BT-Drucksache 16/8453

Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters

Vom 7. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8453
16. Wahlperiode 07. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte,
Ulla Lötzer, Kersten Naumann, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Politik vollzieht sich in modernen Gesellschaften immer mehr als Gesell-
schaftspolitik, an deren Willensbildungs- und Aushandlungsprozessen zahl-
reiche Akteure mitwirken. Gesetzgeberische Entscheidungen sind in vielen
Bereichen nicht mehr Ausdruck machtvoller Staatspolitik in einem Über-/
Unterordnungsverhältnis, sondern potentiell Betroffene können während des
Gesetzgebungsverfahrens Einfluss nehmen. Diese an sich positiv zu be-
wertende Entwicklung hat zu einer verbandlichen Organisation und Profes-
sionalisierung der Interessenvertretung gegenüber den politischen Institutio-
nen geführt. Die Einflussnahme von Lobbyisten auf politische Entschei-
dungsprozesse ist ein bedeutendes gesellschaftliches Faktum geworden.

2. Lobbyismus ist ein differenziert zu betrachtendes Phänomen pluralistischer
Demokratien und changiert zwischen dem Anspruch legitimer, demokra-
tischer Interessenvertretung und illegaler Einflussnahme, die bis hin zu Kor-
ruption reichen kann. Einerseits zwingen zwar die Komplexität der politi-
schen Inhalte sowie die parlamentarische Schnelllebigkeit die Politikerinnen
und Politiker immer mehr, auf externe Information und Beratung zurück-
zugreifen. Andererseits stellt sich Lobbyismus auch als Privatisierung von
Politik dar, indem die Entscheidungsfindungsprozesse maßgeblich von
Akteuren bestimmt werden, denen die Verfassung keine Rolle im politischen
System zugewiesen hat.

3. Die Gesetzgebung muss in einem demokratischen Rechtsstaat auf einem Wil-
lensbildungsprozess beruhen, der für die Bürgerinnen und Bürger voll und
ganz durchschaubar ist. Die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Öffentlich-
keit parlamentarischer Prozesse stellt daher auch ein entscheidendes Indiz für
die Legitimität der lobbyistischen Einflussnahme auf die Gesetzgebung dar.

Wer sich in Übereinstimmung mit der Verfassung und dem Willen der Bevöl-
kerungsmehrheit sieht, profitiert regelmäßig davon, seine Position und seinen
Versuch der Einflussnahme transparent zu machen. Gleiches gilt für Interes-

senvertreterinnen und Interessenvertreter gesellschaftlicher Gruppen, die ihre
Forderungen durch überzeugende Argumente und wahrheitsgemäße Infor-
mationen untermauern können. Wer allerdings mit Hilfe verdeckten poli-
tischen Einflusses Partikularinteressen durchzusetzen versucht, meidet den
öffentlichen Diskurs und verletzt so die Regeln der demokratischen Willens-
bildung. Eine solche Vorgehensweise erweckt zumindest den Anschein, Vor-
teile auf Kosten der Allgemeinheit erlangen zu wollen.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregis-
ters vorzulegen, welcher folgenden Vorgaben gerecht wird:

a) Lobbyisten haben die sanktionsbewehrte Pflicht, sich in das Register ein-
zutragen. Als Lobbyisten gelten insoweit alle, die berufsmäßig im eigenen
Interesse oder im Auftrag anderer oder ehrenamtlich wiederkehrend auf
die Gesetzgebung, Verordnungsgebung oder andere staatliche Direktiven
Einfluss ausüben wollen und zu diesem Zweck Kontakte mit Parlaments-
mitgliedern, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Funktionsträgerin-
nen und Funktionsträgern der Parteien, Regierungsmitgliedern sowie Mit-
gliedern von Verwaltungseinrichtungen suchen, herstellen und pflegen.

b) In diesem Register müssen die Lobbyisten über die Angaben in der seit
1972 beim Deutschen Bundestag geführten „Öffentlichen Liste der regist-
rierten Verbände und deren Vertreter“ hinaus die Aufwendungen für ihre
Lobbyarbeit und deren Nutznießerinnen und Nutznießer offenlegen. So-
weit sie nicht im eigenen Interesse handeln, haben sie ihre Auftraggebe-
rinnen und Auftraggeber und deren Aufwendungen anzuzeigen. Insoweit
muss auch eine Möglichkeit geschaffen werden, damit diese Regelung
nicht durch das Dazwischenschalten von Rechtsanwältinnen und Rechts-
anwälten aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht umgangen werden
kann, denn Sinn und Zweck der Verschwiegenheitspflicht ist nicht der
berufsrechtliche Schutz eines Anwaltslobbyings.

c) Sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lobbyorganisationen bzw.
Unternehmen an Ministerien ausgeliehen werden, beratend oder ander-
weitig an parlamentarischen Initiativen der Bundesregierung beteiligt
zu sein, muss sowohl in dem Register als auch in der parlamentarischen
Initiative, die die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter (mit-)bearbeitet hat,
ein entsprechender Vermerk erfolgen.

d) Zur Führung des Registers und zur Durchsetzung von Sanktionsmöglich-
keiten wird eine Stelle mit Ombudsmann-Funktionen beim Deutschen
Bundestag eingerichtet. Diese hat das Register zu verwalten, Hinweise auf
mögliche Verstöße entgegenzunehmen und zu überprüfen, eigenständig
Prüfungen durchzuführen und bei Pflichtverstößen Sanktionen festzu-
setzen;

2. das Register, die Aufstellungen über Aufwendungen und die Stellungnahmen
zu den parlamentarischen Initiativen im Internet übersichtlich öffentlich zu
machen, damit Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, welche Per-
sonen, Verbände, Unternehmen und Interessengruppen auf gesetzliche Rege-
lungen und behördliche Maßnahmen und Vorgehensweisen Einfluss haben
und welche Informationen auf welchen Wegen wen beeinflussen können oder
sollen;

3. sich dafür einzusetzen, dass in den Ländern ebenfalls obigen Vorgaben ent-
sprechende Lobbyistenregister eingeführt werden und dass das auf euro-
päischer Ebene geplante, zunächst freiwillige Register den genannten Vor-
gaben entspricht. Dazu muss es nach Ablauf der einjährigen Probezeit in ein
verpflichtendes Register umgewandelt werden. Das Register auf Länder-
ebene muss auch Lobbyismus auf kommunaler Ebene erfassen;

4. Gesetzentwürfe und andere parlamentarische Initiativen gleichberechtigt
zugänglich zu machen. Das heißt, sobald eine Person, die nicht der Bundes-
regierung angehört und auch nicht bei dieser angestellt ist, einen Gesetzent-
wurf, an dem ein Mitglied oder eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter der
Bundesregierung mitgewirkt hat, erhält, muss dieser zwingend allen Interes-

sierten mittels des Internets zugänglich gemacht werden;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8453

5. dafür Sorge zu tragen, dass bei öffentlichen Anhörungen zu parlamenta-
rischen Initiativen die benannten Sachverständigen und ihre Stellungnahmen
umgehend im Internet veröffentlicht werden.

Berlin, den 6. März 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Der ständige Informationsaustausch zwischen Verbänden, Unternehmen und
Interessengruppen auf der einen und Politik, Parlament und Verwaltung auf der
anderen Seite ist Bestandteil unseres politischen Systems und wirkt sich in den
meisten Fällen in der Sache positiv aus. Die Einwirkung der Zivilgesellschaft
auf den Staat ist Ausdruck der Demokratie und Voraussetzung, um dessen
stetige Fortentwicklung zu ermöglichen.

Eine institutionalisierte Form des Informationsaustauschs und der Interessen-
vertretung stellt der sogenannte Lobbyismus dar. Als Lobbyisten lassen sich in-
soweit alle, die berufsmäßig im eigenen Interesse oder im Auftrag anderer oder
ehrenamtlich wiederkehrend auf die Gesetzgebung, Verordnungsgebung oder
andere staatliche Direktiven Einfluss ausüben wollen und zu diesem Zweck
Kontakte mit Parlamentsmitgliedern, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern der Parteien, Regierungsmitglie-
dern sowie Mitgliedern von Verwaltungseinrichtungen suchen, herstellen und
pflegen, definieren. Von dieser Umschreibung ausdrücklich nicht erfasst sind
einzelne Bürgerinnen und Bürger, die sich regelmäßig, beispielsweise durch
Briefe an Abgeordnete, Petitionen oder Onlineaktionen, äußern, da diese weder
ehrenamtlich noch berufsmäßig tätig werden.

