BT-Drucksache 17/10176

Ergebnisse der deutsch-italienischen Historikerkommission und weiterer Umgang der Bundesregierung mit nichtentschädigten NS-Opfern aus Italien

Vom 27. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10176
17. Wahlperiode 27. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dag˘delen, Annette Groth,
Andrej Hunko, Dr. Lukrezia Jochimsen, Jens Petermann, Raju Sharma,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Ergebnisse der deutsch-italienischen Historikerkommission und weiterer Umgang
der Bundesregierung mit nichtentschädigten NS-Opfern aus Italien

Statt eine Entschädigung italienischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Er-
wägung zu ziehen, denen von deutschen Nazi-Besatzern vielfaches Unrecht an-
getan wurde, hat sich die Bundesregierung lediglich zur bescheidenen Kofinan-
zierung einer deutsch-italienischen Historikerkommission entschlossen. Diese
sollte, nach Angaben in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-
frage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/2340, aus Bun-
desmitteln 153 000 Euro erhalten. Der Abschlussbericht der Kommission ist
Kenntnissen der Fragesteller zufolge für die nahe Zukunft geplant.

Die Einrichtung dieser Kommission im Jahr 2009, die für sich genommen zwei-
fellos eine sinnvolle Entscheidung war, stand in unmittelbarem Zusammenhang
mit Urteilen italienischer Gerichte, die die Bundesrepublik Deutschland zu Ent-
schädigungszahlungen verurteilten. Dabei ging es überwiegend um sogenannte
italienische Militärinternierte sowie Überlebende bzw. Opferangehörige von
Massakern deutscher Besatzungstruppen zwischen 1943 und 1945.

Die Fragesteller haben sich in der Vergangenheit mehrfach nach diesem The-
menkomplex erkundigt. Durch die Antworten der Bundesregierung zieht sich
als roter Faden ihre Einschätzung, die Frage von NS-Opfer-Entschädigungen sei
„umfassend geregelt“. Die Bundesregierung war bislang nicht einmal bereit
zuzugestehen, dass es auch heute noch Opfer gibt, die niemals Entschädigung
erhalten haben und deren Verfolgungsschicksal von den bisherigen Entschä-
digungsvereinbarungen nicht erfasst wird – wie etwa die genannten Gruppen
der Militärinternierten und der Massaker-Opfer.

Die Entscheidung für eine Historikerkommission nicht zusätzlich, sondern an-
stelle einer Entschädigungsregelung hat diese Kommission bei Kritikern in den
Verdacht eines „Feigenblattes“ bzw. eines „Alibis“ gebracht („Alibi oder Neu-
anfang?“ war denn auch der Titel einer Veranstaltung mit Vertretern der Histori-
kerkommission am 17. Mai 2011 in der Freien Universität Berlin).
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann wird die Historikerkommission voraussichtlich den Abschlussbericht
fertiggestellt haben, und bis wann ist die Übergabe an die Außenministerien
der Bundesrepublik Deutschland und Italiens vorgesehen?

Drucksache 17/10176 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. In welchem Rahmen sind Übergabe und Veröffentlichung des Abschlussbe-
richtes vorgesehen, und welche Absprachen gibt es hierüber mit der italieni-
schen Regierung?

a) Soll mit der Übergabe des Berichtes an die Außenministerien der Bundes-
republik Deutschland und Italiens zeitgleich die Veröffentlichung des Be-
richtes erfolgen, und wenn nicht, welche Zeitspannen sind zwischen Über-
gabe und Veröffentlichung vorgesehen?

b) Soll es eine öffentliche Veranstaltung zur Präsentation des Abschluss-
berichtes geben, und wenn ja, wann, und welche weiteren Planungen be-
stehen hierzu?

c) Ist die Veröffentlichung des Abschlussberichtes in Buchform beabsichtigt,
und wenn ja, zu voraussichtlich welchem Preis?

d) Ist vorgesehen, den Abschlussbericht für die Öffentlichkeit auch kostenlos
zugänglich zu machen, etwa durch die Möglichkeit zum Download im
Internetangebot der Bundesregierung, und wenn nein, warum nicht?

e) Falls zu den gestellten Fragen noch keine definitiven Absprachen mit der
italienischen Regierung getroffen wurden, mit welchen Vorstellungen
geht die Bundesregierung in entsprechende Gespräche, und bis wann wer-
den voraussichtlich Absprachen vorliegen?

3. Sollte der Bundesregierung der Abschlussbericht bzw. eine Vorabfassung
oder ein Entwurf bereits vorliegen,

a) was sind die Grundaussagen des Berichtes, und worin bestehen die grund-
legenden neuen Erkenntnisse?

b) Welche Forschungsdefizite und lohnende künftige Forschungsschwer-
punkte zeigt der Bericht auf, und inwiefern ist die Bundesregierung bereit,
diese Hinweise aufzugreifen und für weitere Forschungen, Mittel bereit-
zustellen?

c) Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Bericht für weitere Initia-
tiven der Bundesregierung im Bereich der NS-Aufarbeitung sowie der
Entschädigungspolitik?

d) Inwiefern wird im Bericht auf die (politischen wie juristischen) Ausein-
andersetzungen über die Entschädigungsfrage eingegangen?

e) Ist beabsichtigt, die Arbeit der Historikerkommission fortzuführen, oder
eine neue Kommission mit vergleichbarer Aufgabenstellung einzurichten
(bitte gegebenenfalls ausführen)?

