BT-Drucksache 16/9712

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -16/8186- Europäische Nachbarschaftspolitik zur Förderung von Frieden und Stabilität im Südkaukasus nutzen

Vom 23. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9712
16. Wahlperiode 23. 06. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 16/8186 –

Europäische Nachbarschaftspolitik zur Förderung von Frieden und Stabilität im
Südkaukasus nutzen

A. Problem

Die Antragsteller stellen fest, dass die Südkaukasusregion den Transformations-
prozess nach dem Ende der UdSSR bis heute nicht bewältigt hat. Die drei unab-
hängigen südkaukasischen Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan
leiden in unterschiedlichem Ausmaß unter innenpolitischer Instabilität, Korrup-
tion, wirtschaftlicher Not, Flüchtlingselend, tiefen Nationalitätengegensätzen
und zwischenstaatlichen Konflikten. Auf ökonomischem Gebiet erzielen Aser-
baidschan und Georgien mit der Förderung, Durchleitung und dem Verkauf von
Erdöl und Erdgas große Gewinne. Armenien bemüht sich, als Wissenschafts-
standort an Profil zu gewinnen.

Die große soziale Kluft innerhalb dieser Gesellschaften, so die Antragsteller, er-
höhe die politische Instabilität, die durch die geostrategische Einflussnahme
Russlands, der USA und der Europäischen Union (EU) maßgeblich beeinflusst
werde. Die Forderungen der EU nach wirtschaftlichem Umbau im neoliberalen
Sinn habe in allen drei südkaukasischen Republiken die bestehende soziale
Spaltung weiter vertieft. Die EU sei in den letzten Jahren verstärkt als Akteurin
in der Südkaukasusregion aufgetreten. Seit dem Jahr 2004 seien die drei Süd-
kaukasusrepubliken im Rahmen von Aktionsplänen in die Europäische Nach-
barschaftspolitik (ENP) eingebunden. Nach Auffassung der Antragsteller trage
die EU durch die falsche Grundausrichtung der ENP zu einer Zuspitzung der
Interessenauseinandersetzungen in der Region bei. Die ENP ziele vorrangig
darauf ab, die binneneuropäische Freihandelszone auf den Südkaukasusraum
auszudehnen. Die von der EU faktisch erzwungene Öffnung der nationalen
Märkte habe die soziale Lage der Bevölkerung in Armenien, Aserbaidschan und

Georgien jedoch nicht zum Besseren gewendet, sondern spürbar verschlechtert.

Die Ausrichtung der ENP sei daher grundlegend zu verändern. Die Aufgabe
einer veränderten Nachbarschaftspolitik müsse darin bestehen, die eigenständi-
ge Entwicklung und den Ausbau sozialer Standards in den Südkaukasusstaaten
nachhaltig zu unterstützen. Dies bedeute: Nicht mehr Liberalisierung, sondern
mehr gesellschaftliches Eigentum und mehr demokratische Kontrolle über die
Verwendung der Ressourcen und Gewinne seien notwendig.

Drucksache 16/9712 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Antragsteller stellen fest, dass die aus der machtpolitischen Konfrontation
zwischen Russland und den USA/der EU resultierende, regionale Blockbildung
die friedliche Beilegung der Nationalitätenkonflikte erschwert. Anfang der 90er
Jahre haben gewaltsame Staatsgründungsbestrebungen entlang ethnischer Gren-
zen im Südkaukasus zu hunderttausenden Kriegsflüchtlingen und Binnenver-
triebenen geführt.

Die Bundesregierung wird daher aufgefordert,

1. zur Förderung von Frieden und Stabilität im Südkaukasus auf eine grund-
legende Veränderung der EU-Nachbarschaftspolitik hinzuwirken und Maß-
nahmen zum Rüstungsabbau und zur Entmilitarisierung zu unterstützen und
sich dafür einzusetzen, dass

● die ENP dahingehend verändert wird, dass die EU-Entwicklungsprogram-
me nicht von einer Adaptierung des neoliberalen Wirtschaftsmodells ab-
hängig gemacht und nicht die Souveränitätsrechte der Empfängerländer
hinsichtlich der freien Wahl der Wirtschafts- und Eigentumsordnung ein-
geschränkt werden, um den Aufbau eines öffentlichen Sektors im Bereich
der Daseinsvorsorge nicht auszuschließen,

● die Prioritäten einer veränderten Nachbarschaftspolitik im Südkaukasus
Armutsbekämpfung, sozialer Ausgleich, fairer Handel, Stärkung der
demokratischen Entwicklung und der sozialen Demokratie sowie der
demokratischen Mitspracherechte in der Wirtschaft sind,

● der EU-Binnenmarkt auch stärker für andere Exportprodukte als Erdöl
und Erdgas – d. h. vor allem für agrarische und industrielle Produkte – aus
dieser Region geöffnet wird,

● regionale Blockbildung schrittweise aufgelöst und die Vernetzung aller
Staaten der Region zu einem gemeinsamen südkaukasischen Wirtschafts-
raum gefördert wird,