Das Grundgesetz schützt die Organisation und Wahrnehmung von Interessen
durch die Vereinigungsfreiheit des Artikels 9 des Grundgesetzes (GG) und auch
auf die Meinungsfreiheit kann sich das Lobbying berufen. Lobbyismus lässt sich
also als eine in unserem pluralistischen System angelegte Tatsache verstehen.

Allerdings ist er auch eine Form der Interessenvertretung in der Politik, die ein
Einfallstor für Korruption und die illegitime Durchsetzung von Partikularinter-
essen darstellt. Der Einfluss von ökonomischen und gesellschaftlichen Interes-
sengruppen auf politische Entscheidungen in Form des Lobbyismus kann zudem
mit zentralen Prinzipien der Demokratie in Konflikt geraten. Vor allem die
Grundsätze der Öffentlichkeit politischer Prozesse, der Gleichheit aller Bürger,
der Verfahrensmäßigkeit der Generierung politischer Entscheidungen und der
weitestgehenden Transparenz öffentlicher Angelegenheiten, lassen nicht zu,
dass sich ein politisch so bedeutsames Phänomen wie der Lobbyismus in einem
nahezu kontrollfreien Raum abspielt.

Eine Reglementierung des Einflusses von Interessengruppen auf die Politik ist
auch im Hinblick auf die inhaltlichen Ergebnisse der Gesetzgebungsverfahren
und damit unter materiellen Gerechtigkeitsgesichtspunkten unverzichtbar. In
unserem pluralistischen System formaler Gleichheit besteht nämlich keine reale
Waffengleichheit der gesellschaftlichen Interessen. Die Durchsetzbarkeit der-
selben hängt stark von den wirtschaftlichen und strukturellen Mitteln ihrer
Inhaberinnen und Inhaber ab.

Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse verstetigen sich so in undemokra-

tischer Weise durch ihren unterschiedlich starken Zugang zur Politik. Die poli-
tische Forcierung sinkender Reallöhne bei steigenden Unternehmensgewinnen

Drucksache 16/8453 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

zeigt, dass sich die Interessen der ökonomisch stärkeren Wirtschaftslobbyisten
gegenüber denjenigen von Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern durchsetzen. Der unwürdige staatliche Umgang mit sozial Schwachen
und Arbeitslosen steht im direkten Zusammenhang mit dem Mangel einer
durchsetzungsfähigen Vertretung ihrer Interessen. Auch allgemeinen Interessen,
wie beispielsweise denjenigen der Verbraucherinnen und Verbraucher, fehlt eine
schlagkräftige Lobby, da es schwieriger ist, sie mittels verbandlicher Organisa-
tion zu bündeln. Großen Wirtschaftszweigen gelingt es demgegenüber regel-
mäßig, ihre Interessen in Gesetzgebungsverfahren einfließen zu lassen und im
Ergebnis zu wahren.

Aber auch innerhalb der Verbände dominieren die starken Akteure, wie die
Großgrundbesitzerinnen und Großgrundbesitzer bei der Bauernschaft und die
Großunternehmen in den Wirtschaftsverbänden. Kleine und mittelständische
Unternehmen sind daher innerhalb ihrer eigenen Interessenvertretungen unter-
repräsentiert. Hinzu kommt das praktisch permanente Ungleichgewicht zwi-
schen ökonomischen und nichtökonomischen Interessengruppen, welches sich
in der nahezu vollständigen Marginalisierung wirtschaftlich unerwünschter
Interessen ausdrückt.

