BT-Drucksache 16/8735

Lagerung und Einsatz von Uranmunition und die Auswirkungen für die Bevölkerung

Vom 7. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8735
16. Wahlperiode 07. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Dr. Diether Dehm,
Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Dr. Norman Paech, Alexander
Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Lagerung und Einsatz von Uranmunition und die Auswirkungen
für die Bevölkerung

Abgereichertes Uran (Depleted Uranium/DU) wird zur Herstellung von panzer-
brechender Munition verwendet. Das abgereicherte Uran wird aus abgebrann-
ten Brennelementen gewonnen und enthält etwa 60 Prozent der Radioaktivität
des natürlichen Urans. Darüber hinaus kann es auch Spuren von Plutonium-239
enthalten. DU gilt als schwach radioaktives Material und muss unter den ent-
sprechenden Auflagen entsorgt oder kostspielig gelagert werden. Wird abgerei-
chertes Uran als Munition eingesetzt, entstehen aufgrund der radioaktiven und
chemotoxischen Wirkungen von DU eine Reihe von zusätzlichen Gefährdungs-
quellen für die Soldatinnen und Soldaten und die Bevölkerung insgesamt. Trifft
Uranmunition auf ein Ziel, entsteht aufgrund der hohen Energie unter anderem
Uranstaub, der sich entzündet und den Zerstörungseffekt des Geschosses ver-
stärkt. Durch das Schmelzen, Zerstäuben und Entzünden des Urans entstehen
extrem winzige Uranpartikel und Uranoxide, die als Schwebeteilchen und
Stäube in die Umgebungsluft gelangen können (und sich ablagern). Diese
Staubpartikel können infolge ihrer sehr geringen Größe (Mikro- bzw. Nano-
bereich) durch Inhalation oder durch die Haut als Aerosol oder Uranoxid in den
Körper gelangen. Abhängig von der Größe der Teilchen kann Uranoxid in die
Lunge gelangen und dort für mehrere Jahre verbleiben bzw. durch das Lungen-
gewebe ins Blut gelangen – abhängig von der Wasserlöslichkeit der Partikel. Es
kann, wie neuere Untersuchungen von Prof. Randall Parrish zeigen, bis zu
20 Jahre dauern, bis das DU wieder aus dem Körper ausgeschieden ist (Parrish
et al.: „Depleted uranium contamination by inhalation exposure and its detec-
tion after ~20 years: Implications for human health assessment“, in Science
Total Environment, 2007). Hauptbetroffene Organe sind die Lunge und die
Niere. Auch wenn die genauen Auswirkungen von DU auf den menschlichen
Körper noch nicht befriedigend aufgeklärt sind, so weisen insbesondere neue
zellbiologische Studien darauf hin, dass DU karzinogene, mutagene und geno-
toxische Effekte besitzt.

Seit Anfang der 90er Jahre wurde Uranmunition vor allem von den Streitkräften

der USA und Großbritanniens eingesetzt, unter anderem im Zweiten Golfkrieg
1991, beim Angriff auf Jugoslawien 1999 und beim Angriff auf den Irak im
Jahr 2003. Sowohl bei den dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten wie auch
bei Teilen der dortigen Bevölkerung kam es zu unerklärbaren Häufungen von
Erkrankungen. Zum Beispiel konnte in einigen der 1991 betroffenen Regionen
im Irak, in denen Uranmunition eingesetzt wurde, insbesondere in der Provinz

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Basra eine deutliche Zunahme von Krebserkrankungen und neonatalen Missbil-
dungen bei Kindern beobachtet werden.

