BT-Drucksache 16/9165

Für die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz

Vom 8. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9165
16. Wahlperiode 08. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Kersten Naumann, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Für die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Ergänzung des bis zum Jahr 2000 geltenden Abstammungsprinzips im
Staatsangehörigkeitsrecht (ius sanguinis) um das Geburtsrecht (ius soli) war
ein überfälliger Schritt. In der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kin-
dern ausländischer Eltern wird dadurch unter bestimmten Voraussetzungen
zusätzlich zur Staatsangehörigkeit ihrer Eltern automatisch die deutsche
Staatsbürgerschaft zuerkannt.

2. Junge Menschen, die auf diese Weise die deutsche Staatsangehörigkeit
erworben haben, werden im Alter zwischen 18 und 23 Jahren gezwungen,
sich gegenüber der Behörde zu erklären (Optionspflicht, Erklärungszwang),
ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit behalten wollen oder die andere
Staatsangehörigkeit vorziehen. Diese Optionspflicht führt zu bürokratischen
und integrationspolitischen Problemen. Durch das Optionsmodell werden
familiäre und soziokulturelle Bindungen in einem Schwebezustand gehalten
und unter Umständen Entscheidungen gegen einen gewichtigen Teil der per-
sönlichen Identität erforderlich gemacht. Die Pflicht zur Entscheidung für
eine Staatsangehörigkeit fällt in eine Lebensphase, in der die Betroffenen
ohnehin generell vor wichtigen Lebensentscheidungen bezüglich ihrer beruf-
lichen und allgemeinen Lebensplanung stehen.

3. Im Rahmen der Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages
zum Staatsangehörigkeitsgesetz am 10. Dezember 2007 haben sich alle Sach-
verständigen gegen eine Beibehaltung der derzeit geltenden Optionspflicht
ausgesprochen. Die Sachverständigen äußerten erhebliche Zweifel an der
Praktikabilität, Sinnhaftigkeit bzw. sogar an der Verfassungsmäßigkeit der
Regelung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Optionspflicht nach § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes schnellstmöglich
abzuschaffen.
Berlin, den 7. Mai 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/9165 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Im Laufe des Jahres 2008 müssen sich erstmals deutsche Jugendliche mit dop-
pelter Staatsangehörigkeit für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden.
Tun sie dies nicht bis spätestens zu ihrem 23. Geburtstag, droht der Verlust des
deutschen Passes. Dieser Erklärungszwang geht auf die im Staatsangehörig-
keitsgesetz von 1999 verankerte so genannte Optionspflicht zurück. Demnach
erhielten alle ab dem 1. Januar 2000 in Deutschland geborenen Kinder aus-
ländischer Eltern zunächst automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn
wenigstens ein nichtdeutsches Elternteil seit mindestens acht Jahren über einen
rechtmäßigen Aufenthalt im Inland und zudem über ein unbefristetes Aufent-
haltsrecht verfügte (§ 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes – StAG; einge-
schränktes ius soli). Mit Vollendung des 18. Lebensjahres ist nach Aufforderung
durch die Behörden eine schriftliche Erklärung darüber abzugeben, ob die deut-
sche oder eine zudem bestehende ausländische Staatsangehörigkeit behalten
werden soll (§ 29 StAG). Wird keine Erklärung abgegeben und auch nicht die
Beibehaltung der doppelten Staatsangehörigkeit entsprechend den Regelungen
des § 12 StAG genehmigt, geht die deutsche Staatsbürgerschaft mit Vollendung
des 23. Lebensjahres automatisch verloren.

Für die seit 2000 geborenen Doppelstaatsbürgerinnen und -bürger beginnt die
Optionspflicht im Jahr 2018. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts enthielt
jedoch auch eine Übergangsregelung, nach der auf Antrag auch ausländische
Kinder unter zehn Jahren zusätzlich den deutschen Pass erhalten konnten.
Davon profitierten insgesamt fast 40 000 Kinder. Im Zeitraum 2008 bis 2024
werden etwa 320 000 Personen optionspflichtig, im Laufe des Jahres 2008 wer-
den die ersten rund 3 300 Heranwachsenden – der Geburtsjahrgang 1990 – voll-
jährig und müssen von den Einwohnermeldeämtern angeschrieben werden (vgl.
Bundestagsdrucksache 16/8092). Auch Angeschriebene, die einen Anspruch auf
Beibehaltung der doppelten Staatsangehörigkeit haben (EU-Bürgerinnen und
-Bürger bzw. bei Vorliegen eines Ausnahmegrundes nach § 12 StAG), müssen
sich gegenüber der Behörde erklären und eine so genannte Beibehaltungsgeneh-
migung beantragen. Neben diesem bürokratischen Aufwand müssen nach gegen-
wärtiger Rechtslage voraussichtlich ab dem Jahr 2013 von Amts wegen dann
auch die ersten Verfahren zum Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit betrie-
ben werden. Angesichts der erheblichen verfassungsrechtlichen Probleme sind
eine Vielzahl verwaltungsgerichtlicher Klageverfahren und eine jahrelange
rechtliche Unsicherheit zu erwarten.

Diese praktischen Probleme, aber auch rechtspolitische und demokratietheore-
tische Überlegungen führten zur Ablehnung des Optionsmodells durch die
Sachverständigen im Rahmen der Anhörung des Innenausschusses des Deut-
schen Bundestages zum Staatsangehörigkeitsgesetz am 10. Dezember 2007 an-
lässlich eines Antrags der Fraktion DIE LINKE. und eines Gesetzentwurfs der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

So führte der Richter am Bundesverwaltungsgericht, Prof. Dr. Uwe Berlit, als
Sachverständiger aus: „Rechts- und integrationspolitisch überwiegen für mich
eindeutig die Gründe, die für eine Aufhebung des Optionszwangs sprechen“.
Diese Auffassung wurde von den Sachverständigen überwiegend geteilt, andere
Sachverständige nannten Gründe der Praktikabilität und des Bürokratieabbaus,
die für eine Abschaffung der Optionspflicht sprächen. Der zum Zeitpunkt der
Anhörung Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senato-
ren der Länder, Berlins Innensenator Dr. Erhart Körting, sagte laut Protokoll:
„Unter dem Gesichtspunkt, dass wir uns bemühen, angeblich alle Bürokratie ab-
zubauen, schaudert mit vor diesem Optionsmodell und vor der Praxis, die wir
durch das Optionsmodell bekommen werden, denn das ist ein höchst kompli-
ziertes Verfahren, und wird uns noch eine Menge Arbeit verursachen. […] Das

könnte dafür sprechen, irgendwo einen Schlussstrich zu ziehen.“

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9165

Auch der innenpolitische Sprecher der Fraktion der SPD Dr. Dieter Wiefelspütz
hält es für notwendig, bald darüber nachzudenken, „ob das, was wir da vor acht
Jahren beschlossen haben, nicht ein Irrweg war“ und sieht „eine Flut von recht-
lichen und menschlichen Problemen auf uns zu rollen“ (http://www.swr.de).

Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE. ist die Abschaffung der Optionspflicht
nur ein Teilelement einer erforderlichen umfangreichen Strategie zur Erleich-
terung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit (vgl. Bundestagsdruck-
sache 16/1770).

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