BT-Drucksache 16/8912

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/8488- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93)

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8912
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses (4. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/8488 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 23, 45 und 93)

A. Problem

Der Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische
Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom
13. Dezember 2007 verleiht den Parlamenten der Mitgliedstaaten – damit auch
dem Bundestag und dem Bundesrat – erstmalig direkte Mitwirkungsrechte ge-
genüber Organen der Europäischen Union. Für die Wahrnehmung dieser Rechte
bei der Subsidiaritätskontrolle sowie bei institutionellen Entscheidungen schafft
das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und
des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union die innerstaat-
lichen Voraussetzungen.

Die Regelungen dieses Gesetzes sehen angesichts der hohen politischen Bedeu-
tung der neuen Mitwirkungsrechte ein austariertes, teils das Mehrheitsprinzip
(Artikel 42 Abs. 2 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes – GG) modi-
fizierendes Beschlussverfahren vor, das die Beteiligungsrechte des Bundestages
und des Bundesrates berücksichtigt. Zudem wird für die Erhebung der sog. Sub-
sidiaritätsklage (Klage nach Artikel 8 des durch den Vertrag von Lissabon vom
13. Dezember 2007 dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag
über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls über die
Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit)
durch den Bundestag ein Minderheitenrecht vorgesehen. Die Regelungen des
Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und
des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union lassen außerdem

zu, dass der Bundestag den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union zur Wahrnehmung nicht nur seiner Rechte gemäß Artikel 23 GG
gegenüber der Bundesregierung (wie in Artikel 45 Satz 2 GG vorgesehen), son-
dern darüber hinaus auch zur Wahrnehmung seiner direkten Mitwirkungsrechte
gegenüber den Organen der Europäischen Union aufgrund des Vertrags von Lis-
sabon ermächtigen kann.

Dies macht entsprechende Anpassungen des Grundgesetzes erforderlich.

Drucksache 16/8912 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

B. Lösung

Einfügung eines Absatzes 1a in Artikel 23:

– Verankerung des Rechts des Bundestages und des Bundesrates auf Erhebung
der sog. Subsidiaritätsklage im Grundgesetz (Satz 1),

– Einführung einer Pflicht des Bundestages, auf Antrag eines Viertels seiner
Mitglieder die Erhebung der Subsidiaritätsklage zu beschließen (Satz 2),

– Zulassung von Modifizierungen des Mehrheitsprinzips für die Beschlussfas-
sungen von Bundestag und Bundesrat über die Wahrnehmung der ihnen in
den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumten Rechte
durch Gesetz (Satz 3).

Ergänzung des Artikels 45 GG dahingehend, dass der Bundestag den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union nicht nur – wie bisher – zur
Wahrnehmung der Rechte des Plenums gemäß Artikel 23 gegenüber der Bun-
desregierung, sondern auch zur Wahrnehmung derjenigen Rechte ermächtigen
kann, die dem Bundestag in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen
Union eingeräumt sind.

Anpassung des für Normenkontrollanträge aus der Mitte des Bundestages vor
dem Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 GG maßgebenden
Quorums an das für die Erhebung der Subsidiaritätsklage vor dem Europäischen
Gerichtshof vorgesehene Quorum eines Viertels der Mitglieder des Bundesta-
ges.

Annahme des Gesetzentwurfs mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion DIE LINKE.

C. Alternativen

Keine

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Keine

E. Sonstige Kosten

Keine

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8912

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/8488 unverändert anzunehmen.

Berlin, den 23. April 2008

Der Innenausschuss

Sebastian Edathy
Vorsitzender

Ingo Wellenreuther
Berichterstatter

Michael Roth (Heringen)
Berichterstatter

Gisela Piltz
Berichterstatterin

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Wolfgang Wieland
Berichterstatter

oder“ eingefügt. Die Wörter „eines Drittels“ werden sei ein zu niedriges Quorum, das den Minderheitenschutz

durch die Wörter „eines Viertels“ ersetzt.

Begründung
Zu Nummer 1:

überbetone.

Die Fraktion DIE LINKE. sieht ihre Forderungen nach
mehr Transparenz und Demokratie in der Europäischen
Union auch mit dem Vertrag von Lissabon nicht erfüllt, der
Drucksache 16/8912 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Ingo Wellenreuther, Michael Roth (Heringen), Gisela
Piltz, Ulla Jelpke und Wolfgang Wieland

I. Zum Verfahren
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 16/8488 wurde in der
151. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. März 2008
an den Innenausschuss zur federführenden Beratung sowie
an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für
die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitbera-
tung überwiesen.

Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung hat in seiner 31. Sitzung am 10. April 2008
mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion DIE LINKE. empfohlen, den Gesetzentwurf auf
Bundestagsdrucksache 16/8488 anzunehmen.

Der Rechtsausschuss hat in seiner 96. Sitzung am 23. April
2008 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Gesetzentwurfs
empfohlen. Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE.
auf Ausschussdrucksache 16(4)402 wurde abgelehnt.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union hat in seiner 59. Sitzung am 23. April 2008 mit
den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion DIE LINKE. empfohlen, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen.

