BT-Drucksache 16/8930

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - 16/6815, 16/8914- Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8930
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Miriam Gruß, Sibylle
Laurischk, Mechthild Dyckmans, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz
Lanfermann, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Burkhard Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/6815, 16/8914 –

Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen
bei Gefährdung des Kindeswohls

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Kinder sind unsere Zukunft, zugleich aber auch eines der schwächsten Glieder
unserer Gesellschaft. Sie bedürfen eines besonderen Schutzes und sind auf die
besondere Fürsorge, Verantwortung und Pflege der Erwachsenen angewiesen.

Immer wieder werden Missbrauchs- und Vernachlässigungsfälle im Zusammen-
hang mit Kindern und Jugendlichen bekannt, bei denen Behörden und Gerichte
zu spät eingeschritten sind. Mit dem Gesetzentwurf zur Erleichterung familien-
gerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls soll der Schutz
gefährdeter Kinder verbessert werden.

Mit den Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird weitestgehend
auf die bestehende Rechtspraxis reagiert, weshalb in § 1666 BGB Tatbestands-

hürden abgebaut und die Rechtsfolgen konkretisiert werden.

Die primäre Verantwortung für das Wohl des Kindes liegt weiter bei den Eltern.
Eine Verschiebung zwischen den Rechten und Pflichten der Eltern einerseits
und den Eingriffsmöglichkeiten des Staates andererseits ist nicht intendiert.
Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) weist die Verantwortung für
die Erziehung und den Schutz der Kinder zuallererst den Eltern zu. Die elter-
liche Sorge umfasst den Schutz des Kindes vor Gefahren für sein Wohl. Neh-

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men die Eltern ihre Elternverantwortung jedoch nicht wahr, kommt das so ge-
nannte staatliche Wächteramt zum Tragen, wonach der Staat berechtigt und
verpflichtet ist, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen. Der zen-
trale Gesichtspunkt des § 1666 BGB ist und bleibt die Sicherung des Kindes-
wohls.

1. Das familiengerichtliche Verfahren soll nach den Plänen der Bundesregie-
rung in den nächsten Monaten von Grund auf neu geregelt werden. Dazu liegt
ein 428 Seiten starker Gesetzentwurf vor. Die erste Lesung fand bereits am
11. Oktober 2007 statt. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat
zu dem Vorhaben der FGG-Reform (FGG – Gesetz über die Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit) eine zweitägige Sachverständigenanhörung
im Februar dieses Jahres durchgeführt. Jetzt muss die Reform zügig umge-
setzt werden. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn alle Änderungen im
Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus einem Guss reformiert und ge-
meinsam verabschiedet worden wären, und nicht Teilaspekte zur Beschleuni-
gung des Verfahrens und der Führung von Erziehungsgesprächen mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf zur Erleichterung familiengerichtlicher Maß-
nahmen bei Gefährdung des Kindeswohls herausgelöst würden. Da anschei-
nend das Gesetzgebungsverfahren zur Reform des Verfahrens in Familien-
sachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit noch
längere Zeit in Anspruch nimmt, kommt es leider zur Aufteilung in mehrere
Gesetzgebungsschritte, was zur Rechtsunsicherheit in der Praxis führen kann.

2. Neben dem im Mittelpunkt stehenden Schutz der Kinder muss aber auch der
Schutz der übrigen Verfahrensbeteiligten beachtet werden. In nicht wenigen
Fällen spielt häusliche Gewalt zwischen den Partnern in Verfahren, die den
Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes
betreffen, sowie für Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls, eine ent-
scheidende Rolle. Wenn feststeht, dass eine getrennte Anhörung zum Schutz
eines Elterteils erforderlich ist, hat das Gericht einen Elterteil in Abwesenheit
des anderen Elternteils anzuhören. Dies schlägt sich auch in der Neufassung
des § 50a Abs. 3 FGG-E und des § 50f Abs. 1 FGG-E nieder.

3. Im Rahmen der noch ausstehenden Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit
ist darauf zu achten, dass ein Beschleunigungsgebot im Verfahren dem Kin-
deswohl nicht immer gerecht wird. Eine Beschleunigung des Verfahrens
sollte es nicht um jeden Preis geben. Geboten ist vielmehr ein Zusammen-
spiel von Beschleunigung und wenn nötig auch von Entschleunigung, um
dem Kindeswohl gerecht zu werden. Die Praxis zu Dormhagen und Cochem
ist zu berücksichtigen. Das bleibt weiter auf der Agenda.

