BT-Drucksache 16/9876

Praxis der Gewebetransplantation in Deutschland

Vom 27. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9876
16. Wahlperiode 27. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg,
Kerstin Andreae, Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Praxis der Gewebetransplantation in Deutschland

Durch das am 1. August 2007 in Kraft getretene Gesetz über die Qualität und
Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz) wurde die
Gewebespende in Deutschland erstmals gesetzlich geregelt. Entgegen den Vor-
gaben der zugrunde liegenden EU-Richtlinie wurde ein Großteil dieser Rege-
lungen in Deutschland nicht im Transplantationsgesetz (TPG), sondern im Arz-
neimittelgesetz (AMG) umgesetzt. Die bereits im Vorfeld der Gesetzesverab-
schiedung vom Bundesrat und Verbänden geäußerte Kritik, insbesondere einer
drohenden Kommerzialisierung der Gewebespende, wurde im weiteren Gesetz-
gebungsverfahren nur teilweise aufgegriffen. Insbesondere wurden keine Krite-
rien für die Verteilung von Geweben auf potentielle Empfänger vorgegeben,
wie dies bei der Organspende der Fall ist. Die Verteilung von Geweben bleibt
damit zumindest für Außenstehende intransparent. Auch wurde der Gesetzent-
wurf inhaltlich nicht auf die in Kürze in Kraft tretende EU-Verordnung über
Arzneimittel für Neuartige Therapien (EG 1394/2007) abgestimmt, so dass un-
klar ist, unter welche Regelung europarechtlich dem Arzneimittelrecht unterfal-
lende, in Deutschland bisher vom TPG erfasste Behandlungsverfahren zukünf-
tig fallen. Zudem ist unklar, was überhaupt unter den Grundsätzen der „Guten
fachlichen Praxis“ zu verstehen ist, nach denen die Qualitätsmanagementsys-
teme der Gewebeeinrichtungen eingerichtet sein müssen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Für welche Gewebe, die zu Transplantationszwecken gespendet werden,
besteht in Deutschland eine Mangelsituation oder eine bedarfsentspre-
chende Versorgungslage?

Wird die Versorgungssituation in Deutschland mit verschiedenen Gewe-
bearten kontinuierlich erfasst, und wenn nicht, wieso nicht?

b) Nach welchen Kriterien erfolgt die Verteilung von nicht ausreichend ver-
fügbaren Geweben in Deutschland?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Praxis der Vertei-

lung bei Verbünden von Gewebeeinrichtungen wie beispielsweise der
Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation mbH (DGFG) u. a.?

d) Kann die Bundesregierung sicherstellen, dass bei der Verteilung von
nicht ausreichend verfügbaren Geweben die Bedürftigkeit des Spenders
das ausschlaggebende Kriterium ist und nicht finanzielle Aspekte?

Wenn ja, wie?

Drucksache 16/9876 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. a) Hält die Bundesregierung es für notwendig, gesetzliche Vorgaben für die
Verteilung von Geweben festzulegen?

Wenn nicht, wieso nicht?

Wenn ja, welche Kriterien sollen ausschlaggebend sein?

b) Inwieweit sieht die Bundesregierung Bedarf, die Verteilung insbesondere
von nicht ausreichend verfügbaren Geweben entsprechend der Organ-
spende durch eine Koordinierungsstelle zu regeln?

Inwieweit sieht sie Bedarf für eine bundeseinheitliche Warteliste für nicht
ausreichend verfügbare Gewebe?

c) Welche Auswirkungen hat das Fehlen von Verteilungskriterien und die
daraus möglicherweise entstehende Intransparenz nach Kenntnis der
Bundesregierung bislang auf die Spendebereitschaft in der Bevölkerung
gehabt?

3. a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Einfuhr von nicht
ausreichend verfügbaren Geweben aus dem Ausland (Art der Gewebe,
Ausmaß, Herkunftsländer, Qualität und Preis der Gewebe im Vergleich
zu im Inland gewonnenen Geweben)?

Wie hat sich die Zahl der verwendeten im Inland gewonnenen Gewebe-
transplantate im Vergleich zu importierten Geweben entwickelt?

b) In welchem Umfang wird die Einfuhr dieser Gewebe in der Praxis durch
die Landesbehörden überprüft?

In welchem Umfang kommen die Landesbehörden ihrer Prüfpflicht, ins-
besondere nach § 72b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG (Überprüfung der Beach-
tung der Guten fachlichen Praxis im Herkunftsland) nach?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Verteuerung von
Behandlungen mit nicht ausreichend verfügbaren Geweben, die von Ge-
webeeinrichtungen aus dem Ausland eingeführt wurden?

4. Besteht nach Ansicht der Bundesregierung Rechtsunsicherheit über die Fra-
gen der Verfügungsgewalt entnommener Gewebe, wenn vom Spender zu
Lebzeiten keine eindeutigen Entscheidungen getroffen wurden?

Inwieweit sieht die Bundesregierung hier die Notwendigkeit, eine gesetzli-
che Regelung zu schaffen?

5. a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine unterschiedliche
Auslegung des Begriffs der „Gewebezubereitungen, die nicht mit indus-
triellen Verfahren be- und verarbeitet werden“ (§ 20c Abs. 1 Satz 1
AMG) durch die einzelnen Aufsichtsbehörden der Länder?

b) Wie legt die Bundesregierung selbst diesen Begriff aus?

