BT-Drucksache 16/9653

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/3439, 16/9646- Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie

Vom 18. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9653
16. Wahlperiode 18. 06. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Sevim Dag˘delen, Lutz Heilmann,
Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/3439, 16/9646 –

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates
der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung
von Kindern und der Kinderpornographie

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen
ist ein wichtiges Ziel nationaler und internationaler Politik, zu dessen
Durchsetzung es größter gesellschaftlicher und staatlicher Anstrengungen
bedarf. Effektiver Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Aus-
beutung verlangt verstärktes gesellschaftliches und staatliches Engagement
in den Bereichen der Prävention, der Opfer- und Angehörigenbetreuung und
der Nachsorge.

2. Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern drückt sich zu
Recht in einem absoluten Verbot sexueller Kontakte mit Kindern aus. Dem-
gegenüber besteht das Recht der sexuellen Selbstbestimmung Jugendlicher
aus zwei Seiten, nämlich der Freiheit vor ungewollter Sexualität und der
Freiheit zu gewollter Sexualität.

3. Der gesetzgeberischen Aufgabe, beide Seiten des Schutzes der sexuellen
Selbstbestimmung Jugendlicher angemessen auszutarieren, wird der Rah-
menbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämp-
fung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie
nicht gerecht, weil er pauschal Jugendliche und Kinder gleichsetzt. Damit
verletzt er teilweise das Recht der sexuellen Selbstbestimmung Jugendli-
cher. Es ist zumindest zweifelhaft, ob für den Rahmenbeschluss des Rates
überhaupt eine Rechtsgrundlage besteht. Insbesondere widerspricht der ein-

deutige Wortlaut des Artikels 31 Abs. 1 Buchstabe e des EU-Vertrags (EUV)
der Annahme einer Kompetenz zum Erlass des zu Grunde liegenden Rah-
menbeschlusses.

4. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung vertieft die Einschrän-
kungen der sexuellen Freiheit Jugendlicher noch, indem er hinsichtlich des
Tatbestands des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher (§ 182 des Strafgesetz-

Drucksache 16/9653 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

buches – StGB) über die zwingenden Vorgaben des Rahmenbeschlusses hin-
ausgeht und von den Ausnahmemöglichkeiten des Artikels 3 Abs. 2 des
Rahmenbeschlusses im Bereich der Jugendpornographie nicht angemessen
Gebrauch macht.

5. Der Deutsche Bundestag begrüßt demgegenüber, dass nach fraktionsüber-
greifenden Verhandlungen nun eine Gesetzesformulierung des Bundesmi-
nisteriums der Justiz vorliegt, die im Bereich der Jugendpornographie we-
sentliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen weit über den zu
Grunde liegenden Rahmenbeschluss hinausgehenden Regierungsentwurf
vorsieht. Insbesondere die Straflosstellung des Besitzes von pornographi-
schem Material, welches eine Person abbildet, die jugendlich erscheint, in
Wirklichkeit aber älter als 18 Jahre ist, ist dringend geboten. Gleichfalls zu
begrüßen ist, dass der unterschiedliche Unrechtsgehalt des Umgangs mit
jugendpornographischen und mit kinderpornographischen Schriften nunmehr
in gesonderten Tatbeständen zum Ausdruck kommt. Zwingend erforderlich
ist auch die nun erfolgte Straflosstellung des Eigenbesitzes jugendpornogra-
phischen Materials, welches mit Einwilligung des dargestellten Jugendlichen
durch einen Jugendlichen hergestellt wurde.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

