BT-Drucksache 16/8170

Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 25. bis 29. Juni 2007 in Straßburg

Vom 19. Februar 2008


an:

Abg. Joachim Hörster (CDU/CSU), Leiter der deut-
schen Delegation,

Abg. Doris Barnett (SPD),

Abg. Veronika Bellmann (CDU/CSU),

Abg. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD),

Abg. Hubert Deittert (CDU/CSU),

Abg. Axel Fischer (CDU/CSU),

Abg. Angelika Graf (SPD),

Abg. Holger Haibach (CDU/CSU),

gation im Anhang im Wortlaut abgedruckt.

In ihrer Sommersitzung vom 25. bis 29. Juni 2007 be-
fasste sich die Parlamentarische Versammlung am
26. Juni mit der sozialen Dimension Europas und verab-
schiedete eine Entschließung, die die Mitgliedstaaten
dazu auffordert, die revidierte Europäische Sozialcharta
vollständig umzusetzen. Berichterstatter war Abg.
Walter Riester.

Weitere Themen im Zusammenhang mit der Verwirkli-
chung der Werte des Europarates wurden debattiert, wie
das Engagement für ein internationales Moratorium der
Todesstrafe, aber auch die umstrittene Beteiligung von
einzelnen Mitgliedstaaten an geheimen Verhaftungen und
unrechtmäßiger Verbringung von Häftlingen. Darüber hi-
Deutscher Bundestag Drucksache 16/8170
16. Wahlperiode 19. 02. 2008

Unterrichtung
durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates

Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom
25. bis 29. Juni 2007 in Straßburg

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

Seite

I. Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

III. Schwerpunkte der Beratungen . . . . . . . . . . . 2

IV. Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1. Entschließungen und Empfehlungen . . . . . . . . 6

2. Redebeiträge deutscher Parlamentarier . . . . . . . 66

3. Mitgliedsländer und Funktionsträger . . . . . . . . 81

I. Teilnehmer
Der deutschen Delegation gehörten folgende Mitglieder

Abg. Eduard Lintner (CDU/CSU),

Abg. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP),

Abg. Johannes Pflug (SPD),

Abg. Walter Riester (SPD),

Abg. Marlene Rupprecht (SPD),

Abg. Ingo Schmitt (CDU/CSU),

Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN),

Abg. Christoph Strässer (SPD),

Abg. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD), stellvertretender Lei-
ter der deutschen Delegation.

II. Zusammenfassung

Die Entschließungen und Empfehlungen sind ebenso wie
die Reden und Fragen der Mitglieder der deutschen Dele-
Abg. Jürgen Herrmann (CDU/CSU),

Abg. Bernd Heynemann (CDU/CSU),

Abg. Gerd Höfer (SPD),

Abg. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE.),

Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP),

naus befasste sich die Parlamentarische Versammlung mit
der Bekämpfung des Antisemitismus, sowie mit den Be-
ziehungen zwischen Religion, Säkularität und Menschen-
rechten.

In drei Debatten wurden folgende Fragen als Herausfor-
derungen für die Staatengemeinschaft diskutiert: die Lage
von langjährigen Flüchtlingen und Vertriebenen in Süd-

Drucksache 16/8170 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

osteuropa, das Nuklearprogramm des Iran und die straf-
rechtliche Verfolgung von Straftaten, die in den Zustän-
digkeitsbereich des Internationalen Strafgerichtshofs für
das ehemalige Jugoslawien fallen.

Unter den sozialen Themen stand das Bild der Frauen in
der Werbung im Vordergrund. Im wirtschaftlichen Be-
reich wurden die Euro-Mediterrane Landwirtschaftspoli-
tik und die Politik für den ländlichen Raum sowie die
neuen Ziele der Europäischen Bank für Wiederaufbau
und Entwicklung behandelt.

Den Bericht des Ministerkomitees trug der Außenminis-
ter von Serbien und Vorsitzender des Ministerkomitees,
Vuk Jeremic, vor. Zur Versammlung sprachen der öster-
reichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und der
Präsident des Europäischen Parlaments Prof. Dr. Hans-
Gert Pöttering.

An die Parlamentarische Versammlung richteten sich
weiterhin Carla del Ponte, Chefanklägerin am Interna-
tionalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien,
Jacques Diouf, Generaldirektor der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen,
António Guterres, UN-Flüchtlingskommissar, Jean
Lemierre, Präsident der Europäischen Bank für Wieder-
aufbau und Entwicklung, sowie Rabbi Arthur Schneier,
Vorsitzender der Appeal of Conscience Foundation (Mah-
nung des Gewissens-Stiftung).

An der Tagung nahmen Parlamentarier aus den 47 Mit-
gliedstaaten des Europarates sowie Beobachter aus Israel,
Kanada und Mexiko teil.

Am 26. Juni 2007 wurde Maud de Boer-Buquicchio zur
Stellvertretenden Generalsekretärin des Europarates ge-
wählt.

Dringlichkeits- und Aktualitätsdebatten

In der einzigen Dringlichkeitsdebatte der Teilsitzung be-
fasste sich die Versammlung mit der Verhinderung von
Internetkriminalität gegen staatliche Institutionen. Die ur-
sprünglich erwogene Aktualitätsdebatte über die politi-
sche Dimension des Budgets des Europarats wurde ver-
tagt.

III. Schwerpunkte der Beratungen

A. Dringlichkeitsdebatte: Computerkrimi-
nalität gegen staatliche Institutionen

Nach dem massiven Angriff, dem das Computernetz in
Estland im April 2007 durch sogenannte Hacker ausge-
setzt war, verabschiedete die Parlamentarische Versamm-
lung die Entschließung 1565 (2007), die die Mitglied-
staaten dazu auffordert, ihre Zusammenarbeit gegen die
internationale Computerkriminalität weiterzuentwickeln

B. Rechts- und Menschenrechtsfragen
1. Soziale Dimension Europas und voll-

ständige Umsetzung der revidierten
Europäischen Sozialcharta

Die Diskussion zur sozialen Dimension Europas sollte ur-
sprünglich am 29. Juni 2007 stattfinden, wurde aber auf
Anregung des Berichterstatters auf den 26. Juni 2007 vor-
gezogen.

Abgeordneter Walter Riester berichtete über die unzu-
reichende Umsetzung der Sozialcharta unter den Mit-
gliedstaaten und rief dazu auf, „die Elemente der Charta
in den nationalen Reformprozess einzugliedern“.

In der anschließenden Diskussion wurde eine breite Zu-
stimmung zu dem Bericht deutlich. Der Vorbildcharakter
des europäischen Sozialrechtes wurde insbesondere aber-
mals anerkannt.

Abg. Hakki Keskin hob hervor, dass der eine Woche zu-
vor auf dem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs
vereinbarte Text für einen neuen EU-Vertrag gegenüber
den Sozialrechten im EU-Verfassungsvertrag weit zu-
rückbleibe.

Abg. Dr. Wolfgang Wodarg wies auf die entscheidende
Rolle der Gewerkschaften hin und bedauerte den im Ver-
gleich zu skandinavischen Ländern geringen gewerk-
schaftlichen Organisationsgrad in Deutschland. Die Staa-
ten sollten das Engagement der Arbeitnehmer fördern,
indem sie sich bemühen, für die Gewerkschaften bessere
Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Die Parlamentarische Versammlung verabschiedete die
Entschließung 1559 (2007), in der sie die Mitgliedstaa-
ten dazu aufruft, die Schlüsselpunkte der Charta in ihre
nationalen Reformprozesse einzubinden sowie die De-
batte über Sozialrecht auf die Weltebene zu übertragen.

3. Engagement der Mitgliedstaaten für ein
internationales Moratorium der
Todesstrafe

Berichterstatter für den Ausschuss für Recht und Men-
schenrechte war dessen Vorsitzender Pietro Marcenaro
(Italien). Fátima Aburto Baselga (Spanien) gab für den
Politischen Ausschuss eine Stellungnahme ab. Der Be-
richterstatter unterstrich, dass die Todesstrafe weltweit
auf dem Rückzug sei, so dass über 90 Prozent der Todes-
strafen in lediglich sechs Ländern vollzogen würden:
China, Irak, Iran, Pakistan, Sudan und die Vereinigten
Staaten. Unter diesen Umständen erscheine ein weltwei-
tes Moratorium als der nächste Schritt auf dem Weg hin
zur universellen Abschaffung der Todesstrafe. Es solle
die Vollstreckung aller zur Zeit verhängten Todesurteile
erfassen. Die italienische Initiative für ein solches Mora-
torium sei bei den Vereinten Nationen zu unterstützen.

Abg. Dr. Herta Däubler-Gmelin trat auch für die Äch-
tung der Todesstrafe ein und hob hervor, dass das Morato-
rium einen sehr nützlichen und klugen Zwischenschritt in
bzw. die Konvention des Europarates über Cyber-Krimi-
nalität von 2001 zu unterzeichnen und zu ratifizieren.

diese Richtung darstelle. Er müsse seitens des Europara-
tes positiv unterstützt werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8170

Die Parlamentarische Versammlung ruft in der Entschlie-
ßung 1560 (2007) die Mitgliedstaaten dazu auf, vor der
Generalversammlung der Vereinten Nationen die italieni-
sche Initiative für ein internationales Moratorium der To-
desstrafe nachdrücklich zu unterstützen.

3. Geheime Verhaftungen und unrecht-
mäßige Verbringung von Häftlingen
zwischen Staaten (zweiter Bericht)

Berichterstatter für Ausschuss für Recht und Menschen-
rechte war Dick Marty (Schweiz).

In seinem zweiten Bericht zu dem Thema kritisierte Dick
Marty Mitgliedstaaten des Europarats in ihrer Informa-
tionspolitik ihm als Berichterstatter gegenüber, hier unter
anderem auch die damalige Bundesregierung. Deutsche
Stellen hätten die Aufklärung nicht nur nicht unterstützt,
sondern aktiv behindert, indem sie den Untersuchungsge-
genstand als „Staatsgeheimnis“ klassifiziert hätten. Ande-
rerseits wurde in dem Bericht positiv bewertet, dass sich
der Deutsche Bundestag über seinen Untersuchungsaus-
schuss um Aufklärung bemüht habe.

In der anschließenden Debatte wurde der Bericht sehr un-
terschiedlich bewertet. Während viele Delegierten seinen
Inhalt lobten, bekundeten auch insbesondere polnische
und rumänische Delegierten eine andere Auffassung. Ih-
nen erschien mancher Vorwurf als grundlose Anschuldi-
gung, so dass der Berichterstatter dem eigenen Anspruch
auf Gerechtigkeit und faires Verfahren nicht gerecht
werde. Seine Behauptungen seien in der Regel zurückzu-
weisen.

Abg. Christoph Strässer unterstützte grundsätzlich die
Tendenz des Berichtes. Er äußerte aber Bedenken hin-
sichtlich der Arbeitsweise des Ausschusses für Recht und
Menschenrechte. Des Weiteren akzeptierte er nicht alle
gegen die Bundesrepublik Deutschland erhobenen Vor-
würfe. Zwischen den verschiedenen Verwendungen des
Begriffes Staatsgeheimnis werde auch in dem Bericht
nicht deutlich unterschieden. Hauptsache bleibe schließ-
lich, eine öffentliche Debatte über diese unrechtmäßigen
Vorgänge in den Mitgliedstaaten angeregt zu haben.

Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wies hinge-
gen auf die Unbestreitbarkeit des im Bericht geschilder-
ten Sachverhalts hin. Im Übrigen stehe es dem Europarat
und seiner Parlamentarischen Versammlung nicht zu, wie
ein Gericht vorzugehen, sondern „auf Grund von Fakten
und Anhaltspunkten (…) eine gesamte politische Bewer-
tung (…) vorzunehmen“. Was die Lage in Deutschland
angehe, verfüge nun der dafür zuständige Untersuchungs-
ausschuss des Deutschen Bundestages über die Befug-
nisse, die der Berichterstatter eben nicht gehabt habe.

Abg. Rainder Steenblock hob hervor, dass es besonders
bedeutsam sei, über die zu Recht sogenannten „geheime
Verhaftungen und die unrechtmäßige Verbringung von
Häftlingen“ Öffentlichkeit herzustellen. Regierungen hät-
ten Menschenrechtsverletzungen in gigantischem Aus-
maß zugelassen. Damit der für Deutschland eingesetzte

Bundesregierung an dieser Stelle Geheimhaltung nicht in
der Weise interpretieren, der sie jetzt vor dem Bundesver-
fassungsgericht beschuldigt werde.

Abg. Holger Haibach betonte, dass Menschenrechtsver-
letzungen immer wieder aufgedeckt und angesprochen
werden müssten, wozu die Parlamentarische Versamm-
lung des Europarates der richtige Ort sei. Bei aller Unter-
stützung für die Arbeit des Berichterstatters bedauerte er
die unglaubliche Geschwindigkeit in der Diskussion der
Änderungsanträge im Ausschuss für Recht und Men-
schenrechte. Er fragte sich, ob ein solches Verfahren der
Aufgabe des Europarates angemessen sei und appellierte
dringend, darüber für die Zukunft nachzudenken.

Zu der Entschließung und Empfehlung wurden nicht we-
niger als 23 Änderungsanträge eingebracht. Es handelte
sich hauptsächlich darum, die den einzelnen Mitglied-
staaten vorgeworfenen Vorgänge ausgewogener und dif-
ferenzierter zu beschreiben und zu bewerten. So wurde
ein Änderungsantrag angenommen, auf Grund dessen die
Existenz von Geheimgefängnissen nicht mehr als durch-
aus bewiesen, sondern nur als höchstwahrscheinlich be-
zeichnet wird. Ebenfalls wurde die Berufung auf Staats-
geheimnisse je nach der Situation in den Mitgliedstaaten
unterschiedlich gedeutet, so dass auch die intensive
Debatte über die Frage des Geheimhaltungsbegriffes und
das daraus entstandene Verfassungsgerichtsverfahren in
Deutschland berücksichtigt werden.

4. Bekämpfung des Antisemitismus
Berichterstatter für den Politischen Ausschuss war
Mikhail Margelov (Russische Föderation). Renate
Wohlwend (Liechtenstein) gab für den Ausschuss für
Recht und Menschenrechte eine Stellungnahme ab.

Der Bericht hatte das Ziel, die öffentliche Aufmerksam-
keit auf die Gefahr eines steigenden Antisemitismus zu
richten. Antisemitismus existiere in unterschiedlichen
Formen, sowohl in vielen Mitgliedstaaten als auch im In-
ternet. Er stehe in einem fundamentalen Widerspruch zu
den Werten des Europarates. Der Kampf gegen Antisemi-
tismus stelle gleichwohl demokratische Staaten vor ein
Dilemma, da die Gesellschaft vor Antisemitismus ge-
schützt werden müsse, andererseits aber die politischen
Rechte und das Recht auf freie Meinungsäußerung ge-
wahrt bleiben müssten.

Rabbi Arthur Schneier, Gründer und Vorsitzender der
Appeal of Conscience Foundation (Mahnung des Gewis-
sens-Stiftung), gab eine Erklärung ab. Er hob hervor, wie
Antisemitismus in einer Gesellschaft als Gradmesser fun-
giere für die Art und Weise, in der andere Religionen im
allgemeinen und ethnische Minderheiten behandelt wür-
den. In diesem Zusammenhang spiele die Bildung für den
Abbau der Vorurteile eine höchstbedeutende Rolle.

In der anschließenden Debatte befassten sich die Dele-
gierten mit 19 Änderungsanträgen zu dem Entschlie-
ßungsentwurf. In der Entschließung 1563 (2007) fordert
schließlich die Parlamentarische Versammlung die Mit-
Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages
seine Kontrolle befriedigend ausüben könne, solle die

gliedstaaten dazu auf, die Leugnung von Genoziden in ih-
rem nationalen Recht als Straftat zu umschreiben.

Drucksache 16/8170 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Religion, Säkularität und Menschenrechte

Die gemeinsame Debatte über den interkulturellen und
interreligiösen Dialog umfasste zwei Berichte des Aus-
schusses für Kultur, Wissenschaft und Bildung: den ers-
ten von Lluís Maria de Puig (Spanien) über Staat, Säku-
larität und Menschenrechte, den zweiten von Sinikka
Hurskainen (Finnland) über Blasphemie, religiöse Ver-
unglimpfungen und Hassreden gegenüber Personen auf
Grund ihrer religiösen Zugehörigkeit. Der Bericht von
Guy Lengagne über die Gefahren des Kreationismus in
der Bildung, der als dritter Bericht in Betracht kam, war
am ersten Tag der Teilsitzung zurück an den Ausschuss
für Kultur, Wissenschaft und Bildung überwiesen wor-
den.

