BT-Drucksache 17/10079

Rechtsextreme Tendenzen in der Deutschen Burschenschaft

Vom 22. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10079
17. Wahlperiode 22. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie
Hein, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtsextreme Tendenzen in der Deutschen Burschenschaft

Auf dem Verbandstag der Deutschen Burschenschaft (DB) am 1. Juni 2012 in
Eisenach haben sich laut Medienberichten offen rechtsextreme Kräfte durch-
gesetzt, so dass nun eine Spaltung des Dachverbandes von rund 115 Bünden mit
knapp 9 000 Mitgliedern nicht mehr ausgeschlossen wird (www.spiegel.de/
unispiegel/studium/burschentag-in-eisenach-deutsche-burschenschaft-steht-vor-
dem-zerfall-a-836800.html).

Entzündet hatte sich der Richtungsstreit an Äußerungen des Chefredakteurs der
„Burschenschaftlichen Blätter“ und damit einzig hauptamtlichen Funktionärs
im DB-Verbandsrat, Norbert Weidner. Dieser hatte in einem Leserbrief an die
Mitgliederzeitung der „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“
im Herbst 2011 den 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ermordeten Wi-
derstandskämpfer gegen den Faschismus, Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, als „Lan-
desverräter“ und dessen Verurteilung zum Tode als „rein juristisch gerechtfertigt“
bezeichnet (www.spiegel.de/unispiegel/studium/burschenschafter-hetzt-gegen-
nazi-widerstandskaempfer- bonhoeffer-a-826757.html).

Norbert Weidner war Anfang der 90er-Jahre Mitglied verschiedener später ver-
botener neonazistischer Organisationen, wie der Wiking Jugend und der Frei-
heitlichen Arbeiterpartei Deutschlands, bevor er sich nach eigenen Angaben von
der neonazistischen Szene zurückzog und 1999 in die FDP eintrat. Mit 85 zu 76
Stimmen war Norbert Weidner auf dem Burschentag im Amt bestätigt worden,
38 von 105 Mitgliedsbünden hatten sich demnach gegen die Abwahl gestellt.
Fünf Mitglieder des erweiterten Vorstandes erklären daraufhin ihren Rücktritt,
einzelne Bünde denken nun an einen Austritt aus dem Dachverband. Der
Burschentag wurde vorzeitig beendet. „Jetzt wird endgültig deutlich, dass
rechtsextreme Burschenschaftler die Macht im Verband übernommen haben“,
zitiert die „Frankfurter Rundschau“ den Sprecher der Initiative „Burschenschaft-
ler gegen Neonazis“, Justus Libig, nach dem Burschentag (www.fr-online.de/
neonazi-terror/burschenschaft-offiziell-rechtsextrem,1477338,16196110.html).

Bereits im vergangenen Jahr war es auf dem Burschentag zum Eklat gekommen,

nachdem die „Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“, der auch
Norbert Weidner angehört, eine Art „Ariernachweis“ als Aufnahmekriterium für
Neumitglieder eingefordert hatte und den Ausschluss einer Burschenschaft aus
dem Dachverband beantragte, die ein chinesischstämmiges Mitglied aufgenom-
men hatte.

Drucksache 17/10079 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Weite Teile der DB – insbesondere der innerhalb der DB tätige Zusammen-
schluss der „Burschenschaftlichen Gemeinschaft“ – stehen in der Tradition völ-
kischen Denkens. Im „Handbuch der deutschen Burschenschaft“ (2005) werden
zudem territoriale Ansprüche auf ehemalige „deutsche Ostgebiete“ erhoben und
deutsche Kriegsverbrechen relativiert. „Mitunter engagieren Bünde Revisionis-
ten als Redner, teils finden sich in den Reihen ausgewiesene Neonazis. Ein säch-
sischer NPD-Politiker und Burschenschafter durfte im Gespräch mit der Ver-
bandszeitung unverhohlen agitieren. Er interpretierte die Auseinandersetzung mit
dem Dritten Reich als ‚bösartige Zivilreligion‘“, heißt es in der „Süddeutschen
Zeitung“ über rechtsextremistische Tendenzen bei Burschenschaften (www.
sueddeutsche.de/politik/eklat-beim-burschentag-in-eisenach-rechtsextremistische-
tendenzen-entzweien-burschenschaften-1.1373400).

