BT-Drucksache 16/9420

Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9420
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Michaela Noll, Antje Blumenthal, Thomas Bareiß, Ilse Falk,
Ingrid Fischbach, Markus Grübel, Norbert Barthle, Michael Brand, Maria Eichhorn,
Hartwig Fischer (Göttingen), Dr. Maria Flachsbarth, Ralf Göbel, Hartmut Koschyk,
Katharina Landgraf, Paul Lehrieder, Dr. Eva Möllring, Sibylle Pfeiffer,
Dr. Norbert Röttgen, Johannes Singhammer, Elisabeth Winkelmeier-Becker,
Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Renate Gradistanac,
Kerstin Griese, Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Jürgen Kucharczyk,
Ute Kumpf, Helga Lopez, Lothar Mark, Caren Marks, Franz Müntefering, Thomas
Oppermann, Sönke Rix, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Wolfgang Spanier,
Dieter Steinecke, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Insgesamt sind weltweit ca. 140 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Geni-
talien verstümmelt. Laut einer UNICEF-Studie aus dem Jahr 2005 (Female Ge-
nital Mutilation/Cutting. A statistical exploration) kommen jährlich schätzungs-
weise drei Millionen Mädchen im Alter von vier bis zwölf Jahren hinzu. Bedingt
durch Migration und Flucht leben heute auch in Europa immer mehr Frauen, die
Opfer von Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM) sind. Das
Statistische Bundesamt und die Frauenrechtsorganisation TERRES DES
FEMMES e. V. – Menschenrechte für die Frau schätzen, dass in Deutschland
etwa 30 000 Frauen und Mädchen von Genitalverstümmelung betroffen oder
bedroht sind.

Die Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung und eine
schwere Diskriminierung der Frau. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
definiert „alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der
weiblichen äußeren Genitalien oder deren Verletzung zum Ziel haben, sei es aus
kulturellen oder anderen nichttherapeutischen Gründen“ als Genitalverstümme-
lung.

Genitalverstümmelung führt im schlimmsten Fall zum Tod. Die Zahl unmittel-

barer Todesfälle wird von der WHO auf 3 bis 7 Prozent geschätzt; das sind zwi-
schen 60 000 und 140 000 Todesfälle jährlich. Werden Todesfolgen im späteren
Alter, z. B. infolge von Geburtskomplikationen oder chronischen Infektionen,
berücksichtigt, erhöht sich die Todesrate auf 25 bis 30 Prozent. Infolge der
Genitalverstümmelung ist auch der Geburtsvorgang erschwert, was das Sterb-
lichkeitsrisiko für den Säugling während der Geburt ebenfalls um 25 bis 30 Pro-
zent steigen lässt (WHO).

Drucksache 16/9420 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Genitalverstümmelung hinterlässt bei den Opfern immer physische und oftmals
lebenslange psychische Schäden. Häufige chronische Erkrankungen sind Harn-
wegsinfektionen, Infektionen der Fortpflanzungsorgane, Beckeninfektionen,
Unfruchtbarkeit, Narbenbildung, Blutungen, Nerventumore. Als psychische
Folgeschäden treten häufig Depressionen und Psychosen auf, die oft auch zu
Einschränkungen im Sexualleben führen.

Genitalverstümmelung wird vorherrschend in afrikanischen Staaten durch-
geführt, am häufigsten in Somalia (98 Prozent), Ägypten (96 Prozent), Djibuti
(98 Prozent), Sudan (90 Prozent im Norden des Landes) und Guinea (96 Pro-
zent). In geringerem Ausmaß wird Genitalverstümmelung auch in arabischen
Staaten (z. B. im Jemen, in Jordanien, Syrien, Oman und in den Vereinigten
Arabischen Emiraten), in asiatischen Staaten (z. B. in Indien, Indonesien, Sri
Lanka, Malaysia) bzw. auch bei einigen mittel- und südamerikanischen Ethnien
(Peru und Mexiko) praktiziert.

Anhand der Verteilung wird deutlich, dass die Tradition der Genitalver-
stümmelung keineswegs einer bestimmten Kultur oder Religion zuzurechnen
ist. In vielen Staaten ist Genitalverstümmelung gesetzlich verboten, wird aber
dennoch praktiziert. Zur Rechtfertigung des Festhaltens an dieser Tradition
werden häufig psycho-sexuelle (Kontrolle der weiblichen Sexualität), soziologi-
sche (Initiationsritus), religiöse, ästhetisch-gesundheitliche (u. a. angebliche
Steigerung der Fruchtbarkeit) und ökonomische (höheres Brautgeld) Be-
gründungen herangeführt (WHO und Deutsche Gesellschaft für technische Zu-
sammenarbeit – GTZ).