4. Das Anliegen des Gesetzentwurfs wird nur dann realisiert werden können,
wenn der Gesetzesvollzug in den Ländern, bei den Familiengerichten und
den Jugendämtern verbessert wird. Der Untersuchungsbericht der Bremer
Bürgerschaft zu dem Fall Kevin hat als Problem der Kinder- und Jugend-
fürsorge vor allem individuelle Fehler ausgemacht. Ein Mangel an gesetz-
lichen Möglichkeiten bestand insoweit weniger. Strukturelle Mängel in der
Behörde, eine mangelnde Dienst- und Fachaufsicht, eine unzureichende
Zusammenarbeit der verschiedensten Beteiligten, fehlende Qualifikationen
und schlechte personelle und sachliche Ausstattung waren insoweit zu ver-
zeichnen. Der Auftrag, Kinder vor einer Gefährdung zu bewahren, ist eine
wesentliche Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe. Die Jugendämter müssen
in der Lage sein, die Situation eines gefährdeten Kindes und die der Familie
zutreffend zu analysieren und auf dieser Grundlage die erforderlichen Maß-
nahmen – nötigenfalls eine Inobhutnahme – durchzuführen. Die Jugendämter
müssen angemessen ausgestattet sein. Die Aus-, Fort- und Weiterbildung der
Mitarbeiter muss gestärkt werden. Darüber hinaus sind in den Jugendämtern

Verfahrensabläufe zu implementieren, die eine frühzeitige Erkennung einer
Kindeswohlgefährdung ermöglichen, Fehleinschätzungen auf Grund der

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Ansicht einzelner Mitarbeiter ausschließen und die den Verlust von Informa-
tionen verhindern (Fehlermanagement). Für die Kinder- und Jugendhilfe sind
Qualitätsstandards zu erarbeiten, die in regelmäßigen Abständen zu eva-
luieren sind. Die Forschung zu Indikatoren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
auf eine Kindeswohlgefährdung verweisen, ist zu intensivieren.

Auch im Bereich der Richterschaft ist auf Landesebene für eine bessere per-
sonelle und sachliche Ausstattung zu sorgen. Auf Grund der erhöhten Anfor-
derungen, die auch durch den vorliegenden Gesetzentwurf bedingt sind (z. B.
Erörterungsgespräch), ist eine verpflichtende Fortbildung der Richter in die-
sem Bereich anzustreben.

Auf regionaler und lokaler Ebene ist eine wirksame Vernetzung zwischen den
verantwortlichen Stellen, wie den Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten,
Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern, der Staatsanwalt-
schaft, Polizei, dem Jugendamt, Gesundheitswesen, den Sozialbehörden und
Richtern zu fördern, und gemeinsame Fort- und Weiterbildungsangebote vor-
zusehen auch um die Versorgungslücke von risikobehafteten Teilgruppen un-
terhalb der Eingriffsschwelle des allgemeinen Sozialdienstes durch die Kom-
bination verschiedener Maßnahmen so zu schließen, dass diese Familien nicht
durch das soziale Netz fallen. Darüber hinaus sollten auf kommunaler Ebene
niedrigschwellige Angebote etwa durch Familienhebammen ausgebaut wer-
den.

5. Familien sind besonders in den ersten Lebensjahren des Kindes der zentrale
Ort der Vermittlung von Wärme, Geborgenheit, Bildung und Erziehung. Die
Wurzeln für die spätere Entwicklung von Kindern werden in den ersten
Lebensjahren gelegt. Eltern müssen die Möglichkeit haben, sich auf die
neuen mit dem Kind verbundenen Anforderungen sowie die Phasen der kind-
lichen Entwicklung vorzubereiten. Dies kann im Rahmen von Kursangebo-
ten, durch eine persönliche Betreuung, den Versand von Informationsbriefen,
Informationen durch die Kinder- und Jugendärzte oder auch über Informa-
tionen im Internet oder per E-Mail geschehen. Staat und Gesellschaft müssen
helfen, um die Erziehungskraft der Eltern zu stärken. Eltern sollten hierbei
durch Strukturen vor Ort unterstützt werden. Eine Isolation überforderter
Familien muss verhindert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit zügig umzusetzen und nochmals die Mög-
lichkeiten der Be- und Entschleunigung in familiengerichtlichen Verfahren
auf den Prüfstand zu stellen;

2. sich insbesondere im Rahmen der Jugendministerkonferenz dafür einzuset-
zen, dass bestehende Defizite im Bereich des Gesetzesvollzugs dadurch be-
seitigt werden, dass

a) Jugendämtern angemessene personelle und sachliche Ressourcen zur Ver-
fügung gestellt werden;

b) die Dienst- und Fachaufsicht gestärkt wird;

c) einheitliche in regelmäßigen Abständen zu evaluierende Qualitätsstan-
dards für die Kinder- und Jugendhilfe erarbeitet werden;

3. die Forschung zu Indikatoren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Kin-
deswohlgefährdung verweisen, zu intensivieren.

Berlin, den 22. April 2008
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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