Der erste Bericht erkannte die herausragende Rolle der
Religion für die europäische Gesellschaft an, unterstrich
aber auch, dass die Trennung von Kirche und Staat einer
der gemeinsamen Werte sei. Es wurde auf den Span-
nungsbogen zwischen der Ausübung des Glaubens und
der Bedingung hingewiesen, dass dadurch die Freiheits-
rechte anderer nicht eingeschränkt werden dürfen. Der
Berichterstatter unterstützte den Vorschlag des Minister-
rates, eine jährliche Veranstaltung zum interreligiösen
Dialog unter Einbeziehung von Vertretern von Religions-
gemeinschaften durchzuführen.

In dem zweiten Bericht wurde die Notwendigkeit für ein
größeres Verständnis zwischen Individuen und Religio-
nen hervorgehoben. In diesem Zusammenhang wurden
hinsichtlich des demokratischen Prinzips der Trennung
von Kirche und Staat die Regierungen und Parlamente
der Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre nationalen Gesetze
zu überprüfen, die im Kontext des Tatbestandes der Blas-
phemie stehen.

In der Empfehlung 805 (2007) ruft die Parlamentari-
sche Versammlung dazu auf, als Blasphemie nur solche
Äußerungen mit Strafe zu bewehren, die die öffentliche
Ordnung in einem hohen Maß stören, zur Gewalt aufru-
fen oder Personen oder Gruppen zum Ziel von Hass, Dis-
kriminierung oder Gewalt machen.

C. Gegenwärtige Herausforderungen für
die internationale Gemeinschaft

1. Die Lage von langjährigen Flüchtlingen
und Vertriebenen in Südosteuropa

Den Bericht für den Ausschuss für Wanderbewegungen,
Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen trug Nikolaos
Dendias (Griechenland) vor.

Er erklärte, dass zwölf Jahre nach dem Ende des Krieges
in Bosnien-Herzegowina und Kroatien und acht Jahre
nach dem Ende des bewaffneten Kosovo-Konfliktes noch
immer über eine halbe Million Menschen auf der Flucht
oder vertrieben seien. Er forderte ein stärkeres Engage-
ment zur Lösung der Probleme und betonte, dass das
Thema in der politischen Agenda der Länder in der Re-
gion eine stärkere Berücksichtigung finden solle. Hierzu

konsequente Anwendung international anerkannter In-
strumente zur Gewährleistung und Durchsetzung der
Menschenrechte.

In einer anschließenden Erklärung stimmte UN-Flücht-
lingskommissar António Guterres dem Inhalt des Be-
richts zu und betonte, dass viel von den Reformen der
Justiz, der Verwaltung und der Polizei in den Ländern ab-
hängt, in die die Flüchtlinge zurückkehren wollten. Des
Weiteren wies er auf die Situation der Asylbewerber aus
dem Irak hin und vertrat die Meinung, dass sie den Status
von Flüchtlingen erhalten sollten.

Anschließend verabschiedete die Parlamentarische Ver-
sammlung die Empfehlung 1802 (2007).

2. Das Nuklearprogramm des Iran
Berichterstatter für den Politischen Ausschusses war
Göran Lindblad (Schweden).

Er unterstrich, dass das iranische Nuklearprogramm eine
Gefährdung der internationalen Gemeinschaft darstelle.
Bisher habe der Iran alle Versuche für eine Lösung des
Konfliktes zurückgewiesen und trotz der bindenden Wir-
kung der UN-Resolutionen an seinem Atomanreiche-
rungsprogramm festgehalten.

Der Iran wurde in dem Bericht aufgefordert, die Anrei-
cherungen zu stoppen. Darüber hinaus wurde vorgeschla-
gen, dass die Versammlung den Kontakt mit dem irani-
schen Parlament suchen solle, um über den Weg des
Dialoges einen Beitrag zum Abbau des gegenseitigen
Misstrauens zu leisten.

3. Die strafrechtliche Verfolgung von Straf-
taten, die in den Zuständigkeitsbereich
des Internationalen Strafgerichtshofs für
das ehemalige Jugoslawien fallen

Berichterstatter des Ausschusses für Recht und Men-
schenrechte war Tony Lloyd (Großbritannien).

Er wies darauf hin, dass, obwohl schon zehn Jahre seit
dem Ende des Konfliktes vergangen seien, bisher nur we-
nige Kriegsverbrechen aufgeklärt werden konnten. Er
stellte fest, dass zwar Fortschritte in der Entwicklung ei-
nes funktionierenden Rechtsystems gemacht worden
seien, doch die Verantwortlichen in einigen Staaten kei-
nen politischen Willen an den Tag legten, Kriegsverbre-
chen aufzuklären.

Carla del Ponte, Chefanklägerin am Internationalen
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, gab eine
Erklärung ab, in der sie die Entwicklung der Zusammen-
arbeit zwischen Serbien und dem Internationalen Strafge-
richtshof in der letzten Zeit begrüßte, aber bedauerte, dass
die wegen Völkermordes in Srebrenica Angeklagten Ra-
dovan Karadžić und Ratko Mladić noch auf der Flucht
seien.

Abg. Christoph Strässer unterstrich, dass beide in der
Tat verhaftet und an den Internationalen Strafgerichtshof
gehörten klare rechtliche und institutionelle Rahmenbe-
dingungen, die Bereitstellung von Finanzmitteln und die

überstellt werden sollten. Dies bilde eine Grundvoraus-
setzung für die eventuelle Eröffnung von Beitrittsver-

Berichterstatterin des Ausschusses für die Gleichstellung
von Frauen und Männern war Gülsün Bilgehan (Türkei).

Sie kritisierte, dass das Bild der Frau in der Werbung
nichts mit dem realen Leben der Frauen zu tun habe. Die
durch die Werbung vermittelten Bilder verstärkten Ste-
reotype über die Rollenverteilung zwischen Frauen und
Männern in der Gesellschaft. Häufig würden Frauen als
Sexualobjekte dargestellt. Diese Darstellungen verletzten
die Würde von Frauen insgesamt.

Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, sowohl beste-
hende internationale Abkommen wie das UN-Überein-
kommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminie-
rung der Frau vom 18. Dezember 1979 zu ratifizieren und
umzusetzen, als auch Rechtsinstrumente zu schaffen, um
Frauen die Möglichkeit zu geben, gegen derartige Diskri-
minierungen vorzugehen.

Zur Frauenarmut berichtete Frau Hermine Naghdalyan
(Armenien) für den Ausschuss für die Gleichstellung von
Frauen und Männern.

Sie betonte, dass Frauen stärker als Männer der Armut
ausgesetzt seien, nicht zuletzt weil die Arbeitslosenquote
bei ihnen auch höher liege. Diese Ungleichheit beein-
trächtige tiefgreifend die allgemeine wirtschaftliche und
menschliche Entwicklung und sollte bekämpft werden.
Zu diesem Zweck wurde unter anderem vorgeschlagen,
bei der Festlegung von sozialen Maßnahmen der Bildung
und Fortbildung der Frauen einen höheren Wert beizu-
messen sowie ihre Fähigkeit zu fördern, eigene Unterneh-
men zu gründen.

2. Euro-Mediterrane Landwirtschaftspolitik
und Politik für den ländlichen Raum

Berichterstatter des Ausschusses für Umwelt, Landwirt-
schaft und kommunale und regionale Angelegenheiten
war Walter Schmied (Schweiz).

gen könne zu einer engen praktischen Zusammenarbeit
führen, Menschen mobilisieren und die Basis für gegen-
seitigen Nutzen und Gemeinschaftssinn stärken.

Anschließend gab Jacques Diouf, Generaldirektor der
Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Verein-
ten Nationen, eine Erklärung ab.

Anschließend verabschiedete die Parlamentarische Ver-
sammlung die Empfehlung 1556 (2007).

3. Neue Ziele der Europäischen Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung

Berichterstatter des Ausschusses für Wirtschaft und Ent-
wicklung war Carles Gasòliba i Böhm (Spanien). Zu
dem Thema gab auch der Präsident der Europäischen
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) Jean
Lemierre eine Erklärung ab.

Der Bericht zielte auf eine Überarbeitung der zentralen
Ziele der EBRD im Osten und Südosten der Mitgliedstaa-
ten. Hauptaufgabe der Bank sei dort – angesichts der gro-
ßen Potentiale aber auch der bestehenden Risiken – die
Schaffung eines funktionierenden Finanzsektors. Die gu-
ten Gewinnergebnisse der Bank in den letzten Jahren soll-
ten die Möglichkeit für weitere Investitionen in Infra-
strukturprojekte oder Investitionen beispielsweise im
Bereich kommunaler Dienstleistungsangebote eröffnen.

Anschließend verabschiedete die Parlamentarische Ver-
sammlung die Entschließung 1561 (2007).

Joachim Hörster, MdB
Leiter der Delegation

Dr. Wolfgang Wodarg, MdB
Stellvertretender Leiter der Delegation
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8170

handlungen zwischen Serbien und der Europäischen
Union.

Anschließend verabschiedete die Parlamentarische Ver-
sammlung die Entschließung 1564 (2007).

D. Soziale und wirtschaftliche Themen
1. Die Lage der Frauen: Bild in der Werbung

und Frauenarmut

Er hob die besondere geostrategische Bedeutung des Mit-
telmeerraums hervor. Es bestehe die Notwendigkeit einer
strategischen Partnerschaft zwischen den Mitgliedstaaten
des Europarates und den Anrainerstaaten des Mittelmeer-
raumes. Ein zentrales Handlungsfeld sei hierbei die
Agrarpolitik. Die Probleme im landwirtschaftlichen Sek-
tor in der Region seien vielschichtig und es erfordere eine
gemeinsame Initiative der Europäischen Union und der
Anrainerstaaten des Mittelmeeres, diese Probleme ge-
meinsam zu lösen. Die Suche nach gemeinsamen Lösun-

Drucksache 16/8170 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

IV. Anhang
1. Entschließungen und Empfehlungen

Nummer Beschreibung Seite

Entschließung 1556
(2007)

Euro-mediterrane Politik für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum
7

Entschließung 1557
(2007)

Das Bild der Frau in der Werbung
12

Entschließung 1558
(2007)

Die Feminisierung der Armut
14

Entschließung 1559
(2007)

Die soziale Dimension Europas: vollständige Umsetzung der revidierten
Europäischen Sozialcharta und Evaluierung neuer Arbeitsstandards und
Mindestlöhne 20

Entschließung 1560
(2007)

Das Eintreten der Mitgliedstaaten des Europarates für ein weltweites
Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe 22

Entschließung 1561
(2007)

Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung:
Ost- und Südosteuropa im Brennpunkt 25

Entschließung 1562
(2007)

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit
Beteiligung von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht 29

Entschließung 1563
(2007)

Die Bekämpfung des Antisemitismus in Europa
32

Entschließung 1564
(2007)

Die Verfolgung von unter die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichts-
hofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) fallenden Straftaten 35

Entschließung 1565
(2007)

Internetkriminalität gegen staatliche Einrichtungen in Mitglied- und
Beobachterstaaten – welche Möglichkeiten der Vorbeugung gibt es? 39

Entschließung 1566
(2007)

Die Einhaltung der Pflichten und Verpflichtungen durch Monaco
42

Entschließung 1567
(2007)

Das Atomprogramm des Iran und die Notwendigkeit einer internationalen
Antwort 45

Empfehlung 1799
(2007)

Das Bild der Frau in der Werbung
48

Empfehlung 1800
(2007)

Die Feminisierung der Armut
49

Empfehlung 1801
(2007)

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit
Beteiligung von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht 50

Empfehlung 1802
(2007)

Die Lage von Langzeitflüchtlingen und -vertriebenen in Südosteuropa
51

Empfehlung 1803
(2007)

Die Verfolgung von unter die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichts-
hofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) fallenden Straftaten 56

Empfehlung 1804
(2007)

Staat, Religion, Säkularität und Menschenrechte
57

Empfehlung 1805
(2007)

Gotteslästerung, religiöse Beleidigungen und Hassreden gegen Personen
aufgrund ihrer Religion 61

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/8170

Entschließung 1556 (2007)1

betr. eine euro-mediterrane Politik für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum

1. Die Parlamentarische Versammlung hat seit eh und je ein großes Interesse am
Mittelmeerraum gehabt und aufmerksam die Probleme verfolgt, denen diese Region an der
Peripherie des Europarats sich zu stellen hat. Es finden sich in dieser Region
18 Mitgliedsstaaten, und dieser südlich an Europa angrenzende Raum ist im Zusammenhang
mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik von direkter Relevanz für den Europarat. Wie die
Versammlung bei zahlreichen Gelegenheiten und auch noch jüngst in ihrer Empfehlung 1753
(2006) zur Frage der Außenbeziehungen des Europarats deutlich gemacht hat, braucht Europa
nicht nur innerhalb seiner eigenen Grenzen Stabilität, sondern auch darüber hinaus und
insbesondere im Mittelmeerraum.

2. Obwohl die demokratische Sicherheit, für welche der Europarat eintritt, angesichts
und aufgrund der unterschiedlichen Konflikte und der ebenso vielschichtigen wie
komplizierten politischen Situationen in der Region nur schwierig zu erreichen ist, könnten
sich durch einen sektoriellen Ansatz und eine ebensolche Zusammenarbeit leichter
Fortschritte erreichen lassen, um ein höheres Maß an Verständnis zwischen den zwei
Gestaden des Mittelmeeres herbeizuführen. In diesem Zusammenhang stellt die
Landwirtschaft, ebenso wie die mit ihr verknüpften Politikfelder, im Lichte nicht nur ihrer
anhaltenden Bedeutung in den Ländern am südlichen Gestade des Mittelmeers, sondern auch
angesichts des Bestehens einer gemeinsamen Politik Europas in diesem Bereich, nämlich der
gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), einen der Schlüsselsektoren dar, in denen sich schnelle
und erhebliche Fortschritte in der Region würden erreichen lassen. In diesem Zusammenhang
verweist die Versammlung auf ihre Entschließung 1331 (2003) über die Probleme und
Herausforderungen für die Landwirtschaft im Mittelmeerraum.

3. Ein neuer Prozess der schrittweisen Integration des Mittelmeerraums begann im Jahre
1995 mit der Erklärung von Barcelona, die allerdings die in sie gesetzten Erwartungen bisher
nicht erfüllen konnte. Allerdings war die Landwirtschaft in diesen Prozess nicht einbezogen,
obwohl sie angesichts der Aussichten auf die Schaffung eines großen euro-mediterranen
Freihandelsraums bis zum Jahre 2010 nach wie vor einen Wirtschaftszweig von hohem
strategischem Interesse für die Region darstellt. Stattdessen präsentiert sich der
Mittelmeerraum heute trotz der Begründung einer euro-mediterranen Partnerschaft (EMP)
und hervorragender Beziehungen zu den mediterranen Partnerstaaten (MPS) der Europäischen
Union noch fragmentierter als zuvor.

4. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen wird sich die Bevölkerung des
Mittelmeerraums bis zum Jahre 2020 über einen Zeitraum von 50 Jahren verdoppelt haben
und bei 544 Millionen Bewohnern liegen (wobei am südlich und östlichen Gestade des
Mittelmeers von einer Verdreifachung ausgegangen wird). Auch heute lebt ein Drittel dieser
Bevölkerung nach wie vor im ländlichen Raum. Ist im Norden die Anzahl der in der
Landwirtschaft Beschäftigten auf ein Drittel der früher geltenden Zahlen zurückgegangen, so
erhöht sich dieser Anteil in den Ländern des Südens. Aber abgesehen von diesem
Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd gibt es eine weitere, wesentlich beunruhigendere
Kluft: die Verstädterung und die küstenorientierte Entwicklung der Länder am südlichen
1 Debatte der Versammlung am 25. Juni 2007 (20.Sitzung) (siehe Dok.11301, Bericht des Ausschusses für
Umwelt, Landwirtschaft und kommunale und regionale Angelegenheiten, Berichterstatter: Herr Schmied).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 25. Juni 2007 (20.Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Gestade, die mit einer beschleunigten Landflucht, einer raschen Verarmung der ländlichen
Gebiete und einem erhöhten demographischen Druck einhergeht.

5. In den meisten mediterranen Partnerstaaten bestehen darüber hinaus sich weiter
verschärfende Ungleichgewichte im Agrarhandel, durch welche diese Länder im Hinblick auf
Landwirtschaft und Ernährung strukturell von den Ländern Europas abhängig werden, die
bereits jetzt 50% der Agrarausfuhren aus diesen Staaten aufnehmen und ihrerseits 30% der
Einfuhren dorthin bestreiten. Außerdem macht die Landwirtschaft nach wie vor 10–15% des
Bruttoinlandsprodukts der meisten dieser Staaten aus. Ein weiteres Problem liegt in der
schlechten Nahrungsmittelsicherheit und -qualität in den Ländern südlich des Mittelmeers,
was sowohl quantitativ als auch qualitativ zutrifft.

