BT-Drucksache 16/9783

zu den Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/08 und 2 BvR 1010/08

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9783
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu den Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
2 BvE 2/08 und 2 BvR 1010/08

A. Problem

Ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages hat vor dem Bundesverfassungs-
gericht ein Organstreitverfahren gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von
Lissabon vom 13. Dezember 2007 zur Änderung des Vertrags über die Euro-
päische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
sowie gegen die Begleitgesetze angestrengt. Antragsgegner sind neben dem
Deutschen Bundestag der Bundespräsident und die Bundesregierung (2 BvE 2/
08). Er hat in dem gleichen Verfahren ferner einen Antrag auf Erlass einer einst-
weiligen Anordnung sowie einen Antrag auf andere Abhilfe gestellt.

Darüber hinaus hat der Abgeordnete Verfassungsbeschwerde gegen das Zustim-
mungsgesetz zum Lissabonner Vertrag, das Gesetz zur Änderung des Grundge-
setzes (Bundestagsdrucksache 16/8488) und das Gesetz über die Ausweitung
und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegen-
heiten der Europäischen Union (Bundestagsdrucksache 16/8489) eingelegt.
Auch in diesem Verfahren (2 BvR 1010/08) hat der Abgeordnete einen Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie einen Antrag auf andere Ab-
hilfe in dem gleichen Verfahren gestellt.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Juli
2008 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Frist für eine Stellungnahme
zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung läuft am 30. Juni 2008 ab.

B. Lösung

Der Rechtsausschuss empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung
der Fraktion DIE LINKE., eine Stellungnahme zu den Streitsachen vor
dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/08 und 2 BvR 1010/08 abzugeben
und den Präsidenten zu bitten, Prof. Dr. Dr. h. c. Ingolf Pernice als Prozess-
bevollmächtigten zu bestellen
C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Kosten der Prozessvertretung.

Drucksache 16/9783 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

in den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/08 und 2 BvR
1010/08 eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, Prof.
Dr. Dr. h. c. Ingolf Pernice als Prozessbevollmächtigten zu bestellen.

Berlin, den 25. Juni 2008

Der Rechtsausschuss

Andreas Schmidt (Mülheim)
Vorsitzender und Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9783

Bericht des Abgeordneten Andreas Schmidt (Mülheim)

Am 13. Dezember 2007 haben die Staats- und Regierungs-
chefs und die Außenminister der Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union in Lissabon den Vertrag zur Änderung des
Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. EU vom
17. Dezember 2007, 2007/C 306/01, Bundestagsdrucksache
16/8300) geschlossen.

Der Deutsche Bundestag hat das Zustimmungsgesetz zu dem
Vertrag von Lissabon sowie einige Begleitgesetze am
24. April 2008 in zweiter bzw. dritter Lesung verabschiedet.
Der Bundesrat hat den Gesetzen am 23. Mai 2008 zuge-
stimmt.

Der Antragsteller im Organstreitverfahren 2 BvE 2/08 vor
dem Bundesverfassungsgericht rügt eine Verletzung seiner
Rechte als Mitglied des Deutschen Bundestages aus
Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) durch die
Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von
Lissabon. Der Vertrag von Lissabon begründe eine exis-
tentielle Staatlichkeit der Europäischen Union in Form eines
Bundesstaates ohne ausreichende demokratische Legitima-
tion. Hierdurch werde das Grundrecht jedes Bürgers auf

zip der begrenzten Einzelermächtigung eines Staatenver-
bundes.

Im Verfahren der Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1010/08)
trägt der Beschwerdeführer vor, er werde durch die Zustim-
mung zu dem Vertrag von Lissabon in seinen Grundrechten
der Freiheit aus Artikel 2 Abs. 1 GG und auf Vertretung
durch den Deutschen Bundestag aus Artikel 38 Abs. 1 Satz 2
GG verletzt. So überschreite die Entwicklung eines Union-
staates durch den Vertrag von Lissabon die Aufgaben und
die Befugnis der Verfassungsorgane der Bundesrepublik
Deutschland; eine solche Handlung ultra vires schränke den
Beschwerdeführer verfassungswidrig in seinen Grundrech-
ten aus Artikel 2 ein. Ferner verstoße das Zustimmungs-
gesetz gegen sein grundrechtsgleiches Recht aus Artikel 38
Abs. 1 Satz 2 GG auf seine substantielle Vertretung als Wäh-
ler durch den Deutschen Bundestag, da der Lissabonner Ver-
trag das demokratische Defizit bei der Ausübung der Staats-
gewalt weiter verstärke.

Der Rechtsausschuss hat die Verfassungsstreitsachen in sei-
ner 107. Sitzung am 25. Juni 2008 beraten und mit den Stim-
men der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE
substantielle Vertretung durch den Deutschen Bundestag
verletzt, das er im Organstreitverfahren als Organwalter gel-
tend mache. Hoheitsrechte Deutschlands würden in unüber-
schaubarer Weite auf die Europäische Union übertragen.
Dies genüge nicht dem demokratisch unverzichtbaren Prin-

LINKE. beschlossen, dem Deutschen Bundestag zu empfeh-
len, in den verfassungsgerichtlichen Verfahren 2 BvE 2/08
und 2 BvR 1010/08 Stellung zu nehmen und den Präsidenten
zu bitten, Prof. Dr. Dr. h. c. Ingolf Pernice als Prozessbevoll-
mächtigten zu bestellen.

Berlin, den 25. Juni 2008

Andreas Schmidt (Mülheim)
Berichterstatter

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