Internationale Konventionen und Menschenrechtsverträge, wie das „Überein-
kommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW)
oder das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ (UN-Kinderrechts-
konvention) anerkennen, dass Genitalverstümmelung eine schwere Menschen-
rechtsverletzung darstellt. Die Aktionsplattform der Vierten Weltfrauenkonfe-
renz in Peking 1995, die „Millenniumserklärung“ der Vereinten Nationen oder
der „Bericht des UN-Generalsekretärs über traditionelle Praktiken oder Bräu-
che, die die Gesundheit von Frauen und Mädchen beeinträchtigen“ (Resolution
56/128 aus dem Jahr 2001) und das „Maputo Protokoll“ (2003) zielen auf die
Ächtung der Genitalverstümmelung und die Umsetzung des Verbots ab. Auch
internationale Islamgelehrte engagieren sich, etwa indem sie 2006 eine Fatwa
beschlossen haben, wonach weibliche Genitalverstümmelung ein strafbares
Verbrechen ist und gegen die höchsten Werte des Islam verstößt. Diese inter-
nationalen Anstrengungen werden von der Bundesregierung unterstützt.

Nachhaltige Erfolge bei der Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung
in Deutschland erfordern ein gemeinsames Strategie- und Handlungskonzept,
das die Situation in den Herkunftsländern der betroffenen Frauen mit einbezieht.
Der Deutsche Bundestag begrüßt deshalb, dass sich die Bundesregierung auf in-
ternationaler Ebene sowie in der bilateralen staatlichen Entwicklungszusam-
menarbeit seit Jahren mit großem Engagement für die Überwindung von FGM
einsetzt. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung (BMZ) werden verschiedene Maßnahmen der Entwick-
lungszusammenarbeit zur Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung
durchgeführt. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet das von der GTZ seit
1999 durchgeführte überregionale Projekt „Überwindung der weiblichen
Genitalverstümmelung“. Darüber hinaus engagieren sich auch deutsche Nicht-
regierungsorganisationen (NRO) – oft in Kooperation mit lokalen Organisa-
tionen – maßgeblich. Der Erfolg der Projekte beruht auf langfristigem Engage-
ment, da angesichts der tiefen gesellschaftlichen Verankerung von FGM in
vielen afrikanischen Ländern schnelle Veränderungsprozesse nicht zu erwarten

sind. Im Ergebnis zeigen die Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit,
dass die Überwindung der Praktik nicht allein eine Frage der gesundheitlichen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9420

Aufklärung ist, sondern eine vielschichtige gesellschaftliche Herausforderung.
Weibliche Genitalverstümmelung stellt kein isoliertes Problem dar. Bemühun-
gen zur Überwindung von FGM müssen in einen engen Zusammenhang mit ge-
sundheits-, frauen- und entwicklungspolitischen Zielrichtungen wie Gender
Mainstreaming, politischer Partizipation und der Stärkung von Frauen- und
Mädcheninteressen gestellt werden. Die Erfahrungen der GTZ und der verschie-
denen NRO in den Partnerländern liefern wertvolle Ansätze, von denen auch
Akteure in Deutschland bei der Bekämpfung von FGM profitieren und lernen
können. In diesem Sinne hat das BMZ bereits im Dezember 2006 die Konferenz
„Weibliche Genitalverstümmelung beenden: Erfahrungen aus Afrika und Eur-
opa – Perspektiven für Deutschland“ in Berlin durchgeführt. Dabei wurden Er-
kenntnisse aus der Entwicklungszusammenarbeit den anderen betroffenen Res-
sorts zur Verfügung gestellt.

