BT-Drucksache 16/86

Hongkong als Zwischenschritt einer fairen und entwicklungsorientierten Welthandelsrunde

Vom 24. November 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/86
16. Wahlperiode 24. 11. 2005

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Behm, Dr. Thea Dückert, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Renate Künast, Dr. Reinhard Loske,
Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hongkong als Zwischenschritt einer fairen und entwicklungsorientierten
Welthandelsrunde

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Industrieländer haben jüngst durch die Bekräftigung der Entwicklungsziele
der Vereinten Nationen und die Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusam-
menarbeit die Bereitschaft zur internationalen Kooperation zum Ausdruck ge-
bracht. Jetzt ist es an der Zeit, auf dem Feld der Handelspolitik bei den anstehen-
den WTO-Verhandlungen (WTO: Welthandelsorganisation) in Hongkong fun-
damentale Ungerechtigkeiten des Systems endlich zu beseitigen. Den Worten
müssen Taten folgen.

Nur wer glaubwürdige Angebote unterbreitet, kann eigene Interessen in offenen
Verhandlungen über den Abbau von Handelshindernissen und den Marktzugang
erfolgreich führen. Dies betrifft zumal Deutschland als exportorientiertes Land.
So wird beispielsweise der globale Handel mit Umweltgütern und Umwelt-
dienstleistungen und der Ausbau regenerativer Energien, bei deren Entwicklung
Deutschland und die EU führend sind, an Bedeutung gewinnen.

Die Welthandelsrunde wird erst dann abgeschlossen werden, wenn in allen
Schlüsselbereichen Einigkeit hergestellt werden kann: bei der Landwirtschaft,
beim Marktzugang von Nichtagrargütern und beim Marktzugang von Dienst-
leistungen.

In der Handelsrunde stehen zunächst jedoch die Agrarverhandlungen im Mittel-
punkt. Sie sind auch für die Vertrauensbildung zwischen den Ländern von be-
sonderer Bedeutung. Die Landwirtschaft stellt vor allem für die Menschen im
Süden die wichtigste Lebensgrundlage dar und schafft einen Großteil der Ex-
porteinnahmen.

Es ist nicht hinnehmbar, dass mangelnder Reformwille in den Industrieländern
eine zeitnahe Beendigung der Welthandelsrunde unmöglich machen. Hier müs-
sen die EU und die USA handelsverzerrende Maßnahmen abbauen und ihre

jeweiligen Subventionen deutlich reduzieren. Dieser Prozess hat seit einigen
Jahren in Europa durch die von Deutschland beförderte Neuausrichtung der
Landwirtschaft begonnen, muss aber entschiedener fortgesetzt werden.

Die Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation sind aufgefordert, auf der WTO-
Ministerkonferenz in Hongkong Beschlüsse zu treffen, die zu einem gerechteren
und fairen multilateralen Handelssystem führen. Der Anspruch, wie 2001 in Doha
beschlossen, eine sog. Entwicklungsrunde zu verhandeln, muss eingelöst werden.

Drucksache 16/86 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag bekräftigt den Beschluss aus der 15. Legislaturperiode
(Bundestagsdrucksache 15/1317) in dem sich das Parlament für eine umfassende
entwicklungsorientierte Welthandelsrunde ausgesprochen hat.

Somit muss bei allen Beschlüssen der Entwicklungsstand der Staaten entspre-
chend berücksichtigt werden. Der politische Spielraum, den Länder für ihren
Entwicklungsweg einschlagen können, muss zukünftig erweitert werden. Gene-
rell ist Handelsliberalisierung kein Selbstzweck, sondern muss zu einer nachhal-
tigen Entwicklung, der Erreichung der Milleniumziele der Vereinten Nationen,
der Umsetzung des Rechts auf Nahrung, der Bekämpfung der Armut und zum
Erhalt der Umwelt beitragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass in allen Bereichen der Entwicklungsstand und die
Leistungsfähigkeit von Entwicklungsländern berücksichtigt wird und die Be-
schlüsse zu einer wirklichen Entwicklungsrunde führen. Das gilt sowohl für
die Landwirtschaft, als auch für die Verhandlungen über Dienstleistungen und
nichtagrarische Produkte;

