BT-Drucksache 16/9072

Eine starke Partnerschaft - Europa und Lateinamerika/Karibik

Vom 7. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9072
16. Wahlperiode 07. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Eduard Lintner, Eckart von Klaeden, Klaus Brähmig, Anke
Eymer (Lübeck), Herbert Frankenhauser, Erich G. Fritz, Dr. Peter Gauweiler,
Hermann Gröhe, Manfred Grund, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,
Joachim Hörster, Hartmut Koschyk, Ruprecht Polenz, Dr. Norbert Röttgen, Bernd
Schmidbauer, Peter Weiß (Emmendingen), Karl-Georg Wellmann, Willy Wimmer
(Neuss), Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Lothar Mark, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen,
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Detlef Dzembritzki, Monika Griefahn, Brunhilde Irber,
Johannes Jung (Karlsruhe), Hans-Ulrich Klose, Ute Kumpf, Markus Meckel,
Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Johannes Pflug, Otto Schily, Dr. Ditmar
Staffelt, Uta Zapf, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Eine starke Partnerschaft – Europa und Lateinamerika/Karibik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 16. Mai 2008 kommen Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union (EU), Lateinamerikas und der Karibik (LAK) zum fünften Mal zu einem
Gipfeltreffen zusammen. Das Treffen ist die Fortsetzung eines zweijährig statt-
findenden Dialoges auf Gipfelebene, dessen vornehmliches Ziel die Stärkung
der strategischen Partnerschaft zwischen den Regionen EU- LAK durch den
Austausch über gemeinsame Interessen, wichtige globale Fragestellungen und
multilaterale Ansätze ist.

Nach Rio de Janeiro (Juni 1999), Madrid (Mai 2002), Guadalajara (Mai 2004)
und Wien (Mai 2006) findet das Treffen 2008 in Lima statt. Auf dem ersten
Gipfeltreffen in Rio wurde die strategische Partnerschaft zwischen den europä-
ischen und den lateinamerikanischen Ländern begründet und auf den weiteren
Treffen vertieft. Zentrale Themen des diesjährigen Gipfels werden Armut und
soziale Kohäsion sowie Umwelt- und Klimaschutz und Energiefragen sein. Die
Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und sozialer Exklusion im Rahmen
einer nachhaltigen menschlichen Entwicklung stellt ein Kernthema für die stra-
tegische Partnerschaft der EU- LAK dar.

Die historisch gewachsenen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Be-

ziehungen basieren auf einer Vielzahl gemeinsamer Werte und Interessen und
sind traditionell geprägt von wechselseitiger Sympathie und Vertrautheit: Beide
Regionen setzen sich für die Achtung der Menschenrechte, die Stärkung der
Demokratie und eines effektiven Multilateralismus sowie für die friedliche Bei-
legung von Konflikten und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
ein. Diese gemeinsamen Werte machen aus den LAK-Staaten und Europa

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natürliche Bündnispartner. Für Europa ist LAK ein zunehmend wichtiger Part-
ner, um gemeinsame Antworten zur Lösung globaler Probleme zu finden.

Lateinamerika, die Karibik und Europa teilen die Vorstellung, dass Demokratie
und Partizipation auch in internationalen Prozessen garantiert werden müssen.
Insofern sind sie klare Befürworter einer stärkeren Beteiligung zivilgesell-
schaftlicher Akteure an den Prozessen der Vereinten Nationen (VN). Von den
Zivilgesellschaften beider Regionen, zwischen denen bereits intensive Kon-
takte bestehen, können wichtige Impulse zur Unterstützung zwischenstaatlicher
Initiativen ausgehen.

Das Prinzip der Universalität der Menschenrechte ist in Lateinamerika und der
Karibik institutionell fest verankert. Dies beweist auch die Arbeit des Interame-
rikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der die Einhaltung der amerika-
nischen Menschenrechtskonvention und anderer regionaler Menschenrechts-
verträge überwacht. Auch den Internationalen Strafgerichtshof haben die
lateinamerikanischen Staaten mehrheitlich befürwortet.