Für Mädchen und Frauen, denen Genitalverstümmelung in Deutschland droht,
gilt, dass in Deutschland Genitalverstümmelung in jedem Fall eine Körperver-
letzung gemäß § 223 des Strafgesetzbuchs (StGB) darstellt, unabhängig davon,
durch wen sie durchgeführt wird. In den meisten Fällen ist Genitalverstümme-
lung auch eine gefährliche bzw. schwere Körperverletzung im Sinne des § 224
Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und § 226 StGB. Eine Rechtfertigung der Genitalverstümme-
lung durch Einwilligung ist wegen der Sittenwidrigkeit der Tat ausgeschlossen
(§ 228 StGB). Dies gilt auch für Ärztinnen und Ärzte, die beispielsweise nach
einer Schwangerschaft und Geburt über das übliche Maß der Wundversorgung
tätig werden und nach dem Wunsch der Betroffenen den ursprünglichen Be-
schneidungszustand wiederherstellen (Reinfibulation). Strafbar kann Genital-
verstümmelung auch nach § 225 StGB als Misshandlung von Schutzbefohlenen
sein. In einer Strafrechtsänderung kann daher keine Problemlösung gesehen
werden. Vielmehr muss bei den Familien eine Unrechtssensibilisierung unter-
stützt werden, so dass bei weiblichen Geschwistern oder Mädchen im Freundes-
und Bekanntenkreis zukünftig Genitalverstümmelungen abgelehnt und somit
verhindert werden können.

Mädchen und Frauen, denen bei der Rückkehr in ihre Heimat eine Genitalver-
stümmelung droht, können eine drohende Genitalverstümmelung als einen ei-
genständigen Asylgrund aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung geltend
machen. Der Bundesgerichtshof hat außerdem festgestellt, dass der Staat in das
Sorgerecht der Eltern – in diesem Fall in das Aufenthaltsbestimmungsrecht –
eingreifen kann, wenn dem Kind ansonsten eine Genitalverstümmelung droht,
da dies eine „grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende
Misshandlung“ (Az.: XII ZB 166/03) ist und mit dem Kindeswohl nicht zu ver-
einbaren ist. Überdies sind die Regelungen für Prävention und Schutz von in
Deutschland lebenden Mädchen vor genitaler Verstümmelung mit den bestehen-
den Instrumentarien des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sowie des
Sorge- und Umgangsrechts ausreichend, wie es auch die Expertenanhörung im
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 19. September 2007
ergeben hat.

Auch der ärztliche Berufsstand hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Der
Deutsche Ärztetag verabschiedete bereits 1996 eine Entschließung, in der die
Beteiligung von Ärzten und Ärztinnen an Genitalverstümmelungen verurteilt
wird und in der darauf hingewiesen wird, dass nach der Generalpflichtenklausel
der Berufsordnung für deutsche Ärzte und Ärztinnen Genitalverstümmelung
berufsrechtlich geahndet werden kann.

Darüber hinaus gibt es eine von der Bundesärztekammer herausgegebene
Broschüre mit „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher
Genitalverstümmelung“. Die Broschüre macht deutlich, dass erstens Genital-

verstümmelung in Deutschland, auch wenn eine Einwilligung vorliegt, strafbar
ist, dass zweitens das Wiedervernähen der Verstümmelung dann strafbar ist,

Drucksache 16/9420 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

wenn „diese erkennbar zu einer gesundheitlichen Gefährdung der Frau führen
würde“, und drittens, dass Ärzte und Ärztinnen nicht an die ärztliche Schweige-
pflicht gebunden sind, wenn es darum geht, Straftaten abzuwenden. Ärzte sind
von ihrer Schweigepflicht entbunden, wenn ein Mädchen bereits Opfer von
Genitalverstümmelung geworden ist bzw. wenn der Arzt oder die Ärztin be-
fürchtet, kleinere Geschwister könnten von Genitalverstümmelung bedroht sein.
In beiden Fällen kann eine Meldung an das zuständige Jugendamt bzw. die Po-
lizei gemacht werden. Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammen-
hang die Initiative der Bundesärztekammer, die darauf abzielt, ihren Berufsstand
zu sensibilisieren, um betroffenen Frauen adäquate medizinische, psychologi-
sche und soziale Hilfestellungen anbieten bzw. vermitteln zu können. Das Bun-
desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt seit mehreren
Jahren eine Broschüre zur Aufklärung von Berufsgruppen des Gesundheitssys-
tems und der sozialen Einrichtungen heraus. Darüber hinaus würde es der Deut-
sche Bundestag begrüßen, wenn die Problematik der Genitalverstümmelung
auch als fester Lehrbestandteil in die Ausbildung junger Ärzte und Ärztinnen
aufgenommen werden würde.

