BT-Drucksache 16/9007

V-Leute in der NPD abschalten

Vom 25. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9007
16. Wahlperiode 25. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic,
Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.

V-Leute in der NPD abschalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Aussage des Vorsitzenden der Fraktion der SPD, Dr. Peter Struck, die
Verfassungswidrigkeit der NPD könne „auch ohne die Mitarbeit von V-Leu-
ten nachgewiesen werden“ (Frankfurter Rundschau vom 2. April 2008) ist
voll und ganz zuzustimmen. In einem ähnlichen Sinne äußerte sich auch der
Berliner Innensenator Ehrhart Körting, der die Durchsetzung der NPD mit
V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden generell in Zweifel zog: „Um zu
wissen, was die NPD vorhat, brauche ich keine V-Leute in ihren Vorstän-
den“, vielmehr verbiete es sich für einen Rechtsstaat „mit Leuten zusammen-
zuarbeiten, die unseren Staat kaputt machen wollen. Damit macht man sich
schmutzig“ (FAZ vom 1. April 2008).

2. Bis heute stellt die Anwesenheit von V-Leuten in der NPD das wichtigste
Hindernis für ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD dar, womit die
Durchsetzung der Partei mit staatlich bezahlten Aktivisten zur verlässlichs-
ten Sicherung der NPD vor einem Verbot durch das Bundesverfassungs-
gericht geworden ist. Schon das erste und aus genau diesem Grund einzige
Verbotsverfahren gegen die NPD ist an diesem Hindernis gescheitert.

3. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur Einstellung des Ver-
fahrens war hier ganz deutlich, die Handlungshinweise an die politisch Ver-
antwortlichen unmissverständlich: „Das Gericht kann seine Aufgabe der
Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nur dann wahrnehmen,
wenn auch die zur Antragstellung berechtigten Verfassungsorgane die ihnen
zugewiesene Verfahrensverantwortung erkennen und wahrnehmen. Es ist
zunächst die Pflicht der Antragsteller, durch sorgfältige Vorbereitung ihrer
Anträge die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung eines Ver-
botsverfahrens zu schaffen. Deshalb müssen die staatlichen Stellen recht-
zeitig vor dem Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht
– spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung der Absicht, einen Antrag
zu stellen – ihre Quellen in den Vorständen einer politischen Partei ,abge-

schaltet‘ haben; sie dürfen nach diesem Zeitpunkt keine die ,Abschaltung‘
umgehende ,Nachsorge‘ betreiben, die mit weiterer Informationsgewinnung
verbunden sein kann, und müssen eingeschleuste V-Leute zurückgezogen
haben“ (http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/).

4. Die bisherige Weigerung der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg,
Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (NRW), Saarland
und Sachsen entsprechend einem Beschluss der Innenministerkonferenz ihre

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Informationen zu einem möglichen neuen Verbotsverfahren gegen die NPD
dem Bundesministerium des Innern für eine Materialsammlung zur Verfü-
gung zu stellen, torpediert die Möglichkeiten eines neuen Verbotsverfahrens
bereits vor der Prüfung und missachtet die Anforderungen des Bundesver-
fassungsgerichts an die Grundvoraussetzungen eines Verbotsverfahrens.
Auch wenn das Beharren auf die Anwesenheit der V-Leute mit der besonde-
ren Gefährlichkeit der NPD und der Wichtigkeit der Informationen begrün-
det wird, begibt man sich genau damit des schärfsten Mittels, mit dem man
gegen eine verfassungswidrige Partei vorgehen könnte.

5. Die Durchsetzung der NPD und anderer Strukturen der extremen Rechten
mit V-Leuten des Verfassungsschutzes ist nicht zielführend im Sinne einer
nachhaltigen Schwächung und Zurückdrängung der Partei. Die vorliegenden
Erfahrungen und Erkenntnisse über das Wirken von V-Leuten in der NPD
und der rechtsextremen Szene zeigen eher das Gegenteil. So trugen vom
Staat bezahlte Spitzel zur ideologischen und organisatorischen Verfestigung
der Szene bei. Im Sinne des Schutzes der realen und potenziellen Opfer
rechtsextremer Gewalt und auch im Sinne des Schutzes der Demokratie
gegen ihre Feinde hat der Einsatz von V-Leuten nicht nur keinen Gewinn
gebracht, sondern, u. a. durch das Scheitern des ersten NPD-Verbotsver-
fahrens zu einer Stärkung der extremen Rechten beigetragen. Die für die
Auseinandersetzung mit der extremen Rechten nötigen Informationen und
Analysen sollten und können auf besseren und verlässlicheren Wegen er-
langt werden als über den Einsatz von V-Leuten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Bundesamt für Verfassungsschutz anzuweisen, alle V-Leute in der NPD
abzuschalten,

2. sich im Rahmen der Innenministerkonferenz bei den Bundesländern für
einen ebensolchen Schritt auf Landesebene einzusetzen,

3. die Bundesländer, die bisher kein neues Material zur Einschätzung der
Aktivitäten der NPD an das Bundesministerium des Innern geliefert haben,
aufzufordern, der im September 2007 getroffenen Vereinbarung der Innen-
ministerkonferenz nachzukommen und eine Sammlung ihrer aktuellen
Erkenntnisse für ein mögliches neues Verbotsverfahren gegen die NPD zur
Verfügung zu stellen,

4. den Bundestag und die entsprechenden Gremien zeitnahe über das Ergebnis
der Prüfung des vorgelegten Materials zu informieren.