In der Bundesrepublik Deutschland existieren keine nennenswerten rechtlichen
Rahmenbedingungen für Zulässigkeit und Form der Einflussnahme von Inter-
essenvertreterinnen und Interessenvertretern auf die Politik. Zwar wird seit
1972 beim Deutschen Bundestag die „Öffentliche Liste der registrierten Ver-
bände und deren Vertreter“ geführt. Sie enthält die Anschrift des jeweiligen
Verbandes sowie Angaben zu Vorstand und Geschäftsführung, zur Verbands-
vertretung, zum Interessenbereich, zur Mitgliederzahl und zur Anzahl der an-
geschlossenen Organisationen. Allerdings hat sich diese als ein untaugliches
Mittel zur Herstellung von Transparenz erwiesen. Es erfolgt weder eine Prü-
fung der Zulassung, noch gibt es eine Pflicht zur Registrierung. Zudem sind die
Informationen wenig aufschlussreich, da nicht ersichtlich ist, welche Mittel die
Verbände besitzen, woher sie diese beziehen und wie sie sie verwenden. Daher
ist auch nicht ersichtlich, wessen Interessen wirklich hinter den Verbänden ste-
hen. Zudem existiert keine Aufstellung über die Unternehmensvertreterinnen
und Unternehmensvertreter, obwohl es kaum Großunternehmen gibt, die keine
eigene Interessenvertretung in Berlin unterhalten. PR- und Lobbyagenturen so-
wie selbständige Lobbyisten werden ebenfalls nicht erfasst.

Da es sich bei dem Phänomen Lobbyismus um eine notwendige und grundrecht-
lich geschützte Tätigkeit handelt, ist es sachgerecht, durch die Herstellung wei-
testgehender Transparenz in Form eines verpflichtenden Lobbyistenregisters auf
die Redlichkeit der Interessenvertretung hinzuwirken. Insbesondere durch die
Offenlegung der Aufwendungen von Lobbyisten und Unternehmen sowie deren
jeweiligen Nutznießer wird die Öffentlichkeit in die Lage versetzt zu erkennen,
inwieweit demokratisch nicht legitimierte Akteure auf das Ergebnis eines Ge-
setzgebungsprozesses Einfluss genommen haben. Auch die Verpflichtung, die
Mitarbeit von Lobbyisten oder ausgeliehenen Angestellten von Unternehmen
bei Gesetzentwürfen in Ministerien in dem Lobbyistenregister und dem jeweili-
gen Gesetzentwurf zu vermerken, ist ein notwendiger Schritt zur Herstellung
von Transparenz. Allerdings ist die Mitarbeit von Angehörigen der Privatwirt-
schaft oder Lobbygruppen bei parlamentarischen Initiativen der Bundesregie-
rung schon grundsätzlich abzulehnen. Die Registrierungspflicht stellt somit kei-
nesfalls die Akzeptanz dieser demokratisch zweifelhaften Verfahrensweise dar,
sondern soll angesichts der kritikwürdigen Praxis wenigstens die bestehenden
Beteiligungen privater Akteure offenlegen.

Eine derartige Mindestregulierung erfordert auch die Rechtsprechung des Bun-

desverfassungsgerichts, welches in BVerfGE 40, 296, 327 – im Zusammenhang
mit der Abgeordnetenbesoldung – ausgeführt hat: „… das demokratische und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8453

rechtsstaatliche Prinzip (Art. 20 GG) verlangt, daß der gesamte Willensbil-
dungsprozeß für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen
der Öffentlichkeit beschlossen wird. Denn dies ist die einzige wirksame Kon-
trolle. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes;
Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht,
ist nicht möglich.“
Auch und insbesondere auf europäischer Ebene ist die Einführung eines ver-
pflichtenden Lobbyistenregisters notwendig. Selbst konservative Schätzungen
gehen davon aus, dass 15 000 bis 20 000 Lobbyisten in Brüssel tätig sind. Das
im Rahmen der European Transparency Initiative (ETI) durch die Kommission
am 3. Mai 2006 vorgestellte Grünbuch, welches Vorschläge für mehr Trans-
parenz im EU-Lobbying enthält, ist stark verbesserungsbedürftig. Die in dem
Register erfassten Angaben sind nicht geeignet, hinreichende Transparenz her-
zustellen. Zu Recht wird an dem Entwurf kritisiert 1, dass er lediglich ein frei-
williges Registrierungssystem enthält und keinerlei Ansätze zeigt, den privile-
gierten Zugang von Wirtschaftslobbyisten zu beenden. Ebenso wenig schafft er
Transparenz über die schon grundsätzlich abzulehnende Praxis, nur kurzfristig
für die Kommission tätige Beschäftigte zur Bearbeitung von Gesetzgebungs-
initiativen hinzuzuziehen.
1 Etwa: Pressemitteilungen ALTER-EU vom 3. Mai 2006 und 21. März 2007.

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