BT-Drucksache 17/10205

Kennzeichnung von Waren aus Siedlungen in den von Israel 1967 besetzten Gebieten

Vom 28. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10205
17. Wahlperiode 28. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Kennzeichnung von Waren aus Siedlungen in den von Israel 1967 besetzten
Gebieten

Seit 1995 gewährt die Europäische Union (EU) Israel Zollvergünstigungen beim
Export von Waren in Mitgliedstaaten der EU. Rechtsgrundlage dafür ist das
Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel, wie es die EU im Rahmen
der euro-mediterranen Partnerschaft mit fast allen Mittelmeeranrainerstaaten
geschlossen hat. Gemäß Artikel 2 dieses Abkommens müssen alle Partner der
EU die Menschenrechte und demokratischen Prinzipien respektieren (Men-
schenrechtsklausel). In allen Abkommen ist die Menschenrechtsklausel als we-
sentlicher Bestandteil des Abkommens definiert.

Gemäß Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention verstoßen die israelischen
Siedlungen in den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten gegen das huma-
nitäre Völkerrecht. Das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH)
vom 9. Juli 2004 bestätigte die Völkerrechtswidrigkeit dieser Siedlungen. Auch
die Bundesregierung erklärte wiederholt, dass sie Israels Siedlungen in den be-
setzten Gebieten für völkerrechtswidrig hält und unterscheidet entsprechend
zwischen dem Gebiet des Staates Israel und den 1967 besetzten Gebieten.

In den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen werden Waren hergestellt,
die auch nach Deutschland exportiert werden. Diese Waren werden von den
israelischen Zollbehörden aber nicht als Produkte aus den besetzten Gebieten
gekennzeichnet, sondern gelangen mit dem Label „Made in Israel“ nach Europa.
Dadurch ist nicht erkennbar, ob die Waren in Israel oder in den von Israel besetz-
ten Gebieten hergestellt wurden.

Dadurch entstand eine seit dem Inkrafttreten des EU-Israel-Assoziierungsab-
kommens stillschweigend geduldete, aber rechtswidrige Praxis: Die Waren aus
den besetzten Gebieten gelangten ebenso in den Genuss von Zollvergünstigun-
gen wie Waren aus Israel.

Angesichts wachsender Kritik an diesem Sachverhalt rangen die EU-Mitglied-
staaten der israelischen Regierung die Zusage ab, künftig ihre Exporteure anzu-
weisen, Zusatzangaben zu ihren Exportprodukten zu machen. Ende 2005 trat

eine informelle technische Vereinbarung in Kraft, der gemäß der Ursprungsort
aller Waren mit der amtlichen Ursprungsangabe „Israel“ durch Postleitzahlen
kenntlich gemacht werden muss. Dies gibt den europäischen Zollbehörden seit-
her die Möglichkeit, zwischen den Waren aus dem Staatsgebiet Israels und
denen aus völkerrechtswidrigen Siedlungen zu unterscheiden und Siedlungspro-
dukte von der Zollpräferenz auszuschließen.

Drucksache 17/10205 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 25. Februar 2010 (C-386/
08) entschieden, dass dieses Vorgehen der europäischen Zollbehörden rechtmä-
ßig ist und dass die in den völkerrechtswidrigen Siedlungen produzierten Waren
in der Tat keinen Anspruch auf EU-Zollvergünstigungen haben.

Bereits vor dieser rechtlichen Klärung hatte die britische Regierung im Dezem-
ber 2009 eine Verordnung erlassen, die die Geschäfte in Großbritannien auffor-
dert, Waren aus Siedlungen und von palästinensischen Erzeugern als solche zu
kennzeichnen, um Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit zu
geben, selbst zu entscheiden, ob sie Waren aus den nach internationalem Recht
illegalen Siedlungen kaufen wollen.

Ende Mai 2012 kündigten die Regierungen Südafrikas und Dänemarks an, Sied-
lungsprodukte in Zukunft als solche zu kennzeichnen, anstatt sie weiterhin unter
dem Label „Made in Israel“ vermarkten zu lassen.