Gemeinsam können LAK und Europa ihr großes Potenzial zu einer gerechteren
und sozialeren Gestaltung des Globalisierungsprozesses und zur Lösung globa-
ler Problemfelder nutzen. In Bereichen wie Abrüstung und Nichtverbreitung
von Massenvernichtungswaffen, Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität und
Ressourcenschutz, soziale Rechte, Internationaler Strafgerichtshof, VN-Men-
schenrechtsrat ist LAK für Europa ein wichtiger Verbündeter. Beide Regionen
tragen auch gemeinsame Verantwortung auf internationaler Ebene, insbeson-
dere im Rahmen der VN, der Bretton-Woods-Institutionen und der Welthan-
delsorganisation.

Die Region Lateinamerika durchläuft seit einiger Zeit einen tief greifenden
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel. Nahezu alle
lateinamerikanischen und karibischen Regierungen sind heute demokratisch
legitimiert; dennoch gibt es Staaten, in denen teilweise schwerwiegende rechts-
staatliche Defizite und die Gefahr bestehen, dass die Errungenschaften der
Konsolidierungsphase verloren gehen. Einige Länder befinden sich in poli-
tisch-institutionellen Krisensituationen.

Vor diesem Hintergrund sind bestehende und weiter zunehmende Ungleichge-
wichte innerhalb der Region und grundlegende politische Neuorientierungen in
vielen Staaten Lateinamerikas erkennbar. Neben den bestehenden konserva-
tiven und sozialdemokratisch ausgerichteten Regierungen wird eine Reihe
lateinamerikanischer Länder von neuen, „linksorientierten“ Regierungen geführt,
die sich in ihrer Programmatik, ideologischen Ausrichtung und gesellschaft-
lichen Verankerung stark sowohl untereinander als auch von der traditionellen
Linken unterscheiden. Dies ist ein Ausdruck der zunehmenden politischen und
ökonomischen Fragmentierung der Region. Begleitet wird diese Entwicklung
mancherorts von einer zunehmenden Erosion der traditionellen Parteienland-
schaften und dem Aufkommen neuer politischer Kräfte in Form von hetero-
genen Sammlungsbewegungen bis hin zu zum Teil gewaltbereiten Gruppen.
Teilweise sind die Abkehr von institutionellen demokratischen Regeln und die
Verlagerung politischer Prozesse in Bereiche außerhalb der traditionellen poli-
tischen Institutionen zu beobachten.

Die Integration der indigenen Völker und ihre gleichberechtigte Partizipation
ist eine wichtige Frage, zu der die Regierungen in LAK noch keine schlüssigen
Antworten gefunden haben. Die überwiegende Mehrheit der indigenen Bevöl-
kerung lebt weiterhin am Rande der Gesellschaft. Ihre in den jeweiligen Ver-
fassungen verbrieften Rechte müssen stärker beachtet werden, wenngleich
mancherorts auch Widersprüche zwischen den Rechtstraditionen der indigenen
Bevölkerung und den bestehenden verfassungsmäßigen Grundrechten beste-

hen.

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Begünstigt durch die dynamische Entwicklung der Weltwirtschaft können La-
teinamerika und die Karibik mit beachtlichen und stabilen Wachstumsraten auf-
warten: Nach fünf Jahren Aufschwung und mit jährlichen Wachstumsraten von
über 5 Prozent steht die Region so solide da wie selten in ihrer Geschichte. In
wirtschaftlicher Hinsicht ist allerdings auch eine wachsende Abkehr vom rein
marktwirtschaftlichen Wirtschaftsmodell hin zu einer stärker staatlich
regulierten Wirtschaft zu beobachten. Die Anpassungsmaßnahmen im Rahmen
des „Washington Consensus“ wurden in den vergangenen Jahren mehr und
mehr in Frage gestellt. Auch wenn diese in den meisten Ländern anfänglich zu
makroökonomischer Stabilität geführt haben, konnten sie langfristig doch keine
ausreichende Antwort auf Währungskrisen und die Folgen des Globalisierungs-
prozesses sowie die sich weiter ausprägenden sozialen Disparitäten geben oder
haben diese zum Teil verschärft.

