BT-Drucksache 16/9227

Stand und Perspektive der Taxonomie in Deutschland

Vom 19. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9227

16. Wahlperiode 19. 05. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Hans-Josef Fell,
Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn,
Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Nicole Maisch, Priska Hinz (Herborn)
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stand und Perspektive der Taxonomie in Deutschland

Mit der neunten Vertragsstaatenkonferenz des UN-Übereinkommens über die
biologische Vielfalt im Mai 2008 in Bonn gewinnen auch Fragen der Wissen-
schaft und Forschung zur biologischen Vielfalt größere öffentliche Aufmerk-
samkeit. Es sind Wissenschaft und Forschung, die die Vielfalt an Pflanzen und
Tieren und ihr komplexes Zusammenwirken erkennen, beschreiben und bewer-
ten und damit die Grundlagen für die Entwicklung wirksamer Schutz- und Nut-
zungskonzepte liefern.

Eine Säule der Biodiversitätsforschung ist die Taxonomie. Sie ist ein Teilgebiet
der Biologie, das die verwandtschaftlichen Beziehungen von Pflanzen- und
Tierarten gegeneinander in einem hierarchischen System erfasst. Mit der Ver-
gabe eines Namens für eine Tier- oder Pflanzenart wird diese eindeutig charak-
terisiert – welche Form und Farbe hat sie, welche Geräusche bringt sie hervor,
wann existiert sie wo, wie sehen die Larven aus? Wenn dies alles bekannt ist,
vereinfacht sich die wissenschaftliche Kommunikation und die weitere For-
schung entscheidend.

Nicht immer muss der ganze Organismus von neuem geschildert oder abgebil-
det werden. Das setzt allerdings voraus, dass Angaben und Informationen aus
nicht-biologischen Systemen (zum Beispiel Bibliotheken und Datenbanken)
verwend- und verfügbar sind. Nur so ist auch feststellbar, ob dieser oder jener
Organismus nur am Fundort vorkommt, oder auch noch woanders. Der Name
ermöglicht die Zuordnung von Angaben zu den Ernährungsgewohnheiten des
Organismus, zur Physiologie, zum Generationswechsel, zur Gefährdung der
Art und zu ihrer Wirkung in bestimmten Lebensräumen und auf bestimmte
Populationsgemeinschaften. Ohne Taxonomie ist dieser Zugewinn an Wissen
nicht möglich.

Die deutsche Taxonomie und deutschen Taxonominnen und Taxonomen genie-
ßen weltweit einen hervorragenden Ruf. In den vergangenen Jahren wurde
diese große Tradition gefährdet. Die taxonomische Ausbildung und die Rekru-

tierung von Nachwuchs wurden nach Angaben der die „Initiative Taxonomie“
tragenden Organisationen und Expertinnen und Experten an den deutschen
Universitäten und Forschungsmuseen massiv vernachlässigt.

Drucksache 16/9227 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

Artenreichtum in Deutschland

1. Wie viele Pflanzenarten und wie viele Tierarten sind in Deutschland be-
kannt, und gibt es Schätzungen hinsichtlich der Anzahl unbekannter Arten?

2. Wie viele dieser Arten befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

3. a) Wie viele Vogelarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

4. a) Wie viele Insektenarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

5. a) Wie viele Spinnenarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

6. a) Wie viele Fischarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

7. a) Wie viele Weichtierarten (Molusken) sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

8. a) Wie viele Krebsarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

9. a) Wie viele Schmetterlingsarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

10. a) Wie viele Kriechtierarten (Reptilien) sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

11. a) Wie viele Lurcharten (Amphibien) sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

12. a) Wie viele Säugetierarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

13. a) Wie viele Gefäßpflanzen sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

14. a) Wie viele Pilzarten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

15. a) Wie viele Moose und Flechten sind in Deutschland bekannt?

b) Wie viele befinden sich auf den so genannten Roten Listen?

Taxonomische Kapazitäten und Kompetenzen in Deutschland

16. Wo werden die in Deutschland bekannten Arten erfasst und inventarisiert?

17. Welchen Stellenwert räumt die Bundesregierung der Taxonomie im Rah-
men der Biodiversitätsforschung und Biodiversitätspolitik ein?

18. Wie bewertet die Bundesregierung den Stand der deutschen Taxonomie im
europäischen und internationalen Vergleich?

19. Welche Grundlagenforschung zur Artenvielfalt in Deutschland fördert die

Bundesregierung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9227

20. Welche Grundlagenforschung zur Artenvielfalt fördert nach Kenntnis der
Bundesregierung die Deutsche Forschungsgesellschaft?

21. Wie viele Lehrstühle für Taxonomie gibt es derzeit in Deutschland, und
wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl der Lehrstühle
für Taxonomie in Deutschland seit 1990 entwickelt?

22. Wie viele Studentinnen und Studenten belegen in Deutschland nach Kennt-
nis der Bundesregierung den Studiengang Taxonomie, und wie hat sich
nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl der Studierenden im Be-
reich Taxonomie seit 1990 in Deutschland entwickelt?

23. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Ausbildung von Taxo-
nomen im Bereich der Taxonomie fast nur noch an Museen erfolgt?

24. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass wertvolles Wissen im Be-
reich der Taxonomie zunehmend verloren geht bzw. nur noch im ehrenamt-
lichen Bereich weitergegeben wird?

25. Welche Zuständigkeiten für die Förderung der taxonomischen Forschung
und Aus- und Weiterbildung liegen bei der Bundesregierung?

26. Unterstützt bzw. fördert die Bundesregierung die Forschung zur Verbesse-
rung der Methodik taxonomischer Lehre, und wenn ja, wie?

27. a) Welche Bedeutung kommt der Taxonomie hinsichtlich der Mikroorga-
nismen zu?

b) Ist die deutsche Taxonomie nach Auffassung der Bundesregierung in
der Lage, hier ihre Aufgaben angemessen zu erfüllen?

c) Wenn nein, welche Defizite bestehen, und wie können diese behoben
werden?

28. a) Welche Bedeutung kommt der Taxonomie im Zusammenhang mit der
Zunahme invasiver Arten zu?

b) Ist die deutsche Taxonomie nach Auffassung der Bundesregierung der-
zeit in der Lage hier ihre Aufgaben angemessen zu erfüllen?

c) Wenn nein, welche Defizite bestehen, und wie können diese behoben
werden?

29. Welche Bedeutung haben heute die digitale Bild- und Tonerkennung sowie
andere technologische Entwicklungen für die Taxonomie, und wie fördert
die Bundesregierung die Entwicklung und Nutzung entsprechender Verfah-
ren?

30. Wie bewertet die Bundesregierung die „Initiative Taxonomie – Stiftungs-
professuren für Deutschland“, und welche Möglichkeiten sieht die Bundes-
regierung, diese zu unterstützen, insbesondere hinsichtlich der Einrichtung
von Kompetenzzentren der deutschen Taxonomie als zentrale Anlaufstel-
len aller Bundes- und Landesbehörden?

Förderung der taxonomischen Forschung und Ausbildung im Ausland und
durch die Europäische Union

31. a) Fördert die Europäische Union nach Kenntnis der Bundesregierung die
taxonomische Ausbildung und Forschung innerhalb der Europäischen
Union, und wenn ja, wie?

b) Wenn nein, wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für
eine solche Förderung einsetzen, und wenn nein, warum nicht?
32. a) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Überlegungen, die taxono-
mische Forschung innerhalb der Europäischen Union aufeinander abzu-

Drucksache 16/9227 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
stimmen, insbesondere im Bereich des Monitorings für Natura-2000-
Gebiete?

b) Wenn ja, welche, und wie werden diese Vorhaben gefördert?

c) Wenn nicht, warum nicht?

d) Wird sich die Bundesregierung gegebenenfalls dafür einsetzen, dass sol-
che Abstimmungen vorgenommen werden?

33. Welche generelle Bedeutung misst die Bundesregierung der Erforschung
bislang unbekannter Arten zu?

34. Unterstützt die Bundesregierung die Erforschung bislang unbekannter Arten
in Afrika, und wenn ja, wo und wie?

35. Unterstützt die Bundesregierung die Erforschung bislang unbekannter Arten
in Südostasien, und wenn ja, wo und wie?

36. Unterstützt die Bundesregierung die Erforschung bislang unbekannter Arten
in Lateinamerika, und wenn ja, wo und wie?

37. Unterstützt die Bundesregierung die Erforschung bislang unbekannter Arten
in Meeresgebieten, und wenn ja, wo und wie?

38. Wie bewertet die Bundesregierung die „Darwin Declaration“ von 1998, die
das „Taxonomic Impediment“ beschrieb, und wurden bei den hier beschrie-
benen Defiziten nach Auffassung der Bundesregierung Verbesserungen er-
reicht?

39. Wird sich die Bundesregierung als Gastgeberin der 9. Vertragsstaatenkonfe-
renz (COP 9) und zukünftige Vorsitzende der Konvention über die biologi-
sche Vielfalt (CBD) dafür einsetzen, dass die im Rahmen der Global Tax-
onomy Initiative gesammelten biologischen Proben nur in Vertragsstaaten
gelagert werden, damit nicht die Gefahr besteht, dass die Ziele der Biodiver-
sitätskonvention hinsichtlich dieser Sammlungen unterlaufen werden kön-
nen?

Ehrenamtliche taxonomische Arbeit

40. Wie sind die Taxonominnen und Taxonomen Deutschlands organisiert, und
wie unterstützt die Bundesregierung diese Organisationen?

41. Wie viele ehrenamtliche Taxonominnen und Taxonomen sind nach Kennt-
nis der Bundesregierung in Deutschland tätig?

42. Wie unterstützt die Bundesregierung dieses Engagement?

Berlin, den 19. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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