BT-Drucksache 16/8890

Erhalten, was uns erhält - Die UN-Konferenzen zur biologischen Sicherheit und zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt zum Erfolg machen

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8890
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Renate Künast, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Cornelia Behm, Nicole Maisch, Dr. Anton
Hofreiter, Rainder Steenblock, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Bettina Herlitzius,
Winfried Hermann, Peter Hettlich, Sylvia Kotting-Uhl und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Erhalten, was uns erhält – Die UN-Konferenzen zur biologischen Sicherheit
und zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt zum Erfolg machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Mai 2008 tagen die 9. Vertragsstaaten-Konferenz der Konvention über die
biologische Vielfalt (COP 9; Convention on Biological Diversity, CBD) und die
4. Konferenz der Mitglieder des Cartagena-Protokolls über biologische Sicher-
heit (MOP 4) in Bonn. Diese beiden UN-Konferenzen lenken die Aufmerksam-
keit auf ein Thema, das weltweit eine der größten Herausforderungen unserer
Zeit darstellt: den Erhalt und die nachhaltige sowie gerechte Nutzung der bio-
logischen Vielfalt. Deutschland hat als Gastgeberin der MOP 4 und der COP 9
und als zukünftige Vorsitzende der CBD die besondere Verantwortung, die
nationalen, europäischen und internationalen Anstrengungen gegen den Verlust
von biologischer Vielfalt zu intensivieren. Im Hinblick auf die 2010-Ziele müs-
sen in diesem Jahr verbindliche Beschlüsse für den Erhalt und die nachhaltige
Nutzung der biologischen Vielfalt getroffen werden.

Die Europäische Union hat sich 2001 in Göteborg verpflichtet, den Verlust der
biologischen Vielfalt europaweit bis zum Jahr 2010 zu stoppen. Nach nunmehr
sieben Jahren sind wir von diesem Ziel noch immer weit entfernt. Um die ge-
planten Ziele zu erreichen, müssen deshalb auf der MOP 4 und COP 9 die poli-
tischen Weichen für ein Umdenken hin zu einer nachhaltigen Nutzung und zu
einem umfangreicheren Schutz der biologischen Vielfalt auf europäischer und
internationaler Ebene gestellt werden. Dazu sind ambitionierte Vorschläge in al-
len Themenfeldern durch Deutschland und die EU unabdingbar. Sollten die
Konferenzen scheitern, sind die für das Jahr 2010 gesetzten Ziele kaum mehr zu
erreichen und der Verlust an Arten, Lebensräumen und genetischen Ressourcen
wird ungehindert weitergehen auf Kosten der Bevölkerung in den Entwick-
lungs- und Schwellenländern sowie letztendlich auch der Industriestaaten.
Die Natur muss auf Grund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlage des
Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen erhalten
werden. Deshalb ist der schleichende und unbemerkte Verlust von Arten, Öko-
systemen und genetischen Ressourcen durch Umweltzerstörung, Übernutzung
und mangelnde Wertschätzung eine globale Katastrophe, die irreversible Schä-
den erzeugt. Biodiversitätsschutz muss daher höchste politische Priorität genie-

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ßen und endlich als Querschnittsaufgabe in alle Politikbereiche konsequent
integriert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Deutschlands Rolle als Gastgeberin der MOP 4 und COP 9 in Bonn

– die Konferenzen und den Folgeprozess international und national als Forum
engagiert zu nutzen, um die Bedeutung der biologischen Vielfalt gesell-
schaftlich und politisch stärker zu verankern. Diesen beiden Konferenzen
kommt aufgrund der für das Jahr 2010 gesetzten Ziele eine bedeutende Rolle
zu;

– sich als Gastgeber der MOP 4 und COP 9 dafür einzusetzen, dass auf den bei-
den internationalen Konferenzen klare Mandate und Arbeitsaufträge zur
Erreichung rechtsverbindlicher Regeln und Instrumente für die weiteren Ver-
handlungen vereinbart werden, um wie geplant bis zum Jahr 2010 eine um-
fassende Reform zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen
Vielfalt noch erreichen zu können. Es müssen diplomatische Initiativen auf
höchster politischer Ebene ergriffen werden, um dies zu erreichen;

– die MOP 4 und COP 9 in Deutschland und den anschließenden deutschen
Vorsitz der CBD dazu zu nutzen, Biodiversitätspolitik auf regionaler, natio-
naler und globaler Ebene als Querschnittsaufgabe in alle Politikbereiche zu
integrieren und konsequent umzusetzen. Das bedeutet, Natur- und Arten-
schutz nicht nur in die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft zu integrieren,
sondern Fragen der biologischen Vielfalt auch in der Verkehrs-, Klimaschutz-
und Energiepolitik besser zu berücksichtigen. Aber auch die Armutsbekämp-
fung, Wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik müssen sich dem Erhalt der
biologischen Vielfalt verpflichten. Für die Bundesrepublik Deutschland müs-
sen während und auch noch nach der CBD-Präsidentschaft der Erhalt und die
nachhaltige sowie gerechte Nutzung der biologischen Vielfalt höchste Prio-
rität haben;

– auf der MOP 4 und COP 9 in Deutschland und während des anschließenden
deutschen Vorsitzes der CBD für den nötigen Paradigmenwechsel beim
Schutz und der nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt einzutreten,
besonders im Bereich des Natur- und Artenschutzes und in Fragen der biolo-
gischen Sicherheit und Agro-Gentechnik;

– die MOP 4 und COP 9 in Deutschland und den anschließenden deutschen
Vorsitz der CBD dazu zu nutzen, die Bemühungen der einzelnen Ressorts im
Bereich der Umwelt- und Naturschutzbildung sowie der Bildung über die
nachhaltige und gerechte Nutzung der biologischen Vielfalt zu intensivieren.
Den beim Auftakt der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“
vorgelegten Aktionsplan gilt es in Deutschland zügig umzusetzen;

– den Umsetzungsprozess der „Potsdam Initiative zur biologischen Vielfalt
2010“ zu verstärken und die noch offenen Ziele und Maßnahmen zügig um-
zusetzen. Dazu gehören auch die Stärkung der wissenschaftlichen Basis für
die biologische Vielfalt und die Verbesserung der Schnittstelle zwischen
Wissenschaft und Politik. Ein internationaler Mechanismus zu wissenschaft-
lichen Biodiversitätsfragen (IMOSEB) sollte schnellstmöglich unter dem
Dach des Umweltprogramms der UN (UNEP) eingerichtet werden;