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und LAK sind intensiv. Für die
Region LAK ist die EU größter ausländischer Investor und mit rund 13 Prozent
zweitwichtigster Handelspartner.

Darüber hinaus ist die EU größter Geber von Entwicklungszusammenarbeit für
die LAK-Staaten. Von 2001 bis 2005 hat die EU jährlich fast 500 Mio. Euro aus
dem Gemeinschaftshaushalt für LAK bereitgestellt.

Die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit Deutschlands und anderer
Mitgliedstaaten der EU mit Ländern LAKs hat eine lange Tradition und wird in
der dortigen Öffentlichkeit positiv wahrgenommen. Daran kann bei der Zusam-
menarbeit künftig angeknüpft werden und eine Konzentration auf Gebiete er-
folgen, die von beiderseitigem wissenschaftlichem Nutzen sind, wie z. B.
Klima-, Umwelt- und Energieforschung sowie Nachhaltigkeitsforschung.

Der Klimawandel als gemeinsame Herausforderung

Die bestehende biregionale Partnerschaft zwischen der EU und LAK fußte bis-
lang vor allem auf den Säulen politischer Dialog, Handel und Kooperation. Mit
dem Klimawandel ist ein wichtiges neues Thema für den politischen Dialog in
den Vordergrund getreten, welches für beide Seiten von großer strategischer
Bedeutung ist. Die ehrgeizige Selbstverpflichtung der EU und die Tatsache,
dass die Region LAK als Emissionsverursacher mit großem Reduktionspoten-
zial sowie auf Grund seines Ressourcenreichtums für die EU nicht nur poli-
tisch, sondern auch wirtschaftlich interessant ist, erhöhen die potenziellen
Chancen, die dieser Themenbereich für den biregionalen Dialog bietet.

Die langfristige Gewährleistung von Wohlstand und wirtschaftlichem Wachs-
tum hängt für beide Regionen von der Sicherung einer nachhaltigen Entwick-
lung, insbesondere dem Umwelt- und Ressourcenschutz, ab. Bereits auf dem
Wiener Gipfel im Jahr 2006 wurde ein politischer Dialog über Umweltfragen
vereinbart. Damit wurde der Kooperation im Bereich Klimawandel, Energie
und anderen umweltrelevanten Themen besondere Aufmerksamkeit geschenkt,
so dass beide Regionen ihr gemeinsames Interesse an der Entwicklung einer
engen Zusammenarbeit gerecht werden können.

Die rasant steigende Energienachfrage in den Schwellenländern, die wachsende
Instabilität in einigen Produzentenländern und der Weltklimabericht 2007
haben gezeigt, dass ein gemeinsames Handeln der Staaten in der Energie- und
Klimapolitik immer dringlicher wird. Sowohl in Europa als auch in LAK
stehen diese Herausforderungen im Mittelpunkt der politischen Diskussion. Für
die aufstrebenden Volkswirtschaften der LAK ist eine stabile, effiziente und
kostengünstige Energieversorgung wichtig. Ihr hohes Wirtschaftswachstum mit
stetig steigendem Energiebedarf sowie die gravierende Unterversorgung weiter

Teile ihrer Bevölkerung prägen die energiepolitischen Bemühungen. Ein abge-
stimmtes Handeln verspräche nicht nur Vorteile für beide Regionen, sondern