6. den Straftatbestand des sexuellen Missbrauch von Jugendlichen in § 182
StGB so zu fassen, dass er möglichst schonend in das gewachsene System
der Schutzaltersgrenzen des Sexualstrafrechts eingreift. Dabei verlangt der
Schutzzweck der Norm, wie bisher einen Altersunterschied zwischen Täter
und Opfer zur Voraussetzung der Strafbarkeit zu machen. Deshalb muss in
beiden Tatbestandsalternativen auf Täterseite weiterhin ein Mindestalter von
18 Jahren zur Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens erforderlich sein. Des
Weiteren muss durch die Formulierung des Gesetzes sichergestellt werden,
dass die Tatbestandsalternative „gegen Entgelt“ nur solche Konstellationen
erfasst, denen die Gefahr eines Übergangs in die Prostitution anhaftet. Da-
durch, dass nach der geltenden Formulierung jede materielle Gegenleistung
– gleich welchen Umfangs – als Entgelt anzusehen ist und nunmehr auch der
Versuch strafbar sein soll, würde andernfalls eine Vielzahl sozialüblicher
Handlungen kriminalisiert, ohne dass eine Rechtsgutsgefährdung ersichtlich
wäre;

7. im Rahmen des Tatbestands der Jugendpornographie von allen Möglichkei-
ten der Straflosstellung des Artikels 3 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses Ge-
brauch zu machen und das Tatbestandsmerkmal der Schriften im Sinne des
§ 11 Abs. 3 StGB durch „bildliche Darstellungen“ zu ersetzen;

8. zur Klarstellung das funktionslose Tatbestandsmerkmal „pornographisch“ in
§ 184b StGB zu streichen;

9. sich verstärkt finanziell im Bereich der Opfer- und Angehörigenbetreuung,
der Prävention und Nachsorge zu engagieren, insbesondere für flächen-
deckende psychosoziale Betreuungsangebote Sorge zu tragen.

Berlin, den 18. Juni 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9653

Begründung

Die Fraktion DIE LINKE. unterstützt ausdrücklich das Ziel des Gesetzentwurfs
wie auch des ihm zu Grunde liegenden Rahmenbeschlusses, die sexuelle Aus-
beutung von Kindern und Jugendlichen sowie Kinder- und Jugendpornographie
zu bekämpfen. Sie sieht zu diesem Zweck vor allem verstärkte Anstrengungen
in den Bereichen der Opfer- und Angehörigenbetreuung, der Prävention und
der Nachsorge als notwendig an. Dazu bedarf es dringend des Ausbaus ambu-
lanter und stationärer psychosozialer Betreuungsangebote.

Angesichts der Höchstwertigkeit der gefährdeten Rechtsgüter kann aber auch
ein Eingreifen des Strafrechts als das schärfste Schwert des Rechtsstaats zum
Schutz kindlicher und jugendlicher Selbstbestimmung notwendig sein. Dies ist
in der Bundesrepublik Deutschland durch ein langjährig gewachsenes Gesamt-
system des Sexualstrafrechts gewährleistet, welches gerade im Bereich des
Minderjährigenschutzes trotz punktuellen Änderungsbedarfs auf einer stringen-
ten inneren Logik und breiter gesellschaftlicher Zustimmung beruht.

Dem Ziel der Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugend-
lichen dient auch der vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung des Rahmen-
beschlusses 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der
sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie. Der Rahmen-
beschluss weist allerdings im Verhältnis zum deutschen Strafrecht einen funda-
mentalen Systembruch auf, indem er alle Personen, die unter 18 Jahre alt sind,
als Kinder behandelt. Nach unserer Rechtsordnung sind Kinder ausschließlich
Personen unter 14 Jahre.

Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gelingt es im Rahmen der Umset-
zung nicht, die durch den Rahmenbeschluss vorgegebene Systemänderung an-
gemessen und unseren Wertvorstellungen entsprechend zu vollziehen. Indem er
teilweise Jugendliche mit Kindern gleichsetzt, hebelt er das gewachsene Sys-
tem der Schutzaltersgrenzen des deutschen Sexualstrafrechts aus und führt da-
durch zu Veränderungen des den Straftatbeständen zu Grunde liegenden
Schutzzwecks und nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen innerhalb der
Rechtsordnung. Er wird damit der Komplexität des Rechts der sexuellen
Selbstbestimmung Jugendlicher nicht gerecht.