– den Prozess der Inwertsetzung der ökologischen Leistungen der biologischen
Vielfalt weiter voranzutreiben. Ziel muss es sein, die Studie „The Economics
of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB) spätestens bis Anfang 2010, also
noch vor COP 10 zu beenden und die Ergebnisse allen Vertragsstaaten so zur

Verfügung zu stellen, dass Schlussfolgerungen daraus in die Verhandlungen
bei COP 10 Eingang finden können. Diese Ergebnisse sollen zudem im Rah-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8890

men von öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen in die breite Bevölkerung
zielgruppengerecht kommuniziert werden;

– sich als Vorsitzende der CBD bei der japanischen G8-Präsidentschaft dafür
einzusetzen, dass der G8+5-Gipfel in To ¯yako, Japan, im Juli 2008 genutzt
wird, um den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt
sowie die aktuellen Beschlüsse der COP 9 vom Mai 2008 in Bonn auf der
internationalen politischen Agenda weit nach oben zu setzen. Der G8+5-Gip-
fel kann durch Unterstützung einer Finanzierungsinitiative mit Co-Benefit
für Biodiversität und Klima erheblich zu diesem Prozess beitragen. Beson-
ders im Bereich des Waldschutzes sowie hinsichtlich einer stärkeren Zusam-
menarbeit zwischen Klima- und Biodiversitätsschutz müssen in diesem
Sinne auf dem G8+5-Gipfel weitere wegweisende Entscheidungen getroffen
werden;

– sich im Rahmen des CBD Vorsitzes dafür einzusetzen, die Struktur und Ar-
beitsweise der CBD effizienter zu gestalten bzw. für eine effiziente Umset-
zung der Konvention Sorge zu tragen;

– sich dafür einzusetzen, dass die Zusammenarbeit und Kohärenz zwischen
den verschiedenen UN-Konventionen, wie der UN-Klimakonvention
(UNCCC) und weiterer internationaler Abkommen, sowie Organisationen
und Institutionen, wie z. B. der Welthandelsorganisation (WTO), maßgeblich
verstärkt werden;

– sich dafür einsetzen, dass internationale Umweltabkommen wie die CBD
stärker als bisher bei internationalen Streitigkeiten in Wirtschaftsfragen be-
rücksichtigt werden, wie z. B. bei WTO-Schlichtungsverfahren zum Import
von gentechnisch veränderten Pflanzen.

2. Errichtung, Management und Finanzierung eines globalen Schutzgebiets-
netzes

– Schutzgebiete und deren Vernetzung als zentrales Instrument zum Erhalt der
biologischen Vielfalt auf der COP 9 auszubauen und für konkrete und ver-
bindliche Beschlüsse für die Erweiterung des auf der COP 7 (2004) beschlos-
senen weltweiten Schutzgebietsnetzwerkes Sorge zu tragen;

– während des CBD-Vorsitzes darauf hinzuwirken, dass alle Vertragsstaaten,
die bislang ihrer Informationspflicht über die bestehenden Schutzgebiete auf
ihrem Staatsgebiet nicht ausreichend nachgekommen sind, diese Berichte
noch im Jahr 2008 nachliefern zu müssen. Diese Berichte sollen neben der
Anzahl, Lage und Größe der Schutzgebiete auch den Stand der Umsetzung
von Managementplänen und eines dauerhaften Monitoring umfassen;

– sich auf der COP 9 für ein Steppen- und Savannenschutzprogramm im Rah-
men der CBD einzusetzen und während des CBD-Vorsitzes die Erarbeitung
eines solchen Programms abzuschließen, so dass dieses spätestens bis 2012
verabschiedet werden kann;

– darauf zu achten, dass bei der Ausweisung von Schutzgebieten besonders die
jeweilige soziale und ökonomische Situation und andere existenzielle Be-
lange der lokalen und indigenen Bevölkerung berücksichtigt werden. Dabei
gilt es sicherzustellen, dass die Einkommensmöglichkeiten der Betroffenen
verbessert und berücksichtigt werden;

– darauf hinzuwirken, dass in den bereits bestehenden Schutzgebieten umfang-
reiche Managementpläne erarbeitet und zügig implementiert werden, um den
Schutz der biologischen Vielfalt auch nach der Gebietsausweisung langfristig
sicherzustellen;

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– dafür Sorge zu tragen, dass die für Errichtung und Management von Schutz-
gebieten benötigten wissenschaftlichen Daten zügig durch eine Stärkung der
Biodiversitätsforschung zur Verfügung stehen;

– sich für die Installation eines weltweiten regelmäßigen Beobachtungs-
programms (Monitoring) stark zu machen, wofür die personellen und wissen-
schaftlichen Voraussetzungen zu schaffen sind. Hier sollten neue Techniken,
wie der Einsatz von Sendern (Transpondern), GPS und satellitengestützte Be-
obachtung verstärkt genutzt werden;

– zu einem massiven zusätzlichen finanziellen Engagement für die Einrichtung
des Managements und Monitorings für das weltweite Schutzgebietsnetz auf-
zufordern. Dabei muss die Entwicklung und Implementierung von neuen,
rechtlich verbindlichen Finanzierungsinstrumenten zügig vorangebracht
werden; wie z. B. von „Trust Funds“ und „Debts for Nature Swaps“. Da-
zu soll auf der COP 9 eine CBD-Strategie zur Mobilisierung von Finanzen
(Strategy for Ressource Mobilization) beschlossen und eine technische
Arbeitsgruppe (Ad-hoc-Technical-Expert-Group) eingesetzt werden, welche
bis zum Jahr 2010 zur COP 10 einen Bericht vorlegen muss;

– auf der COP 9 den Schutz der intakten Urwaldgebiete sowie der neu aus-
zuweisenden marinen Schutzgebiete als Schwerpunkt der Global Environ-
ment Facility (GEF) festzulegen.

