in europäische Rechtsstandards
bei Auslieferungsersuchen (bitte Zeitpunkt der Programme, Dauer, beteiligte
Behörden und wesentliche Inhalte benennen)?

Berlin, den 9. Juli 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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