6. Vor einem solchen Hintergrund ist die Versammlung von der Notwendigkeit
überzeugt, mithilfe einer proaktiven Strategie ein engeres Zusammenwirken von Europa und
Mittelmeerraum herbeizuführen und dabei an Partnerschaft und Solidarität orientierte Ansätze
zu verfolgen. Zu diesem Zwecke gilt es in Bereichen von gemeinsamem Interesse, wie z.B.
der Landwirtschaft, strategische Prioritäten zu definieren. Die Länder Europas haben dort eine
Schlüsselrolle zu spielen, wo es um die Ausarbeitung und Umsetzung einer verstärkten
Zusammenarbeit in diesem Sektor geht. Die Länder südlich des Mittelmeers sollten sich
ihrerseits um konzertierte Aktionen bemühen und jeden Wettbewerb untereinander zur
Wahrung ihrer eigenen Interessen vermeiden.

7. Die Versammlung ist davon überzeugt, dass eine Entwicklung verhindert werden
muss, bei der die Länder südlich und nördlich des Mittelmeers ihren eigenen Weg gehen und
sich auf sich selbst zurückziehen würden, wodurch die bestehenden strukturellen
Unterschiede nur verschärft werden könnten bzw., alternativ zu dieser Entwicklung, bei der es
zu einer exzessiven Entwicklung der Länder im Süden käme, wodurch sich die
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unterschiede verstärken würden. Für sie weist der
einzig mögliche Weg nach vorn, und dieser Weg setzt Engagement, Solidarität und die
Vertretung gemeinsamer, strategischer Interessen in einem globalisierten Kontext voraus.

8. Die Versammlung ist der Auffassung, dass die nationalen Parlamente und die
Parlamentarischen Versammlungen in Europa bei der Förderung der Zusammenarbeit im
Mittelmeerraum eine wesentliche Rolle zu spielen haben. Die Versammlung selbst sowie der
Europarat sollten die Zusammenarbeit und den Dialog mit den Mittelmeerstaaten, die nicht
Mitglieder des Europarats sind, verstärken, um ein höheres Maß an Stabilität und
demokratischer Sicherheit in der Region herbeizuführen. Eine solche Kooperation und ein
solcher Dialog sollten in Konsultation mit allen betroffenen Partnern und insbesondere mit
der Europäischen Union erfolgen.

9. Die Versammlung bezieht sich auf die Durchführung der 2. Euro-Mediterranen
Konferenz über die Landwirtschaft (Straßburg, 28. und 29. September 2006), die sie
gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und in Zusammenarbeit mit dem Internationalen
Zentrum für agrarwissenschaftliche Studien im Mittelmeerraum, CIHEAM, sowie mit dem
Internationalen Verband der landwirtschaftlichen Erzeuger durchgeführt hat. Bei dieser
Konferenz wurde eine Bilanz der euro-mediterranen Zusammenarbeit in der Landwirtschaft
und in der Entwicklung des ländlichen Raums gezogen.

10. Die Versammlung anerkennt den hohen Wert der Arbeit des CIHEAM im Interesse
der Förderung der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum und der Beziehungen zwischen
Europa und dem Mittelmeerraum, insbesondere im Hinblick auf Ausbildung und Schulung in
der Landwirtschaft und in der Nahrungsmittelwirtschaft, um zu einer harmonischeren

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/8170

Entwicklung und erhöhten Stabilität in der Region zu gelangen. Sie ist der Auffassung, dass
dieses Zentrum eine gemeinsame Plattform für Dialog und Kooperation auf gleichberechtigter
Grundlage zwischen sämtlichen Staaten im Mittelmeerraum sein kann und sollte.

11. Demzufolge empfiehlt die Versammlung, die Mittelmeerstaaten und die Europäische
Union sollten

11.1. ein euro-mediterranes Programm für die ländliche Entwicklung auflegen, bei dem es
nicht nur um die Befriedigung von Bedürfnissen in puncto Infrastruktur geht (Zugang zu
Trinkwasser, Gesundheitsdiensten und Bildung und Erziehung), sondern auch um die
Förderung der wirtschaftlichen Diversifizierung und der Entwicklung neuer Aktivitäten;

11.2. eine schrittweise und sorgfältig überwachte Liberalisierung des landwirtschaftlichen
Handels zwischen Europa und dem Mittelmeerraum unter angemessener Berücksichtigung
der sozio-ökonomischen und umweltspezifischen Bedürfnisse dieser Region umsetzen. Ein
System von Handelspräferenzen für mediterrane Erzeugnisse würde auf sinnvolle Weise zur
wirtschaftlichen Integration der Region beitragen;

11.3. die landwirtschaftliche Produktionsleistung der Länder des Südens auf rationale Art
und Weise lenken und steuern und diese dabei an die lokalen Umweltbedingungen anpassen
(unter Vermeidung von Kulturen mit einem zu hohen Wasserbedarf) und sich dabei um den
Ausbau der Einfuhren (insbesondere mit Hilfe eines verbesserten Zugangs zu den Märkten
der Europäischen Gemeinschaft) bemühen, ohne jedoch die Binnenmärkte dieser Länder zu
vergessen, und dabei gleichzeitig den ländlichen Gemeinschaften und den kleinen
Familienunternehmen die erforderliche Unterstützung zukommen lassen;

11.4. die Einführung verbesserter Methoden für den Umgang mit und die optimale Nutzung
von Wasser fördern, nachdem die Länder im Süden des Mittelmeers lediglich über 13% der
gesamten Wasservorkommen im Mittelmeerraum verfügen, und zwar insbesondere im
Zusammenhang mit der Bewässerung, wobei einerseits Verbesserungen an der Infrastruktur
und andererseits ein fairerer Wasserpreis eine Rolle spielen müssen. Es sollten sowohl ein
Know-how-Transfer als auch Kampagnen zur Sensibilisierung durchgeführt werden, um die
Aussichten für die Region in diesem Bereich zu verbessern;

11.5. Unterstützung für zwei verschiedene Ansätze in der Landwirtschaft bieten, nämlich
den Biolandbau sowie eine rationale und nachhaltige Landwirtschaft;

11.6. Kontroll- und Überwachungsmodalitäten im Hinblick auf die wahrscheinliche
Markteinführung von gentechnisch veränderten Organismen einführen und insbesondere die
nationalen Rechte bezüglich der vor Ort bestehenden Schutzrechte an genetischen Produkten
anerkennen;

11.7. die Schaffung von Marken für mediterrane Erzeugnisse auf der Grundlage einer
dreifachen Verpflichtung im Sinne von Identität, Qualität und Sicherung fördern und dazu
Zertifizierungsverfahren in den Ländern im Süden entwickeln und die Einrichtung einer euro-
mediterranen Behörde für Nahrungsmittelsicherheit möglichst im Rahmen oder unter der
Zuständigkeit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) fördern, um die
Rückverfolgbarkeit und das Marketing der Agrarerzeugnisse aus der Region übersehen zu
können;

11.8. mediterrane Ernährungsgewohnheiten fördern und die charakteristischen
Markenerzeugnisse der Region so gut wie möglich nutzen. Wenn die Verbraucher in den

Drucksache 16/8170 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Mittelmeerstaaten besser informiert und in zunehmendem Maße gesundheitsbewusst und an
ihrer eigenen Gesundheit interessiert sind, können sie leichter auf heimische Produkte von
hoher Qualität umsteigen;

11.9. die Verbraucherorganisationen stärken, um den Menschen ein höheres Bewusstsein
um Nahrungsmittelqualität zu vermitteln, was in der Region auch im Hinblick auf die
öffentliche Gesundheit ein Thema von vitaler Bedeutung darstellt. Dabei sollte in höherem
Maße eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Erörterung von
landwirtschaftlichen, ländlichen und ernährungsspezifischen Themen in den Ländern südlich
des Mittelmeeres in den Mittelpunkt rücken;

11.10. die Beziehungen zwischen städtischem und ländlichem Raum auf eine neue Grundlage
stellen und dazu an Solidarität orientierte Partnerschaften zwischen den Touristenregionen an
der Küste und dem jeweiligen Hinterland einrichten, womit sichergestellt werden soll, dass in
den Städten und in den touristischen Einrichtungen und Anlagen mehr vor Ort erzeugte
Nahrungsmittel und weniger Importwaren verwendet werden, und um mehr Touristen zu
veranlassen, auch den ländlichen Raum aufzusuchen (grüner und kulinarischer Tourismus);

11.11. das Angebot und das Marketing von landwirtschaftlichen Erzeugnissen einer
Neubewertung unterziehen und dazu den gesamten Sektor neu organisieren, wozu bessere
Synergien zwischen Kleinerzeugern einerseits und Transport- und Vertriebsunternehmen
andererseits gesichert werden müssen. Auch die Logistik in diesem Bereich (Verarbeitung,
Lagerung) wird verbessert werden müssen;

11.12. schrittweise Maßnahmen einführen, um bestimmte Pflanzenerkrankungen bzw. die
Auswirkungen von Schädlingsbefall zu bekämpfen;

11.13. verstärkte landwirtschaftliche Forschungs- und Schulungsmaßnahmen einführen, um
die landwirtschaftliche Produktionsleistung in der Region durch innovative Maßnahmen zur
Bewältigung der neuen Herausforderungen wie städtischer Bevölkerungsdruck,
Verschlechterung der Umwelt, zurückgehende Wasserressourcen und Klimawandel zu
verbessern, wozu auch ein euro-mediterraner, landwirtschaftlicher Forschungsraum
geschaffen werden sollte.

12. Die Versammlung empfiehlt darüber hinaus, die Europäische Union und die
Mitgliedsstaaten sollten

12.1. die Landwirtschaft zu einem strategischen Pfeiler der euro-mediterranen Partnerschaft
entwickeln und dazu die erforderlichen Ressourcen einsetzen, um sie zu einer treibenden
Kraft für die Entwicklung in den Ländern des Südens und für die Sicherung der Konvergenz
zwischen den zwei Gestaden des Mittelmeeres zu machen. Das euro-mediterrane Projekt kann
ohne die Landwirtschaft in all ihren Teilaspekten unter Einbeziehung von ländlichem Raum,
Handel, Umwelt, sozio-ökonomischem Gleichgewicht, Kultur, Demographie und öffentlicher
Gesundheit schlicht keinen Erfolg haben;

12.2. die Zukunft der GAP in einem Verhältnis der gegenseitigen Abhängigkeit von
gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen im Mittelmeerraum begreifen und sie auf
Erzeugnisse aus dem Mittelmeerraum ausdehnen. Darüber hinaus könnte ein euro-
mediterraner Fonds aufgelegt werden, um damit die Neugestaltung der landwirtschaftlichen
Strukturen im Süden des Mittelmeers zu finanzieren;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/8170

12.3. eine euro-mediterrane Plattform für den Dialog und die interdisziplinäre Kooperation
in Fragen der Landwirtschaft einrichten, wobei drei verschiedene Qualifikationsebenen im
Mittelpunkt stehen könnten: die Ausarbeitung von politischen Maßnahmen
(Entscheidungsträger, Regierungen, Parlamente, Zivilgesellschaft), Forschung und
Sachverstand (Forscher, Analysten, Schulungsexperten) sowie Branchenangehörige und
Erzeuger (Akteure in der landwirtschaftlichen Produktionskette von der Erzeugung bis hin
zum Marketing);

12.4. sich bemühen, im Rahmen von internationalen Organisationen eine Konvergenz der
euro-mediterranen Positionen herbeizuführen. Der erste Schritt wäre hier die Förderung von
engeren Beziehungen sowie eines Austauschs zwischen den Ländern im Süden. Der nächste
Schritt würde darin bestehen, so weit wie möglich auf internationaler Ebene eine einheitliche
euro-mediterrane Front zu präsentieren, was insbesondere im Hinblick auf die
Welthandelsorganisation (WTO) gilt;

12.5. weiterhin euro-mediterrane Konferenzen zum Thema der Landwirtschaft durchführen,
wie die im November 2003 unter der italienischen Präsidentschaft der EU durchgeführte
Konferenz, und bis zum Jahre 2010 ein euro-mediterranes Ministertreffen zum Thema des
ländlichen Raums und der Landwirtschaft veranstalten, bei dem sämtliche Aspekte der
Landwirtschaft zu erörtern wären (Handel, Umwelt, sozialer Zusammenhalt, öffentliche
Gesundheit, Regionalplanung);

12.6. sich mit ihrer Aufmerksamkeit mehr auf die internationale Komplementarität und
weniger auf den internen Wettbewerb im Mittelmeerraum konzentrieren und damit sicher
stellen, dass die landwirtschaftliche Produktion der Wirklichkeit in den einzelnen
Mittelmeerstaaten in puncto Umwelt, Raumstruktur und sozio-ökonomische Verhältnisse
besser entspricht. Eine komplementär angelegte Produktion könnte auch zu einer verstärkten
Solidarität innerhalb der Region führen;

12.7. die Grundsätze der mediterranen Strategie für eine nachhaltige Entwicklung (MSSD)
umsetzen und einhalten und dazu die Instrumente und Mechanismen einrichten, die für eine
nachhaltige Politik zu Gunsten der Landwirtschaft und des ländlichen Raums erforderlich
sind.

13. Die Versammlung empfiehlt, die außerhalb Europas liegenden Mittelmeerstaaten
sowie die Arabische Liga (über die Arabische Organisation für landwirtschaftliche
Entwicklung) sollten die Einrichtung eines regionalen Fonds zur Finanzierung der
Modernisierung der Agrarstrukturen in diesen Staaten und zur Sicherung einer ausgewogenen
und nachhaltigen Entwicklung erwägen und ins Auge fassen.

14. Die Versammlung empfiehlt, die im Mittelmeerraum angesiedelten Mitgliedsstaaten
des Europarats, die noch nicht Mitglieder des CIHEAM-Zentrums sind, sollten diesem
Zentrum beitreten, um die mediterrane Zusammenarbeit in den Bereichen der Landwirtschaft,
der ländlichen Entwicklung und der Nahrungsmittelwirtschaft zu fördern.

15. Die Versammlung empfiehlt darüber hinaus, die nationalen Parlamente der
Mittelmeerstaaten, das Europäische Parlament, die Euro-Mediterrane Parlamentarische
Versammlung und die Parlamentarische Versammlung des Mittelmeers sollten eine
parlamentarische Zusammenarbeit in den Aktionsfeldern des ländlichen Raums und der
Landwirtschaft entwickeln, um die Zusammenfassung und gemeinsame Nutzung von
Informationen und Sachverstand und ein gewisses Maß an Konsultation und Koordinierung in
gesetzgeberischen Fragen auf diesem Gebiet sicherzustellen.

Drucksache 16/8170 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

16. Die Versammlung fordert das Europäische Parlament auf, die Nachbearbeitung und
weitere Entwicklung des Barcelona-Prozesses und der Euro-mediterranen Partnerschaft
fortzuführen und dabei besonders auf den landwirtschaftlichen Sektor und die schrittweise
Liberalisierung des Handels mit Agrarerzeugnissen aus dem Mittelmeerraum zu achten, wozu
sich insbesondere agrarpolitische Verhandlungen und Übereinkommen mit den
Mittelmeerpartnerstaaten anbieten.

17. Die Versammlung fordert die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
(FAO) auf, die Schaffung eines Regionalbüros für den Mittelmeerraum ins Auge zu fassen,
welches ihre Aktivitäten in den Ländern der Region koordinieren und die Zusammenarbeit
zwischen ihnen in den Bereichen ländlicher Raum, Landwirtschaft und
Nahrungsmittelwirtschaft fördern könnte.

18. Die Versammlung hat die Absicht, ihre Zusammenarbeit mit dem CIHEAM-Zentrum
weiterzuführen und dazu regelmäßige euro-mediterrane Parlamentarierkonferenzen unter
Einbeziehung der Parlamente der Mittelmeerstaaten, der Europäischen Union und der
einschlägigen internationalen Organisationen wie FAO und OECD zu veranstalten.

Entschließung 1557 (2007)2

betr. das Bild der Frau in der Werbung

1. Die Parlamentarische Versammlung stellt fest, dass in der heutigen Werbung immer
noch ein Frauenbild weit verbreitet ist, das der gegenwärtigen Rolle der Frau in unseren
heutigen Gesellschaften völlig widerspricht.

2. Nur allzu oft zeigt die Werbung Frauen in erniedrigenden und herabwürdigenden
Situationen, die unter Umständen sogar von Gewalt geprägt sind und die Menschenwürde
verletzen.

3. Die Versammlung ist darüber verärgert, dass es fast immer Frauen sind, die in be-
stimmten Anzeigen als bloße Konsumgüter oder Sexualobjekte dargestellt werden.