Die Bundesregierung setzt sich seit vielen Jahren kontinuierlich für die Bekämp-
fung der Genitalverstümmelung ein. In diesem Sinne ist auch der Aktionsplan II
der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vom Septem-
ber 2007 zu verstehen. Hierin sind Maßnahmen entwickelt, die darauf abzielen,
durch Vernetzung der staatlichen und gesellschaftlichen, innen- wie entwick-
lungspolitischen Anstrengungen weitere Fortschritte bei der Überwindung der
Genitalverstümmelung zu erreichen.

Mädchen und Frauen, die sich in Deutschland aufhalten und bereits eine Geni-
talverstümmelung erlitten haben, finden in den Ländern und Kommunen Hilfe
und Unterstützung, beispielsweise in Frauenberatungsstellen und Frauen-
häusern. Auch die sachgerechte Fortbildung und Sensibilisierung der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern und anderen Einrichtungen, die mit
von Genitalverstümmelung bedrohten oder betroffenen Mädchen und Frauen in
Kontakt kommen, ist in erster Linie Aufgabe der Länder und Kommunen. Der
Deutsche Bundestag begrüßt ebenfalls die beim Kinderschutzgipfel mit den
Ministerpräsidenten verabredeten Maßnahmen. Diese sollen auch den Schutz
von Mädchen verbessern, die von Genitalverstümmelung bedroht sind.

Nur durch die Vernetzung des staatlichen Engagements gegen Genitalverstüm-
melung auf allen Ebenen einschließlich der Sensibilisierung derjenigen Berufs-
gruppen, die potentiell mit Opfern von Genitalverstümmelung befasst sind, und
durch die Förderung der Aktivitäten im zivilgesellschaftlichen Bereich ist eine
bessere strafgerichtliche Verfolgung zu erreichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● weiterhin sicherzustellen, dass Länder, in denen die Genitalverstümmelung
nicht verboten ist und nicht verfolgt wird und in denen diese in einem nicht
unerheblichen Ausmaß stattfindet, weder durch deutsche Behörden noch
durch die Europäische Union als so genannte sichere Herkunftsländer einge-
stuft werden dürfen. Unter dieser Prämisse ist bei der anstehenden Überprü-
fung der Einstufung die Einstufung der Länder Ghana und Senegal als sichere
Herkunftsländer unter dem Gesichtspunkt der Genitalverstümmelung noch-
mals zu prüfen;

● für eine Sicherstellung der Verlängerung der Verjährungsfrist für Opfer, die
zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig waren, zu sorgen, so dass die Betrof-
fenen noch nach dem Erreichen der Volljährigkeit die Möglichkeit bekom-
men, selbst Anzeige zu erstatten;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9420

● bei der Vergabe von Forschungsaufträgen folgende Schwerpunkte zu setzen:

● in den Bereichen Prävention und Aufklärung die soziokulturelle Veran-
kerung der Praktik innerhalb der Migrantengemeinden, den Wissensstand
der Migrantinnen und Migranten über gesundheitliche Folgen der Praktik
sowie über religiöse und legislative Faktoren zu erforschen,

● zu untersuchen, wie Aufklärung und Präventionsarbeit gestaltet sein müs-
sen, um Betroffene, Bedrohte und ihre Familien zu erreichen, und welche
unterschiedlichen Präventions- und Sensibilisierungsansätze zur zielgrup-
pengerichteten Arbeit notwendig sind,

● herauszustellen, welche Faktoren bei dem Thema Genitalverstümmelung
ausschlaggebend sind, um eine Änderung von Einstellungen und Verhal-
tensweisen zu bewirken,

● im Bereich Beratung systematisch zu erforschen, wie viele Organisatio-
nen Aufklärung und Unterstützung für betroffene Frauen und Mädchen
anbieten und in inwieweit diese Organisationen bei Migrantenfamilien be-
kannt sind,

● Best Practices, die in den Herkunftsländern und den europäischen Migra-
tionsländern durchgeführt werden, zu evaluieren, um zu klären, ob und in-
wieweit bewährte Methoden aus anderen Ländern auf Deutschland über-
tragen werden können;

● durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit darauf hinzuwirken, dass die
Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien als Körperverletzung
der breiten Öffentlichkeit und insbesondere bei den Migrantenorganisationen
stärker bekannt gemacht wird und Mädchen und Frauen umfassend über ihre
Rechte und über Beratungs- und Zufluchtsmöglichkeiten aufgeklärt werden;

● in Zusammenarbeit mit den Ländern Fortbildungs- und Sensibilisierungs-
kampagnen für Polizei und Justiz, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen
und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter von Jugend-, Sozial-, und Ausländerbehörden anzubieten;