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auch für die Klimapolitik im Allgemeinen. Nach Schätzungen des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit stammen 28 Pro-
zent der bis 2012 erwirtschafteten Emissionsreduktionsgutschriften aus Latein-
amerika. Gerade diese bringen beiden Seiten erhebliche wirtschaftliche
Vorteile. Die Weiterentwicklung des „Clean Development Mechanism“ (CDM)
ist ein effektives Instrument der Zusammenarbeit. Die Förderung Erneuerbarer
Energien und umweltfreundlicher Industrieanlagen könnte so in Entwicklungs-
ländern vorangebracht und gleichzeitig der Klimaschutz erhöht werden. Eine
weitere Kooperation bietet sich bei Biokraftstoffen an. Dabei müssen jedoch
die existierenden ökologischen und sozialen Risiken, wie Landnutzungskon-
flikte, und die Gefährdung der Ernährungssicherheit als Folge einer erhöhten
Biokraftstoffproduktion wahrgenommen und entschärft werden. Die Einfüh-
rung von globalen Mindeststandards für den Anbau von Energiepflanzen und
den Pflanzenanbau allgemein ist daher eine wichtige Voraussetzung bevor die-
ses Feld zu einem sinnvollen Kooperationsweg werden kann. Eine weitere
Kooperationsmöglichkeit kann der Ressourcenschutz durch finanziellen Aus-
gleich von Einnahmeausfällen durch Industrieländer sein. Diese Ausfälle ent-
stehen für Entwicklungs- oder Schwellenländer durch Nichtnutzung eigener
Ressourcen, beispielsweise der Nichtrodung von Primärwäldern.

Die Länder der LAK haben die zentralen VN-Konventionen im Bereich des
Umweltschutzes unterzeichnet und würden die Schaffung eines neuen multi-
lateralen Organs für Umweltfragen mehrheitlich unterstützen.

Herausforderungen für eine neue politische, wirtschaftliche und gesellschaft-
liche Zusammenarbeit

Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der EU zu LAK sind geprägt
von der zunehmenden Heterogenität Lateinamerikas. Eine differenzierte bilate-
rale Zusammenarbeit ist durch den Abschluss von Assoziierungsabkommen
mit Mexiko und Chile eingeleitet, deren Potenzial allerdings bei weitem noch
nicht ausgeschöpft ist. Über regionale Abkommen mit dem Gemeinsamen
Markt Südamerikas (Mercosur), der Andengemeinschaft sowie Zentralamerika
wird verhandelt. Insbesondere das Abkommen mit dem Mercosur, das bereits
seit 1999 verhandelt wird, sollte nach den erheblichen Verzögerungen endlich
zügig zu einem Abschluss gebracht werden. Gerade der Mercosur mit seiner
expliziten Demokratieklausel und seinem tragfähigen Integrationskonzept ist
ein wichtiger Partner für Dialog und Handel. Neben wirtschaftlichem Wachs-
tum müssen ILO-Sozialstandards (International Labour Organization) und
Sozialklauseln wichtiger Bestandteil der Assoziierungsabkommen sein. Ein auf
fairen, vergleichbaren Sozialstandards beruhender internationaler Wettbewerb
liegt letztlich auch im Eigeninteresse der EU.

Der erreichte Institutionalisierungsgrad in LAK liegt noch weit hinter dem der
EU zurück. Die Bemühungen um einen Ausbau der politischen und infrastruk-
turellen Kooperation sollten von Europa sichtbar unterstützt werden. Gerade sie
können neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit eröffnen. Denn das europäi-
sche Wirtschafts- und Sozialmodell mit seiner Idee von Chancengleichheit und
Solidarität übt ungebrochene Anziehungskraft aus und stellt einen attraktiven
Bezugspunkt für die Ansätze zur Überwindung struktureller Asymmetrien in
Lateinamerika dar.

Parallel zur weiterhin angestrebten regionalen Integration der Region LAK sind
ebenfalls Tendenzen zu deutlicher Binnenorientierung und stärkerer staatlicher
Regulierung zu beobachten. Dies bedeutet weniger Orientierung auf den Welt-
markt und weniger Offenheit gegenüber anderen Staaten. Jedoch ist auch in
diesem Bereich kein einheitliches Integrationsverständnis erkennbar. Vielmehr

tragen diese neuen Integrationsdynamiken auf Grund ihres politisch begrenzten
und überwiegend ressourcengetragenen Potenzials und bestehender Interessen-

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gegensätze eher zu einer weiteren Zersplitterung statt zu mehr Kohärenz und
einer notwendigen Vertiefung der regionalen politischen und ökonomischen In-
tegrationsprozesse bei.