Über die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen der Verwendung
von Uranmunition gibt es allerdings noch keine ausreichend medizinisch-
wissenschaftlich gesicherten und belastbaren Erkenntnisse. Einzelne Studien
und Gutachten, wie z. B. der Weltgesundheitsorganisation oder der US-Streit-
kräfte, bezogen sich weniger auf Vorortproben und Analysen denn auf wissen-
schaftliche Sekundärliteratur. Langzeitstudien an der betroffenen Bevölkerung,
vor allem im Irak, Bosnien und im Kosovo wurden bislang nicht in Auftrag
gegeben. Die Nationen, die DU bei ihren Kriegshandlungen eingesetzt haben,
verweigern teilweise die Auskunft darüber, wo und wie viele DU-Geschosse
eingesetzt wurden. Viele Wirkungsprozesse, wie z. B. die Schädigung des Erb-
guts, sind nach wie vor unbekannt bzw. nicht abzuschätzen.

Trotz des Risikopotentials der Uranmunition gibt es bislang im Humanitären
Völkerrecht keine Bestimmungen, die generell den Einsatz von Uranmunition
verbietet. Die Bundesregierung und die internationale Staatengemeinschaft tun
sich schwer damit, eine medizinisch-wissenschaftliche Aufklärung voranzu-
treiben und sich bis dahin für ein Moratorium für den Einsatz von Uranmuni-
tion einzusetzen. Jetzt, da die Generalversammlung der Vereinten Nationen im
Dezember 2007 den Generalsekretär gebeten hat, die Auffassung der Mitglied-
staaten und internationaler Organisationen zu den Auswirkungen von Uran-
munition einzuholen und bei der nächsten Sitzung der Generalversammlung
2008 einen Bericht vorzulegen, ist es wichtig, dass auch die Bundesregierung
ihre Position zur Verwendung von Uranmunition darstellt und begründen kann.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Staaten verfügen nach Kenntnis der Bundesregierung über Uran-
munition?

2. In welchen internationalen und innerstaatlichen Konflikten seit 1980 wurde
nach Kenntnis der Bundesregierung Uranmunition eingesetzt, und in welcher
Größenordnung?

3. Wurde nach Kenntnis der Bundesregierung Uranmunition seit 2001 in Af-
ghanistan eingesetzt?

Und wenn ja, wann, wie viel, und von wem?

4. Wird die Bundesregierung bzw. die Bundeswehr über die Verwendung von
Uranmunition durch andere NATO-Mitgliedstaaten im Rahmen von gemein-
samen militärischen Einsätzen informiert?

Wenn ja, wie?

Wenn nicht, warum nicht?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es im Interesse der Bundes-
wehrsoldaten und der Bevölkerung in den Einsatzgebieten liegt, über den
Einsatz von Uranmunition rechtzeitig unterrichtet zu werden?

Wenn ja, wie wird dies nach Auffassung der Bundesregierung gewährleistet?

6. Welche Staaten lagern derzeit Uranmunition in Deutschland?

7. Unter welchen Auflagen und Bedingungen darf Uranmunition in Deutsch-
land gelagert und eingesetzt werden?

8. Welche Streitkräfte haben nach Kenntnis der Bundesregierung auf Truppen-
übungsplätzen in Deutschland Uranmunition eingesetzt, und wurde die
Bundesregierung jeweils vorher informiert (bitte aufgeschlüsselt nach Ort,

Zeit und Menge der eingesetzten Munition)?

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9. Welche deutschen Unternehmen haben nach Kenntnis der Bundesregierung
an der Erforschung, Entwicklung und Erprobung gearbeitet und/oder tun
dies heute noch?

10. Welche deutschen Unternehmen waren entweder direkt oder über Tochter-
gesellschaften und Joint Ventures an der Erforschung, Entwicklung, Erpro-
bung und Herstellung von Uranmunition im Ausland beteiligt und/oder
sind dies heute noch?

11. Wie viel Geld hat die Bundesregierung in der Vergangenheit für die Erfor-
schung, Entwicklung, Erprobung, Herstellung und den Erwerb von Uran-
munition ausgegeben (nach Jahren aufgeschlüsselt)?

12. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Uranmunition nach
dem Auftreffen auf ein Objekt Uranoxid freisetzen kann, und wenn ja,
kann dann ausgeschlossen werden, dass das Uranoxid durch Inhalation,
durch Nahrungsaufnahme oder durch die Haut von Menschen aufgenom-
men werden kann?

13. Ab welcher Menge stellt die Auf- bzw. Einnahme von Uranoxid ein
gesundheitliches Risiko für den Menschen dar?

14. Welche Untersuchungen und Studien zu den Folgen des Einsatzes von
Uranmunition für die Menschen und die Umwelt im Irak 1991/1992 und
2003 sowie in Jugoslawien 1995/1996 und 1999 haben die Bundesregie-
rung und ihr untergeordnete Behörden durchgeführt bzw. finanziert?

15. Welche weiteren Studien, Untersuchungen und Gutachten zu Uranmunition
wurden seit 1970 von der Bundesregierung in Auftrag gegeben bzw. eigen-
ständig durchgeführt (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und zuständigen
Ministerien)?

16. Welche Studien und Gutachten zu den gesundheitlichen und ökologischen
Folgen des Einsatzes von Uranmunition sind der Bundesregierung be-
kannt?

17. Betrachtet die Bundesregierung diese als ausreichend für eine abschlie-
ßende Klärung der Folgen?

Wenn nicht, was hat die Bundesregierung unternommen, um die offenen
Fragen aufzuklären?

18. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit für weitere Forschungs-
vorhaben zu den Konsequenzen des Einsatzes von Uranmunition für
Menschen und Umwelt?

Wenn ja, zu welchen Aspekten?

Wenn nicht, warum nicht?

19. Wie viele aktive und ehemalige Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
haben bislang gegenüber der Bundeswehr bzw. den Versorgungsbehörden
eine Dienstbeschädigung aufgrund von radioaktiver Kontamination im Zu-
sammenhang mit Uranmunition geltend machen wollen (aufgeschlüsselt
nach Jahren)?

20. In wie vielen Fällen wurde solchen Anträgen stattgegeben?

21. Werden Langzeituntersuchungen über den Gesundheitszustand der im
Kosovo eingesetzten Bundeswehrsoldaten durchgeführt, und wenn ja, seit
wann?

22. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass auch hinsichtlich der Ver-
wendung von Uranmunition das Vorsorgeprinzip (Prinzip Nr. 15) der Rio-
Deklaration von 1992 („Umwelt und Entwicklung“) Anwendung finden
muss?
Wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um dies zu gewährleisten?

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23. Was spricht nach Auffassung der Bundesregierung gegen ein Verbot der
Produktion, der Lagerung und des Einsatzes von Uranmunition?

24. Setzt sich die Bundesregierung für eine international völkerrechtlich ver-
bindliche Regelung hinsichtlich der Produktion, der Lagerung und des Ein-
satzes von Uranmunition ein?

Wenn ja, mit welcher Zielsetzung, und durch welche Initiativen?

Wenn nein, warum nicht?

25. Teilt die Bundesregierung die auch im Entschließungsantrag des Euro-
päischen Parlaments vom 16. November 2007 erhobene Forderung, den
Geltungsbereich des Protokolls Nr. 3 des CCW-Übereinkommens (so ge-
nanntes Übereinkommen über unmenschliche Waffen) über Brandwaffen
dahingehend auszuweiten, um den Einsatz von Uransprengköpfen zu been-
den?

Wenn ja, welche Schritte hat die Bundesregierung bislang innerhalb der
Europäischen Union unternommen?

Wenn nein, warum nicht?

26. Wird die Bundesregierung der Bitte des UN-Generalsekretärs nachkom-
men und ihm ihre Auffassung hinsichtlich der Auswirkungen von Uran-
munition darlegen?

Wenn ja, aufgrund welcher empirischen Quellenlage wird dies erfolgen,
und werden hierfür weitere Forschungsvorhaben und Gutachten veranlasst?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 7. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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