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann,
hatte anlässlich des Staatsaktes für die Opfer der rechtsterroristischen Organisa-
tion „Nationalistischer Untergrund“ (NSU) „rechtsextreme Burschenschaften“
in einem Atemzug mit der NPD genannt (www.juedische-allgemeine.de/article/
view/id/12403).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung nach dem Burschentag 2012 weiter an ihrer in der
Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestags-
drucksache 16/4142 zu Frage 1 getätigten und in der Antwort auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/6690 be-
stätigten Aussage fest, bei der DB handele es sich um eine „demokratische
Studentenorganisation“?

a) Wenn ja, wie begründet die Bundesregierung diese Einschätzung ange-
sichts der Tatsache, dass selbst Mitglieder der DB inzwischen eine Macht-
übernahme rechtsextremer Burschenschafter im Verband beklagen?

b) Wenn nein, welche Neubewertung hat die Bundesregierung vorgenom-
men?

2. Inwieweit hält die Bundesregierung Äußerungen des Chefredakteurs der
„Burschenschaftlichen Blätter“, Norbert Weidner, wonach der von den Nazis
im Konzentrationslager ermordete Widerstandskämpfer gegen die NS-Dik-
tatur, Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, ein „Landesverräter“ und dessen Verurtei-
lung zum Tode „rein juristisch“ gerechtfertigt sei, für einen Anhaltspunkt für
verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Deutschen Burschen-
schaften?

3. Inwieweit sieht die Bundesregierung nach der Bestätigung Norbert Weidners
im Amt des hauptamtlichen Funktionärs im DB-Verbandsrat auf dem
Burschentag 2012 Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grund-
ordnung durch die DB oder einzelne ihrer Bünde?

4. Inwiefern wertet das Bundesamt für Verfassungsschutz die „Burschenschaft-
lichen Blätter“ nach Äußerungen aus, die Anhaltspunkte für verfassungs-
feindliche Bestrebungen sein könnten?

5. Inwieweit bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung Kontakte zwischen
der DB oder einzelnen ihrer Bünde mit der NPD oder anderen Rechtsextre-
men?

a) Welche Vorträge von NPD-Mitgliedern oder anderen Rechtsextremen fan-
den nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren auf Ein-
ladung oder in den Räumlichkeiten von Mitgliedsbünden der DB statt
(bitte veranstaltende Burschenschaft, Ort, Datum, Namen des rechtsextre-

men Referenten und Thema des Vortrags oder der Podiumsdiskussion
nennen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10079

b) Welche Artikel von oder Interviews mit NPD-Mitgliedern oder anderen
Rechtsextremen erschienen in den letzten fünf Jahren in den „Burschen-
schaftlichen Blättern“?

c) Welche Artikel von oder Interviews mit führenden Vertretern der DB oder
ihrer Mitgliedsbünde sind in den letzten fünf Jahren in rechtsextremen
Publikationen (einschließlich Internet) erschienen (bitte Publikation,
Datum und Autor nennen)?

d) Inwieweit beteiligten sich nach Kenntnis der Bundesregierung Mitglieds-
bünde der DB oder führende Mitglieder von solchen an Veranstaltungen
oder Aufzügen der NPD oder anderer Rechtsextremer in den letzten fünf
Jahren (bitte Burschenschaft, Ort, Datum und Art der Veranstaltung sowie
veranstaltende Organisation benennen)?

e) Inwieweit sind nach Kenntnis der Bundesregierung Funktionäre der NPD
oder anderer rechtsextremer Vereinigungen Mitglieder oder Funktionäre
in der DB oder ihren Mitgliedsbünden oder gehören deren „Alten Herren“
an (bitte genau benennen)?

f) Wie viele Führungspersonen und Mitglieder der NPD und anderer rechts-
extremer Vereinigungen sind Mitglieder der DB bzw. einer ihrer Mit-
gliedsbünde?