4. Die Achtung der Menschenwürde sollte eines der ständigen Ziele der Werbetreibenden
sein.

5. Die Versammlung ist sich bewusst, dass viel Arbeit erforderlich sein wird, um
Einstellungen zu verändern und Klischeevorstellungen auszuräumen, die Frauen bei ihrem
Kampf um Gleichheit einen schlechten Dienst erweisen. Ihr grundlegendes Ziel ist es darum
sicherzustellen, dass Frauen überall auf der Welt, in der sie ihr tägliches Leben führen, eine
getreue Widerspiegelung ihres tatsächlichen Bildes erleben können.
2 Debatte der Versammlung am 26. Juni 2007 (21. Sitzung) (siehe Dok 11286, Bericht des Ausschusses für die
Gleichstellung von Frauen und Männern, Berichterstatterin: Frau Bilgehan).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 26. Juni 2007 (21. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 13 – Drucksache 16/8170

6. Sie begrüßt es, dass bestimmte Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und euro-
päische Regierungsbehörden bei dem Frauenbild in den Medien und der Werbung Fortschritte
erzielt haben. Es sind Studien durchgeführt und sogar Gesetze verschärft worden, um die
Diskriminierung zwischen Frauen und Männern zu bekämpfen.

7. Die Versammlung beklagt jedoch das Fortbestehen negativer Bilder und Darstellungs-
weisen von Frauen in der Werbung, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass es in vielen
europäischen Staaten an angemessenen Gesetzen fehlt und nationale Werbevorschriften ent-
weder ignoriert werden oder gar nicht bestehen.

8. Sie fordert daher die Mitgliedstaaten des Europarates auf, die notwendigen
Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Frauen in jeglicher Darstellung in einer
würdigen und nicht diskriminierenden Art und Weise dargestellt werden, unter gleichzeitiger
Wahrung des Grundprinzipes der Meinungsfreiheit, welches jegliche Form von Zensur
ausschließt.

9. Sie prangert an den Schaden, der der Gesundheit junger Mädchen zugefügt wird, wie
z. B. Magersucht und in späterem Leben die Entwicklung von Krankheiten wie Osteoporose,
die möglicherweise durch bestimmte Werbungen hervorgerufen werden können, die dünne
Frauen als allgemeines Schönheitsideal propagieren.

10. Sie erinnert an die Bedeutung der Erklärung und Aktionsplattform der Vierten
Weltfrauenkonferenz (Beijing, September 1995), die unter anderem empfiehlt, dass die
Medien und Werbegremien „…mit der freien Meinungsäußerung übereinstimmende beruf-
liche Leitlinien und Verhaltenskodizes sowie andere Formen der Selbstregulierung (erarbei-
ten), um die Darstellung klischeefreier Frauenbilder zu fördern.“

11. Gestützt auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 18. Dezember 1979 zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau unterstreicht die Versammlung die
Notwendigkeit von dreierlei Maßnahmen: Regulierung, Selbstregulierung und Aufklärung,
um den Menschen dabei zu helfen, auf Werbung kritisch zu reagieren.

12. Die Versammlung empfiehlt den Mitgliedsstaaten des Europarats dementsprechend

12.1. die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zu dem Übereinkommen von 1979 zur Beseiti-
gung jeder Form von Diskriminierung der Frau, die Abgabe einer Erklärung zur Annahme der
Änderung von Artikel 20 (1) des Übereinkommens, die Angleichung ihrer Gesetze an diesen
Wortlaut und, wenn dies noch nicht geschieht, die regelmäßige Vorlage von Berichten für den
Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in Bezug auf die von ihnen
ergriffenen gesetzgeberischen, gerichtlichen, administrativen und sonstigen Maßnahmen zur
Umsetzung des Übereinkommens sowie die dabei erzielten Fortschritte;

12.2. die Umsetzung des Aktionsprogramms von Beijing über Frauen und Medien und eine
jährliche Bestandsaufnahme der auf diesem Gebiet erreichten Fortschritte;

12.3. die Annahme inländischer Gesetze,

12.3.1. mit denen die Aufforderung zur Diskriminierung in allen Werbemedien straf-
bar gemacht wird;

12.3.2. die Frauenverbänden das Recht geben, zur Vertretung eines kollektiven
Interesses – der Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in der Werbung –
rechtliche Schritte einzuleiten;

Drucksache 16/8170 – 14 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

12.4. die Förderung der Einführung nationaler Selbstregulierungsprogramme und die
Stärkung des von den nationalen Werberäten aufgebauten Selbstregulierungsapparats durch

10.2.1. Änderung nationaler Ethikkodizes, um die Verbreitung von Werbebildern oder
-aussagen zu verhindern, die als Aufforderung zur Diskriminierung von Frauen oder
als Verstoß gegen die Menschenwürde verstanden werden können;

12.4.2. Einbeziehung von Vertretern (Frauen und Männer) in nationale Werberäte;

12.4.3. Stärkung des verpflichtenden Charakters der von nationalen Werberäten
gefassten Beschlüsse;

12.4.4. Eingliederung einer Expertengruppe in die nationalen Werberäte, um eine
eingehende Untersuchung der Werbemechanismen vornehmen zu lassen;

12.5. die Durchführung folgender Aufklärungsmaßnahmen in Bezug auf Werbung:

12.5.1. Ermöglichung von Fortbildungsmaßnahmen für Werbefachleute sowie einer
grundlegenden Schulung an Werbeakademien, was die Achtung der Gleichheit
zwischen Männern und Frauen und generell die Vermeidung jeder Diskriminierung
anbelangt;

12.5.2. Aufbau von Programmen, um Verbrauchern bei der Analyse der Wirkungen
der Werbung zu helfen;

12.5.3. Bereitstellung angemessener Mittel und Durchführung von Programmen an
Schulen, um Kindern die Unterscheidung zwischen Werbung und Wirklichkeit
nahezubringen;

12.5.4. Einleitung von Pressekampagnen, um die Öffentlichkeit auf sexistische oder
von Gewalt geprägte Werbung aufmerksam zu machen und ihr zu erläutern, was sie zu
deren Eindämmung tun kann;

12.5.5. Einrichtung gebührenfreier Telefonnummern und Angabe von E-Mail-
Adressen und Postanschriften, über die die Öffentlichkeit sich beschweren kann, wenn
in Anzeigen gegen die Menschenwürde verstoßende Bilder von Frauen gezeigt
werden;

12.5.6. Einführung eines von Werbefachleuten verliehenen Preises sowie eines
Publikumspreises für Anzeigen, die am wirksamsten mit sexistischen Klischee-
vorstellungen brechen.

Entschließung 1558 (2007)3

betr. die Feminisierung der Armut

1. Der Begriff „Feminisierung der Armut“ besagt, dass mehr Frauen als Männer von
Armut betroffen sind, dass die Armut von Frauen bedrohlicher ist als die von Männern und

3 Versammlungsdebatte am 26. Juni 2007 (21. Sitzung) (siehe Dok. 11276, Bericht des Ausschusses für die
Gleichstellung von Frauen und Männern, Berichterstatterin: Frau Naghdalyan). Von der Versammlung
verabschiedeter Text am 26. Juni 2007 (21. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 15 – Drucksache 16/8170

dass die Armut unter Frauen stetig zunimmt. Die Verhinderung und Bekämpfung - wenn nicht
gar Beseitigung - der Frauenarmut sind ein wichtiger Bestandteil des Grundprinzips der
sozialen Solidarität, zu dem sich die ganze Welt bekennt.

2. Armut kann als Unmöglichkeit der Deckung der biologischen, sozialen, geistigen und
kulturellen Mindestbedürfnisse eines Menschen beschrieben werden. Die Parlamentarische
Versammlung stellt fest, dass Frauen in dieser Hinsicht die anfälligste Bevölkerungsgruppe
darstellen. Frauen können in eine schwierige Lage geraten, in der sie besonders stark von
Armut bedroht sind: zum Beispiel wenn sie im Teenageralter schwanger werden oder wenn
sie keine Berufsausbildung haben, nach einer Scheidung oder bei Renteneintritt, wenn sie
unbezahlte Hausarbeit leisten, die nicht zu einer Zunahme ihrer Qualifikationen, einer
Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage oder ihrer finanziellen Unabhängigkeit führt und bei
der Berechnung ihres Versorgungsanspruchs nicht mitzählt. Im Allgemeinen kann man sagen,
dass der von Frauen geleistete Beitrag zur Entwicklung der Familie, der Gesellschaft und der
Wirtschaft regelmäßig unterschätzt und nicht angemessen vergütet wird. Das Armutsrisiko
der von Frauen geführten Haushalte ist um ein Drittel größer als das anderer Haushalte.
Genau genommen sind alleinstehende Mütter in derselben Lage wie Großfamilien, in vielen
Fällen sogar in einer schlechteren.

3. Dies ist die Ausgangsbasis für das so genannte Phänomen „der Feminisierung der
Armut“, worunter der immer größer werdende Anteil von Frauen und Kindern an der
Gesamtzahl der Armen zu verstehen ist. Diese Einschätzung bezieht sich im Wesentlichen auf
die materielle Armut (Einkommen oder Vermögen). Aus der Sicht der menschlichen Armut,
in diesem Fall der Chancenentwicklung oder der Wahlfreiheit, ist die Ungleichheit der
Geschlechter jedoch viel gravierender.

4. Die Versammlung betrachtet Armut als multidimensionales Phänomen, stellt aber
gleichzeitig fest, dass die Ungleichbehandlung der Geschlechter einer der Faktoren ist, die
ursächlich zu ihrer Entstehung beitragen. Dabei ergeben sich vier Problembereiche:

4.1. die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die dazu führt, dass gut bezahlte
Arbeitsplätze im Allgemeinen den Männern und schlechter bezahlte den Frauen
vorbehalten sind;

4.2. der ungleiche Zugang zu und die ungleiche Kontrolle über Ressourcen;

4.3. die durch wirtschaftliche, rechtliche, soziale, kulturelle und andere Faktoren
bedingte Einschränkung der Handlungskompetenz der Frauen bei der Verteidigung ihrer
Interessen;
4.4. die Tatsache, dass die Armut die Beteiligung der Frauen am demokratischen
Prozess behindert und ihren Zugang zu den bürgerlichen Rechten einschränkt.

5. Die Ungleichheit von Mann und Frau erschwert die Armutsbekämpfung und
gefährdet die Aussichten auf wirtschaftliche und menschliche Entwicklung. Die
Versammlung ersucht die Mitgliedstaaten des Europarats daher, die Gleichstellung der
Geschlechter nicht nur als Bedingung für soziale Gerechtigkeit, sondern auch als
Voraussetzung für die Förderung von Entwicklung zu betrachten.

6. Die Ergebnisse der 2004 in einigen Ländern pilotmäßig durchgeführten
Zeitverwendungsstudie zeigen, dass Frauen in Entwicklungsländern mehr Zeit für die
Hausarbeit aufwenden als Männer. Dementsprechend ergibt sich ein deutlicher
geschlechtsspezifischer Unterschied im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit

Drucksache 16/8170 – 16 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

und Privatleben. Diese Diskrepanz besteht auch in anderen Ländern einschließlich der
Industrieländer, jedoch in viel geringerem Umfang.

7. Ähnliches lässt sich bei der Arbeitslosigkeit feststellen. In den Entwicklungsländern
ist die Arbeitslosenquote unter Frauen erheblich höher als unter Männern. Der
geschlechtsspezifische Charakter des Arbeitslosenproblems hängt mit dem Alter und dem
Familienstand zusammen. Während die Aussichten auf einen Arbeitsplatz bei unverheirateten
jungen Männern und Frauen nahezu gleich sind, ist bei Frauen in der Altersgruppe von 50 bis
54 die Gefahr des Arbeitsloswerdens und somit auch das Armutsrisiko größer.

8. Bei Kindern, die in Armut aufwachsen, besteht auch die Gefahr einer Unterernährung
und daraus folgenden körperlichen Unterentwicklung, wodurch sich ihre Chancen, im
späteren Leben der Armut zu entrinnen, weiter verschlechtern. Armut bedeutet für Kinder
nicht nur materielle Schwierigkeiten, sondern auch vertane Chancen im Hinblick auf die
Entwicklung ihres Humankapitals; das führt nahezu unweigerlich dazu, dass die Armut von
Generation zu Generation weitervererbt wird.

9. Die Versammlung verweist auf die Folgen extremer Armut, die zur Verschärfung von
Gewaltsituationen, Prostitution und Menschenhandel führen können, denen gefährdete Frauen
vermehrt ausgesetzt sind.

10. Große Bedeutung misst die Versammlung daher der Abschaffung der Armut und nicht
nur ihrer Linderung bei, das heißt der Gesamtheit passiver staatlicher Fürsorgemaßnahmen
einschließlich Familienbeihilfen und soziale Absicherung. Sie fordert die Regierungen der
Mitgliedstaaten auf, im Sinne der Ziele menschlicher Entwicklung und der Sicherstellung
sozialer Gerechtigkeit zu handeln und demgemäß die Kernpunkte und Aufgaben von
Politiken zur Abschaffung der Armut zu identifizieren, die sich auf die konzeptuellen Ansätze
der Armutsbeseitigung und die Festlegung von Prioritäten und Leitlinien stützen. In den
konzeptuellen Ansätzen sollte eine prinzipielle Festlegung getroffen werden: Die
Abschaffung von Armut sollte als Beitrag zur Entwicklung und nicht als Überlebensfrage
betrachtet werden. Obwohl der oben erwähnte Ansatz für alle Länder gültig ist, hat er für
Entwicklungs- und Transformationsländer besonders große Bedeutung.

11. Nach Ansicht der Versammlung ist es notwendig, einen geschlechterspezifischen
Ansatz als zentrales Element aller Politiken und nationalen Programme zur Beseitigung der
Armut und zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung zu verfolgen, um das Armutsrisiko
von Frauen zu verringern und ihm vorzubeugen.

12. Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist sicherlich der sozialverträglichere und
wirtschaftlich effizientere Weg, um die Armut zu überwinden. Zu den wichtigsten Problemen,
die in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche Situation von Frauen gefährden können,
gehören die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, der Mangel an
Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen und die unzureichende soziale Absicherung
berufstätiger Frauen.

13. Daher fordert die Versammlung die Mitgliedstaaten des Europarats auf:

13.1. das Ausmaß der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern auf dem
formellen Arbeitsmarkt zu bestimmen und die ihr zugrundeliegenden Ursachen
aufzuzeigen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 17 – Drucksache 16/8170

13.2. die Entwicklung von Methoden für die Beeinflussung des Arbeitsmarktes
(nötigenfalls durch positive Diskriminierung, geschlechterspezifische Quoten oder
andere Methoden) zu erwägen, deren Ziel die praktische Anwendung des Grundsatzes
der Chancengleichheit ist.

13.3. die Parameter des informellen Arbeitsmarkts zu beobachten, unter
Einbeziehung der Geschlechterdimension, deren Unterschätzung den
Substantiierungsgrad wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungsprojekte in Frage stellt.

13.4. die Entwicklung des einheimischen Handwerks, der Heimindustrie und der
Kleinunternehmen durch eine günstige Kredit- und Steuerpolitik insbesondere in
ländlichen Gebieten zu fördern;

13.5. umgehend den Grundsatz „gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit”
anzuwenden;

13.6. die erforderlichen Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und
Privatleben zu ergreifen, um Frauen auf Wunsch die Möglichkeit zu geben, ihrem Beruf
nachzugehen oder ganztags zu arbeiten;

13.7. Arbeitgeber für die Notwendigkeit der Bereitstellung von
Fortbildungsmöglichkeiten für alle Beschäftigten unabhängig von ihrer
Geschlechtszugehörigkeit zu sensibilisieren;

13.8. für alle Berufungen in das Beamtenverhältnis den Grundsatz der
„ausgewogenen Vertretung” beizubehalten, nötigenfalls durch Anwendung positiver
Diskriminierungsmaßnahmen;

13.9. Frauen beim Eintritt oder Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt zu unterstützen;

13.10. in allen Lebensphasen berufliche Fortbildungsmaßnahmen anzubieten, um
auch unzureichend qualifizierten Frauen die Möglichkeit zu geben, einen Arbeitsplatz
zu finden;

13.11. Arbeitgeber und Unternehmen zu unterstützen und zu ermutigen, die die
Beschäftigung von Frauen fördern, flexible Arbeitszeitregelungen anbieten, Zugang zu
Kinderbetreuungseinrichtungen gewähren usw.;

13.12. die Einführung eines Qualifizierungs- und Ausbildungssystems für
Unternehmerinnen zu unterstützen, zur Schaffung eines positiven Bildes des weiblichen
Unternehmertums in der Öffentlichkeit beizutragen, staatliche Mittel für die
Entwicklung des weiblichen Unternehmertums bereitzustellen und Kreditprogramme für
Unternehmerinnen einzuführen und auszubauen;

13.13. nationale Statistiken zu erstellen, die sich schwerpunktmäßig mit der Situation
der Frauen in der Wirtschaft befassen.