Auch die schweizerische Supermarktkette Migros gab den kritischen Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern vor wenigen Wochen recht: Sie hätten ein Recht
darauf, zu wissen, woher die Produkte stammen. Daher will sie in Zukunft genau
deklarieren, ob Produkte aus Israel oder den von Israel besetzten Gebieten stam-
men. In Deutschland sind solche Kennzeichnungen noch nicht erfolgt.

Nichtregierungsorganisationen haben die Bundesregierung wiederholt aufgefor-
dert, auch in Deutschland die Kennzeichnung von Produkten aus den besetzten
Gebieten einzuführen. Die deutsche Sektion der internationalen Ärzteorgani-
sation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in
sozialer Verantwortung e. V.) forderte bereits im April 2010 eine Kennzeich-
nungspflicht für Waren aus Siedlungen in den von Israel besetzten Gebieten. Die
Friedensbewegung pax christi startete im Mai 2012 ihre Aktion „Besatzung
schmeckt bitter“ und rät zum Kaufverzicht von Lebensmitteln, wenn es sich da-
bei um Siedlungsprodukte handeln könnte.

Israelische Siedlungen in den 1967 besetzten Gebieten sind ein Haupthindernis
auf dem Weg zu einem gerechten Frieden in Nahost. Um diejenigen Kräfte in
Israel und den palästinensischen Gebieten zu stärken, die sich mit gewaltfreien
Mitteln für ein Ende der Besatzung und einen gerechten Frieden in Nahost ein-
setzen, sollten Konsumentinnen und Konsumenten darauf verzichten, Waren
von Unternehmen zu kaufen, die in den besetzten Gebieten produzieren.

Unternehmen haben die Wahl, wo sie investieren und produzieren wollen. Bis-
lang ist es für sie besonders profitabel, sich für Standorte in völkerrechtswidri-
gen Siedlungen zu entscheiden, da sie dafür staatliche Vergünstigungen erhalten.
Für diese Unternehmen hat ihre Beteiligung an der Verletzung des Völkerrechts
keinerlei praktische Konsequenzen.

An diesem Punkt könnten kritische Konsumenteninnen und Konsumenten
ansetzen und ihre Kaufentscheidung im Sinne der Achtung des Völkerrechts
treffen, wenn ihnen die dafür nötigen Informationen zur Verfügung stünden.

In seinem Rechtsgutachten von 2004 hat der IGH darüber hinaus an die sich aus
der Vierten Genfer Konvention ergebende Drittstaatsverpflichtung aller Ver-
tragsstaaten erinnert. Danach sind alle europäischen Staaten verpflichtet, für die
Einhaltung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts in Israel und den
besetzten palästinensischen Gebieten Sorge zu tragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Kennzeichnung von Waren aus den
1967 von Israel besetzten Gebieten einzuführen?
Wenn ja, wann und in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10205

2. Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung einen Rechtsgrund, der die
Kennzeichnung von Waren aus den besetzten Gebieten verbieten würde?

Wenn ja, welchen?

3. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass sie mit der Kenn-
zeichnung von Produkten aus völkerrechtswidrigen Siedlungen ihrer eige-
nen, sich aus der Vierten Genfer Konvention ergebenden, Rechtspflicht, für
die Einhaltung und Durchsetzung des Völkerrechts Sorge zu tragen, nach-
kommen würde?

Wenn ja, warum wurde die Kennzeichnung nicht bereits eingeführt?

Wenn nein, warum nicht?

4. Wie oft und in welchen konkreten Fällen haben nach Informationen der
Bundesregierung bislang deutsche Zollbehörden die Präferenzbehandlung
von Siedlungsprodukten verweigert?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass europäische Verbraucherin-
nen und Verbraucher zur Profitabilität von Produktionsstandorten in völker-
rechtswidrigen Siedlungen beitragen, wenn sie Waren aus diesen Siedlun-
gen kaufen?