6. Inwieweit sind der Bundesregierung volksverhetzende Äußerungen in münd-
licher oder schriftlicher Form durch Funktionäre oder Mitglieder der DB oder
eines ihrer Mitgliedsbünde bekannt?

a) Inwieweit sind der Bundesregierung fremdenfeindliche, rassistische oder
antisemitische Äußerungen in mündlicher oder schriftlicher Form durch
Funktionäre oder Mitglieder der DB oder eines ihrer Mitgliedsbünde be-
kannt?

b) Inwieweit sind der Bundesregierung Äußerungen in mündlicher oder
schriftlicher Form durch Funktionäre oder Mitglieder der DB oder eines
ihrer Mitgliedsbünde bekannt, die eine Nichtanerkennung der bestehen-
den deutschen Grenzen – insbesondere der Oder-Neiße-Grenze – beinhal-
ten?

c) Inwieweit sind der Bundesregierung Äußerungen in mündlicher oder
schriftlicher Form durch Funktionäre oder Mitglieder der DB oder eines
ihrer Mitgliedsbünde bekannt, die auf eine Relativierung oder Leugnung
der deutschen Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg oder deutscher Kriegs-
verbrechen zielen?

7. Wie viele und welche Mitgliedsbünde der DB wurden während der letzten
fünf Jahre nach Kenntnis der Bundesregierung vom Bundesamt oder einem
Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet (bitte beobachtete Bünde und
etwaige Listung in einem Verfassungsschutzbericht benennen)?

8. Wie viele Personen, die Mitglied in einem Mitgliedsbund der DB sind, wer-
den derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung durch das Bundesamt oder
ein Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet?

9. Welche Erkenntnisse über Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestre-
bungen hat die Bundesregierung über

a) die Burschenschaftliche Gemeinschaft,

b) den Burschenschaftlichen Verein für nationale Minderheiten- und Volks-
gruppenrechte in Europa e. V.,

c) die Gesellschaft für Burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V.,
d) den Verein Burschenschaftliche Hilfe e. V.?

Drucksache 17/10079 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
10. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über die Zusammenarbeit bundesdeutscher Burschenschaften mit öster-
reichischen Burschenschaften im Dachverband der DB?

11. Haben am Burschentag 2012 in Eisenach Angehörige der Bundesregierung
oder nach Kenntnis der Bundesregierung einer Landesregierung teilgenom-
men oder hatten dies zumindest vor (bitte nach Namen und Funktion auf-
schlüsseln)?

12. Inwieweit sind in den letzten fünf Jahren nach Kenntnis der Bundesregie-
rung direkt oder indirekt Fördermittel des Bundes oder der Länder an die
DB oder einzelne ihrer Mitgliedsbünde geflossen?

13. Welche Formen der Zusammenarbeit bestehen zwischen der Deutschen
Burschenschaft bzw. ihren Mitgliedsbünden (bitte jeweils einzeln nennen)
und der Bundeswehr bzw. den Universitäten der Bundeswehr?

14. Welche Formen der Zusammenarbeit und welche personellen Überschnei-
dungen gibt es zwischen der Deutschen Burschenschaft bzw. ihren Mit-
gliedsbünden (bitte jeweils einzeln nennen) und dem Verband der Reservis-
ten der Deutschen Bundeswehr (vgl. Bericht der Tageszeitung DIE WELT
vom 27. Mai 2012 über die Tätigkeit eines Reservisten in Vorstandsfunkti-
onen sowohl des Reservistenverbandes als auch der Burschenschaft „Ger-
mania“)?

15. Welche und wie viele Angehörige der Bundesregierung waren in der Ver-
gangenheit bzw. sind derzeit noch Mitglieder der Deutschen Burschen-
schaft bzw. eines ihrer Mitgliedsbünde (bitte möglichst mit Eintritts- und
ggf. Austrittsdaten angeben)?

Berlin, den 18. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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