Berlin, den 24. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die jüngsten Affären um V-Leute in der rechtsextremen Szene in Nordrhein-
Westfalen und Sachsen belegen einmal mehr, dass der Einsatz von V-Leuten eher
einer ideologischen und organisatorischen Verfestigung der Szene dient als ihrer
Schwächung. So wurde in Nordrhein-Westfalen im September 2007 bekannt,
dass ein V-Mann des Verfassungsschutzes innerhalb der rechtsextremen Szene

selbst an Straftaten beteiligt war: Drogenhandel, Körperverletzung und Verstöße
gegen das Waffengesetz fanden sich in seinem Vorstrafenregister; trotzdem

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9007

nahm das Amt für Verfassungsschutz in NRW keinen Abstand von der
Zusammenarbeit. Diese ging so weit, dass der V-Mann von seinem V-Mann-Füh-
rer vor der Telefonüberwachung durch die Polizei gewarnt wurde, was schließ-
lich zu Ermittlungen der Bielefelder Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung
gegen einen Verfassungsschützer führte. Durch das Auftauchen von Kontaktda-
ten des V-Mannes in den Ermittlungsakten und deren Einsicht durch einen der
rechtsextremen Szene nahestehenden Anwalt sind weitere V-Leute in der Szene
gefährdet. Neben der Besorgung von Waffen für Angehörige der rechten Szene
werden dem V-Mann auch die Organisation von Nazikonzerten und Aktivitäten
im Rahmen des in Deutschland verbotenen Blood & Honour-Netzwerkes vorge-
worfen. Somit trug ein bezahlter V-Mann des Verfassungsschutzes zur Krimina-
lisierung (Waffen) und ideologischen Verfestigung (Organisation von Konzer-
ten) der Szene bei (www.tagesschau.de/inland/meldung492906.html).

Auch im aktuellen Prozess gegen Mitglieder der sächsischen Neonazigruppe
„Sturm 34“ muss sich ein Informant des sächsischen Staatsschutzes wegen
Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten. Noch ist unklar, welche
Auswirkungen das auf den Prozess haben wird; jedoch wäre 2002 aufgrund der
ungeklärten Mitgliedschaft von V-Leuten fast der Prozess gegen die Kamerad-
schaft „Skinheads Sächsische Schweiz“ gescheitert. Auch hier wird deutlich,
dass V-Leute aktiv zur Verfestigung der Szene beitragen und die konsequente
Strafverfolgung rechtsextremer Täter eher verhindern, zumindest erschweren.

Welche konkreten Gefahren bzw. Straftaten durch den Einsatz von V-Leuten
innerhalb der NPD abgewehrt oder verhindert wurden, kann oder will die
Bundesregierung nicht benennen (vgl. Antworten auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. „V-Leute in der NPD“, Bundestagsdrucksache 16/3966).
Die Schlagkraft und Aggressivität der NPD haben sich durch den Einsatz
von V-Leuten nicht vermindert. Der Öffentlichkeit sind keine Ergebnisse dieser
verborgenen Arbeit präsentiert worden, die zu einer Einschränkung der Wir-
kungsmöglichkeiten der NPD beigetragen hätten. Ganz im Gegenteil wurden
auch schon im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren Vermutungen laut, V-Leute
hätten zur aggressiven Ausrichtung der Partei aktiv beigetragen und insofern
eine eskalierende Wirkung innerhalb der Partei gehabt: Wolfgang Frenz, von
1962 bis 1995 bezahlter V-Mann des VS-Landesamtes NRW und wichtiger
Zeuge aller drei Antragsteller, ist Gründungsmitglied der NPD, saß bis 1998 im
Parteivorstand und war zwischen 1977 und 1999 stellvertretender Vorsitzender
des Landesverbandes NRW. Er galt als einer der führenden Köpfe der Partei
und trat in verschiedenen NPD-Organen und Publikationen als rabiater Anti-
semit hervor. Der in den Verbotsanträgen von Bundestag und Bundesrat zitierte
Udo Holtmann war seit 1977 im Bundesvorstand der NPD und kurzzeitig
kommissarischer Parteivorsitzender. Seit 1978 war Udo Holtmann offenbar mit
Wissen des damaligen NPD-Vorsitzenden Martin Mußgnug als V-Mann des
Bundesamtes für Verfassungsschutz tätig, was den Wert der von ihm gelieferten
Informationen nachhaltig in Frage stellt. Wie Wolfgang Frenz trat auch Udo
Holtmann in zahlreichen NPD-Publikationen und bei Veranstaltungen als Ras-
sist und Antisemit auf. Mit Carsten Szczepanski und Tino Brandt wurden auch
gewaltbereite Neonazis als V-Leute enttarnt. Diese Entwicklung liegt in der
Logik verdeckter Arbeit innerhalb von Parteien, da eine Unterwanderung eine
aktive Rolle der V-Leute statt einer passiv-beobachtenden Rolle erfordert. Die-
ser Ansatz ist offensichtlich kontraproduktiv. Das gescheiterte NPD-Verbots-
verfahren und auch die aktuellen Fälle belegen, dass eine effektive politische
Kontrolle des Einsatzes von V-Leuten nicht möglich ist.

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