● Ärztinnen und Ärzte durch entsprechende Informationen weiterhin dafür zu
sensibilisieren und sie darauf hinzuweisen, dass sie in Kenntnis einer dro-
henden Genitalverstümmelung das Jugendamt oder die Polizei informieren
können;

● bei den Bundesländern darauf hinzuwirken, dass eine ausreichende Zahl von
Frauenhäusern für volljährige Opfer und sonstige sichere Unterkünfte für
minderjährige Opfer sichergestellt werden;

● sich gemeinsam mit den Bundesländern dafür einzusetzen,

● dass für Betroffene Beratungs- und sonstige Unterstützungsleistungen
auch weiterhin angeboten werden und

● dass bei allen Maßnahmen die Eltern mit einbezogen werden, um sie eben-
falls zu sensibilisieren;

● im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, bei Regierungsverhandlun-
gen und -konsultationen mit den Kooperationsländern die Thematik der
weiblichen Genitalverstümmelung verstärkt einzubeziehen und auf das Zu-
satzprotokoll zur „African Charter on Human and Peoples’ Rights“, das sog.
„Maputo-Protokoll“ vom 11. Juli 2003 und die darin genannten Maßnahmen
zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung hinzuweisen;

● das überregionale Projekt „Förderung von Initiativen zur Überwindung der
weiblichen Genitalverstümmelung“ weiterhin zu unterstützen und zu för-

dern;

Drucksache 16/9420 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● eine interministerielle Bund-Länder-NRO-Arbeitsgruppe unter der feder-
führenden Koordination des BMZ einzurichten. Diese interministerielle Ar-
beitsgruppe (IMA) könnte sich an der Struktur und Arbeitsweise der beiden
Bund-Länder-Arbeitsgruppen „Häusliche Gewalt“ und „Frauenhandel“ des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend orientieren.
Aufgabe dieser IMA sollte sein:

● die bundesweite zielgruppensensible Aufklärung voranzubringen,

● die Vernetzung und einen konstanten interdisziplinären Informationsaus-
tausch der Akteurinnen und Akteure in allen relevanten Berufsgruppen
und Organisationen sicherzustellen,

● fachliche Unterstützung für Projekte auf Landes- und auf Bundesebene zu
leisten;

● sich auf internationaler und europäischer Ebene für den Abbau und die
Beseitigung von Gewalt gegen Frauen einzusetzen und insbesondere im
Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit konsequent auf Maßnahmen zur
Bekämpfung geschlechtsbezogener und sexueller Gewalt an Frauen und
Mädchen hinzuwirken;

● bei allen Maßnahmen im Rahmen der Entwicklungshilfe vor Ort die Zusam-
menarbeit mit allen Generationen zu gewährleisten und die Maxime „Hilfe
zur Selbsthilfe“ stets zu beachten;

● Entwicklungshilfeorganisationen zu unterstützen, die Projekte durchführen,
bei denen sowohl Alternativrituale zur Genitalverstümmelung als auch
Berufsperspektiven für Beschneiderinnen angeboten werden;

● lokale Nichtregierungsorganisationen, die vor Ort das Thema FGM öffent-
lich machen und so einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung leisten, wei-
ter zu unterstützen;

● Projekte zu fördern, die helfen, dass das Thema in die Lehrpläne der betrof-
fenen Länder aufgenommen wird und dass entsprechende Fortbildung ange-
boten wird;

● sich im Rahmen der Umsetzung des Fahrplans („Road Map“) der EU-Kom-
mission für die Gleichstellung der Geschlechter von Frauen und Männern
(2006 bis 2010) im Bereich Migration und im Rahmen der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik für die Stärkung und Durchsetzung der Rechte
von Frauen auch mit Migrationshintergrund und die Beseitigung aller For-
men geschlechterbezogener Gewalt einzusetzen;

● im Rahmen des Europarates auf Entschließungen des Ministerkomitees wie
Rec (2002)5 sowie der Parlamentarischen Versammlung (so Entschließung
1247 (2001) und Entschließung 1464 (2005)) hinzuweisen und die Umset-
zung von gezielten und wirksamen politischen Maßnahmen zur Bekämpfung
jeglicher Verletzungen des Rechts der Frauen auf Leben, auf körperliche Un-
versehrtheit und auf freie Wahl des Ehepartners einschließlich so genannter
Ehrenverbrechen, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung zu befördern.

Berlin, den 4. Juni 2008

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.