3. Schutz und nachhaltige Nutzung der Wälder

– auf der COP 9 darauf hinzuwirken, dass die Vertragsstaaten dem CBD-Sekre-
tariat verstärkt Waldschutzgebiete für ein globales Register melden. Deutsch-
land sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen und den nationalen Wald-
schutz verstärken sowie die verbliebenen Buchenwälder Deutschlands bis
zum Jahr 2010 vordringlich unter Schutz und Bewirtschaftung nach ökologi-
schen Kriterien stellen;

– sich dafür einzusetzen, dass Schutzgebiete und deren Vernetzung als zentra-
les Instrument zum Tropenwalderhalt und Klimaschutz sowie zur Sicherung
der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften auf der COP 9 aus-
gebaut werden;

– während der COP 9 und des CBD-Vorsitzes darauf hinzuwirken, dass die
Vertragsstaaten bis zum Jahr 2010 nationale Waldschutzpläne ausarbeiten
und diese bis zum Jahr 2020 umsetzen;

– den multilateralen Prozess der CBD zur verbindlichen Regelung des Handels
mit nachhaltigen Holzprodukten als Beitrag zum konsequenten Biodiver-
sitäts- und Klimaschutz zügig abzuschließen. Dazu gehört auch, sich auf
europäischer Ebene für die schnellstmögliche Einführung eines Besitz- und
Handelsverbotes für illegal geschlagenes Holz sowie sich im internationalen
Rahmen für die Fortentwicklung von FLEGT einzusetzen;

– sich als Gastgeberin der COP 9 und Vorsitzende der CBD dafür stark zu ma-
chen, dass die Biodiversitätsexpertise Eingang in die Klimaverhandlungen
findet und eine enge Zusammenarbeit zwischen der UNFCCC und der CBD
auf den Weg gebracht wird;

– bei den Verhandlungen der COP 9 sicherzustellen, dass die Arbeits-
programme zu Schutzgebieten und Waldbiodiversität mit einem möglichen
Finanzierungsmechanismus für vermiedene Entwaldung (REDD) konzeptio-
nell verzahnt werden;

– Mittel für den Tropenwaldschutz in Höhe von mindestens 500 Mio. Euro
jährlich ab dem kommenden Jahr bereitzustellen. Hier gilt es verbindlich zu

verankern, dass ein fester Anteil der Auktionierungserlöse von Emissionszer-

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tifikaten in den Verpflichtungsstaaten für den Tropenwaldschutz zur Ver-
fügung gestellt werden;

– sich im Rahmen der G8 und der OECD dafür einzusetzen, dass ab 2010 jähr-
lich rund 15 Mrd. Euro für den weltweiten Waldschutz zur Verfügung gestellt
werden, um so rund ein Drittel der globalen Treibhausemissionen zu ver-
meiden. Dies entspricht den Mitteln, die nach UN Rechnungen und dem so
genannten Stern Bericht für die Halbierung der Entwaldungsrate notwendig
wären.

4. Schutz und nachhaltige Nutzung der Meere

– sich für die zügige Ausweisung von marinen Schutzgebieten, besonders für
ein Schutzgebietssystem für die hohe See, einzusetzen;

– auf der COP 9 den Beschluss eines Kriterienkataloges zur Verabschiedung zu
bringen, auf dessen Basis bis 2009 eine Vorschlagsliste für Schutzgebiete auf
hoher See erstellt werden kann. Dabei muss sichergestellt werden, dass in den
Meeresschutzgebieten der Küstenzonen und denen der hohen See alle Nut-
zungen, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt
haben oder haben können, untersagt werden; dies betrifft insbesondere die
nicht nachhaltige Fischerei und die Gewinnung von Bodenschätzen;

– sich im Rahmen des CBD-Vorsitzes dafür einzusetzen, dass 40 Prozent der
Fläche der hohen See bis 2012 in völkerrechtlich geeigneter Weise als strikte
Schutzgebiete (High Seas Marine Protected Areas – MPAs) ausgewiesen
werden;

– sich im Rahmen des CBD-Vorsitzes dafür einzusetzen, dass die Vertrags-
staaten und andere relevante Organisationen in der Umsetzung der Kriterien
kooperieren und, dass ein Prozess in Gang gesetzt wird, der kurz- bis mittel-
fristig zur Ausweisung von Schutzgebieten und dem Schutz der biologischen
Vielfalt in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit (hohe See)
führt. Dabei müssen vor allem die bestehenden rechtlichen Lücken in der in-
ternationalen Gesetzgebung (governance) geschlossen werden.

5. Erhalt und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt in der Landwirt-
schaft

– sich auf der COP 9 und während des CBD-Vorsitzes verstärkt für die Erhal-
tung der Agrobiodiversität einzusetzen;

– bei den Verhandlungen der COP 9 auf eine Neufassung des Arbeits-
programms zur landwirtschaftlichen biologischen Vielfalt hinzuwirken, um
auf die dringend notwendige Konkretisierung im Bereich der negativen öko-
nomischen, sozialen und ökologischen Folgen der industriellen Landwirt-
schaft hinzuweisen und klare Regeln zum Schutz der biologischen Vielfalt im
Rahmen der Landnutzung zu schaffen, wie z. B. für die Reduzierung der
Nährstoffbelastungen durch die Landwirtschaft, Festlegungen für die gute
fachliche Praxis in der Landwirtschaft oder darüber hinausgehend von För-
derprogrammen zur Unterstützung des Arten- und Biotopschutzes;

– sich auf der COP 9 engagiert für die Umsetzung der Globalen Strategie zur
Erhaltung der Pflanzen (GSPC) einzusetzen;

– auf der COP 9 und während des CBD-Vorsitzes auf die Vertragsstaaten der
CBD einzuwirken, dass diese zügig ihren Verpflichtungen nachkommen und
noch in diesem Jahr die nationalen Berichte zur Umsetzung des Agrar-
Arbeitsprogramms endlich vorlegen;

– darauf hinzuwirken, dass die COP 9 den Auftrag erteilt, das weltweit vor-

handene Potenzial an Bioenergien nachhaltig zu nutzen und verbindliche

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Kriterien für eine sozialgerechte und umweltverträgliche Erzeugung von
Bioenergie zu erarbeiten sowie ein weltweit gültiges und verlässliches Zerti-
fizierungssystem einzurichten. Dazu soll eine technische Arbeitsgruppe (Ad-
hoc-Technical-Expert-Group) eingesetzt werden, welche bis zum nächsten
Treffen des SBSTTA und vor dem Jahr 2010 zur COP 10 einen Bericht vor-
legen muss;

– darauf hinzuwirken, dass Beschlüsse der COP 9 bezüglich der Nutzung von
Bioenergien sich am Menschenrecht auf Nahrung gemäß Artikel 11 des inter-
nationalen Pakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte
orientieren;

– flankierend zur Zertifizierung darauf hinzuwirken, dass im Rahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit die Herkunftsländern bei der Etablierung nach-
haltiger Erzeugungsmethoden für Bioenergien – aber auch für Nahrungs-
mittel in diesem Bereich – unterstützt werden;