14. Mit Blick auf die Verbesserung der sozialen Absicherung empfiehlt die Versammlung
den Mitgliedstaaten des Europarats Folgendes:

Drucksache 16/8170 – 18 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

14.1. die Auswirkungen von Sozialtransfers nach dem Geschlecht der
Leistungsempfänger zu bewerten und nötigenfalls das Gleichgewicht zwischen den
Leistungen wiederherzustellen;

14.2. die Zuwendungen für die Geburt und Betreuung von Kindern und für die Dauer
eines teilweise bezahlten Urlaubs deutlich anzuheben;

14.3. Kinderbetreuungseinrichtungen (beispielsweise Kindergärten mit flexiblen
Öffnungszeiten) und andere soziale Dienste einzurichten;

14.4. bezahlten Urlaub für die Betreuung von kranken Kinder einzuführen;

14.5. pflegende Angehörige in häusliche Sozialdienstprojekte für ältere und
behinderte Menschen einzubeziehen;

14.6. Beihilfen und andere Vergünstigungen (beispielsweise bezahlter Urlaub) für
die Pflege von älteren und anderen körperlich gesunden Familienmitgliedern
einzuführen;

14.7. in nationale Programme zur Abschaffung der Armut eine kinderspezifische
Komponente einzubeziehen, die insbesondere eine beträchtliche Erhöhung des
vorgesehenen Betrags für Minderjährige im Rahmen der Familienförderung vorsieht;

14.8. Bildungsmaßnahmen zur Bewältigung von Stresssituationen durchzuführen
und soziopsychologische Dienste (z. B. telefonische Hotlines) sowohl für Frauen als
auch für Männer einzuführen.

15. Die Versammlung ist der Auffassung, dass die Altersversorgung nicht nur für die
Armutsbekämpfung in den einzelnen Familien, sondern auch auf der Ebene der
Gesamtbevölkerung von grundlegender Bedeutung ist und empfiehlt den Mitgliedstaaten
daher:

15.1. dafür Sorge zu tragen, dass der Anwendungsbereich und die Bedingungen für
einen Altersrentenanspruch den Frauen den Bezug einer ausreichenden Altersrente
ermöglichen, insbesondere durch Anrechnung von Berufspausen und Teilzeitarbeit
wegen der Betreuung von Kindern und älteren oder pflegebedürftigen Personen;

15.2. eine Mindestrente für Personen über 60 einzuführen, die keine Beiträge gezahlt
haben oder die zu wenig eingezahlt haben, um sich einen angemessenen Lebensstandard
zu sichern; zu dieser Mindestrente sollte ein Versorgungszuschlag hinzukommen, der
sich nach der Höhe des Erwerbseinkommens während ihrer Beschäftigungszeit richtet;

15.3. Sozialversicherungsschutz für Frauen anzubieten, die Kinder oder
pflegebedürftige Personen betreuen oder die eine geringe Altersrente haben;

15.4. die Sanktionen und Beschränkungen abzuschaffen, die von vielen
Versorgungsträgern gegenüber Arbeitnehmern in unregelmäßigen
Beschäftigungsverhältnissen (häufiger Arbeitsplatzwechsel, Berufswechsel,
geografische Mobilität) sowie in den so genannten „flexiblen Jobs“
(Teilzeitbeschäftigung oder zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse, Heim- oder
Telearbeit) geltend gemacht werden;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19 – Drucksache 16/8170

15.5. in den Rentensystemen den Anspruch auf eine Rente beim Verlust des
Ernährers, für geschiedene Frauen und ihre Kinder sowie für Frauen, die ihre Ehe nicht
haben eintragen lassen, einführen;

15.6. die Versicherungsberechtigung in der Altersversorgung im Falle einer
Berufspause wegen der Geburt und Erziehung von Kindern nicht auf sechs Jahre zu
beschränken;

15.7. die kumulierte anteilige Versorgungsanwartschaft im Wege der Erbfolge auf
den Ehepartner zu übertragen; die Übertragung dieser Anwartschaft könnte auch durch
Umwandlung der angesammelten Mittel auf den jeweiligen Rentenkonten von
Eheleuten in eine „gemeinsame“ Rente erfolgen.

16. Die Versammlung ist der Ansicht, dass ein schlechter Gesundheitszustand sowohl
Folge als auch Ursache von Armut sein kann. Arme befinden sich in einem Teufelskreis: Weil
sie arm sind, fehlen ihnen die Mittel, um (durch medizinische Leistungen, Nahrungsmittel,
sauberes Wasser, ausreichende Sanitär- und Hygienebedingungen, die eine Voraussetzung für
ein gesundes Leben sind) zur Erhaltung ihrer Gesundheit beizutragen. Die Folge ist eine
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit, die die Betroffenen noch ärmer macht. Daher ist die
Gesunderhaltung der Bevölkerung ein wichtiger Bestandteil der Armutsbekämpfung und der
Erhöhung des Lebensstandards, und in diesem Bereich sollte eine wirksame, entschlossene
Politik betrieben werden.

17. Die Versammlung fordert die Mitgliedstaaten deshalb auf:

17.1. bei der Bestimmung der Gesundheitsziele der Bevölkerung getrennt nach
„Armutsgruppen” und geografischen Gebieten und unter Einbeziehung von
„Armutskarten“ vorzugehen und gezielte Gesundheitsprojekte durchzuführen;

17.2. Vertreter der besonders gefährdeten Gruppen in die Gestaltung des vom Staat
bereitgestellten Katalogs von Basisdiensten einzubeziehen und dabei den Schwerpunkt
auf soziale Krankheiten (Tuberkulose, Infektionskrankheiten und sexuell übertragbare
Krankheiten), die Bereitstellung von ärztlichen Leistungen zum Schutz der Gesundheit
von Mutter und Kind sowie Leistungen von demografischer Bedeutung (reproduktive
Gesundheit) zu legen;

17.3. auf eine rationellere Verteilung von medizinischen Fachkräften hinzuwirken,
um den Zugang zu medizinischer Hilfe zu verbessern; die Mitgliedstaaten sollten
insbesondere:

17.3.1. die Niederlassung von Allgemeinärzten in ländlichen Regionen
vorrangig unterstützen;

17.3.2. für junge Hochschulabsolventen attraktivere Bedingungen für eine
Tätigkeit auf dem Lande schaffen;

17.3.3. energischere Schritte zur Verhütung von sexuell übertragbaren
Krankheiten einschließlich HIV/Aids unternehmen, insbesondere durch
Aufklärungsprogramme für junge Menschen.

18. Eine qualitativ hochstehende Bildung ist einer der wichtigsten Faktoren im Kampf
gegen Armut und Ungleichheit. Durch Bildung können Frauen ihre Chancen und ihren

Drucksache 16/8170 – 20 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Lebensstandard erheblich verbessern. Die Versammlung sieht einen direkten Zusammenhang
zwischen dem Bildungsstand von Frauen und ihren sozioökonomischen Lebensbedingungen,
da ein niedriger Bildungsstand künftiger Generationen vertane Chancen bedeutet. Die
Versammlung fordert die Mitgliedstaaten daher auf, aufgrund des Bumerangeffekts, den
Frauenbildung auf die Gesundheitssituation und die Erziehung künftiger Generationen hat,
die Entwicklung der Chancen von Frauen durch Bildung zu fördern.

Entschließung 1559 (2007)4

betr. die soziale Dimension Europas: vollständige Umsetzung der revidierten
Europäischen Sozialcharta und Evaluierung neuer Arbeitsstandards und

Mindestlöhne

1. 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge stehen wir weiterhin vor der
Aufgabe, den Prozess der sozialen Vereinigung Europas zu gestalten. Viele Heraus-
forderungen, denen sich die europäischen Länder nach dem 2. Weltkrieg gegenübersahen,
sind erfolgreich bewältigt worden, aber auch heute noch haben sich die europäischen Länder
gerade im Bereich der sozialen Sicherheit vielen Herausforderungen zu stellen. Der globale
Wettbewerb, die Auswirkungen neuer Technologien und eine alternde Bevölkerung formen
die politische Agenda. Kernprobleme wie schwaches wirtschaftliches Wachstum, hohe
Arbeitslosigkeit und wachsende Ungleichheiten müssen kurzfristig angegangen werden.

2. In allen Mitgliedstaaten des Europarates sind gegenwärtig Reformprozesse zum Ausbau
und zur Sicherung der Erwerbstätigkeit, dem rechtlichen und sozialen Schutz der Menschen,
der Entwicklung der Bildungs- und Gesundheitssysteme und dem Schutz vor Diskriminierung
zu beobachten. Die Parlamentarische Versammlung ist davon überzeugt, dass nur eine
umfassende soziale Neuorientierung bewirken kann, die zunehmenden Ungleichgewichte im
Bereich der sozialen Sicherheit auf europäischer Ebene zu überwinden. Wirtschafts- und
Arbeitsmarktreformen müssen dazu beitragen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken, und im
Gegenzug dazu muss die Sozialpolitik darauf ausgerichtet sein, Wachstum und
Beschäftigung zu fördern.

3. Reformanstrengungen können demnach nicht nur vor dem Hintergrund wirtschaftlicher
Aspekte angegangen werden, sondern sie müssen auch soziale Belange berücksichtigen. Der
europäische Integrationsprozess und die Globalisierung können nur erfolgreich gestaltet
werden, wenn wirtschaftliche und soziale Aspekte gleichermaßen bedacht werden.

4. Vor diesem Hintergrund unterstreicht die Parlamentarische Versammlung den Bedarf an
Reformanstrengungen, die zu einer Verbesserung des Gleichgewichts zwischen Flexibilität
und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt – dem so genannten Flexicurity-Ansatz – führen. Die
Versammlung begrüßt das Bestreben, einen Konsens zwischen Politikern und Sozialpartnern
zu erzielen, der dem Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des Marktes und dem
sozialen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Rechnung trägt. Wenn Europa
ernsthaft und wirksam auf diese Herausforderungen reagieren will, ist ein übergreifender
Ansatz erforderlich, der eine aktive Arbeitsmarktpolitik, flexible vertragsrechtliche
4 Debatte der Versammlung am 26. Juni 2007 (21. Sitzung) (siehe Dok. 11277, Bericht des Ausschusses für
Sozialordnung, Gesundheit und Familie, Berichterstatter: Herr Riester).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 26. Juni 2007 (21. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 21 – Drucksache 16/8170

Vereinbarungen und soziale Sicherheit verknüpft und die in diesem Zusammenhang
herausragende Bedeutung von Bildung und Qualifizierung in den Vordergrund stellt sowie
einer weiteren Prekarisierung der Beschäftigung entgegen wirkt.

5. Die Versammlung weist darauf hin, dass die revidierte Europäische Sozialcharta in fast
allen Reformbereichen Normen enthält, die von den meisten Mitgliedsländern anerkannt sind.
Jedoch sind die Inhalte der Europäischen Sozialcharta sowohl bei den Bürgerinnen und
Bürgern als auch bei politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern nur
unzureichend bekannt. Diese in der Europäischen Sozialcharta enthaltenen Rechte müssen
einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden und in den Prozess einer sozialen
Gestaltung Europas münden.

6. Die europäischen Staaten haben sehr unterschiedliche Entwicklungen des Sozialstaates
durchlaufen und verfügen demnach auch über sehr unterschiedliche Standards im Bereich der
sozialen Sicherung. Reformen werden zumeist nur vor dem Hintergrund nationalstaatlicher
Überlegungen betrachtet und ohne die europäische Dimension diskutiert. Die revidierte
europäische Sozialcharta hält jedoch für viele dieser Reformprozesse Antworten bereit.
Deshalb fordert die Versammlung die Mitgliedstaaten dazu auf, dass bei zukünftigen
nationalen Reformprozessen, die jeweils passenden Kernelemente der Europäischen
Sozialcharta mit aufgenommen werden mit dem Ziel, eine europäische Gestaltung von
Reformen zu erreichen.

7. Die Versammlung schlägt vor, regelmäßige Debatten über Sozialpolitik zu veranstalten,
die die Anstrengungen der Mitgliedstaaten unterstützen sollen, die Bedeutung der
Europäischen Sozialcharta bei der Gestaltung sozialpolitischer Instrumente in einem
erweiterten Europa verstärkt herauszustellen. Diese Debatten können als Grundlage dienen,
um Defizite zu diskutieren, aber auch Best-Practice-Instrumente aufzuzeigen. Somit werden
einzelstaatliche Reformprozesse koordiniert und kohärent in Richtung einer gemeinsamen
europäischen sozialen Dimension gebündelt.

8. Es gibt jedoch auch einige zentrale Aspekte, für die die Europäische Sozialcharta keine
Antworten bereitstellt. Insbesondere in Bezug auf die zunehmende Freizügigkeit des
Arbeitsmarktes, der Dienstleistungen und der Niederlassung müssen neue Regelungen
gefunden werden. Dieser grundsätzlich gewünschten Liberalisierung stehen Ängste der
Bürgerinnen und Bürger aufgrund der unterschiedlich entwickelten Sozialstandards
gegenüber. Sowohl die Befürchtungen in der Gesellschaft, als auch das bisherige politische
Unvermögen, diesen Ängsten entgegenzuwirken, zeigen, dass die europäischen Staaten auf
diese Fragen noch nicht ausreichend vorbereitet sind. Deshalb ist es von herausragender
Bedeutung, dass die Europäische Sozialcharta um diese wichtigen Aspekte erweitert wird
sowie Ziele und Grenzen festgesetzt werden, die im Hinblick auf die Gestaltung dieser
Prozesse von Bedeutung sind.

9. Die Versammlung schlägt vor, dass für die Weiterentwicklung der Europäischen
Sozialcharta der Unterausschuss ESC in Kooperation mit dem Europäischen Ausschuss für
soziale Rechte ergänzend zur Europäischen Sozialcharta Leitlinien definiert, welche Min-
deststandards bei der Öffnung der Märkte für Arbeit, Dienstleistung und Niederlassung
zu berücksichtigen sind.
10. Die Versammlung ist davon überzeugt, dass die Menschen nur durch eine „soziale
Realität“, die ihre Lebenssituation positiv und nachhaltig verbessert, von der Notwendigkeit
und den Vorteilen des europäischen Einigungsprozesses und der Europäischen Sozialcharta
überzeugt werden können. Es muss den Mitgliedstaaten des Europarates gelingen, soziale
Rechte in politische Prozesse zu transformieren.

Drucksache 16/8170 – 22 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

11. Die Versammlung ist weiterhin der Ansicht, dass Entwicklungen im globalen Raum
verstärkt berücksichtigt werden sollten und die Perspektive über Europa hinaus geöffnet
werden muss. Die Versammlung ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die europäische Debatte
um die globale Ebene zu erweitern und verstärkt nach Möglichkeiten zu suchen, auch in
anderen Ländern soziale Standards zu entwickeln und zu fördern und somit zu einer sozialen
Gestaltung der Globalisierung beizutragen.

12. Vor diesem Hintergrund sieht die Versammlung einen dringenden Handlungsbedarf,
intensiver mit anderen multilateralen Organisationen – über die Grenzen des Europarates und
der EU hinaus – zusammen zu arbeiten, um Lösungen für eine soziale Gestaltung der
Globalisierung zu suchen und dem globalen Trend eines „race to the bottom“ sozialer
Standards ein Europäisches Sozialmodell entgegen zu setzen. Aufgrund ihres Sachverstands
im Bereich der sozialen Sicherheit – und vor allem im Hinblick auf die von ihr 1999
eingeführte Decent Work Agenda – wäre die ILO hierbei ein idealer Partner.

Entschließung 1560 (2007) 5

betr.: das Eintreten der Mitgliedstaaten des Europarates
für ein weltweites Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe

1. Die Parlamentarische Versammlung bekräftigt ihren nachdrücklichen Widerstand gegen
die Todesstrafe unter allen Umständen. Die Todesstrafe ist die allerletzte Form einer
grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafe: Sie verletzt das Recht auf Leben. Die
Versammlung ist auf den entscheidenden Beitrag stolz, den sie dazu leisten konnte, dass die
Mitgliedstaaten des Europarats inzwischen de facto eine todesstrafenfreie Zone bilden, und
sie bedauert nachdrücklich den Umstand, dass in einem europäischen Land, nämlich
Weißrussland, nach wie vor Hinrichtungen vorgenommen werden.