Viele lateinamerikanische Volkswirtschaften sind vom Export von Rohstoffen
abhängig, der hohe Renditen ermöglicht. Diese wirken sich jedoch nicht
zwangsläufig positiv auf die heimische wirtschaftliche wie politische Entwick-
lung der einzelnen Länder aus. Vor allem auf Grund des derzeitigen Ressour-
cenbooms konnten die Länder Lateinamerikas in den vergangenen Jahren ein
deutlich höheres Wirtschaftswachstum erreichen. Dabei treten neue, attraktive
Handelspartner wie Indien und China auf, die nicht nur die wirtschaftlichen
Kooperationsmöglichkeiten für LAK bedeutend erweitern, sondern damit glei-
chermaßen den Handlungs- und Einflussspielraum der „alten“ Partnerregionen
Europa und Nordamerika erheblich verringern.

Nach dem Gipfeltreffen 2004, das bereits die Förderung der sozialen Kohäsion
in das Zentrum der Bemühungen beider Regionen gestellt hatte, sollen auf dem
Lima-Gipfel nun die Maßnahmen zur Minderung von Armut, Diskriminierung
und der Anerkennung grundlegender sozialer Rechte diskutiert werden.
Kernthemen des diesjährigen Gipfels sind die Förderung sozialer Kohäsion so-
wie Umwelt- und Klimaschutz und Energiefragen. Denn LAK weist weltweit
immer noch die größte Ungleichheit bei der Verteilung von Besitz und Einkom-
men auf. Die Frage der sozialen Inklusion und Verteilungsgerechtigkeit sind
zentrale Herausforderungen für die meisten lateinamerikanischen und karibi-
schen Gesellschaften und haben eine neue Debatte über die ordnungspolitische
Rolle des Staates aufgeworfen. Öffentliche Unsicherheit, Gewalt sowie die Be-
drohungen, die von paramilitärischen Verbänden, Guerillaorganisationen, kri-
minellen, transnationalen Netzwerken und Drogenkartellen ausgehen, stellen
ein grenzüberschreitendes und gravierendes Problem dar, welches die demokra-
tischen Institutionen unterwandert und destabilisiert. In einigen lateinamerika-
nischen Ländern hat dies bereits zur Schaffung rechtsfreier Räume und teil-
weise zum Verlust des staatlichen Gewaltmonopols geführt.

Mit dem bestehenden kontinuierlichen Dialog auf vielen Ebenen sowie den
regelmäßigen Treffen auf höchster Ebene ist der politische Dialog zwischen
EU- LAK in den vergangenen Jahren deutlich gestärkt worden; sind Verständ-
nis füreinander und Partnerschaft miteinander gewachsen. Durch die Erweite-
rung der EU und die wachsende Differenzierung von Positionen in LAK sind
die gegenwärtigen Formen des politischen Dialoges und der Kooperation zwi-
schen beiden Regionen in eine neue Phase eingetreten und werden mit zahlrei-
chen Herausforderungen konfrontiert. Diesem Tatbestand muss auch das künf-
tige Format des Austausches Rechnung tragen, um der Partnerschaft mit neuen
Zielsetzungen den notwendigen Auftrieb zu verleihen. Von den Ergebnissen
des Wiener Gipfels ist nicht das erwartete deutliche Signal hierfür ausgegan-
gen. Deshalb setzt sich der Deutsche Bundestag umso stärker dafür ein, dass
auf dem Lima-Gipfel deutliche Fortschritte erreicht werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