– darauf hinzuwirken, dass auf EU-Ebene noch in diesem Jahr verbindliche
und anspruchsvolle Kriterien für die nachhaltige Erzeugung verabschiedet
werden, die weltweit als Vorbild dienen können und die eine Verwendung zu
Lasten der lokalen Bevölkerung und der Natur erzeugten Bioenergien aus-
schließen;

– solange in Exportländern ein nachhaltiger Anbau nicht gewährleistet ist, ein
sofortiges Moratorium für den Import von Biosprit zu verhängen, bis funk-
tionierende Nachweissysteme etabliert sind;

– auf die Einrichtung eines globalen Monitorings hinzuwirken, mit dem poten-
zielle Anbauflächen für die nachhaltige Erzeugung von Bioenergien ermittelt
und ökologisch bewertet werden können;

– sich während des CBD-Vorsitzes aktiv für eine verbesserte Zusammenarbeit
und Herstellung von Synergien zwischen der CBD und der WTO einzu-
setzen;

– sich auf nationaler und internationaler Ebene engagiert für eine Minderung
des Einsatzes chemischer Pflanzenschutzmittel einzusetzen sowie die Bereit-
stellung und den Einsatz biologischer Pflanzenschutzmittel anstelle von
chemisch-synthetischen Pestiziden weiter zu fördern und hinsichtlich beider
Ziele das Reduktionsprogramm zum chemischer Pflanzenschutz aktiv wei-
terzuentwickeln;

– auf nationaler und europäischer Ebene die ökologische Landwirtschaft welt-
weit zu fördern und Maßnahmen der Industrialisierung sowie industriellen
landwirtschaftlichen Erzeugung mit sozialen und ökologischen Folgeschä-
den nicht mehr zu fördern.

6. Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit („Biosafety-Protokoll“) und
Agro-Gentechnik

– sich im Rahmen der MOP-4-Verhandlungen dafür einzusetzen, dass ein völ-
kerrechtlich verbindlicher internationaler Vertrag zu Haftungs- und Entschä-
digungsregelungen im internationalen Grenzverkehr mit gentechnisch ver-
änderten Organismen abgeschlossen wird und hierfür einen konkreten
Verhandlungsvorschlag vorzulegen. Dabei sollen die Verursacher von Schä-
den haften sowie für die Entschädigungen aufkommen;

– auf der COP 9 aktiv für eine Stärkung des Moratoriums auf Genetic Use
Restriction Technologies (GURTs) durch eine Empfehlung für ein Verbot der
Terminatortechnologie hinzuwirken;
– sich auf der COP 9 für die Verlängerung des Moratoriums für das Anbauver-
bot von gentechnisch veränderten Bäumen einzusetzen sowie bei den Ver-

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handlungen im Rahmen der COP 9 und MOP 4 dafür Sorge zu tragen, dass
bei Agro-Gentechnik-Problembereichen, wie zum Beispiel der Terminator-
technologie oder gentechnisch veränderten Bäumen, auf der COP 9 nicht am
Cartagena-Protokoll vorbei verhandelt wird;

– sich für eine Diskussion über die negativen sozialen und ökonomischen Fol-
gen der Agro-Gentechnik (z. B. hinsichtlich der Vermeidung von Verunrei-
nigungen durch einen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, hin-
sichtlich der Kosten durch Verunreinigungen oder durch Kontrollen bei
grenzüberschreitendem Verkehr) bei den COP 9 und MOP 4 Verhandlungen
einzusetzen;

– sich dafür einsetzen, dass die Folgen der Patentierung von Genen in Pflanzen
oder Tieren und auf biologische Züchtungsverfahren für Landwirte und
Züchter bei den COP 9 und MOP-4-Verhandlungen thematisiert werden und
konkrete Maßnahmen zum Schutz der Ursprungsländer vor einer Patentie-
rung ihrer genetischen Ressourcen in Industrieländern entwickelt werden,
wie z. B., dass das internationale und europäische Patentrecht so verändert
wird, dass der Herkunftsnachweis für biologisches Material und daraus ent-
wickelter Produkte zwingend bei Patentanmeldungen angegeben werden
muss;

– sich bei den Verhandlungen im Rahmen der COP 9 und MOP 4 dafür einzu-
setzen, dass die sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen
gentechnisch veränderter Rohstoffe untersucht und entsprechende Regelun-
gen zum Schutz der Biodiversität und der biologischen Sicherheit mit aufge-
nommen werden;

– sich für das Mehrheitsstimmrecht und somit für eine Stärkung des Com-
pliance Committee des Cartagena-Protokolls einzusetzen, da dieses bei Ver-
stößen gegen das Cartagena-Protokoll – zum Beispiel im Rahmen von Ver-
unreinigungen mit gentechnisch veränderten Organismen und notwendigen
Sanktionsmaßnahmen – bisher durch ein einziges gegenteiliges Votum eines
Mitglieds des Komitees (z. B. einem Industrieland) zurzeit quasi handlungs-
unfähig ist;

– zum Schutz der Biodiversität auf nationaler Ebene in Deutschland sicher-
zustellen, dass bei Freisetzungsanträgen von gentechnisch veränderten Pflan-
zen in der Nähe von Naturschutzgebieten eine FFH-Verträglichkeitsprüfung
durchgeführt und die Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsprüfung öffentlich
zugänglich gemacht werden;

– zum Schutz der Biodiversität auf nationaler Ebene in Deutschland sicher-
zustellen, dass keine gentechnisch veränderten Pflanzen in oder in direkter
Nachbarschaft von ökologisch sensiblen Gebieten wie Naturschutzgebieten
und Natura-2000-Gebieten sowie auf oder in der Nähe von Flächen der Gen-
banken, wie z. B. Gatersleben, freigesetzt werden;

– national gentechnikfreie Produktion und Regionen zu fördern und zu unter-
stützen.

