BT-Drucksache 17/10238

Gefahrenpotential durch das französische Atomkraftwerk Cattenom und Ergebnisse des Stresstests

Vom 2. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10238
17. Wahlperiode 02. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Dorothee Menzner, Dr. Barbara Höll,
Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Sabine Stüber und der Fraktion DIE LINKE.

Gefahrenpotential durch das französische Atomkraftwerk Cattenom und
Ergebnisse des Stresstests

Das etwa 20 Kilometer von der deutschen Grenze entfernte französische Atom-
kraftwerk (AKW) Cattenom an der Mosel ist seit dem Jahr 1986 in Betrieb. Der
Abschlussbericht des EU-Stresstests aus dem Februar 2012 hat erhebliche
Mängel an dem AKW Cattenom festgestellt: Sowohl die Strom- als auch die
Kühlwasserversorgung des AKW Cattenom sind bei Erdbeben und Hochwasser
nicht ausreichend gesichert, es fehlt eine sichere Notsteuerzentrale sowie eine
ausreichende Anzahl von Notstromaggregaten. Zudem liegt bisher keine
Untersuchung vor, die darlegt, unter welchen Bedingungen eine Kernschmelze
eintreten könnte. Bei dem durchgeführten Stresstest wurden auch nicht die mög-
lichen Folgen unfallbedingter Flugzeugabstürze oder terroristischer Attacken
berücksichtigt.

Zudem meldete die französische Atomaufsichtsbehörde Autorité de sûreté
nucléaire (ASN) im Januar 2012 das Fehlen eines Rückflussverhinderers in den
Kühlleitungen der Brennelementlagerbecken der Blöcke 2 und 3 im AKW
Cattenom. Beim Bau vor 26 Jahren wurde diese Einrichtung zur Rückflussver-
hinderung der Abkühlbecken einfach vergessen. Der Kühlwasserkreislauf der
Brennelemente wurde bei der Durchführung des Stresstests nicht kontrolliert, da
die Kontrolle der veralteten und mangelhaften Konstruktion des AKW Catte-
nom nicht Bestandteil des Stresstests ist. Der Konstruktionsfehler wurde also
nur durch Zufall entdeckt.

Weiter geht aus dem Abschlussbericht des Stresstests hervor, dass der französi-
sche Stromkonzern Électricité de France (EDF) als Betreiber des AKW Catte-
nom die Behebung der festgestellten Mängel erst im Jahr 2020 in Erwägung
zieht.

Das AKW Cattenom birgt also auch zukünftig ein enormes Risikopotential für
die Grenzregionen und Anrainerländer. Dennoch will die Bundesregierung hier
nicht auf die französische Regierung einwirken. Das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit verweist darauf, dass die freie Wahl
des jeweiligen nationalen Energiemixes mit oder ohne Kernkraft souveränes

Recht eines jeden Staates sei.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, über welche Informationen die
Bundesregierung in Bezug auf das AKW Cattenom verfügt, und welche Verein-
barungen zwischen französischer und deutscher Regierung in Bezug auf das
AKW Cattenom bestehen bzw. wie sich die Kooperation zwischen Frankreich
und Deutschland gestaltet.

Drucksache 17/10238 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Informationen hatte die Bundesregierung vor oder während des Baus
des AKW Cattenom beziehungsweise vor Inbetriebnahme des AKW Catte-
nom bezüglich

a) Belastungen, die deutschen Grenzregionen durch Abwinde und Abwässer
des AKW Cattenom ausgesetzt werden;

b) Gefahrenpotential, das durch das AKW Cattenom infolge von Naturkatas-
trophen (Hochwasser, Erdbeben) oder anderer Gefährdungssituationen,
wie z. B. Flugzeugabstürze und terroristische Attacken, entsteht?

Wenn Informationen vorlagen, wieso zeigte sich die Bundesregierung mit
diesen Belastungen und Gefahrenpotentialen einverstanden?

Wenn keine Informationen vorlagen, wieso unternahm die Bundesregierung
keine Anstrengungen, um solche Informationen zu erhalten?

2. Gab es Verträge oder Vereinbarungen bezüglich des Baus des AKW Catte-
nom zwischen der deutschen und französischen Regierung vor oder während
des Baus des AKW Cattenom beziehungsweise vor Inbetriebnahme des
AKW Cattenom, in denen sich die Bundesregierung mit dem Bau bzw. der
Inbetriebnahme einverstanden zeigte?

Wenn nein, warum nicht?

3. Gab es Verträge oder Vereinbarungen vor oder während des Baus des AKW
Cattenom beziehungsweise vor Inbetriebnahme des AKW Cattenom zwi-
schen der deutschen und französischen Regierung, in denen sich die Bundes-
regierung mit den Belastungen und dem Gefahrenpotential einverstanden
zeigte?

4. Wurden die Grenzregionen bzw. Anrainerländer in die Entscheidung über
den Bau des AKW Cattenom mit einbezogen?

Wenn ja, inwieweit?