● dass in den letzten Jahren mit den Treffen der Staats- und Regierungschefs
und der Minister die strategische Partnerschaft neu begründet wurde und
dass diese auch auf parlamentarischer Ebene durch regelmäßige Treffen des
lateinamerikanischen und des europäischen Parlamentes (EUROLAT-Tref-
fen) mit Leben erfüllt wird;

● dass der intensive Dialog zwischen Europa und LAK auch bei unterschied-
licher Entwicklung der einzelnen Länder immer weiter geführt wird und
dieser Austausch auf allen Ebenen – Regierungen, Parlamente, Zivilgesell-

schaft – zur Bindung an demokratische Grundwerte beiträgt;

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● dass die Bundesregierung in der Zeit zwischen den Gipfeln von Wien und
Lima die biregionale Zusammenarbeit durch zwei eigene Initiativen in sehr
konkreter Weise voranbringen und vertiefen konnte, nämlich im September
2007 durch das EU-LAK-Expertenseminar zur Sicherheit von Lagerbestän-
den an Kleinwaffen und Munition in San José sowie durch das hochrangige
EU-LAK-Forum zur Rolle der Fiskalpolitik für die soziale Kohäsion im
März 2008 in Berlin;

● dass es Deutschland im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft im vergan-
genen Jahr gelungen ist, die Zusammenarbeit EU-LAK deutlich voran zu
bringen. So konnten im ersten Halbjahr 2007 die Assoziierungsverhandlun-
gen mit der Andengemeinschaft und mit Zentralamerika erfolgreich gestar-
tet und die strategische Partnerschaft der EU mit Brasilien angebahnt wer-
den;

● dass bereits mit zwei wichtigen Partnern, Mexiko und Chile, Assoziierungs-
abkommen geschlossen wurden und durch die Unterzeichnung der Gemein-
samen Erklärung zwischen Deutschland und Mexiko eine Intensivierung der
bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten vereinbart wurde;

● dass Deutschland durch seinen Beitritt zur Karibischen Gemeinschaft
(CARICOM) als Beobachter sowie durch den bevorstehenden Beitritt zum
Zentralamerikanischen Integrationssystem SICA (Sistema de la Integración
Centroamericana) einen Beitrag zur Unterstützung der regionalen Integra-
tionsbemühungen leistet;

● dass im Wissenschaftsbereich viele konkrete Kooperationsprojekte beste-
hen, z. B. die EU-Programme mit dem Ziel der Schaffung eines gemein-
samen Hochschulraumes (Erasmus Mundus, Alßan und Alfa) sowie dem
regelmäßigen Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern;

● dass LAK auch in der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
eine herausragende Rolle spielt; so wurde mit Blick auf Lateinamerika die
Förderung der deutschen Auslandsschulen, der Goetheinstitute und der
Deutschen Welle ausgebaut, die einen wichtigen Beitrag für den Ausbau der
deutsch-lateinamerikanischen Beziehungen leisten;

● dass es in Bali in der Kyoto-Nachfolge bereits zahlreiche Übereinstimmun-
gen bei grundlegenden Positionen zum weltweiten Schutz des Klimas gab.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

● sich mit den LAK-Staaten im multilateralen Rahmen, insbesondere im Vor-
feld wichtiger Konferenzen, noch enger und systematischer abzustimmen,
sowie neue Partnerschaften auszubauen, denn in keiner anderen Region der
Welt findet Europa ein höheres Maß an Übereinstimmung bei der Bejahung
eines „effektiven Multilateralismus“ vor;

● die Zusammenarbeit auch in Sicherheitsfragen weiterzuentwickeln und ge-
meinsam dafür zu sorgen, dass Abrüstung wieder einen höheren Stellenwert
auf der internationalen Agenda erhält. Die Nichtverbreitungsregime für
Waffen und Massenvernichtungsmittel müssen gestärkt und die internatio-
nale Rüstungskontrolle ausgebaut werden. Den dazu nötigen politischen
Willen bei allen Regierungen herzustellen sollte ein wichtiges gemeinsames
Projekt in der strategischen Partnerschaft beider Regionen sein;