7. Gerechter Vorteilsausgleich bei der Nutzung von Ressourcen

– sich für den Abschluss eines rechtlich verbindlichen Protokolls der CBD bis
spätestens bis zum Jahr 2010 einzusetzen, das den Zugang zur Nutzung
genetischer Ressourcen reguliert und dabei einen „gerechten Vorteilsaus-
gleich“, wie im Grundsatz auf der 7. Vertragsstaatenkonferenz in Kuala Lum-
pur beschlossen, sicherstellt, die Biopiraterie verhindert und den drei Zielen
der CBD hilft;
– sich im Rahmen der Verhandlungen um völkerrechtlich verbindliche Abkom-
men zum Access and Benefit-Sharing (ABS) für einen zwingenden Her-

Drucksache 16/8890 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

kunftsnachweis für biologisches Material und daraus entwickelter Produkte
bei Patentanmeldungen einzusetzen;

– sich sowohl auf europäischer Ebene (Neuverhandlung EU-Biopatent-Richt-
linie) als auch auf internationaler Ebene (TRIPS-Abkommen) für eine Ver-
besserung des Biopatent-Rechts einzusetzen, so dass zukünftig die Angabe
der biologischen Herkunft zur Pflichtangabe bei Patentanmeldungen wird,
dass keine Patente auf Pflanzensorten, Tierarten und biologische Züchtungs-
verfahren erteilt werden und bereits erteilte Patente wie z. B. auf Schweine,
Rinder oder Brokkoli widerrufen werden;

– zum Schutz traditionellen Wissens durch die Ausformulierung eines verbind-
lichen ABS-Systems beizutragen und die Zustimmung zur Nutzung geneti-
scher Ressourcen durch indigene Völker als Voraussetzung für eine Nutzung
im Grundsatz zu akzeptieren (prior informed consent);

– sich im Rahmen der ABS-Verhandlungen dafür einzusetzen, dass Länder
auch das Recht haben, den Zugang zu genetischen Ressourcen und traditio-
nellem Wissen abzulehnen („right to say no“);

– die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften gemäß der UN-Er-
klärung des Jahres 2007 anzuerkennen;

– sicherzustellen, dass dabei Entwicklungsländer mit hoher biologischer Viel-
falt und insbesondere indigene Völker und lokale Gemeinschaften nicht
durch die Regeln gefährdet werden, sondern davon profitieren;

– über Regelungen zu verhandeln, die es den Ursprungsländern ermöglichen
ihre Rechte in den Nutzerländern durchzusetzen.

8. Entwicklungszusammenarbeit und Sicherung der biologischen Vielfalt

– die Mittel für Programme in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit für
den Erhalt der biologischen Vielfalt zu verdoppeln;

– sicherzustellen, dass alle relevanten Programme der Entwicklungszusam-
menarbeit sowohl auf ihre Klimarelevanz überprüft werden, als auch auf ihre
Auswirkung auf den Erhalt der biologischen Vielfalt;

– keine Entwicklungsprogramme zu fördern, die den Einsatz von gentechnisch
veränderten Organismen vorsehen;

– sich in der Weltbank für den Schutz und den Erhalt primärer Regenwälder
einzusetzen und keinen Programmen zuzustimmen, die zur Zerstörung pri-
märer Regenwälder beitragen;

– sich dafür einzusetzen, dass die deutsche und europäische Entwicklungs-
zusammenarbeit in allen relevanten Programmen die drei Ziele der CBD,
Umwelt- und Naturschutz, Armutsbekämpfung und Krisenprävention syste-
matisch in ihre Planung mit den Partnerländern integriert.

9. Stärkung der Biodiversitätsforschung

– Taxonomie und Biologische Systematik als Forschungsbereich als unabding-
baren Bestandteil zum Erreichen der 2010- und CBD-Ziele langfristig und
nachhaltig zu fördern. Mit Blick auf die 2010-Ziele der EU und nach Iden-
tifizierung des „Taxonomic Impediment“ (COP 6: Decision VI/8) steht einer
aktiven Umsetzung der 2010- und CBD-Ziele eine mangelnde wissenschaft-
liche Beschreibung und Erfassung aller Arten auf globaler Ebene im Wege;

– sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen der Global Taxonomy Initiative ge-
sammelte biologische Proben nur in Vertragsstaaten gelagert werden, damit

nicht die Gefahr besteht, dass die Ziele der Biodiversitäts-Konvention hin-
sichtlich dieser Sammlungen unterlaufen werden können;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/8890

– die „Buffon-Declaration“ (Oktober 2007) als wichtigen Bestandteil der Bio-
diversitätsforschung aktiv zu unterstützen und für alle beteiligten Staaten und
Akteure sinnvoll umzusetzen;

– als Vorsitzende der CBD die aus dem Bundeshaushalt finanzierten beispiel-
haften Forschungsprojekte über den Schutz von Tropenwäldern und ihre
nachhaltige Nutzung zu evaluieren, ggf. mit denen anderer Vertragsstaaten zu
verzahnen und dergestalt zu verstetigen, dass der für eine solide Ergebniser-
stellung notwendige Forschungszeitrahmen gesichert ist;

– zum Schutz der Biodiversität auf nationaler Ebene in Deutschland sicher-
zustellen, dass die ökologischen Aspekte und die Wirkungen auf die Bio-
diversität (u. a. Bodenleben, Nichtzielorganismen) durch eine Freisetzung
von gentechnisch veränderten Pflanzen untersucht werden und hierfür For-
schungsmittel zur Verfügung zu stellen;

– keine öffentlichen Gelder für Forschungsprojekte zur Verfügung zu stellen,
bei denen mittels gentechnischer Verfahren steriles Saatgut produziert wird;

– sich für ein Verbot dieses umstrittenen „Terminator-Saatgutes“ und auch jed-
weder Forschung an dieser Technologie einzusetzen;

– eine unabhängige Risikoforschung im Bereich Agro-Gentechnik zu etablie-
ren und zu fördern;

– ein neues Tierzuchtgesetz und die Beibehaltung der Pflanzenzucht als hoheit-
liche Aufgabe wiederaufzulegen.

Berlin, den 23. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die biologische Vielfalt ist von grundlegender Bedeutung für die Sicherheit der
menschlichen Ernährung und die Deckung der Grundbedürfnisse des Menschen,
z. B. durch die Bereitstellung nachwachsender Rohstoffe sowie ihre unverzicht-
bare Rolle bei der Luftreinhaltung, Bodenfruchtbarkeit oder Wasserversorgung.
Denn sie schließt neben der Vielfalt an Habitaten und Ökosystemen, der Arten-
vielfalt innerhalb der Lebensräume und der genetischen Vielfalt innerhalb der
Tier- und Pflanzenarten auch die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme ein. Dazu
gehört etwa der Kreislauf der Nährstoffe, die Regulierung von Schädlingen und
Schaderregern, die Bestäubung bei Kulturpflanzen oder der Schutz vor Erosion.