Der Innenausschuss hat den Gesetzentwurf auf Bundes-
tagsdrucksache 16/8488 in seiner 66. Sitzung am 23. April
2008 abschließend beraten und ihn mit den Stimmen der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.
angenommen.

Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. auf Aus-
schussdrucksache 16(4)402 wurde mit den Stimmen der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. ab-
gelehnt.

Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. auf Aus-
schussdrucksache 16(4)402 hat einschließlich Begründung
folgenden Wortlaut:

Artikel 1 Nr. 1 wird wie folgt geändert:

1. Der in Artikel 23 Abs. 1 eingefügte Absatz 1a wird dahin-
gehend geändert, dass Satz 2 wie folgt lautet:
„Der Bundestag ist hierzu auf Antrag einer Fraktion
oder eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet.“

2. Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 werden nach den Wörtern „einer
Landesregierung oder“ die Wörter „einer Fraktion

gungen hinsichtlich einer Verbesserung der parlamenta-
rischen Minderheitenrechte muss jede im Bundestag vertre-
tene Fraktion die Erhebung einer Subsidiaritätsklage durch
den Bundestag erzwingen können. Darüber hinaus soll un-
abhängig von den Fraktionen auch ein Viertel der Mitglieder
des Bundestags dieses Recht haben.

Zu Nummer 2:

Die Änderung erfolgt aus Erwägungen des parlamenta-
rischen Minderheitenschutzes und dient zur Herstellung des
Gleichklangs mit der Regelung über die Erhebung der Sub-
sidiaritätsklage zum Europäischen Gerichtshof.

II. Zur Begründung

Die Fraktion der CDU/CSU betont die Bedeutung des Ver-
trags von Lissabon, dessen Zustandekommen in großem
Maße den Bemühungen der deutschen Ratspräsidentschaft
zu verdanken sei. Europa werde dadurch demokratischer,
schlanker und effizienter und Kompetenzen würden klarer
abgegrenzt. Der vorliegende Gesetzentwurf diene mit dazu,
die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung
der durch den Vertrag gestärkten Mitwirkungsrechte von
Bundestag und Bundesrat gegenüber den Organen der EU zu
schaffen. Eine einfachgesetzliche Regelung der notwendi-
gen Rechtsänderungen hätte schon wegen der Modifizierung
des Mehrheitsprinzips nicht ausgereicht.

Die Fraktion der SPD sieht die nationalen Parlamente und
auch den Deutschen Bundestag als Gewinner des Vertrags
von Lissabon, der erhebliche neue Mitwirkungsrechte schaf-
fe. Nach intensiver Diskussion habe man sich – anders als
beim europäischen Verfassungsvertrag – dazu entschlossen,
die erforderlichen innerstaatlichen Anpassungen auch auf
der Ebene des Grundgesetzes abzusichern. Gerade im Hin-
blick auf zu erwartende Klagen vor dem Bundesverfassungs-
gericht müsse man rechtliche Risiken soweit wie möglich
ausschließen. Der Deutsche Bundestag werde seine neuen
Möglichkeiten verantwortungsvoll handhaben und wolle
keine Blockaden in der Europäischen Politik.

Auch die Fraktion der FDP würdigt den Vertrag von Lissa-
bon, der zwar hinter manchen Wünschen zurückbleibe, aber
letztlich das darstelle, was aktuell verhandelbar gewesen sei.
Dem Gesetzentwurf sei zuzustimmen, weil er die nötigen
verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Verwirk-
lichung der gestärkten Rechte des Deutschen Bundestages
schaffe. Den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE.
lehne man ab, da er bereits einer einzelnen Fraktion die Mög-
lichkeit der Erzwingung einer Subsidiaritätsklage gebe. Dies
Um die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips möglichst
effektiv zu gewährleisten, aber auch aus allgemeinen Erwä-

im Wesentlichen dem Verfassungsvertrag entspreche. Umso
wichtiger sei daher die Stärkung parlamentarischer Minder-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8912

heitenrechte, die man mit dem Änderungsantrag deutlicher
stärken wolle, als dies im Gesetzentwurf der übrigen Frak-
tionen bislang vorgesehen sei. Nicht nur auf Antrag eines
Viertels der Mitglieder, sondern schon auf Antrag einer
Fraktion müsse der Deutschen Bundestag verpflichtet sein,
die sog. Subsidiaritätsklage zu erheben.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt heraus,
dass mit dem Vertrag von Lissabon eine neue Stufe der Inte-
gration erreicht sei, mit der Deutschland zwar ein Stück Sou-
veränität verliere, die EU insgesamt aber transparenter und
demokratischer werde – auch durch die erweiterten Mitwir-
kungsbefugnisse der nationalen Parlamente. Die Verfas-
sungsänderung zeige, dass man diesen Prozess ernst nehme.
Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. sei abzuleh-
nen, da damit einer einzelnen europaskeptischen Fraktion
das Recht eingeräumt würde, das Parlament ständig zu Sub-
sidiaritätsklagen zu zwingen.

Berlin, den 23. April 2008

Ingo Wellenreuther
Berichterstatter

Michael Roth (Heringen)
Berichterstatter

Gisela Piltz
Berichterstatterin

Ulla Jelpke
Berichterstatterin

Wolfgang Wieland
Berichterstatter

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