Vom 28. November 2005
Deutscher Bundestag Drucksache 16/97
16. Wahlperiode 28. 11. 2005
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Claudia Roth
(Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bürgerrechtssituation von Lesben und Schwulen in Polen
Medienberichten zufolge hat der Bürgermeister von Poznan einen für den
19. November 2005 angemeldeten Marsch für Toleranz „als Bedrohung der
Werte“ verboten (Bericht der Nachrichtenagentur AFP vom 19. November
2005). Aufgerufen hatten zu der Demonstration schwul-lesbische Bürgerrechts-
vereinigungen, feministische Organisationen und polnische Grüne.
In Warschau hatte der dortige Bürgermeister und designierte Präsident der Re-
publik Polen, Lech Kaczynski, bereits 2004 und 2005 anlässlich des Christopher-
Street-Day angemeldete Demonstrationen für Toleranz und Gleichberechtigung
verboten.
Die „Berliner Zeitung“ berichtete am 19. November 2005 über ein zunehmend
repressives Klima gegenüber Homosexuellen in Polen. So seien Repräsentanten
der schwul-lesbischen Bürgerrechtsbewegung von der Polizei zu Verhören vor-
geladen worden, um über sich und andere Homosexuelle Auskunft zu geben.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der friedliche Einsatz für ein
tolerantes Klima gegenüber Lesben und Schwulen und gegen Diskriminie-
rung von der Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit gedeckt ist, und
dass es Aufgabe eines demokratischen Rechtsstaates ist, das Recht auf Mei-
nungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit für alle Bürgerinnen und Bürger zu
sichern und dieses gegebenenfalls auch durchzusetzen?
2. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Verbote von
Demonstrationen für Toleranz und Gleichberechtigung, die polnische Behör-
den 2005 in Poznan sowie 2004 und 2005 in Warschau ausgesprochen haben?
3. Treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Medienberichte zu, wonach das
Verbot der anfänglich genehmigten Demonstration in Poznan aufgrund von
Interventionen aus der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) erfolgte?
4. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Einschüchterungsversuchen staat-
licher Stellen gegenüber Repräsentanten der schwul-lesbischen Bürgerrechts-
bewegung in Polen, und wie bewertet sie gegebenenfalls diese Vorgänge?
5. In welcher Form setzt sich die Bundesregierung gegenüber der polnischen
Regierung und im Rahmen der Europäischen Union für die Wahrung und
Durchsetzung der Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit in Polen im
Hinblick auf das Thema Homosexualität und Diskriminierung ein?
Drucksache 16/97 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
6. In welcher Form setzt sich die Bundesregierung gegenüber der polnischen
Regierung und im Rahmen der Europäischen Union dafür ein, dass die Wah-
rung und Durchsetzung gleicher Bürgerrechte für Lesben und Schwule in
Polen garantiert und Diskriminierung entgegengetreten wird?
7. Sind die Themen Homosexualität und Diskriminierung sowie die Lebens-
situation von Lesben und Schwulen in Deutschland und Polen Gegenstand
von Veranstaltungen im Rahmen des „Deutsch-Polnischen Jahres 2005/2006“,
und wenn ja, bei welchen Veranstaltungen?
8. Wird die Bundesregierung angesichts der aktuellen Entwicklungen zusätz-
liche Veranstaltungen im Rahmen des „Deutsch-Polnischen Jahres 2005/2006“
zu den in Frage 7 genannten Themen anregen oder selbst durchführen?
Berlin, den 28. November 2005
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
Kleine Anfrage
Bürgerrechtssituation von Lesben und Schwulen in Polen