In den letzten 100 Jahren hat der Mensch so stark in die Natur eingegriffen, dass
der Verlust der biologischen Vielfalt immer rasanter voranschreitet. Die aktuelle
Rate des globalen Artensterbens übersteigt die veranschlagte natürliche Sterbe-
rate um das hundert- bis tausendfache. Täglich sterben fast 150 Arten aus, ohne
dass wir genau wissen, welche Folgen dies für das gesamte Ökosystem hat. Bei
allen Modernisierungsschüben und Veränderungen im Zuge der Globalisierung
ist vielen Menschen und gerade auch politischen Entscheidungsträgern zu wenig
bewusst, dass der Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt
überlebenswichtig für die Menschheit sind. Die Funktion und die Leistung eines
gesunden und vielfältigen Ökosystems bilden die Grundlage für menschliches
Leben und für die Überwindung der Armut.
Die Staatengemeinschaft hat schon im Jahr 1992 in Rio de Janeiro durch die Ver-
abschiedung der Konvention über die biologische Vielfalt auf deren Verlust auf-

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merksam gemacht. Dennoch sind die dramatischen Folgen des Verlusts an bio-
logischer Vielfalt bislang nicht genügend in die Gesellschaft kommuniziert und
in der Politik berücksichtigt worden. Der amtierende Exekutivdirektor des UN-
Umweltprogramms, Achim Steiner, spricht mit Bezug zum „Global Environ-
mental Outlook 4“ aus dem Jahr 2007 von einer dramatischen Beschleunigung
des Artensterbens. Ähnliche Besorgnis lässt sich aus dem so genannten Mille-
nium Ecosystem Assessment (2005) herauslesen. Wesentliche Teile des globa-
len Ökosystems geraten immer stärker unter Druck. Entscheidende Ursachen
liegen in der Übernutzung von Böden und Meeren, der Intensivierung der Land-
nutzung durch die Landwirtschaft, in umweltschädlichen Subventionen, im
Klimawandel und der Verdrängung einheimischer Arten durch invasive Arten.

Bekanntestes Beispiel für Gefährdung der biologischen Vielfalt ist die Zerstö-
rung der tropischen Regenwälder. Bereits jetzt schätzen Wissenschafter, dass
schon 50 Prozent dieser artenreichen Ökosysteme durch Brandrodung und Holz-
einschlag verloren gegangen sind. Welche Folgen dies auch auf den Klima-
wandel hat, wurde durch den jüngsten IPPC-Bericht unterstrichen, der zu dem
Ergebnis kommt, dass die weltweite Waldzerstörung rund 20 Prozent zum
jährlichen Ausstoß von Treibhausgasen beiträgt.

Schutz der Wälder – ein wichtiger Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt
und des Klimas

Der Klimawandel ist neben der direkten Zerstörung von Ökosystemen, wie z. B.
durch Übernutzung, großflächige Waldrodung, Grünlandumbruch oder Flächen-
versieglung, zu einer der Hauptbedrohungen für die biologische Vielfalt welt-
weit geworden. Der Schnelligkeit der klimatischen Veränderungen können die
unterschiedlichen Arten in einem Ökosystem nicht gleichermaßen folgen, so
dass sich die Gleichgewichte innerhalb des Systems verschieben – unter Um-
ständen bis zum völligen Zusammenbruch. Wenn der Klimawandel weiter so
drastisch voranschreitet, werden bis 2050 weltweit mindestens 30 Prozent der
Arten im Vergleich zu heute aussterben. Andererseits kann die biologische Viel-
falt einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten: Lebensräume wie Wälder,
Moore und Korallenriffe speichern große Mengen an Kohlenstoff aus CO2 und
regulieren so unser Klima auf natürlicher Weise. Bei der Anpassung an den
Klimawandel spielt die biologische Vielfalt eine große Rolle. So dämpfen bei-
spielsweise Feuchtgebiete Extremwetterlagen und Auen wirken als Puffer für
den Wasserhaushalt bei Überschwemmungen. Und bei Berücksichtigung der
Tatsache, dass vielfältige Genpools schneller und flexibler auf Klimaverände-
rungen reagieren als Monokulturen, kann die Biomasseproduktivität von Öko-
systemen und damit ihre CO2-Bindefähigkeit gehalten oder sogar gesteigert
werden.

Die Vertragsparteien der Konvention über die biologische Vielfalt haben bereits
im Jahr 2004 beschlossen, bis 2010 ein globales Netz von Schutzgebieten auf
dem Land zu errichten. Bisher sind nur 12 Prozent der globalen Landfläche als
Schutzgebiete ausgewiesen worden. Der Deutsche Bundestag misst den Erfolg
der Bonner Konferenz auch an konkreten Fortschritten bei der Sicherung intak-
ter Urwaldgebiete. Die finanzielle und technische („capacity buildung“) Unter-
stützung von waldreichen Ländern hat dabei eine besondere Bedeutung.

Der Versuch, sich auf ein globales Netz von (Wald-)Schutzgebieten zu verstän-
digen und dabei neue Wege hinsichtlich der Finanzierung von Schutzgebieten zu
gehen, gehört in doppeltem Sinne zu einer der zentralen globalen Schlüsselfra-
gen für den Biodiversitäts- und Klimaschutz. Eine Reduktion der Emissionen
aus Entwaldung und Walddegradierung (REDD – Reducing Emissions from De-
forestation and Forest Degradation) ist also klimapolitisch absolut unerlässlich

und muss gleichzeitig dem Schutz der Biodiversität dienen. Es wird geschätzt,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/8890

dass etwa 30 Mrd. Euro pro Jahr für den Erhalt der letzten intakten Urwälder und
der Biodiversität notwendig sind.

Zentrale Bedeutung werden für den Erhalt der Wälder die Verhandlungen um
den illegalen Holzeinschlag und den damit verbunden Handel darstellen. Bereits
2002 hat die CBD dringende Maßnahmen der Vertragsstaaten eingefordert, die
bis heute noch nicht umgesetzt sind. Nach Schätzungen der Weltbank gehen den
Staaten bis zu 15 Mrd. US-Dollar jährlich durch den illegalen Holzeinschlag
verloren. Die EU Kommission hat bis heute noch keinen Gesetzesvorschlag vor-
gelegt, der den Besitz und Handel von Holz aus illegaler Abholzung gesetzlich
sanktioniert.