Wenn nein, warum nicht?

5. Wurden die Grenzregionen bzw. Anrainerländer in die Entscheidung des Ein-
verständnisses der Bundesregierung über den Bau des AKW Cattenom mit
einbezogen?

Wenn ja, inwieweit?

Wenn nein, warum nicht?

6. Welche Information hat die Bundesregierung bezüglich der Belastung der
deutschen Grenzregionen (Gewässer und Luft) infolge der Abwässer und Ab-
winde aus dem AKW Cattenom?

7. Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse, wie hoch die Belastung in Ge-
wässern und der Luft sein darf?

Wurden Grenzwerte in einem Genehmigungsverfahren festgelegt?

Wenn ja, wie lange besitzt dieses Gültigkeit?

Wenn nein, warum nicht?

8. Wieso zeigt sich die Bundesregierung damit einverstanden, dass die deut-
schen Grenzregionen

a) durch Abwässer des AKW Cattenom in der Mosel sowie

b) durch Abwinde des AKW Cattenom aufgrund von Westwind

belastet werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10238

9. Welche Informationen hat die Bunderegierung bezüglich Zwischenfällen
und Störungen seit Inbetriebnahme des AKW Cattenom im Jahr 1986?

10. Welche Konsequenzen zieht die Bunderegierung aus den Ergebnissen bzw.
dem Abschlussbericht des EU-Stresstests des AKW Cattenom?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung das Gefahrenpotential, welches von dem
AKW Cattenom infolge von Naturkatastrophen (Hochwasser, Erdbeben)
oder anderer Gefährdungssituationen, wie z. B. Flugzeugabstürze und ter-
roristische Attacken, ausgeht?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die Ausgestaltung des EU-Stresstests?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung den EU-Stresstest in Hinblick darauf,
dass Anlagekomponenten, welche Störungen aufwiesen, nicht Bestandteil
des Stresstests sind?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung den EU-Stresstest in Hinblick darauf,
dass die Auswirkungen des Klimawandels (z. B. das rapide Abtauen der
Gletscher, die den Pegelstand der Mosel beeinflussen) oder anderer Gefähr-
dungssituationen durch z. B. Flugzeugabstürze, terroristische Attacken,
menschliches Versagen, die fehlende Fachkompetenz der Leiharbeiter,
Hackerangriffe oder Satellitenschrott etc. nicht im Stresstest berücksichtigt
werden?

15. Will die Bundesregierung hier intervenieren und sich für eine Erweiterung
des EU-Stresstests einsetzen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, sollen bei einer Erweiterung des Stresstests auch die oben ge-
nannten Kriterien, die bisher nicht berücksichtigt wurden (Überprüfung der
bestehende Anlagekomponenten, Auswirkungen des Klimawandels, Flug-
zeugabstürze, terroristische Attacken, menschliches Versagen, Hacker-
angriffe etc.) eingebunden werden?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung das Vorgehen der Betreiber EDF, welche
die notwendigen Investitionen zum Abbau der aus dem EU-Stresstest her-
vorgehenden mangelhaften Zustände erst bis zum Jahr 2020 in Erwägung
zieht?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderungen, das AKW Cattenom zu
schließen, bis die aus dem EU-Stresstest hervorgehenden mangelhaften Zu-
stände behoben sind?

18. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung vorgesehen, dass es nach der Be-
hebung der aus dem EU-Stresstest hervorgehenden mangelhaften Zustände
ein neues Genehmigungsverfahren gibt?

Wenn nein, warum nicht?

19. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung vorgesehen, dass zukünftig die
Grenzregionen und Anrainerländer in Entscheidungen über AKW in Grenz-
nähe mit einbezogen bzw. deren Bedenken berücksichtigt werden?

Wenn nein, warum nicht?

20. Werden bei der Durchführung des EU-Stresstests in deutschen AKW, wel-
che sich in französischer Grenznähe befinden, französische Stresstestbeob-
achter zugelassen?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/10238 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Werden bei der Durchführung des EU-Stresstests in AKW, welche sich in
Grenznähe befinden, Stresstestbeobachter aus den Anrainerländern zuge-
lassen?

Wenn nein, warum nicht?

22. Verfügt die Bundesregierung über Kenntnisse, ob Strom aus dem AKW
Cattenom direkt oder indirekt über Luxemburg nach Deutschland verkauft
wird?

Wenn ja, in welcher Menge?

Wenn nein, warum nicht?

23. Verfügt die Bunderegierung über Kenntnisse, ob ein Grenzverkehr zwi-
schen Deutschland und Frankreich von Kleintransportern oder Lastwagen,
die das „Strahlenzeichen“ tragen, stattfindet?

Wenn ja, aus welchen Ländern kommen diese, und um welche Art von
Transporten handelt es sich?

Berlin, den 2. Juli 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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