6. Verschafft die Vermarktung von Siedlungsprodukten unter der Ursprungs-
angabe „Israel“ aus Sicht der Bundesregierung Anbietern dieser Waren
einen unlauteren Wettbewerbsvorteil, da diese Kennzeichnung geeignet ist,
Verbraucherinnen und Verbraucher zu einer Kaufentscheidung zu veranlas-
sen, die sie in voller Kenntnis der tatsächlichen Herkunft der betreffenden
Produkte nicht getroffen hätten?

7. Hält die Bundesregierung es unter Verbraucherschutzgesichtspunkten für
zulässig, Konsumenteninnen und Konsumenten Informationen vorzuent-
halten, die diesen eine informierte Kaufentscheidung in Bezug auf Waren,
die unter völkerrechtswidrigen Umständen produziert worden sind, ermög-
lichen würden?

8. a) Hat die Bundesregierung Informationen darüber, wie viele Menschen in
Deutschland derzeit wegen des Risikos, mit ihrem Einkauf illegale Sied-
lungen zu unterstützen, generell auf den Kauf von Waren mit der Her-
kunftsbezeichnung „Made in Israel“ verzichten?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Kennzeichnung der
in den illegalen Siedlungen produzierten Waren es den deutschen Ver-
braucherinnen und Verbrauchern, die Produkte aus Israel kaufen wollen,
überhaupt erst ermöglichen würde, dies zu tun, ohne Gefahr zu laufen,
unwissentlich die völkerrechtswidrigen Siedlungen zu unterstützen?

Wenn nein, warum nicht?

9. Wie viele und welche israelischen Firmen, die ihre Produkte innerhalb der
EU vermarkten, produzieren nach Kenntnis der Bundesregierung in den be-
setzten Gebieten (bitte eine genaue Auflistung beifügen)?

10. a) Welche Informationen hat die Bundesregierung darüber, dass die israe-
lische Regierung einen Fonds eingerichtet haben soll, um Firmen mit
einer Niederlassung in der Westbank für etwaige Steuerzahlungen zu
entschädigen?

b) Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die von der israe-
lischen Regierung dafür bereitgestellten Mittel im Vergleich zu den
durch den Export nach Europa gewonnenen Einnahmen Israels?
11. Hat die Bundesregierung Informationen darüber, ob Firmen, die innerhalb
Israels eine Niederlassung haben, aber auch in den besetzten Gebieten pro-

Drucksache 17/10205 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
duzieren, für die Ausfuhr ihrer Produkte aus den besetzten Gebieten die
Postleitzahl der Niederlassung innerhalb Israels angeben?

12. Wie viel Prozent der von Israel in die EU ausgeführten Waren stammen
nach Informationen der Bundesregierung aus den besetzten Gebieten?

13. Um welche Waren aus den besetzten Gebieten handelt es sich dabei (bitte
mit genauer Auflistung nach Art der Ware und des Anteils am Export nach
Europa, inklusive des genauen Ursprungs angeben), und welche Waren da-
von werden nach Deutschland importiert?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch die kontinuierliche
Fehlanwendung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens den EU-Staats-
haushalten sowie den Produzenten in EU-Ländern ein materieller Schaden
entsteht?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, warum verfolgt die EU weiterhin aktiv eine Politik, die Israel die
Rechtsfolgen für völkerrechtswidriges Handeln ersparen will?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die stillschweigende
Hinnahme der Völkerrechtsverstöße der israelischen Regierung durch viele
Regierungen und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von vielen
Menschenrechtsorganisationen in der Region als entscheidendes konflikt-
verschärfendes Element gesehen wird?

16. a) Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Israel in seiner Innen- und
Außenpolitik von der Achtung der Menschenrechte geleitet ist, die nach
Artikel 2 des EU-Israel-Assoziierungsabkommens (Menschenrechts-
klausel) „diesen Vertrag wesentlich konstituieren“?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Verletzung von
Artikel 2 des EU-Israel-Assoziierungsabkommens durch die israelische
Regierung zu Konsequenzen führen muss, und wenn nein, warum nicht?

c) Wenn ja, warum hatte die Verletzung von Artikel 2 bisher keine Konse-
quenzen?

d) Welche Konsequenzen sind für die Zukunft für die Bundesregierung
denkbar?

Berlin, den 28. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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