2. Darüber hinaus hat die Versammlung bei verschiedenen Anlässen auf
unmissverständliche Weise gegen Hinrichtungen in anderen Regionen der Welt Stellung
bezogen, insbesondere in Staaten mit Beobachterstatus beim Europarat, welche die
Todesstrafe weiterhin anwenden. Dies betrifft Japan und die Vereinigten Staaten von
Amerika.

3. Die Versammlung vermerkt mit Genugtuung, dass die Todesstrafe weltweit zurück
gegangen ist, was durch eine Verringerung der Anzahl von Hinrichtungen und Todesurteilen
um 25% in den Jahren 2005 und 2006 veranschaulicht wird.

4. Darüber hinaus macht die Versammlung auf die Tatsache aufmerksam, dass mehr als
90% der bekannten Hinrichtungen im Jahre 2006 in lediglich sechs Ländern durchgeführt
wurden, nämlich in China, im Iran, in Pakistan, im Irak und im Sudan sowie in den
Vereinigten Staaten von Amerika, einem Staat mit Beobachterstatus beim Europarat.
Ausgehend von den verfügbaren offiziellen Statistiken, die allerdings in denjenigen Ländern,
in denen es keine Rechenschaft durch die Regierung und keine freien Medien gibt, zu einer
Unterbewertung der Anzahl der tatsächlichen Hinrichtungen Anlass geben könnte, finden
5 Debatte der Versammlung am 26. Juni 2007 (22. Sitzung) (s. Dok. 11303, Bericht des Ausschusses für Recht
und Menschenrechte, Berichterstatter: Herr Marcenaro; und Dok. 11321, Stellungnahme des Politischen
Ausschusses, Berichterstatter: Frau Aburto Baselga). Von der Versammlung am 26. Juni 2007 (22. Sitzung)
verabschiedeter Text.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23 – Drucksache 16/8170

mehr als zwei Drittel sämtlicher, in aller Welt durchgeführter Hinrichtungen allein in China
statt. Die Anzahl von Hinrichtungen im Iran hat sich von 2005 auf 2006 nahezu verdoppelt.
Auch der Irak verzeichnete im Jahre 2006 eine spektakuläre Zunahme der Hinrichtungen, die
dort eine Zahl von 65 erreichten. In Saudi-Arabien dagegen, einem der aggressivsten
Vollstrecker von Todesurteilen im Jahre 2005, sank die Quote im Jahre 2006 auf 39
Vollstreckungen, schnellte jedoch in den ersten Monaten des Jahres 2007 schnell wieder in
die Höhe (48 vollstreckte Todesurteile bis zum April).

5. Die kleine Gruppe von Ländern, in denen nach wie vor noch in signifikantem Maßstab
Todesurteile vollstreckt werden, steht allerdings in der internationalen Gemeinschaft
zunehmend isoliert da. Zwischen 1977 und 2006 erhöhte sich die Anzahl der Staaten, welche
die Todesstrafe bzw. ihre Vollstreckung abgeschafft haben, von 16 auf 89. Diese Zahl liegt
sogar bei 129, wenn diejenigen Staaten berücksichtigt werden, die in den zurückliegenden
zehn Jahren oder darüber hinaus keine Todesurteile mehr vollstreckt haben und die
demzufolge in der Praxis als de facto-Abschaffer eingestuft werden können. Die Zeit ist reif
für einen neuen Anlauf und für weitere Bemühungen, die Welt gänzlich von der Todesstrafe
zu befreien.

6. Die Versammlung begrüßt daher nachdrücklich die Bemühungen Italiens in der
Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) zu Gunsten eines Moratoriums für die
Vollstreckung der Todesstrafe sowie die Unterstützung der Europäischen Union für diese
Initiative und geht davon aus, dass im weiteren Verfahren so vorgegangen wird, dass ein
bestmöglicher Erfolg innerhalb der Vereinten Nationen (VN) garantiert wird.

7. Ein Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe ist allerdings lediglich ein Schritt
in die richtige Richtung, denn das Endziel muss die vollständige Abschaffung der Todesstrafe
unter allen Umständen sein.

8. In der Zwischenzeit ist ein Moratorium ein wichtiger Schritt, da es unverzüglich
Menschenleben retten hilft und da es die Möglichkeit in sich birgt, der Öffentlichkeit in den
Staaten, welche die Todesstrafe beibehalten haben, vor Augen zu führen, dass eine
Beendigung des durch den Staat geförderten Tötens zu keinerlei Zunahme der
Gewaltkriminalität führt. Im Gegenteil ist ein Moratorium für Hinrichtungen in der Lage, die
Atmosphäre innerhalb einer Gesellschaft so zu verändern, dass sie eine höhere Achtung vor
der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens entwickelt und damit dazu beiträgt, den
gegenwärtigen Trend zu immer mehr Hass und Gewalt zur Umkehr zu bringen.

9. Schließlich stellt ein weltweites Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe einen
konkreten und äußerst symbolträchtigen, politischen Akt dar, der zur Veränderung eines
internationalen Klimas beitragen könnte, das nur allzu oft durch Akte der Gewalt geprägt ist,
bei denen die Opfer aus der Zivilbevölkerung stammen - und dies keineswegs ausschließlich
im Zusammenhang mit Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Ein weltweites
Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe würde darüber hinaus einen signifikanten
Beitrag zur Erarbeitung eines gemeinsamen und konkret nutzbaren Grundwerks von
Prinzipien und Bestimmungen leisten können, das letztlich auf internationaler Ebene zu einem
effizienteren Durchsetzen der Rechtsstaatlichkeit führen könnte.

10. Die Versammlung appelliert an alle Mitglied- und Beobachterstaaten des Europarats, die
Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe in der Generalversammlung der Vereinten
Nationen (VN) zu unterstützen und ihren Einfluss bestmöglich geltend zu machen, um
diejenigen Länder, die sich heute noch im Abseits halten, dazu zu bewegen, sich
anzuschließen. In diesem Zusammenhang begrüßt die Versammlung sehr die im selben Geiste

Drucksache 16/8170 – 24 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

durch das Europäische Parlament am 26. April 2007 verabschiedete Resolution zu der
Initiative für ein weltweites Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe.

11. Auf seinem Treffen am 18. Juni 2007 in Luxemburg hat der Ministerrat für Allgemeine
Angelegenheiten und Außenbeziehungen der Europäischen Union (GAERC) sich einstimmig
dafür ausgesprochen, auf der nächsten Sitzung der Generalversammlung der Vereinten
Nationen (VN) eine Resolution einzubringen, in der ein Moratorium für die Vollstreckung der
Todesstrafe weltweit gefordert wird.

12. Die Versammlung ruft in Erinnerung, dass inzwischen zwar 60 Staaten das Zweite
Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte
(ICCPR) ratifiziert haben, welches die Vollversammlung der VN im Jahre 1989 mit dem Ziel
verabschiedet hat, die weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu fördern, dass jedoch zehn
Mitglieds- und Beobachterstaaten des Europarats dies bisher noch nicht getan haben. Es
handelt sich dabei um Albanien, Armenien, Frankreich, Japan (Beobachter), Lettland, Mexiko
(Beobachter), Polen (hat unterzeichnet, jedoch nicht ratifiziert), die Russische Föderation, die
Ukraine und die Vereinigten Staaten von Amerika (Beobachter). Für diejenigen Länder,
welche de facto und de jure die Todesstrafe abgeschafft haben (Albanien, Armenien,
Frankreich, Lettland, Mexiko (Beobachter), Polen und die Ukraine) bzw. in denen ein
Moratorium besteht (Russische Föderation), wäre die Ratifizierung des Zweiten
Fakultativprotokolls zum ICCPR eine wertvolle Geste der politischen Unterstützung zu
Gunsten der Abschaffung der Todesstrafe, und sie würden mit ihrer Ratifizierung zur
weiteren Isolierung der verbleibenden Staaten beitragen, welche die Todesstrafe beibehalten.

13. Auch bei den eigenen Instrumenten des Europarats gegen die Todesstrafe fehlt es noch an
einer Reihe von Ratifizierungen. Insbesondere das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nach wie vor nicht durch die Russische Föderation
ratifiziert, obwohl diese sich dazu im Jahre 1996 mit ihrem Beitritt zum Europarat verpflichtet
hat. Das Protokoll Nr. 13 zur EMRK, das sich mit der Abschaffung der Todesstrafe unter
allen Umständen, und zwar auch in Kriegszeiten bzw. bei unmittelbarer Kriegsgefahr
beschäftigt, ist nach wie vor nicht durch Aserbaidschan und die Russische Föderation
unterzeichnet worden, und Armenien, Frankreich, Italien, Lettland, Polen und Spanien haben
es bisher nicht ratifiziert. Im Interesse eines nachdrücklichen und einheitlichen Signals,
welches der Europarat als Ganzes aussenden sollte, appelliert die Versammlung an die
betroffenen Staaten, diese Instrumente ohne weitere Verzögerungen zu unterzeichnen und zu
ratifizieren.

14. Die Versammlung hält in diesem Zusammenhang fest, dass das italienische
Abgeordnetenhaus am 2. Mai 2007 in zweiter Lesung den Gesetzesentwurf für eine
Verfassungsänderung verabschiedet hat, in dem Änderungen an Artikel 27 der Verfassung
bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe enthalten sind. Dieser Gesetzesentwurf liegt
gegenwärtig dem Senat zu dessen zweiter Lesung und abschließender Verabschiedung im
Rahmen des gegenwärtig laufenden Verfahrens zur Überarbeitung der Verfassung vor. Mit
diesem Gesetzesentwurf wird darauf abgezielt, aus Artikel 27 Paragraph 4 die nachstehende
Formulierung zu streichen: „es sei denn in den Fällen, welche das Militärstrafrecht in
Kriegszeiten vorsieht“. Damit würde jedweder Bezug auf die Todesstrafe aus der italienischen
Verfassung gestrichen, und es würde dem Land möglich, das Protokoll Nr. 13 zur EMRK zu
ratifizieren.

15. Die Versammlung bekräftigt auch ihre Auffassung, wie in der Empfehlung 1760 (2006)
über die Stellungnahme der Parlamentarischen Versammlung hinsichtlich der Mitglied- und
Beobachterstaaten des Europarates, die die Todesstrafe noch nicht abgeschafft haben, dass die

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 25 – Drucksache 16/8170

Todesstrafe in Abchasien, Süd-Ossetien und der transnistrischen Republik Moldau
abgeschafft werden sollte, und dass die Verurteilungen aller Sträflinge, die derzeit in diesen
Gebieten mit einer Vollstreckung der Todesstrafe zu rechnen haben, unverzüglich
umgewandelt werden sollten in Gefängnisstrafen, um der grausamen und unmenschlichen
Behandlung jener seit Jahren in einem Zustand der Ungewissheit hinsichtlich ihres
letztendlichen Schicksals auf die Vollstreckung der Todesstrafe Wartenden ein Ende zu
setzen.

16. Die Versammlung unterstützt nachdrücklich die Konferenz zur Einführung eines
Europäischen Tages gegen die Todesstrafe, die am 9. Oktober 2007 in Lissabon stattfinden
soll, und erwartet auch von allen Mitgliedstaaten des Europarates eine unablässige
Unterstützung. Angesichts ihrer Vorreiterarbeit im Hinblick auf die Abschaffung der
Todesstrafe in Europa und darüber hinaus muss die Versammlung eine zentrale Rolle
übernehmen, auch durch Mitwirkung an der Erarbeitung einer gemeinsamen Erklärung, die
durch ihren Präsidenten bei der Eröffnungskonferenz mit unterzeichnet werden sollte. Die
Versammlung ist bereit, insbesondere durch die Koordinierung unterstützender
Veranstaltungen in den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten, dazu beizutragen, dieses
Anliegen verstärkt in die Öffentlichkeit zu bringen und zu unterstützen.

Entschließung 1561 (2007)6

betr. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung:
Ost- und Südosteuropa im Brennpunkt

1. Die Parlamentarische Versammlung würdigt den gegenwärtigen Dialog mit der
Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) im Rahmen der
Vereinbarung aus dem Jahre 1992 über eine Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und
der EBWE als eine wertvolle Möglichkeit, die wirtschaftlichen, politischen und
gesellschaftlichen Aspekte der Arbeit der Bank in ihre Beratungen einzubeziehen und aus der
Sicht von Parlamentariern zu den Herausforderungen und Problemen Stellung zu nehmen,
denen die Bank sich in ihrer Arbeit in den 29 durch ihre Tätigkeit betroffenen Ländern von
Mitteleuropa bis Zentralasien zu stellen hat. Die Versammlung ruft den Umstand in
Erinnerung, dass die Mitglieds- und Beobachterstaaten des Europarats zu den wichtigsten
Geber- bzw. Empfängerländern gehören, während andererseits fünf Staaten in Zentralasien, in
denen die EBWE sich in zunehmendem Maße engagiert, ebenso wie Weißrussland zur
engeren Nachbarschaft des Europarats zählen.

2. Die Versammlung hat sich mit den Leistungen der EBWE im Laufe der
zurückliegenden Jahre beschäftigt, und sie betrachtet die Bank als eine sehr erfolgreiche
Finanzeinrichtung, die sich an das ihr vorgegebene Mandat als Entwicklungsbank mit
politischer Dimension hält. Dank ihres nachdrücklichen Engagements für die Förderung von
marktorientierten Volkswirtschaften, einer guten Corporate Governance und des
entsprechenden Unternehmertums in Mittel- und Osteuropa hat die Bank sich einen soliden
Ruf als der führende institutionelle Investor mit einem einzigartigen, spezifischen Know-how
und Sachverstand für diese Region erworben. Wenngleich die Bank sich gegenwärtig nach
6 Debatte der Versammlung am 26. Juni 2007 (22. Sitzung) (siehe Dok. 11300, Bericht des Ausschusses für
Wirtschaft und Entwicklung, Berichterstatter: Herr Gasoliba i Böhm).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 26. Juni 2007 (22. Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 26 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

und nach aus Zentraleuropa zurückzieht, wirkt der durch sie verfolgte, anhaltende politische
Dialog mit Partnerregierungen und Marktakteuren weiterhin als Katalysator für die
Fortführung des Reformprozesses in sämtlichen Ländern, in denen die Bank tätig ist.

3. Gemäß der anlässlich ihrer Jahrestagung 2006 gefassten Beschlüsse wird die EBWE
den größten Teil ihrer Aktivitäten schrittweise in den Raum östlich und südöstlich von der
Europäischen Union verlagern und sich damit bis zum Jahre 2010 aus deren neuen
Mitgliedstaaten zurückziehen (mit Ausnahme von Bulgarien und Rumänien), um sich auf
Staaten mit einem vielschichtigeren und komplizierteren politischen Profil, einem stärker
risikogeprägten Wirtschaftsumfeld und rasch expandierenden Volkswirtschaften zu
konzentrieren. Trotz eines beeindruckenden Wachstums in der Region, das im Jahre 2006 im
Mittel bei 6,9% gelegen hat, vertieft sich gegenwärtig die Kluft zwischen den am Anfang des
Übergangsprozesses stehenden, so genannten „early transition countries“ und den reiferen
Volkswirtschaften. Dies ist eine Folge der Verlangsamung des Reformprozesses in den
meisten Staaten der erstgenannten Ländergruppe. Daraus ergeben sich für die Arbeit der Bank
große strukturelle Herausforderungen und Probleme, und so wird sie eine detailliertere
kurzfristige Planung einführen und verstärkt vor Ort präsent und handlungsfähig sein müssen.
Sie wird stärker diversifizierte Finanzierungsangebote anbieten und enger mit anderen
internationalen Finanzeinrichtungen, Projektpartnern und Partnern vor Ort zusammenarbeiten
müssen, und sie wird eine erhöhte Wachsamkeit bezüglich der Integrität ihrer Kunden an den
Tag zu legen haben.

4. Die Russische Föderation ist und bleibt der größte Empfänger von Finanzierungsmitteln
der EBWE. Ihr Anteil am Finanzierungsaufkommen der Bank betrug im Jahre 2006 38% und
dürfte Berechnungen zufolge weiter steigen und im Jahre 2007 fast die Hälfte sämtlicher
neuer, durch die EBWE ausgereichter Kredite ausmachen. Dieser steigende Anteil für
Russland ist ein Hinweis auf das zunehmende Vertrauen der Investoren in die russische
Wirtschaft, und es ist zu hoffen, dass diese Entwicklung einer verstärkten ausländischen
Investitionstätigkeit in sämtlichen Regionen und Wirtschaftszweigen des Landes den Weg
ebnen wird. Die Versammlung ruft ihre Entschließung 1523 (2006) über „das Interesse
Europas an der anhaltenden wirtschaftlichen Entwicklung der Russischen Föderation“ in
Erinnerung und bekräftigt erneut ihre Unterstützung für den in dieser Entschließung
dargelegten Aktionsplan. Sie geht davon aus, dass die EBWE Russland dabei unterstützen
wird, seine übermäßige Abhängigkeit von Rohstoffen und Bodenschätzen zu überwinden, das
Niveau der Corporate Governance zu steigern, seine Infrastruktur zu modernisieren, die
Entwicklung von Finanzvermittlungsdiensten insbesondere zu Gunsten des Mittelstands und
der Regionalentwicklung zu fördern und das wissenschaftliche und technologische Potenzial
im Lande besser zu nutzen.