Gerechter Vorteilsausgleich als ein wichtiger Beitrag zur Armutsbekämpfung

Bisher ist den Entwicklungsländern für den Schutz und die nachhaltige Nutzung
der biologischen Ressourcen von den Nutznießern, vor allem den Industrie-
ländern kaum etwas gezahlt worden. Ein gerechter Vorteilsausgleich bei der
nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt ist jedoch geboten, um einen
notwendigen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten. Die Vertragsstaaten
haben als eines der drei Hauptziele der CBD vereinbart, dass die Vorteile, die
sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben, gerecht aufgeteilt wer-
den. Ziel sollte es sein, dass im Jahr 2010, auf der COP 10, der Zugang zu gene-
tischen Ressourcen und der gerechte Vorteilsausgleich (ABS, Access and Bene-
fit Sharing) rechtlich verbindlich im Rahmen eines Protokolls der CBD geregelt
werden.

Vor allem für die Bevölkerung der ärmsten Länder der Welt, vor allem jedoch
für indigene Völker, sind der Erhalt und die nachhaltige sowie gerechte Nutzung
der biologischen Vielfalt von besonderer Bedeutung. Die Vielfalt der Pflanzen
und Tiere bildet unmittelbar die Basis zur Sicherung ihrer Existenz und der ei-
genen Gesundheit. Ziel muss es sein, den Erhalt der biologischen Vielfalt mit
konkreten Beiträgen zur Armutsbekämpfung zu verbinden. Dabei müssen die
Regierungen und die Bevölkerung in den betroffenen Ländern bzw. Gebieten in
alle Entscheidungen über den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biolo-
gischen Vielfalt aktiv mit einbezogen werden.

Obwohl bereits seit 1992 im Grundsatz ein Vorteilsausgleich in die CBD inte-
griert worden ist, blieb die konkrete Umsetzung bis heute aus. Eine Blockade
durch eine Reihe von Industrieländern hat es erfolgreich verstanden, eine ver-
bindliche Verankerung in einem so genannten ABS-Protokoll zu verhindern. In
Bonn muss ein konkreter Verhandlungsprozess angestoßen werden, der die
Biopiraterie verhindert und zur fairen Nutzung genetischer Ressourcen führt.
Dabei bildet die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Bevölkerung
einen zentralen Bezugspunkt für ein zukünftiges ABS-System. In dieser Erklä-
rung werden grundlegende Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaf-
ten an ihren Territorien beschrieben und Fragen, die die Nutzung genetischer
Ressourcen betreffen, aufgegriffen.

Erhalt und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft
und Fischerei

Der Lebensunterhalt der Hälfte der Menschheit hängt direkt von der Landwirt-
schaft ab. Für mehr als drei Milliarden Menschen bilden die Weltmeere eine ent-
scheidende Nahrungsmittelquelle und geschätzte 70 Prozent der Weltbevölke-
rung sind auf Naturheilmittel angewiesen. Gerade im Hinblick auf die wach-
sende Weltbevölkerung und sich verändernde Anbaubedingungen durch den
Klimawandel kommt der Agrobiodiversität eine besondere Rolle bei der Ernäh-

rungssicherung zu. Der Bericht des Weltagrarrates IAASTD zeigt auf, dass vor
allem die Kleinbauern und die Menschen in den ländlichen Regionen von der

Drucksache 16/8890 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

zunehmenden Handelsliberalisierung besonders negativ betroffen sind und die
umweltgerechte Landwirtschaft mehr und mehr zerstört wird. Für die Zukunfts-
sicherung setzen die Wissenschaftler und Regierungsvertreter in dem IAASTD-
Bericht eine klare Priorität auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und
auf eine ressourcenschonende Ökologisierung der Landwirtschaft – gegen die
von der Agro-Industrie vorangetriebenen Visionen einer chemischen und gen-
technischen Intensivierung, auf deren Risiken der Bericht deutlich hinweist. Der
Weltagrarbericht bestätigt zudem, dass nur eine nachhaltige standortangepasste
Landwirtschaft, die auf traditionelle Anbaumethoden und Sorten zurückgreift,
geeignet ist, die heutige Ernährungskrise dauerhaft zu lösen. Vor diesem Hinter-
grund muss dem Erhalt der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft und der
damit verbundenen Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an sich wandelnde
Umweltbedingungen eine wichtigere Stellung eingeräumt werden als bisher.

Die Intensivierung der Landwirtschaft und der zunehmende Anbau von Pflan-
zen für Futtermittel und Bioenergien – überwiegend in den Entwicklungs- und
Schwellenländern – dürfen nicht zu einem Verlust an biologischer Vielfalt füh-
ren. Das Konsumverhalten wie auch der Energie- und Ressourcenverbrauch in
den Industrieländern und die Globalisierung des Handels führen momentan zu
einer massiven Übernutzung der natürlichen Ressourcen. Der Anbau von Futter-
mitteln, Bioenergiepflanzen und anderer Cash Crops boomt und ist zu einer
Kernfrage für den Erhalt der Artenvielfalt geworden. Schon heute werden auf
30 Prozent der genutzten Agrarflächen Futtermittel für die Massentierhaltung
angebaut. Tendenz steigend. Zur Erzeugung von 1 kg Fleisch werden bis zu 8 kg
Getreide gebraucht, die dann nicht mehr für die menschliche Ernährung zur Ver-
fügung stehen. Der Anbau von Soja und anderen Futtermitteln findet in Ent-
wicklungs- und Schwellenländern in agroindustriellen Strukturen statt, wodurch
der heimischen ländlichen Bevölkerung die Existenzgrundlage entzogen wird.

Es bedarf dringend einer international anerkannten und verbindlichen Zertifi-
zierung dieser Produkte mit verbindlichen ökologischen und sozialen Standards.
Um dieses Ziel zu erreichen ist es notwendig, so schnell wie möglich bilaterale
Zertifizierungs-Pilotprojekte anzustoßen, um im Hinblick auf Finanzierung,
Überwachung und die Berichterstattung praktische Erfahrungen zu sammeln.
Um die negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen sofort einzudäm-
men, ist die COP 9 in der Pflicht, internationale Regeln voranzubringen, die Um-
setzung des Rechts auf Nahrung sicherstellen und angemessene soziale und öko-
logische Standards festzulegen, um dem momentanen Raubbau sofort Einhalt zu
gebieten. Dabei müssen die Erzeugerländer unter Berücksichtigung der wirt-
schaftlichen und der Entwicklungszusammenarbeit bei der Einhaltung sozialer
und ökologischer Standards zur nachhaltigen Futter-, Bioenergie- und Lebens-
mittelerzeugung unterstützt werden. Ziel ist es, dass der Anbau pflanzlicher
Kraftstoffe der nachhaltigen Entwicklung und Wertschöpfung in den jeweiligen
Ländern zu Gute kommt.