Sieht sie Bedarf, die Begriffsbestimmung zu präzisieren?

c) Inwiefern kann die Bundesregierung sicherstellen, dass die zuständige
Bundesbehörde nicht durch eine weitere Auslegung des Begriffs des „in-
dustriellen Verfahrens“ Gewebezubereitungen nach § 21 AMG zulassen,
die dadurch in der Folge nicht mehr vom Handelsverbot des § 17 Abs. 1
TPG erfasst werden?

6. Inwieweit hält die Bundesregierung es für problematisch, dass die Deutsche
Stiftung Organtransplantation in Hessen einen Antrag auf Zulassung als Ge-
webeeinrichtung nach den §§ 20b, 20c AMG gestellt hat?

Sieht sie hierdurch den Zweck der zuvor begrüßten Trennung der Deutschen

Stiftung Organtransplantation von der früheren Gemeinnützigen Gesell-
schaft für Gewebetransplantation (DSO-G) gefährdet?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9876

7. a) Bis zu welchem Zeitpunkt unterfallen Ei- und Samenzellen, die zu einer
künstlichen Befruchtung verwendet werden, nach Ansicht der Bundes-
regierung den Bestimmungen des AMG?

Sind diese auch nach der extrakorporalen Zusammenführung noch von
den arzneimittelrechtlichen Bestimmungen erfasst und wo ist dies im
AMG verankert?

b) Muss hier eine gesetzliche Präzisierung erfolgen, die den entstehenden
Embryo auch im Vorkernstadium erfasst?

8. Inwieweit sieht die Bundesregierung Bedarf, die Begriffsdefinitionen des
§ 1a TPG der Regelungssystematik der EU-Verordnung über Arzneimittel
für Neuartige Therapien (EG 1394/2007) anzupassen, um so widersprüch-
liche Regelungen beider Rechtsnormen zu vermeiden?

9. a) Fallen nach Ansicht der Bundesregierung Behandlungsverfahren, bei
denen Inselzellen entnommen, substantiell manipuliert und dann zum
gleichen Zweck wie das entsprechenden Organ einem Menschen trans-
plantiert werden, ab dem 30. Dezember 2008 in den Anwendungsbe-
reich der EU-Verordnung für Neuartige Therapien und damit unter das
Arzneimittelrecht?

Falls nein, wieso nicht?

b) Falls ja, welche Schwierigkeiten können nach Ansicht der Bundesregie-
rung ab diesem Zeitpunkt die Fortführung entsprechender Behandlungs-
verfahren behindern?

Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf?

c) Inwieweit ist nach dem 30. Dezember 2008 eine Fortführung dieser
Behandlungen durch Transplantationseinrichtungen sichergestellt, die
noch nicht über eine Zulassung nach den §§ 20b, 20c AMG verfügen?

d) Werden entsprechende Transplantationen auch nach Inkrafttreten der
Verordnung über Neuartige Therapien weiterhin vom DRG-System
(DRG – Diagnosis Related Groups) bzw. von der Kostenpauschale für
die Organtransplantation erfasst?

Wenn ja, auf welcher Grundlage?

10. a) Was versteht die Bundesregierung unter dem Begriff der „Guten fach-
lichen Praxis“ in § 20c Abs. 2 Nr. 5 AMG?

Warum wurden diese in § 32 der Arzneimittel- und Wirkstoffherstel-
lungsverordnung nicht näher definiert?

b) Welche inhaltlichen Anforderungen gibt es an die „Gute fachliche
Praxis“?

Wie stellen die Bundesregierung bzw. die staatlichen Aufsichtsbehörden
sicher, dass diese dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Tech-
nik entsprechen?

c) In welchem Verhältnis steht die „Gute fachliche Praxis“ zu den Richt-
linien der Bundesärztekammer (§ 16 Transplantationsgesetz), soweit sie
identische Regelungsinhalte betreffen?

Wie stellt die Bundesregierung hier sicher, dass widerspruchsfreie und
abgestimmte Regelungen getroffen werden?

11. a) Wie bewertet die Bundesregierung die geäußerte Kritik, die vom Paul-
Ehrlich-Institut bereitgestellten Formularen zur Beantragung einer
Erlaubnis nach § 21a AMG seien nicht spezifisch genug auf Gewebe-

zubereitungen zugeschnitten (Tagung der Gewebekommisssion der

Drucksache 16/9876 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Deutschen Transplantationsgesellschaft am 11. Dezember 2007 in
Berlin)?

b) Inwieweit hält die Bundesregierung Fragen zur Pharmakodynamik
(Wirkung von Arzneistoffen im Organismus) und Pharmakokinetik
(Verarbeitung eines Arzneistoffes im Körper) bei Gewebezubereitungen
grundsätzlich für sinnvoll?

12. a) Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung, in dem vom Bundesrat er-
betenen Erfahrungsbericht (Bundesratsdrucksache 385/07) auch die
Notwendigkeit und praktische Umsetzbarkeit der durch oder aufgrund
des Gewebegesetzes erfolgten Rechtsänderung zu überprüfen?

b) Beabsichtigt die Bundesregierung, in Analogie zu dem am 31. Dezem-
ber 2008 fälligen Bericht zum TPG ebenfalls eine externe Institution mit
der Erfassung der notwendigen Daten und der Erstellung des oben ge-
nannten Berichts zu beauftragen?

Berlin, den 26. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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