5. Die Region des südlichen Kaukasus (Armenien, Aserbaidschan und Georgien) hat sich
während der zurückliegenden Jahre eines anhaltenden Wachstums erfreut und trotz des
Fortbestehens politischer Spannungen stetige Fortschritte im Hinblick auf den Abschluss der
ersten Phase der Wirtschaftsreformen erzielt. Allerdings hinkt diese Region gemessen am
allgemeinen Entwicklungsstand weiterhin hinter anderen „Kunden“ der EBWE her. Anlass
zur Sorge geben in der gesamten Region gewisse Schwächen bei den demokratischen
Institutionen und der Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsvorwürfe, Probleme bei der Corporate
Governance sowie Unzulänglichkeiten in den Bereichen Infrastruktur, Wettbewerbspolitik
und Finanzmärkte. Die Versammlung ermutigt die EBWE nachdrücklich, ihre Aktivitäten in
diesen Ländern noch weiter zu intensivieren und insbesondere im Rahmen der „Early
Transition Country“-Initiative die Zusammenarbeit innerhalb der Region zu fördern und
damit zur politischen und gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung der Region beizutragen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 27 – Drucksache 16/8170

6. Die Versammlung begrüßt die Tatsache, dass der Europarat und die EBWE sich
zusammen mit anderen internationalen Organisationen an der Kyiv-Initiative für ein
Regionalprogramm beteiligen werden, mit dem der Aufbau von demokratischen und
partizipativen Gesellschaften gefördert werden soll, indem Beiträge zu einer nachhaltigen
kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in Armenien, Aserbaidschan,
Georgien, Moldau und in der Ukraine geleistet werden. Die Versammlung ist der Auffassung,
dass in der Zukunft eine größere Anzahl an derartigen Kooperationsinitiativen aufgelegt
werden dürfte, wozu nicht zuletzt die soeben erfolgte Unterzeichnung eines „Memorandum of
understanding“ durch die EBWE, die Europäische Investitionsbank (EIB) und die
Europäische Kommission den Anlass geben könnte. Hiermit sollen gemeinsame Projekte in
Osteuropa, in der südlichen Kaukasusregion, in der Russischen Föderation sowie in
Zentralasien im Rahmen der Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union und anderer
bilateraler Partnerschaftsprogramme gefördert werden.

7. Der Stabilitätspakt für Südosteuropa hat den Volkswirtschaften in dieser Region zu
neuer Vitalität und Dynamik verholfen. Er hat die Stabilität, die Zusammenarbeit in der
Region sowie gemeinsame Ansätze zur Bewältigung zahlreicher Herausforderungen und
Probleme wie z.B. des organisierten Verbrechens und der Korruption gefördert und gefestigt.
Auch die Unterstützung bei Aufbau und Konsolidierung eines regionalen Strommarkts und
eines Freihandelsraums sind hier zu erwähnen. In dem Augenblick, da der Stabilitätspakt eine
Weiterentwicklung zu einem regionalen Kooperationsrat erfährt, mit dem die Umsetzung von
regionalen Projekten weiter gefördert werden soll, sollte die EBWE als wichtiger Akteur in
diesem Veränderungsprozess und für die Belebung des privaten Unternehmertums weiter
wirken. Dies sollte nicht zuletzt im Rahmen der im Mai 2006 aufgelegten Initiative für den
westlichen Balkan sowie im Rahmen der Programme TAM und BAS erfolgen (TurnAround
Management und Business Advisory Services).

8. Aus Studien der EBWE sowie aus Schätzungen von Experten geht hervor, dass ein
Drittel des BIP in den meisten im Übergang befindlichen Ländern durch die Parallelwirtschaft
generiert wird. Diese Anomalie ist als Hinweis auf unausgewogene Verhältnisse in den
Steuersystemen und bei der Höhe der Beiträge zur Sozialversicherung zu verstehen und weist
darüber hinaus auf übermäßig komplizierte gesetzliche Vorschriften und ein Fehlen von
Beschäftigungsmöglichkeiten in der „offiziellen“ Wirtschaft und besonders im ländlichen
Raum hin. Die EBWE sollte der systematischen Überprüfung der Integrität ihrer Kunden und
Partner eine besondere Aufmerksamkeit widmen, die Überwachung und Beaufsichtigung von
Projekten enger gestalten und ihre Autorität gegenüber den Politikern dazu nutzen, sich für
ein ausgewogeneres Verhältnis bei dem gesetzlichen Rahmen für wirtschaftliche Tätigkeit
sowie bei Steuern, Mindestlöhnen, Sozialleistungen und Anreizen zur Schaffung von
hochqualifizierten Arbeitsplätzen bemühen, um damit den Umfang der Aktivitäten in der
Parallelwirtschaft zurückzuführen.

9. Eine gesunde Finanzwirtschaft stellt die wesentliche Voraussetzung für Wachstum und
Entwicklung in den Übergangsländern dar. Der ungeheure, durch breit angelegte
institutionelle Verbesserungen, Privatisierungen und die Konkurrenz durch von außen
kommende Wirtschaftsakteure gespeiste Umwandlungsprozess hat zu einer Mobilisierung
von erheblichen heimischen und auswärtigen Ressourcen im Interesse des Aufbaus einer
Unternehmenslandschaft geführt, wodurch Privateigentum und Strukturreformen erheblich
begünstigt wurden. Allerdings haben viele kleinere Firmen insbesondere in den Ländern der
GUS nach wie vor keinen Zugang zu den offiziellen Finanz- und Krediteinrichtungen. Der
Anteil der notleidenden Kredite, der in der GUS seinen Höchststand mit 15% erreicht hat,
muss nach wie vor zunächst auf den durchschnittlichen Wert in reifen Volkswirtschaften
reduziert werden, und es gilt, die Palette von Finanzdienstleistungen und -produkten zu

Drucksache 16/8170 – 28 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

verbreitern. Die EBWE sollte die in diesem Bereich bestehenden, noch nicht genutzten
Chancen und Gelegenheiten für sich nutzen und gleichzeitig zu weiteren Verbesserungen am
Gesetzesrahmen und im Geschäftsumfeld beitragen, das Verantwortungsbewusstsein der
Unternehmen weiterentwickeln und sich dafür einsetzen, dass immer weniger Unternehmer
auf Finanzierungsmöglichkeiten der Parallelwirtschaft zurückgreifen.

10. Eines der relevantesten Entwicklungsprobleme in Mittel- und Osteuropa liegt in der
Notwendigkeit, eine effizientere Nutzung der Energie zu bewerkstelligen, um den
Unternehmen vor Ort eine höhere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, die Emissionen von
Treibhausgasen trotz der laufenden Expansion der Volkswirtschaften zu verringern und die
Energiesicherheit zu erhöhen. Die besondere Rolle und Aufgabe der EBWE bei der
Verbesserung der Energieeffizienz in der Region wurde bereits durch andere internationale
Finanzinstitutionen auf breiter Basis anerkannt. Die Versammlung hebt in diesem
Zusammenhang die große Bedeutung der EBWE-Initiative von 2006 für eine nachhaltige
Energie hervor, mit der die Investitionen der Bank in Projekte der Energieeffizienz und
saubere Technologien während der nächsten drei Jahre mehr als verdoppelt werden sollen.
Demzufolge wird die Bank über den Zeitraum von 2006 bis 2008 ca. 1,5 Mrd. € investieren,
wobei zusätzliche Leistungen durch verschiedene Geber und Sponsoren nochmals ca.
100 Mio. € erreichen könnten. Dies kommt zu den zahlreichen Projekten der Industrie zur
Steigerung der Energieeffizienz noch hinzu, wobei auch höhere Kreditlinien für derartige
Projekte sowie die Unterstützung für Anlagen zur Produktion von Energie aus erneuerbaren
Energieträgern, Fernwärmeprojekte und Programme zur Modernisierung des öffentlichen
Nahverkehrs zu erwähnen sind, welche die Bank seit 2001 finanziert hat. Auch die
Verwaltung der Fonds der Internationalen Gemeinschaft zur Sicherung der nuklearen
Sicherheit in Mittel- und Osteuropa ist hier zu erwähnen.

11. Abschließend und als Folge aus den vorstehenden Erwägungen appelliert die
Versammlung an die EBWE,

11.1. ihre Präsenz vor Ort in den Empfängerländern weiterhin auszubauen und dazu je
nachdem entweder neue Büros einzurichten oder bestehende Büros stärker zu besetzen; dies
gilt insbesondere in den Regionen der Russischen Föderation sowie in anderen GUS-Staaten;

11.2. ihre Finanzierungsangebote so zu diversifizieren und maßzuschneidern, dass sie
einen höheren Anteil an Krediten in der jeweiligen Landeswährung sowie eine höhere Anzahl
an Kleinstkrediten umfassen;

11.3. die Finanzwirtschaft in den Empfängerstaaten weiterhin zu unterstützen, um ein
höheres Maß an Selbstverantwortung der Unternehmen zu fördern und die Verfügbarkeit von
Krediten sowohl für die Wirtschaft als auch für Privathaushalte über offizielle Institutionen
weiter aufzustocken;

11.4. grenzüberschreitende Investitionsprojekte in der Region des südlichen Kaukasus zu
fördern;

11.5. sich bei der gemeinsamen Finanzierung von Projekten um eine engere
Zusammenarbeit mit anderen internationalen Finanzinstitutionen und insbesondere der
Weltbank, der International Finance Corporation, der Europäischen Investitionsbank und der
Entwicklungsbank für Asien zu bemühen und mit Projektpartnern wie dem
Investitionszentrum der FAO und der Initiative für Mitteleuropa zusammenzuarbeiten;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 29 – Drucksache 16/8170

11.6. den Transfer von Know-how für die Länder am Beginn bzw. in der Mitte des
Übergangsprozesses zu fördern, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Bewältigung von
Umweltgefahren, die Energieeffizienz und den Qualitätstourismus, wobei insbesondere die
Programme TAM und BAS genutzt werden sollten;

11.7. die Investitionen in Infrastrukturprojekte aufzustocken und sich dazu verstärkt an
gemischtwirtschaftlichen Partnerschaften zu beteiligen und die Kreditvergabe an
Gebietskörperschaften auszubauen.

Entschließung 1562 (2007)7

betr. geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit
Beteiligung von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre Entschließung 1507 (2006) und ihre
Empfehlung 1754 (2006) betreffend geheime Verhaftungen und die unrechtmäßige
Verbringung von Häftlingen über die Landesgrenzen hinweg mit Beteiligung von
Mitgliedstaaten des Europarates und nimmt Bezug auf den Bericht vom 12. Juni 20068, in
dem das Bestehen eines von der CIA gewobenen “Spinnennetzes” zur unrechtmäßigen
Verbringung von Häftlingen enthüllt wurde, an dem Mitgliedstaaten des Europarates beteiligt
waren, und der Verdacht geäußert wurde, dass es in Polen und Rumänien geheime
Haftanstalten geben könnte.

2. Sie betrachtet es nunmehr als sehr wahrscheinliche Tatsache, dass derartige, von der CIA
betriebene geheime Haftanstalten einige Jahre lang in diesen beiden Ländern bestanden
haben, schließt jedoch die Möglichkeit nicht aus, dass geheime Verhaftungen durch die CIA
auch in anderen Mitgliedstaaten des Europarates stattgefunden haben.

3. Eine Überprüfung der Daten über die Bewegungen bestimmter Flugzeuge, die bei
verschiedenen Quellen, darunter auch bei internationalen Flugsicherheitsbehörden, eingeholt
und durch zahlreiche glaubwürdige und übereinstimmende Zeugenaussagen ergänzt wurden,
ermöglichte die Identifizierung der betreffenden Orte.

4. Diese Geheimgefängnisse waren Teil des vom Präsidenten der Vereinigten Staaten am
6. September 2006 öffentlich erwähnten „HVD“-(High Value Detainees [Gefangene von
hohem Wert]-)Programms.

5. Eine Analyse dieses Programms auf der Grundlage von Informationen, die bei zahlreichen
Quellen auf beiden Seiten des Atlantiks eingeholt wurden, ergibt, dass als besonders
problematisch eingestufte Häftlinge – einige von ihnen wurden vom Präsidenten der
Vereinigten Staaten namentlich genannt – in Polen in Haft gehalten wurden. Aus logistischen
und Sicherheitsgründen wurden als weniger wichtig betrachtete Häftlinge in Rumänien in
Haft gehalten.
7 Aussprache vom 27. Juni 2007 (23. Sitzung) (siehe Dok. 11302 rev. Bericht des Ausschusses für Recht und

Menschenrechte, Berichterstatter: Herr Marty). Der Wortlaut wurde von der Versammlung am 27. Juni 2007
(23. Sitzung) angenommen.

8 Dok. 10957.

Drucksache 16/8170 – 30 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

6. Das „HVD“-Programm wurde von der CIA in Zusammenarbeit mit offiziellen
europäischen Partnern ins Werk gesetzt, die in Regierungsbehörden tätig waren, und dank der
strikten Beachtung der innerhalb der NATO geltenden Geheimhaltungsvorschriften jahrelang
geheim gehalten. Die Durchführung dieses Programms hat wiederholt zu
Menschenrechtsverletzungen Anlass gegeben.

7. Die Häftlinge waren unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt,
gelegentlich über einen längeren Zeitraum. Die Anwendung bestimmter “verstärkter”
Verhörmethoden erfüllt die Definition der Folter und unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und des
Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter. Darüber hinaus steht die geheime
Verhaftung an sich im Widerspruch zu zahlreichen internationalen Verpflichtungen sowohl
der Vereinigten Staaten als auch der betroffenen Mitgliedstaaten des Europarats.

8. Die Versammlung stellt fest, dass sich zahlreiche Regierungen (Deutschland, Italien, “die
Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien”, Polen, Rumänien, die Russische
Föderation im Nordkaukasus, Vereinigte Staaten) auf unterschiedliche Weise und mit
unterschiedlichem Ergebnis auf den Begriff des Staatsgeheimnisses bzw. der nationalen
Sicherheit berufen, um die Anstrengung gerichtlicher und/oder parlamentarischer Verfahren
zu erschweren, deren Ziel die Feststellung der Verantwortung für die Rehabilitierung und
Entschädigung der mutmaßlichen Opfer derartiger Verletzungen ist. In einigen Ländern
(Deutschland, Italien, Vereinigte Staaten) sind Rechtsfragen zu den Grenzen von
Staatsgeheimnissen und den Vorrechten der Regierungen noch vor den höchsten nationalen
Gerichten anhängig.

9. Informationen sowie Beweismittel betreffend die zivil-, strafrechtliche oder politische
Verantwortung der Vertreter des Staates für schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen
dürfen nicht als schutzwürdig im Sinne von Staatsgeheimnissen gelten. Wenn es nicht
möglich ist, zwischen derartigen Fällen und wirklichen, legitimen Staatsgeheimnissen zu
unterscheiden, müssen geeignete Verfahren angewendet werden, um dafür zu sorgen, dass die
Schuldigen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen und zugleich das Staatsgeheimnis
gewahrt werden.

10. Das Ausmaß des Vorbehaltsbereichs der Exekutive, der kraft des Staatsgeheimnisses und
der nationalen Sicherheit gesetzlich oder nach einer aus der schlimmsten Zeit des Kalten
Krieges stammenden Praxis von der parlamentarischen und gerichtlichen Überprüfung
ausgenommen ist, muss neu abgewogen werden, um den Grundsätzen der Demokratie und der
Rechtsstaatlichkeit Rechnung zu tragen.

11. Die Versammlung ist auch über die Bedrohung der Handlungsfreiheit der europäischen
Regierungen durch ihre heimliche Mitwirkung an den ungesetzlichen Aktivitäten der CIA
besorgt. Die aus grundsätzlichen Erwägungen notwendige Enthüllung der Wahrheit ist auch
der beste Weg zur Wiederherstellung der wichtigen Zusammenarbeit zwischen den
Geheimdiensten zur Verhütung und Unterdrückung des Terrorismus auf einer soliden und
dauerhaften Grundlage.

12. Nur Bosnien und Herzegowina und Kanada, Letzteres Beobachterstaat des Europarates,
haben ihre Verantwortung im Zusammenhang mit der unrechtmäßigen Verbringung von
Häftlingen im vollen Umfang eingeräumt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31 – Drucksache 16/8170

13. Die rumänische Parlamentsdelegation hat ihre feste Entschlossenheit gezeigt, mit der
Versammlung zusammenzuarbeiten, ist aber selbst auf die zögerliche Haltung der
Regierungsbehörden gestoßen, die fragwürdigen Aktivitäten der CIA auf rumänischem
Staatsgebiet vollständig zu erhellen.