Es ist bereits sehr zweifelhaft, ob für den zu Grunde liegenden Rahmenbe-
schluss überhaupt eine Rechtsgrundlage besteht. Insbesondere widerspricht der
eindeutige Wortlaut des Artikels 31 Abs. 1 Buchstabe e EUV der Annahme
einer Kompetenz zum Erlass des vorliegenden Rahmenbeschlusses. Dieser
sieht für den Bereich des materiellen Strafrechts eine Beschränkung auf die Be-
reiche der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und des Drogenhandels
vor. Zwar wird insbesondere seitens der Bundesregierung mit Hinweis auf Arti-
kel 29 EUV und die dort genannten Kriminalitätsbereiche eine Relativierung
der Beschränkung auf die drei Bereiche organisierte Kriminalität, Terrorismus
und Drogenhandel postuliert. Methodisch ist es allerdings bedenklich, von den
Zielen des Artikels 29 EUV auf Kompetenzen der EU jenseits der klaren Wort-
lautgrenzen des Artikels 31 Abs. 1 Buchstabe e EUV zu schließen.

Unabhängig davon geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung an verschiede-
nen Punkten über die zwingenden Vorgaben des Rahmenbeschlusses noch hin-
aus und berührt in weitem Maße das Recht der sexuellen Selbstbestimmung der
Jugendlichen. Dessen Bedeutung für die Persönlichkeit und Würde des Men-
schen erfordert es, die Freiheit zu gewollter Sexualität mit der Freiheit vor
ungewollter Sexualität vorsichtig und sensibel auszutarieren. Gerade in dem für
moralische und paternalistische Implikationen besonders anfälligen Bereich
des Sexualstrafrechts kommt daher einer streng an dem Bestimmtheitsgebot
und dem Ultima-Ratio-Prinzip orientierten Tatbestandsfassung entscheidende

Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Aushebelung des

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bewährten Systems der Schutzaltersgrenzen des geltenden bundesdeutschen
Strafrechts sollten die Möglichkeiten der Straflosstellung nach Artikel 3 Abs. 2
des Rahmenbeschlusses genutzt werden.

Die Straflosstellung des gesamten Umgangs mit jugendpornographischem Ma-
terial, welches eine Person abbildet, die in Wirklichkeit über 18 Jahre alt ist,
sollte sich hierzu ausdrücklich im Gesetzestext wiederfinden. Gleiches gilt für
Fälle der Herstellung und des Besitzes, in denen die abgebildeten Jugendlichen
die sexuelle Mündigkeit erreicht und ihre Zustimmung zu der nichtkommerzi-
ellen Herstellung und dem rein privaten Besitz der Bilder gegeben haben. Die
Beschränkung auf jugendliche Täter gerät in Widerspruch zu den Wertungen
des Sexualstrafrechts, welches freiwillige sexuelle Kontakte zwischen Jugend-
lichen und Erwachsenen nicht untersagt. Im Rahmen der Jugendpornographie
sollte das Tatbestandsmerkmal der Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB
durch die nach dem Rahmenbeschluss allein geforderte bildliche Darstellung
ersetzt werden. Andernfalls stellt sich der Tatbestand als eine höchst bedenk-
liche Literaturkontrolle dar, deren Schutzzweck unklar bleibt.

Im Rahmen des § 182 StGB sollte die Herabsetzung des Mindestalters auf Tä-
terseite vollständig unterbleiben. Wesentlicher Strafgrund des § 182 StGB in
seiner jetzigen Fassung ist das aufgrund des Altersunterschiedes zwischen Tä-
ter und Opfer bestehende Machtgefälle. Zudem schreibt der Rahmenbeschluss
der Überschrift des Artikels 2 nach lediglich vor, die sexuelle Ausbeutung von
Kindern unter Strafe zu stellen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, inwieweit nach
der Modifikation der Altersgrenzen durch die in dem Tatbestand vorgesehenen
Verhaltensweisen noch generalisierend von einer sexuellen Ausbeutung der Be-
troffenen gesprochen werden kann. Insbesondere sind in der vorliegenden For-
mulierung Fälle erfasst, in denen ein umgekehrtes Machtgefälle zwischen dem
jüngeren Täter und dem älteren Opfer vermutet werden kann.

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