4. Welche Studien sind von der Kommission erstellt worden (bitte Autorinnen
bzw. Autoren nennen, Inhalt und Umfang), und inwiefern sind diese bereits
veröffentlicht, bzw. sollen sie noch veröffentlicht werden?

Sollen die Studien der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt werden?

5. Ist es der Historikerkommission gelungen, die Namen der italienischen
Zwangsarbeiter zu ermitteln, die sich im Lager in Berlin-Schöneweide befan-
den, und wenn nicht, welche Arbeiten müssten hierfür noch bewältigt wer-
den, und ist die Bundesregierung bereit, diese in Auftrag zu geben und zu
finanzieren (bitte gegebenenfalls Kostenschätzungen angeben)?

6. Welche Fortschritte konnte die Kommission hinsichtlich des Projektes einer
namentlichen Gesamterfassung italienischer Zwangsarbeiter (einschließlich
der Militärinternierten) erreichen, und welche Arbeiten stehen zu einer sol-
chen Gesamterfassung noch aus, und ist die Bundesregierung bereit, diese in

Auftrag zu geben und zu finanzieren (bitte gegebenenfalls Kostenschätzun-
gen angeben)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10176

7. Ist es der Kommission gelungen, einen ausführlichen Archivführer zu ver-
fassen, und wenn nicht, welche Arbeiten müssten hierfür noch bewältigt
werden, und ist die Bundesregierung bereit, diese in Auftrag zu geben und
zu finanzieren (bitte gegebenenfalls Kostenschätzungen angeben)?

8. Ist es der Kommission gelungen, eine systematische Sammlung von bislang
unveröffentlichten Zeugenaussagen zur Geschichte der Militärinternierten
anzulegen, und wenn nicht, welche Arbeiten müssten hierfür noch bewältigt
werden, und ist die Bundesregierung bereit, diese in Auftrag zu geben und
zu finanzieren (bitte gegebenenfalls Kostenschätzungen angeben)?

9. Ist es der Kommission gelungen, einen „Atlas“ der Massaker und Gewalt-
tätigkeiten gegenüber Zivilistinnen und Zivilisten, die von deutschen Sol-
daten in Italien begangen wurden, zu erstellen, und wenn nicht, welche Ar-
beiten müssten hierfür noch bewältigt werden, und ist die Bundesregierung
bereit, diese in Auftrag zu geben und zu finanzieren (bitte gegebenenfalls
Kostenschätzungen angeben)?

10. Ist die Bundesregierung bereit, die Erstellung einer systematischen Daten-
bank zur Geschichte der Militärinternierten zu finanzieren, inklusive der da-
für notwendigen elektronischen Erfassung von Daten aus den einschlägigen
italienischen und deutschen Archiven, falls ja, welche Kosten werden hier-
für veranschlagt, und falls nein, warum nicht?

11. Welche Unterstützung finanzieller oder anderweitiger Art hat die Histori-
kerkommission seit ihrer Gründung tatsächlich von der Bundesregierung
sowie der italienischen Regierung erhalten?

12. Erwägt die Bundesregierung die Aufstellung eines Mahnmals zur Erinne-
rung an die italienischen Opfer der deutschen NS-Verbrechen, und wenn ja,
welche Einzelheiten hinsichtlich Art des Mahnmals, beauftragte Künstler,
Kosten, Aufstellungszeitpunkt, -ort und -kosten kann sie hierzu mitteilen?

13. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine Konferenz, die im Mai 2012 im
toskanischen Regionalparlament tagte, einen Appell an die Staatspräsiden-
ten Italiens und der Bundesrepublik Deutschland gerichtet hat, sich wenigs-
tens für humanitäre Hilfen für NS-Opfer einzusetzen?

Hat sich der Bundespräsident Joachim Gauck diesbezüglich bereits an die
Bundesregierung gewandt, und wenn ja, welche Haltung nimmt die Bun-
desregierung hierzu ein?

14. Ist die Bundesregierung tatsächlich der Auffassung, die bisherige Entschä-
digungspolitik sei so umfassend, dass kein Nachbesserungsbedarf besteht,
um bislang unentschädigt gebliebene NS-Opfer zu entschädigen?

15. Sieht sich die Bundesregierung mittlerweile veranlasst, aus der Urteils-
begründung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 3. Februar 2012
irgendwelche Konsequenzen zu ziehen, etwa hinsichtlich der Aufnahme
von Gesprächen entweder mit NS-Opfern oder der italienischen Regierung
über wenigstens symbolische, humanitäre Leistungen für überlebende
NS-Opfer bzw. deren Angehörige (bitte gegebenenfalls erläutern)?

16. Ist die italienische Regierung seit dem IGH-Urteil an die Bundesregierung
herangetreten mit dem Wunsch, Gespräche über etwaige humanitäre Lösun-
gen für NS-Opfer zu führen, und wenn ja, wann, und wie hat die Bundes-
regierung darauf reagiert?

Inwiefern ist dabei Einverständnis über weitere Schritte erreicht worden?

Berlin, den 27. Juni 2012
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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