BT-Drucksache 16/8981

Ein Moratorium für Sicherheitsgesetze bis zur Vorlage eines Prüfberichts zu Folgen der Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung

Vom 25. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8981
16. Wahlperiode 25. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Wolfgang Neskovic, Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke,
Kersten Naumann, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Ein Moratorium für Sicherheitsgesetze bis zur Vorlage eines Prüfberichts
zu Folgen der Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

– Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren auf Bundes- und Landes-
ebene im Bereich der inneren Sicherheit zahlreiche Regelungen wie das
Luftsicherheitsgesetz, den großen Lauschangriff oder die Anwendung des
flächendeckenden und anlasslosen Kfz-Kennzeichenscannings verabschie-
det, die vom Bundesverfassungsgericht ganz oder teilweise als nicht verein-
bar mit dem Grundgesetz moniert wurden.

– Diese wiederholten Zurückweisungen von zuvor als unverzichtbar für die
Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dargestellten Regelungen haben zu
erheblicher Ratlosigkeit und Verunsicherung bei Befürwortern und Gegnern
in der Bevölkerung über die Solidität der gesetzgeberischen Arbeit und
deren Verfassungskonformität gesorgt.

– Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 27. Februar
2008 zum Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ein aus
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitetes Grundrecht auf „Ge-
währleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Sys-
teme“ formuliert und dem Gesetzgeber vorgegeben, Gesetzesvorhaben an
diesem Grundrecht zu messen.

– Diese Forderung des Urteils geht weit über die Frage der sog. Online-Durch-
suchung hinaus. Die Sicherheitsgesetze sind in besonderem Maße, aber
nicht ausschließlich von den Folgen des Urteils betroffen und es ist nicht
ausgeschlossen, dass das gesamte Datenschutzrecht neu geordnet werden
muss.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine unabhängige Expertengruppe einzusetzen, in der Bürgerrechts-, Rechts-
anwalts-, Journalisten-, Richter- und Datenschutzvereinigungen und -ver-

bände und Gewerkschaften vertreten sind;

2. dieser Expertengruppe den Auftrag zu erteilen, die Auswirkungen des neuen
Grundrechts auf „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität infor-
mationstechnischer Systeme“ auf das Datenschutzgesetz und andere Rechts-
gebiete zu untersuchen und Konsequenzen aus ihrer Untersuchung vorzu-
schlagen;

Drucksache 16/8981 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
3. bereits beschlossene Gesetze, deren Inhalt eine Einschränkung des Rechts
auf die „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstech-
nischer Systeme“ nahelegt, auf Verträglichkeit mit diesem neuen Grundrecht
zu prüfen;

4. eine umfassende Evaluation aller in der Vergangenheit beschlossenen Sicher-
heitsgesetze mit Blick auf deren Verhältnismäßigkeit und objektive Wirk-
samkeit für die Sicherheit durchzuführen und dem Deutschen Bundestag in
einer angemessenen Frist Bericht zu erstatten;

5. bis zur Veröffentlichung des Abschlussberichts der Expertengruppe keine
Gesetze vorzulegen, die das neue Grundrecht tangieren könnten, und dabei
insbesondere auf die Verabschiedung eines neuen BKA-Gesetzes zu ver-
zichten.

Berlin, den 24. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

1. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht vom Gesetzgeber, dass
dieser Gesetze und Regelungen beschließt, die im Einklang mit dem Grund-
gesetz stehen, und dass Eingriffe in die Grundrechte auf ein Minimum be-
schränkt und wenn möglich vermieden werden. Dieser Erwartung wurde der
Gesetzgeber in der Vergangenheit besonders im Bereich der Gesetze zur
Inneren Sicherheit nicht gerecht. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben die
zahlreichen Sicherheitsgesetze mit ihren teils erheblichen Grundrechtsein-
griffen nicht nur eine breite Debatte in der Bevölkerung ausgelöst, sondern
auch für große Verunsicherung gesorgt.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem jüngsten Urteil zur Online-
Durchsuchung den längst überfälligen Versuch unternommen, einen der
technischen und gesellschaftlichen Entwicklung gemäßen Grundrechts-
schutz für den privaten Umgang mit „informationstechnischen Systemen“
vorzulegen.

3. Der Gesetzgeber steht deshalb vor der Aufgabe, die Folgen des Urteils auf
alle Rechtsgebiete ohne die im Urteil zwangsläufigen Einschränkungen im
Zusammenhang mit der Online-Durchsuchung zu überprüfen.

4. Angesichts des Umfangs und der Bedeutung der Aufgabe ist die Einbezie-
hung von Bürgerrechts-, Rechtsanwalts-, Richter- und Datenschutzvereini-
gungen und -verbänden bei der Expertenanhörung unerlässlich, um unab-
hängige Ergebnisse sicherzustellen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.