BT-Drucksache 16/9548

Ergebnisse der Annapolis-Konferenz, israelischer Siedlungsbau und Entwicklung Gazastreifen

Vom 11. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9548
16. Wahlperiode 11. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche, Wolfgang Gehrcke,
Heike Hänsel, Inge Höger und der Fraktion DIE LINKE.

Ergebnisse der Annapolis-Konferenz, israelischer Siedlungsbau
und Entwicklung Gazastreifen

Die Nahost-Konferenz von Annapolis Ende 2007 sollte der Auftakt für neue
Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern sein. Auf dieser
Konferenz wurde ein Friedensprozess vereinbart, der Ende des Jahres 2008 in
einem Friedensvertrag oder aber immerhin in ein „Rahmenabkommen“ (Shelf-
Agreement) münden soll. Die USA haben die Verpflichtung übernommen, sich
aktiv für die Umsetzung der Ergebnisse einzusetzen und diese zu überwachen,
was eine große Chance für die Friedensverhandlungen ist.

Der UN-Beauftragte für den Nahostfriedensprozess, Robert Serry, zeigt sich
allerdings mittlerweile öffentlich besorgt über den Fortgang des Friedenspro-
zesses und mahnt sichtbare Fortschritte an.

Bereits die ersten sechs Wochen nach der Annapolis-Konferenz haben gezeigt,
dass eine Einigung der Parteien sehr schwierig ist. Bis heute erschweren der
Ausbau jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Territorium, Militäropera-
tionen mit gezielten Tötungen durch die israelische Armee im Gazastreifen und
der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel den Verhandlungsprozess.

Bis heute genehmigt und dehnt Israel Siedlungen im Westjordanland und in
Ostjerusalem aus. Zugleich verweigert Israel den Palästinensern einen Großteil
von Bauanträgen. Eine Studie von „Peace Now“, bei der Zahlen des israelischen
Statistikamts ausgewertet wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass in den letzten
sieben Jahren 94 Prozent der Bauanträge von Palästinensern im Westjordanland
abgelehnt wurden, im gleichen Zeitraum (2000 bis 2007) sind dort 18 472 Häu-
ser und Wohnungen in den israelischen Siedlungen errichtet worden.

Ein weiteres schwerwiegendes Problem ist die schon seit langem katastrophale
humanitäre Situation im Gazastreifen. Der UN-Koordinator für humanitäre
Hilfe, John Holmes, besuchte Mitte Februar den Gazastreifen. In seinem Be-
richt an den Sicherheitsrat zeigt er sich entsetzt über die humanitäre Situation.
Durch die Abriegelung des Gazastreifens durch Israel und Ägypten herrschten
im Gazastreifen „trostlose und elende Lebensbedingungen“. In dem von John
Dugard im Auftrag des UN-Menschenrechtsrats erstellten Bericht vom 21. Ja-

nuar 2008 zur Menschenrechtssituation im Gazastreifen und in den anderen be-
setzten arabischen Gebieten wird festgestellt, dass Israel die internationalen
humanitären Rechte und die Menschenrechte durch seine Politik verletzt. Das
Europäische Parlament konstatiert in einer Pressemitteilung vom 21. Februar
2008, dass die Politik der Isolierung des Gazastreifens sowohl in politischer
wie in humanitärer Hinsicht gescheitert sei. Der neueste gemeinsame Bericht

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der Menschenrechts-NGO (NGO – Nichtregierungsorganisation) Amnesty
International UK, CARE International UK, CAFOD (Catholic Agency for
Overseas Development), Christian Aid, Médecins du Monde UK, Oxfam, Save
The Children UK and Trócaire vom 6. März 2008 spricht von einer „humani-
tären Implosion“ des Gazastreifens als Folge der israelischen Besatzungspoli-
tik. Die heutige Situation der 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen ist so
schlecht wie nie zuvor seit dem Beginn der militärischen Besetzung des
Gazastreifens durch Israel im Jahr 1967.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Ergebnisse hat die Annapolis-Konferenz aus der Sicht
der Bundesregierung bisher hervorgebracht, und welche Probleme sollen in
den nächsten drei Monaten adressiert und verhandelt werden?

2. Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen auf die nachhaltige
Stabilität einer möglichen Friedenslösung ein, in Abhängigkeit davon, ob
und in welchem Maße die Hamas in solche Friedenslösungen eingebunden
ist?

3. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der „Road Map“ des inter-
nationalen Nahost-Quartetts angesichts der israelischen Siedlungstätigkeit
in der Westbank und in Ost-Jerusalem sowie dem Bau der so genannten
Trennungsmauern bei, die mehr als 16 Prozent der Westbank an das Terri-
torium Israels anschließen sollen?

4. Was gedenkt die Bundesregierung politisch zu unternehmen, um die von
ihr unterstützte Zwei-Staaten-Regelung nachdrücklich zu erreichen?

5. Wie definiert die Bundesregierung ihre Rolle in den bisherigen Verhand-
lungen, welche Rolle strebt sie in den zukünftigen Verhandlungen an?

6. Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um mit der
US-amerikanischen Regierung in einen offenen, von Washingtoner Diplo-
maten erwünschten Dialog einzutreten, damit die politische Rolle Europas
im Nahen Osten jenseits finanzieller und infrastruktureller Unterstützungs-
leistungen für das palästinensische Volk gestärkt wird?

7. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die frühere US-amerikanische
Außenministerin Madeleine K. Albright jüngst die künftige US-Präsident-
schaft aufgefordert hat, mit Entschiedenheit eine ausgewogene Politik im
Friedensprozess zwischen Israel und dem palästinensischen Volk zu betrei-
ben, und welche Schlussfolgerungen will die Bundesregierung daraus für
ihre eigene Nahostpolitik ziehen?

8. Welche Schritte wurden durch die Bundesregierung zur Umsetzung des
„Aktionsplan Nahost“ unternommen, der von Bundesminister des Auswär-
tigen Dr. Frank-Walter Steinmeier im Oktober 2008 vorgeschlagen wurde?

9. Mit welchen Initiativen hat die Bundesregierung bisher im Rahmen der EU
versucht, Israel davon zu überzeugen, dass der Mauerbau keine Lösung des
Konflikts und des Sicherheitsproblems Israels ist?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass nach der internatio-
nalen Konferenz in Annapolis die Zahl der genehmigten Wohneinheiten im
arabischen Teil Jerusalems erheblich gestiegen ist?

11. Verfügt die Bundesregierung über eine bindende Zusage von Ministerpräsi-
dent Ehud Olmert, dass er gewillt ist, jede Erweiterung der israelischen
Siedlungen in den arabischen Teilen in und um Jerusalem zu unterbinden,
soweit sie nicht von ihm persönlich genehmigt worden sind?

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12. Betrachtet die Bundesregierung die Tatsache, dass nach Ermittlungen der
israelischen Friedensbewegung „Peace Now“ zwischen Anfang 2000 und
September 2007 in der Zone C, die gemäß den Osloer Vereinbarungen
60 Prozent der Westbank ausmacht, von den israelischen Behörden
lediglich 91 Baugenehmigungen für die 70 000 Palästinenser erteilt und
1 663 „illegal“ errichtete Wohnkomplexe zerstört worden sind und dass in
derselben Zeit 18 472 Wohneinheiten in den jüdischen Siedlungen errichtet
wurden als eine interne israelische Angelegenheit, oder verstößt die israe-
lische Regierung mit dieser Praxis gegen internationales Recht?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bundesministerin für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-
Zeul, dass die israelische Politik den Siedlungsbau und die Blockade des
Gazastreifens sofort beenden müsse, um bei der palästinensischen Bevöl-
kerung politisches Vertrauen zu schaffen?

14. Mit welchen Initiativen hat die Bundesregierung bisher im Rahmen der EU
versucht, auf Israel dahingehend einzuwirken, den Siedlungsbau auf paläs-
tinensischem Territorium zu stoppen?

15. Wie steht die Bundesregierung zu der Aussage von John Dugard, Beauf-
tragter des Menschenrechtsrats, dass Israel durch die vollständige Kon-
trolle des Gazastreifens und die Durchführung von Kollektivstrafen die
Menschenrechte der Palästinenser und Palästinenserinnen im Gazastreifen
verletzt?

16. Gedenkt die Bundesregierung in Zukunft die aus der Geschichte erwach-
sene Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel und seinen Sicherheits-
interessen auch darin zu sehen, sich in der Öffentlichkeit auf die Seite der
Menschenrechte zu stellen und Israel bei deren Verletzungen im Gazastrei-
fen auch öffentlich zu kritisieren?

17. Ist es vorgesehen, neue bilaterale wirtschaftliche Abkommen zwischen
Israel und Deutschland in Zukunft daran zu binden, dass die Menschen-
rechte der Palästinenser und Palästinenserinnen im Gazastreifen beachtet
werden?

18. Plant die Bundesregierung konkrete politische Schritte, damit die EU Israel
auffordert, die Menschenrechte der Palästinenser zu achten, die Blockade
des Gazastreifens und die Kollektivbestrafung der Palästinenser zu been-
den?

19. Was hindert die EU aus Sicht der Bundesregierung daran, in den Friedens-
verhandlungen eine entscheidende Rolle als Vermittlerin zu übernehmen?

20. Gedenkt die Bundesregierung Kontakt mit Vertretern der Hamas in Gaza
aufzunehmen, um den Raketenbeschuss auf Israel zu unterbinden?

21. Wie bewertet die Bundesregierung die offiziellen Waffenruhe-Vorschläge
der Hamas an Israel?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung die Lebensbedingungen und menschen-
rechtliche Lage in Gaza?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der erheblichen deutschen
und europäischen Finanztransfers an die Autonomiebehörde auf die
Lebenssituation der Palästinenser?

24. Welche Ursachen stehen aus der Perspektive der Bundesregierung hinter
der palästinensischen Gewalt im Gazastreifen?

25. Welche politischen und wirtschaftlichen Schritte muss die EU aus der Sicht

der Bundesregierung unternehmen, um die weitere Eskalation zwischen
Hamas und Fatah im Gazastreifen zu verhindern?

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26. Welche politischen Schritte hat die Bundesregierung unternommen, damit
die israelische Regierung und die Hamas-Führung im Gazastreifen die
militärischen Vorstöße und Angriffe sofort beenden?

Berlin, den 6. Mai 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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