● den politischen Dialog auch mit neu entstandenen Bewegungen und politi-
schen Kräften als Prävention zur Verhinderung von Krisen und zur Gestal-
tung des sozialen Wandels mit den Eliten der Länder zu führen;

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● konkrete politische Beratungsmaßnahmen in Sektoren wie Demokratieför-
derung, Good Governance, Staatsmodernisierung oder Förderung der regio-
nalen Integration auch mit neuen Partnern durchzuführen und dabei intensiv
auf die bewährte Arbeit der politischen Stiftungen, die bereits in einem er-
heblichen Maße zum Aufbau und zur Stärkung der Zivilgesellschaft sowie
der politischen Institutionen und Strukturen in LAK beitragen, zurückzu-
greifen;

● den strategischen Dialog mit Mexiko und Brasilien als gewichtige inter-
nationale Akteure auf allen Ebenen weiterhin intensiv zu pflegen und
gemeinsam politische Initiativen mit langfristigem Charakter zu entwickeln;

● in den wichtigen Bereichen der Krisenprävention, Konfliktlösung, Friedens-
entwicklung, Demokratisierungshilfe und Achtung der Menschenrechte ver-
stärkt mit geeigneten Partnern in LAK zusammenzuarbeiten. Dafür sollte
insbesondere auch die auf diesen Gebieten erfolgreich tätige OAS (Organi-
zation of American States) als Partner stärker genutzt werden;

● sich auf internationaler Ebene gemeinsam für eine größere Transparenz der
Finanzmärkte, eine angemessene Regulierung und Überwachung sowie
wirksame Wettbewerbsregeln einzusetzen;

● bei den europäischen Partnern und der Europäischen Kommission auf den
zügigen Abschluss eines Assoziierungsabkommens zwischen der EU und
dem Mercosur zu drängen. Die EU muss bei den Verhandlungen stärker die
Chancen eines solchen Bündnisses in den Vordergrund stellen und die Be-
wahrung europäischer Besitzstände zurückstellen;

● darauf hinzuwirken, dass die ebenfalls begonnenen Assoziierungsverhand-
lungen mit der Andengemeinschaft und den Ländern des SICA zügig weiter-
geführt werden;

● die Zusammenarbeit in den zukunftsträchtigen Bereichen der Reduzierung
klimaschädlicher Gase durch den Emissionshandel, des Ressourcenschutzes
und der energiepolitischen Kooperation bei der Förderung Erneuerbarer
Energien und bei Biokraftstoffen intensiv voranzutreiben. Bei der Produk-
tion von Biokraftstoffen muss allerdings eine Voraussetzung der Zusammen-
arbeit die doppelte Nachhaltigkeit der Prozesse sein;

● darauf hinzuwirken, dass sich beide Seiten für eine effektivere Drogen-
bekämpfung einsetzen und dabei die bestehenden Konzepte, wie den EU-
Drogenaktionsplan 2005 bis 2008 sowie die EU-Drogenstrategie 2005 bis
2015, umsetzen. So können sowohl Konsumenten- als auch Produktionslän-
der ihrer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden;

● auch die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen beiden
Regionen weiter auszubauen und ein Konzept für die kulturelle und bil-
dungspolitische Zusammenarbeit sowie die Koordinierung eines effektiven,
modernen Außenauftritts Deutschlands mit der Partnerregion Lateinamerika
im Kontext der bevorstehenden „Bicentenario“-Feierlichkeiten der Unab-
hängigkeit zu entwickeln. Dabei sollte nach Möglichkeit auch indigene Kul-
tur gefördert werden. Damit soll das gegenseitige Verständnis verbessert,
das europäische Profil in Lateinamerika gestärkt, sowie umgekehrt die
Wahrnehmung Lateinamerikas in Europa verbessert werden.

Berlin, den 7. Mai 2008

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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