2. die von der WTO vorgesehene „spezielle und besondere Behandlung“
(special and differential treatment) für Entwicklungsländer entsprechend
deren politischen Präferenzen zu akzeptieren und damit den Gestaltungsspiel-
raum für diese Länder zu erweitern. Dies bedeutet, ihnen das Recht zuzugeste-
hen, zur Verbesserung der Ernährungssouveränität und zum Schutz sich noch
im Aufbau befindender Industrien Zölle auch erhöhen zu können;

3. sich dafür einzusetzen, den Marktzugang in allen Bereichen auch für verarbei-
tete Produkte aus Entwicklungsländern substanziell zu verbessern;

4. die Agrarverhandlungen zu nutzen, den Marktzugang für Entwicklungsländer
deutlich zu verbessern, die handelsverzerrenden Subventionen deutlich zu
verringern und alle Formen der Exportsubventionierung (Exporterstattungen,
Exportkredite und so genannte Nahrungsmittelhilfe) bis spätestens 2010 ab-
zuschaffen;

5. sich dafür einzusetzen, dass die Zahl so genannter sensibler Produkte, die be-
sonders geschützt sind, in Industrieländern sehr niedrig gehalten wird und zu
akzeptieren, dass bei Produkten von besonderer Bedeutung für Entwicklungs-
länder, wie Baumwolle und Zucker, ein schneller, starker Abbau handelsver-
zerrender Subventionen vordringlich ist;

6. sich dafür einzusetzen, eine deutliche Reduzierung von Zöllen und den Abbau
von nichttarifären Handelshemmnissen für Umwelttechnologien und Um-
weltdienstleistungen zu erreichen;

7. sich für die Anerkennung der Gleichrangigkeit und die gegenseitige Unter-
stützung von multilateralen Umweltabkommen und WTO-Regeln einzuset-
zen und sich für eine stärkere Kooperation der WTO mit Institutionen einzu-
setzen, die mit der ökologischen und sozialen Dimension der Globalisierung
befasst sind (ILO, UNEP);

8. darauf zu dringen, dass die Milleniumsziele der Vereinten Nationen und das
„Recht auf Nahrung“ nicht durch WTO-Vereinbarungen konterkariert werden;

9. bei den Verhandlungen über das WTO-Abkommen über den Handel mit
Dienstleistungen (GATS) weiterhin den Verhandlungsansatz zu erhalten, der
Liberalisierungszusagen je nach Fähigkeit des Landes im Angebotsverfahren
vorsieht. WTO-Mitglieder sollen selbst entscheiden, welche Sektoren sie in
welchem Ausmaß für ausländische Anbieter öffnen wollen und welche Sekto-
ren sie von den GATS-Verpflichtungen ausnehmen wollen. GATS-Verpflich-
tungen müssen die Möglichkeit einschließen, Modelle zu erproben und spezi-

fische Verpflichtungen zu überprüfen und zurückzunehmen, wenn sie zu öko-
logischen und sozialen Verwerfungen führen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/86

10. beim GATS-Abkommen die öffentliche Daseinsvorsorge zu sichern. Des-
halb sollen auch weiterhin keine Angebote zur Aufnahme von Verhandlun-
gen in den Bereichen Bildung, Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen
sowie Gesundheitsdienstleistungen und Wasserversorgung unterbreitet wer-
den. Gleiches gilt für weitergehende Angebote bei Abwasserentsorgung,
Umweltdienstleistungen oder im Verkehrsbereich. Gleichzeitig soll die EU
keinen Druck erzeugen, den Bereich Wasser im Rahmen des GATS-Abkom-
mens zu regeln. Die EU sollte auf Forderungen bei der Wasserversorgung
an die Entwicklungsländer verzichten;

11. dazu beizutragen, dass das Abkommen für handelsbezogene Aspekte der
Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) so präzisiert wird, dass der Zugang
zu Saatgut und zu lebensnotwendigen Medikamenten sichergestellt und vor
allem der Einsatz von Generika gegen HIV/AIDS und andere Krankheiten
nicht behindert werden darf;

12. sich in der WTO für eine Verbesserung von Verfahren und Regeln einzuset-
zen, die eine stärkere parlamentarische Begleitung und die Einbeziehung
zivilgesellschaftlicher Akteure vertiefen und die Beteiligung aller Mitglied-
staaten ermöglichen.

Berlin, den 24. November 2005

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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Hongkong als Zwischenschritt einer fairen und entwicklungsorientierten Welthandelsrunde

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