BT-Drucksache 16/9159

Untertarifliche Entlohnung und Nichteinhaltung niederländischer Sozialgesetze beim Einsatz von Reinigungskräften aus der Bundesrepublik in den Niederlanden

Vom 12. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9159
16. Wahlperiode 12. 09. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Kornelia Möller, Paul Schäfer (Köln)
und der Fraktion DIE LINKE.

Untertarifliche Entlohnung und Nichteinhaltung niederländischer
Sozialgesetze beim Einsatz von Reinigungskräften aus der Bundesrepublik
Deutschland in den Niederlanden

Seit der Übernahme der Reinigungsarbeiten in einer im niederländischen Gen-
nep nahe der deutschen Grenze zum Kreis Kleve gelegenen Ferienanlage durch
ein mit Hauptsitz in der Bundesrepublik Deutschland ansässiges Reinigungs-
unternehmen hat sich dort eine Auseinandersetzung um die Einhaltung nieder-
ländischer Tariflöhne und Sozialstandards bei der Bezahlung von in Deutsch-
land ansässigen Reinigungskräften entwickelt.

Unterstützt von der niederländischen Gewerkschaft FNV Bondgenoten setzen
sich die Beschäftigten für eine gleiche Bezahlung aller dort beschäftigten
Reinigungskäfte ein, die unabhängig vom Herkunftsland den Bedingungen des
in den Niederlanden für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag der Bran-
che (CAO – Collectieve arbeidsovereenkomst) erfolgen soll. Weiterhin wird
die Einhaltung von Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie
sozial- und rentenversicherungsrechtlicher Bestimmungen der Niederlande ge-
fordert.

Zahlreiche Aktionen der Beschäftigten zur Durchsetzung dieser Forderungen
sowie Versuche der Beschäftigten zur Gründung eines Betriebsrates wurden
insbesondere seitens der Geschäftsführung des in Arnsberg angesiedelten deut-
schen Auftragnehmers laut den nachfolgend angeführten Zeitungsberichten mit
einer Vielzahl von Einschüchterungsmaßnahmen bis hin zu arbeitsgerichtlich
angefochtenen Kündigungen beantwortet. Wegen dieser Zuspitzungen wird in
der regionalen Öffentlichkeit die Auseinandersetzung stark wahrgenommen:

So berichtete die „NRZ“ ausführlich in ihrer Lokalausgabe „Niederrhein“ am
22. August „Center Parcs steht unter Beschuss“, am 5. August „Putzfrauen
ledern Center Parcs“, am 21. Juli „Zorro zückt seinen Degen im Center Parc“,
am 18. Juli „Streik im Spaßbad droht“, am 11. Juli „Knechten im Spaßbad“,
30. Juni „Anwälte eingeschaltet“ sowie die „WAZ“, Ausgabe „Arnsberg“, vom
3. Juni „Wer aufmüpfig ist, wird gefeuert“.

Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung ergeben sich Fragen an die

Bundesregierung zunächst im Hinblick auf die Einhaltung des in Artikel 23
Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948 ver-
ankerte Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Grundsätzliche Fragen er-
geben sich auch im Hinblick auf die Einschätzung der möglichen negativen
Konsequenzen von Unternehmensstrategien, die Lohngefälle an den Binnen-
grenzen der EU zum Unterlaufen tariflicher und sozialer Standards ausnutzen,
auf das diskriminierungsfreie Zusammenleben der Menschen in der EU. Aus-

Drucksache 16/9159 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gehend von diesen grundsätzlichen Fragestellungen ergeben sich konkrete Fra-
gen nach Konsequenzen für Bedingungen und Verfahren der Arbeitsvermitt-
lung in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Geltungsbereich des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II – Hartz IV), um eine indirekte För-
derung solcher auf Lohn- und Sozialdumping in europäischen Nachbarländern
aufgrund niedrigerer Löhne in der Bundesrepublik Deutschland gerichteter
Unternehmensstrategien auszuschließen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine wie im geschilderten
Fall niedrigere Bezahlung von Reinigungskräften aus der Bundesrepublik
Deutschland im Vergleich zu niederländischen Beschäftigten einen Verstoß
gegen den in Artikel 23 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte der UNO von 1948 festgeschriebenen Anspruch auf gleichen Lohn
für gleiche Arbeit darstellt, wie begründet sie ihre Haltung, und welche Kon-
sequenzen zieht sie aus dieser Bewertung?

2. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass im vorliegenden Fall
in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Beschäftigten aufgrund des
niedrigeren Lohnniveaus in der Bundesrepublik Deutschland Löhne gezahlt
werden, die das Niveau des allgemein verbindlich erklärten niederländi-
schen Tarifvertrages (CAO) unterschreiten, im Hinblick auf den europäi-
schen Rechtsgrundsatz der Diskriminierungsfreiheit, wie begründet sie ihre
Haltung, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Wirkung von Unternehmensstrate-
gien, die auf der Ausnutzung solcher Lohngefälle an den Binnengrenzen der
EU zum Unterlaufen tariflicher und sozialrechtlicher Standards am Ort der
Leistungserbringung abzielen, im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwick-
lung und ein friedliches und diskriminierungsfreies Zusammenleben in der
EU, wie begründet sie ihre Haltung, und welche Konsequenzen zieht sie dar-
aus?

4. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung konkret gegenüber diesem
Unternehmen tätig zu werden, und wie begründet sie ihre Haltung?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass bei Arbeitsangeboten mit
Arbeitsort im europäischen Ausland die Einhaltung der dortigen tariflichen,
arbeits- und sozialrechtlichen Standards zur Voraussetzung für die Auf-
nahme in das Vermittlungsangebot der Agentur für Arbeit und der für die
Vermittlung von Langzeitarbeitslosen im Rechtskreis des SGB II befassten
öffentlichen Einrichtungen (ARGEn und Optionskommunen) gemacht wer-
den sollte, wie begründet sie Ihre Haltung, und welche Konsequenzen zieht
sie daraus?

6. Welche Maßnahmen zur Information von Arbeitsuchenden bzw. Langzeit-
arbeitslosen über tarifliche, arbeits- und sozialrechtliche Bedingungen am
Arbeitsort hält die Bundesregierung für erforderlich, um zukünftig ver-
gleichbare Fälle des Lohn- und Sozialdumpings durch deutsche Firmen
innerhalb Europas auszuschließen ?

7. Sind der Bundesregierung im Zusammenhang mit der geschilderten Ausein-
andersetzung oder darüber hinaus Fälle bekannt geworden, in denen die Ab-
lehnung von Arbeitsangeboten im europäischen Ausland zu Bedingungen,
die die am Arbeitsort geltenden tariflichen, arbeits- und sozialrechtlichen
Bedingungen unterschreiten, zu Sanktionen bzw. Sperrzeiten seitens der
Arbeitsagentur bzw. nach dem SGB II geführt haben, und wie bewertet sie
diese ?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9159

8. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass im geschilderten Fall mit der
Teilnahme an gewerkschaftlichen Aktionen begründete oder ursächlich
zusammenhängende Kündigungen von der Agentur für Arbeit bzw. den
Arbeitsvermittlungen aus dem Rechtskreis des Arbeitslosengeldes II zum
Anlass für Sanktionen bzw. Sperrzeiten gegenüber den Betroffenen genom-
men werden, wie begründet sie ihre Haltung, und welche Konsequenzen
zieht sie daraus ?

Berlin, den 8. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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