Die Einfuhr von Bioenergien und anderen landwirtschaftlichen Produkten, de-
ren Erzeugung mit Raubbau am Regenwald und der Biodiversität einhergeht,
gilt zu verhindern. Zudem darf es nicht zu einer Flächenkonkurrenz zwischen
Bioenergien und dem Anbau von Nahrungsmitteln kommen. Die Politik ist ge-
fordert, starke Leitplanken sowohl in den Produktions- als auch in den Ver-
brauchsländern einzuziehen, die dafür sorgen, dass die energetische Nutzung der
Biomasse gleichzeitig eine positive Klimabilanz aufweist und weder das Hun-
gerproblem verschärft noch zu Lasten der biologischen Vielfalt geht. Subven-
tionen und überhöhte Zielsetzungen müssen daran sofort aufgerichtet werden.

Einsatz von Agro-Gentechnik und Fragen der biologischen Sicherheit
Im Cartagena-Protokoll der CBD sind wichtige internationale Regelungen zum
grenzüberschreitenden Verkehr mit gentechnisch veränderten Organismen fest-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 13 – Drucksache 16/8890

gelegt. Die Erfahrungen mit Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte
Pflanzen in den vergangenen Jahren haben unter anderem gelehrt, dass jeder
Staat das Recht haben muss, den Import neuer biotechnischer Produkte zu ver-
bieten, wenn Bedenken hinsichtlich einer Gefährdung der biologischen Vielfalt
bestehen. Transparente Informationspolitik der Exportländer, souveräne Ent-
scheidungen der Importländer sowie internationale Haftungs- und Entschädi-
gungsregeln müssen zum Normalfall jedes grenzüberschreitenden Verkehrs mit
gentechnisch veränderten Organismen werden.

Wichtig für den Erhalt und Schutz der biologischen Vielfalt ist es auch, interna-
tionale Gerechtigkeitsfragen zu berücksichtigen. Dazu gehören zum Beispiel so-
zio-ökonomische Folgen der Agro-Gentechnik, wie Kosten für die Vermeidung
von Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Pflanzen, Möglichkeiten
zur Verankerung des Verursacherprinzips bei Schadensfällen durch gentech-
nisch veränderte Pflanzen im internationalen Grenzverkehr oder Folgen der Pa-
tentierung biologischer Ressourcen.

Weiterhin ist es wichtig, dass die CBD-Moratorien zur Terminatortechnologie
und zum Anbauverbot von gentechnisch veränderten Bäumen bestehen bleiben.
Bei vergangenen Vertragsstaatenkonferenzen haben einige Industrieländer wie
zum Beispiel Australien, Kanada und Neuseeland versucht, diese Moratorien
aufzuheben. Bei der COP 9 in diesem Jahr in Bonn ist zu befürchten, dass dieser
Versuch wiederholt wird. So wurde bei der letzten CBD-Vertragsstaatensitzung
im Jahr 2006 lediglich beschlossen, dass gentechnisch veränderte Bäume bis zur
Grundsatzentscheidung auf der diesjährigen COP 9 nicht kommerziell angebaut
werden dürfen. Wichtig ist auch, dass der Anbau von so genannten Terminator-
Pflanzen verboten wird. Beim so genannten Terminator-Saatgut handelt es sich
um Saatgut, das mittels gentechnischer Methoden nicht mehr vermehrungsfähig
ist. Gentechnisch veränderte Pflanzen, die auf der Basis der Genetic Use
Restriction Technology (GURT; so genannte Terminator-Technologie) ent-
wickelt werden, sind weltweit umstritten. Sie sind gentechnisch so verändert,
dass sie – in Kombination mit bestimmten Chemikalien – unfruchtbare Körner
bilden. Die Fertilität der Pollen wird von der GURT-Technologie nicht einge-
schränkt, so dass diese Pflanzen auskreuzungsfähig sind. Wissenschaftlich gibt
es eine Reihe von Fehlerquellen bei den Funktionsmechanismen der Pflanzen,
so dass die ökologischen und gesundheitlichen Risiken durch GURT-Pflanzen
nicht abschätzbar sind.

Außerdem besteht die Gefahr, dass durch Auskreuzung die Unfruchtbarkeit auf
andere Pflanzen übertragen werden kann – vor allem, da die Pollen der Pflanzen
nicht steril sind. Zudem werden große sozio-ökonomische Risiken für Bauern in
der ganzen Welt befürchtet – durch die Abhängigkeit von Saatgutkonzernen,
durch den erzwungen Nachkauf von Saatgut, durch die Ausbreitung von Termi-
nator-Genen auf Nachbarfelder oder durch das mutwillige Vertauschen von nor-
malem mit sterilem Saatgut. In einigen Kulturkreisen wird die absichtliche Her-
stellung der Unfruchtbarkeit von Pflanzen als Verstoß gegen die Würde der
Natur betrachtet.

Auf der MOP 4 und COP 9 in Deutschland den Verlust an biologischer Vielfalt
endlich stoppen

Deutschland muss als wohlhabende Industrienation beim Erhalt der biologi-
schen Vielfalt mit gutem Beispiel vorangehen. Die Bundesregierung ist auf-
gefordert – soweit als möglich – auch bei anderen Ländern darauf hinzuwirken,
ihren europäischen und nationalen Verpflichtungen nachzukommen und diese
nicht abzuschwächen oder einzuschränken. Bis zum Jahr 2010 müssen vorzeig-
bare Ergebnisse für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Weltgipfel für

nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (2002) und aus dem Ratsbeschluss
der Europäischen Union von Göteborg vom Juni 2001 vorliegen.

Drucksache 16/8890 – 14 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft wurde der dramatische Verlust
der biologischen Vielfalt auf die internationale politische Agenda gesetzt. Es
wurde die so genannte G8-plus-5-Länder „Potsdam Initiative zur biologischen
Vielfalt 2010“ verabschiedet, die es zügig und engagiert umzusetzen gilt. Diese
betont die entscheidende Bedeutung der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung
der biologischen Vielfalt. Die G8-Staaten und die Schwellenländer sind als
Hauptnutzer der globalen Ressourcen aufgefordert, substanziell höhere Beiträge
– auch und insbesondere mittels innovativer Finanzierungsinstrumente – zum
Erhalt von Meeres- und Waldschutzgebieten zu leisten und verbindliche Regeln
zum Beispiel im Handel mit Holz und Holzprodukten zu vereinbaren.

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