● auf EU-Ebene eine bedarfsgerechte Anpassung der im Nationalen Richt-
programm 2007 bis 2010 zur Armutsbekämpfung in Georgien vorgesehe-
nen EU-Finanzmittel erfolgt,

● ein weiterer Export von Rüstungsgütern in die Südkaukasusstaaten nicht
genehmigt wird und keine EU-Truppen entsandt werden, sondern im Rah-
men der OSZE eine umfassende Abrüstungsinitiative für die Region er-
arbeitet wird und

● in den Verhandlungen zur Lösung der Regionalkonflikte im Südkaukasus
das uneingeschränkte Rückkehrrecht aller Kriegsflüchtlinge und Binnen-
vertriebenen durchgesetzt wird und dass die Südkaukasusstaaten im Be-
darfsfall finanzielle und personelle Unterstützung bei der medizinischen
Langzeitbetreuung kriegstraumatisierter Flüchtlinge erhalten.

2. dass bei den Bemühungen um die Beilegung der „frozen conflicts“ (Abcha-
sien, Südossetien und Bergkarabach) prinzipiell von der Achtung der inter-
national anerkannten Staatsgrenzen ausgegangen wird und dabei

● nur gewaltfreie Lösungen angestrebt werden,

● in den Bemühungen um eine Beilegung der Regionalkonflikte man sich
für die Erhaltung der vollen territorialen Integrität der Länder und für die
kulturelle und politische Autonomie der Minderheiten innerhalb der völ-
kerrechtlich anerkannten Staatsgrenzen einsetzt und

● die vollständige Erfüllung der Resolutionen 822, 853, 874 und 884 des

UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 1993 durch Armenien und Aserbaid-
schan sichergestellt wird.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9712

3. eine Politik der kleinen Schritte und menschlichen Erleichterungen zur Kon-
fliktlösung zu nutzen und mit dazu beizutragen, die gestörten zwischenstaat-
lichen Beziehungen zu verbessern, damit

● die abgetrennten Gebiete für Besuche der ehemaligen Bewohnerinnen und
Bewohner geöffnet und familiäre Kontakte nicht behindern werden,

● durch die EU und OSZE den Republiken Armenien und Aserbaidschan
ein Vorschlag für eine Vereinbarung über den Erhalt historischer armeni-
scher und aserbaidschanischer Kulturgüter und Denkmäler auf dem Terri-
torium des jeweiligen Nachbarn vorgelegt wird,

● die Einberufung von armenisch-aserbaidschanischen Versöhnungskom-
missionen ermöglicht wird,

● ein Vorschlag unterbreitet wird, den beim Erdbeben 1988 stark beschädig-
ten und weiterhin erdbebengefährdeten Atomreaktor Metzamor schnellst-
möglich abzuschalten und

● die Regierungen der Türkei und Armeniens mit Nachdruck ermutigt wer-
den, ihre Beziehungen zu normalisieren und zu diesem Zweck die symbo-
lisch wichtige Eröffnung eines ersten regulären Grenzübergangs zwischen
beiden Ländern vorzuschlagen.

B. Lösung

Anlehnung mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimme der Fraktion DIE LINKE.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Keine

Drucksache 16/9712 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 16/8186 abzulehnen.

Berlin, den 18. Juni 2008

Der Auswärtige Ausschuss

Ruprecht Polenz
Vorsitzender

Manfred Grund
Berichterstatter

Markus Meckel
Berichterstatter

Harald Leibrecht
Berichterstatter

Wolfgang Gehrcke
Berichterstatter

Marieluise Beck (Bremen)
Berichterstatterin

Wolfgang Gehrcke
Berichterstatter

Marieluise Beck (Bremen)
Berichterstatterin
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9712

Bericht der Abgeordneten Manfred Grund, Markus Meckel, Harald Leibrecht,
Wolfgang Gehrcke und Marieluise Beck (Bremen)

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
16/8186 in seiner 145. Sitzung am 21. Februar 2008 in erster
Lesung beraten und zur federführenden Beratung dem Aus-
wärtigen Ausschuss, zur Mitberatung dem Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe, dem Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe hat den Antrag in seiner 62. Sitzung am 4. Juni 2008
beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU, SPD und FDP bei Abwesenheit der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ableh-
nung.

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung hat den Antrag in seiner 66. Sitzung am 18. Juni
2008 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. die Ablehnung.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union hat den Antrag in seiner 65. Sitzung am 18. Juni 2008
beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. die Ableh-
nung.

III. Beratung im Auswärtigen Ausschuss
Der Auswärtige Ausschuss hat den Antrag in seiner
66. Sitzung am 18. Juni 2008 beraten und empfiehlt mit
den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion DIE LINKE. die Ablehnung.

Berlin, den 18. Juni 2008

Manfred Grund
Berichterstatter

Markus Meckel
Berichterstatter

Harald Leibrecht
Berichterstatter

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