14. In Italien trifft die Verhandlung gegen die Entführer von Abu Omar aus Gründen der
Staatssicherheit auf Hindernisse. Die Versammlung ist über die kürzlich eingeleiteten
Verfahren gegen die Mailänder Staatsanwälte selbst wegen Verletzung von
Staatsgeheimnissen zutiefst beunruhigt. Sie betrachtet derartige Verfahren als unerträgliche
Behinderung der Unabhängigkeit der Justiz.

15. In Deutschland geht die Arbeit des Bundestagsuntersuchungsausschusses energisch voran.
Aber die Strafermittlungsbehörden, die auf der Jagd nach den Entführern von Khaled El-
Masri sind, sehen sich immer noch der mangelnden Zusammenarbeit seitens der
amerikanischen und mazedonischen Behörden gegenüber. Khaled El-Masri wartet immer
noch auf seine Rehabilitierung und die ihm zustehende Entschädigung, wie sie Maher Arar,
dem Opfer in einem vergleichbaren Fall in Kanada, gewährt wurde.

16. Die Versammlung bekräftigt feierlich ihre Auffassung, dass der Terrorismus mit
Methoden bekämpft werden muss, die mit den Menschenrechten und dem Rechtsstaat
vereinbar sind. Diese Grundsatzhaltung, die sich auf die vom Europarat getragenen Werte
gründet, gewährleistet auch am besten die Wirksamkeit des Kampfes gegen den Terrorismus
auf lange Sicht.

17. Die Versammlung bedauert die mangelnde Bereitschaft aufseiten der NATO, mit dem
Berichterstatter zusammenzuarbeiten, und fordert die Parlamente und Regierungen jener
Mitgliedstaaten des Europarates, die zugleich Mitglieder der NATO sind, auf, das Ausmaß
der geheimen CIA-Flüge und die Nutzung von Geheimgefängnissen in Europa vollständig
aufzuklären.

18. Die Versammlung ruft daher:

18.1. die Regierungen aller Mitgliedstaaten des Europarates auf,
18.1.1. die uneingeschränkte Verpflichtung einzugehen, sich künftig nicht an einer
Erlaubnis für Transporte durch ihre Staaten oder einer Inhaftierung, ungeachtet deren
Dauer, von den derzeit noch in Guantánamo Bay befindlichen Häftlingen zu
beteiligen;

18.1.2. ihren nationalen Parlamenten, sollten diese eine Untersuchung durchführen
wollen, alle relevanten Informationen, über die sie verfügen, einschließlich
Zeugenaussagen betreffend die Rolle ihres Staates bei der Praxis der
Sonderüberstellungen und der Inhaftierung von Häftlingen in Geheimgefängnissen in
ihrem Staat zur Verfügung zu stellen;

18.2. die Regierungen aller Mitgliedstaaten des Europarates, die der Forderung des
Berichterstatters und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates nicht
nachgekommen sind, auf, ihre Gründe für die nicht erfolgende Zusammenarbeit ausführlich
darzulegen;

18.3. die Parlamente und Justizbehörden aller Mitgliedstaaten des Europarates auf,

Drucksache 16/8170 – 32 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

18.3.1. die ungesetzlichen Handlungen der Geheimdienste, die auf ihrem
Hoheitsgebiet hinsichtlich geheimer Verhaftungen und unrechtmäßiger Verbringung
von Häftlingen begangen wurden, durch eine Reduzierung der Bestimmungen, die die
Transparenz unter Berufung auf den Begriff des Staatsgeheimnisses und der
nationalen Sicherheit einschränken, auf ein Minimum vollständig aufzuklären und

18.3.2. sicherzustellen, dass die Opfer derartiger ungesetzlicher Handlungen
angemessen rehabilitiert und entschädigt werden;

18.4. die NATO auf, die übrigen Teile der NATO-Genehmigung vom 4. Oktober 2001, die
bisher geheimgehalten wurden, zu veröffentlichen;

18.5. sie ruft die Medien auf, ihrer Rolle als Vorkämpfer für Transparenz, Wahrheit, Toleranz
und die Menschenrechte und die Würde voll gerecht zu werden; und

18.6. sie ruft die zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten auf, die weiteren Vorschläge in
ihrer Entschließung 1507 (2006) umzusetzen.

19. Schließlich bekräftigt die Versammlung die Bedeutung, die sie der Einrichtung eines
eigenständigen europäischen parlamentarischen Untersuchungsmechanismus beimisst.

Entschließung 1563 (2007) 9

betr. die Bekämpfung des Antisemitismus in Europa

1. Die Parlamentarische Versammlung ist weiterhin tief besorgt über das anhaltende und
zunehmende Auftreten antisemitischer Vorfälle und stellt fest, dass kein Mitgliedstaat vor
dieser grundlegenden Verletzung der Menschenrechte geschützt oder dagegen immun ist.

2. Derartige Phänomene, die Anlasszu Angst um persönliche Sicherheit und ein Zeichen
fehlenden Respekt für den Glauben der jüdischen Bürger sind, sind in Mitgliedstaaten des
Europarates inakzeptabel.

3. Der Antisemitismus ist keineswegs verschwunden, sondern befindet sich heute in
Europa im Anstieg. Er tritt in einer Vielzahl von Formen auf und ist mittlerweile in allen
Mitgliedstaaten des Europarats in unterschiedlichem Maße relativ verbreitet. Diese Zunahme
sollte die Mitgliedstaaten des Europarats dazu veranlassen, wachsamer zu sein und gegen die
Bedrohung vorzugehen, die der Antisemitismus für die Grundwerte bedeutet, deren Verteidi-
gung die Aufgabe des Europarats ist.

4. Der Antisemitismus, der häufig, aber nicht ausschließlich durch rechtsextreme Bewe-
gungen islamistische Ideologen und linksextreme politische Gruppierungen verbreitet wird,
spiegelt sich in Feindseligkeit gegenüber Juden, ihrer Religion, ihrer Kultur und ihrer
kollektiven Identität wider. Diese Feindseligkeit, die in schieren Hass ausarten kann, kommt
in verschiedenen Verhaltens- und Handlungsweisen zum Ausdruck: Schändung religiöser
9 Debatte der Versammlung am 27. Juni 2007 (24. Sitzung) (s. Dok. 11292, Bericht des Politischen
Ausschusses, Berichterstatter: Herr Margelov; und Dok. 11320, Stellungnahme des Ausschusses für Recht und
Menschenrechte, Berichterstatterin: Frau Wohlwend). Von der Versammlung am 27. Juni 2007 (24. Sitzung)
verabschiedeter Text.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33 – Drucksache 16/8170

Stätten, Vandalismus, Veröffentlichungen, Beleidigungen, Drohungen, Angriffe oder gar
Mord.

5. Die Versammlung bedauert, dass der Nahostkonflikt sich auf die Zunahme des
Antisemitismus in Europa auswirkt. Obwohl der israelisch-palästinensische Konflikt in
Europa nicht die einzige Ursache ist, speist er doch weiterhin antisemitische Gewalt. Das gilt
insbesondere unter Einwanderern in europäischen Städten. Diese neue Form des Anti-
semitismus stellt für die Mehrheit der Bevölkerung einen Grund für zornige Reaktionen dar,
wird den Hass gegen Einwanderer im Allgemeinen schüren und so zu Fremdenfeindlichkeit
führen.

6. Der Antisemitismus bedeutet für alle demokratischen Staaten eine Gefahr, da er als
Vorwand und Rechtfertigung für Gewalttätigkeiten dient. Er spaltet die nationale Gemein-
schaft, indem ein Teil der Bevölkerung und eine Religion gegen andere gestellt werden. Er
bedeutet eine schwer wiegende Verletzung der Grundrechte und Grundfreiheiten wie auch der
Grundsätze der Demokratie. Die politischen und zivilen Behörden sind darum verpflichtet,
mit allen Mitteln darauf hinzuarbeiten, diese zunehmende Bedrohung aufzuhalten.

7. Die Versammlung ist sich bewusst, dass der Kampf gegen den Antisemitismus
Demokratien in eine Zwickmühle bringt, da sie zum einen die Meinungs-, Versammlungs-
und Vereinigungsfreiheit gewährleisten und das Bestehen und die politische Vertretung des
ganzen politischen Meinungsspektrums zulassen müssen, andererseits aber sich vor einer
Erscheinung bewahren und schützen müssen, die ihre Grundwerte untergräbt.

8. Die Versammlung verweist auf ihre Empfehlung 1222 (1993) über die Bekämpfung
von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz und ihre Ent-
schließung 1345 (2003) über rassistische, fremdenfeindliche und intolerante Äußerungen in
der Politik, ist überzeugt, dass die Staaten jede Trivialisierung des Antisemitismus bekämpfen
müssen und gegen seine Erscheinungsformen vorgehen müssen, indem sie alle erforderlichen
politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen oder, wenn diese nicht vorgesehen sind,
solche Maßnahmen verabschieden, die die Rechtsstaatlichkeit auf der Grundlage der Achtung
demokratischer Prinzipien und der Menschenrechte wahren.

9. Die Versammlung stellt außerdem fest, dass die Zivilgesellschaft mit ihren
Basiserfahrungen oft als erste das Aufkommen von Erscheinungen wie dem Antisemitismus
bemerkt und deshalb bei der Mobilisierung der Reaktion der Öffentlichkeit darauf eine
wichtige Rolle zu spielen hat.

10. Die Versammlung ist der Auffassung, dass die Grundsätze, wie sie in der Euro-
päischen Menschenrechtskonvention (ETS Nr. 5), dem Internationalen Übereinkommen der
Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung in Artikel 4, dem
Internationalen Pakt über Zivil und politische Rechte in Artikel 20 und in den allgemeinen
politischen Empfehlungen der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz
(ECRI), insbesondere der im Juni 2004 angenommenen Empfehlung Nr. 9 über die Be-
kämpfung des Antisemitismus, verankert sind, grundlegende Bestandteile darstellen, von
denen die Mitgliedstaaten sich bei ihrem Kampf gegen den Antisemitismus leiten lassen
sollten.

11. Die Versammlung unterstützt nachdrücklich die von ECRI unternommene Arbeit zur
Ermutigung aller diesbezüglicher Akteure in Europa, ihre Anstrengungen zu bündeln, um eine
effiziente und dauerhafte Antwort auf Antisemitismus zu finden, und zwar auf allen
behördlichen Ebenen (national, regional, kommunal) und durch Miteinbeziehung von

Drucksache 16/8170 – 34 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Vertretern unterschiedlicher Gemeinschaften, religiösen Führern, die organisierte
Bürgergesellschaft und anderen Schlüsselinstitutionen.

12. Dementsprechend fordert die Versammlung die Regierungen der Mitgliedstaaten des
Europarats auf:

12.1. nachdrücklich und systematisch Gesetze durchzusetzen, die antisemitische und andere
Hassreden, insbesondere jegliche Aufstachelung zur Gewalt, als Straftatbestand festlegen;

12.2. gegen jede Partei vorzugehen, die bei ihren Aktivitäten, in ihren Programmen oder in
ihren Veröffentlichungen antisemitische Aussagen vorbringt;

12.3. die mit rassistischen Zielen verbundene öffentliche Leugnung, Trivialisierung,
Rechtfertigung oder Verherrlichung von Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die
Menschheit oder Kriegsverbrechen gemäß der allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 7 von
ECRI in Bezug auf nationale Gesetze zur Bekämpfung von Rassismus und
Rassendiskriminierung, die im Dezember 2002 verabschiedet wurde, zu einem Straftatbestand
zu machen;

12.4. die staatliche Finanzierung für Organisationen und Vereinigungen, die den
Antisemitismus fördern sowohl international als auch national auszusetzen oder zu beenden;

12.5. ihre Gesetzgebung zu verschärfen, um antisemitische Handlungen zu bestrafen und
dafür zu sorgen, dass jegliche antisemitischer Beweggrund in Strafsachen als erschwerend be-
trachtet wird;

12.6. das Protokoll Nr. 12 zu der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (ETS Nr. 177) zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

12.7. in den Schulen den Unterricht über die Geschichte und die Kultur der Hauptreligionen
auszuweiten, gemäß der Empfehlung 1720 (2005) über Bildung und Religion, um Toleranz zu
fördern und gegen Unwissenheit vorzugehen, die so oft eine Quelle der Intoleranz ist;
Aufklärung und Schulung gehören zu den grundlegendsten und dauerhaftesten Möglichkeiten,
vor Antisemitismus zu schützen;

12.8 sicherzustellen, dass Antisemitismus und Angriffe auf Juden in
Bildungseinrichtungen, insbesondere Universitäten, nicht vorkommen;

12.9. den interkulturellen Dialog und das Gespräch zwischen den verschiedenen Glaubens-
gemeinschaften zu fördern;

12.10. sich die Mittel anzueignen, um gegen antisemitische Erklärungen im Internet
vorzugehen und deshalb das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über
Datennetzkriminalität in Bezug auf die strafrechtliche Verfolgung von Akten rassistischer
oder fremdenfeindlicher Art, die mit Hilfe von Computersystemen begangen werden (ETS
Nr. 189), zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

12.11. nicht die Errichtung von Denkmälern oder die Abhaltung von Gedenkfeiern zu
unterstützen, durch die des Völkermords oder von Verbrechen gegen die Menschlichkeit
während des Zweiten Weltkriegs schuldige Personen geehrt werden;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35 – Drucksache 16/8170

12.12. entschieden gegen jede antisemitische Handlung im Sport vorzugehen gemäß der
Empfehlung Rec (2001)6 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten bezüglich der
Verhinderung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rassistischer Intoleranz im Sport;

12.13. die Medien zu ermutigen, Selbstdisziplin zu praktizieren, Toleranz und gegenseitigem
Respekt zu fördern und antisemitische Klischees und Vorurteile, die sich in die
Alltagssprache eingeschlichen haben, zu bekämpfen;

12.14. die Selbstkontrollmechanismen der Medien, deren Ziel die Verhinderung von
Antisemitismus und andere Formen von Hassreden ist, zu stärken;

12.15. die Umsetzung der Empfehlung Rec(2001)15 des Ministerkomitees zur Vorbereitung
und Abhaltung eines „Gedenktags für den Holocaust und die Verhinderung von Verbrechen
gegen die Menschlichkeit“ in ihren Schulen fortzusetzen, um auf diese Weise zu weltweiten
Maßnahmen zur Förderung der Toleranz, der Menschenrechte und der Bekämpfung aller
Formen des Rassismus beizutragen;

12.16. die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) zu nutzen, um
öffentliche Stellen auf antisemitische Aktivitäten aufmerksam zu machen;

12.17. aktiver mit der Zivilgesellschaft und den NROs zusammenzuarbeiten und sie bei der
Bekämpfung des Antisemitismus zu unterstützen;

12.18. die Aktivitäten der ECRI zu unterstützen, deren Aufgabe in der Bekämpfung des
Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit, des Antisemitismus und der Intoleranz in ganz Europa
besteht, und sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihren Empfehlungen in der Praxis Folge
leisten;

12.19. aktiv und energisch alle Staaten zu verurteilen, die den Antisemitismus und die Leug-
nung des Holocausts fördern und zum Völkermord aufrufen.

Entschließung 1564 (2007)10

betr. die Verfolgung von unter die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs
für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) fallenden Straftaten

1. Seit dem Ende der Konflikte auf dem Staatsgebiet des ehemaligen Jugoslawiens sind
mehr als 10 Jahre vergangen, doch bisher sind nicht alle für Kriegsverbrechen
Verantwortliche vor Gericht gestellt worden. Wie lang und schmerzlich der
Versöhnungsprozess auch sein mag, bedarf es doch weiterhin großer Anstrengungen.

2. Die Parlamentarische Versammlung möchte von vornherein darauf hinweisen, dass
Gerechtigkeit einen unverzichtbaren Bestandteil des Versöhnungsprozesses zugunsten der
Opfer, Volksgruppen und Länder darstellt und es entscheidend darauf ankommt, nicht hin-
nehmbare Straflosigkeit entschieden zu bekämpfen.

10 Debatte der Versammlung am 28. Juni 2007 (25. Sitzung) (siehe Dok. 11281, Bericht des Ausschusses für
Recht und Menschenrechte, Berichterstatter Herr Lloyd).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 28. Juni 2007 (25. Sitzung)

Drucksache 16/8170 – 36 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Die Verantwortung ist nicht von ganzen Völkern oder Volksgruppen, sondern von
Einzelpersonen zu tragen, die nach einem fairen Prozess für schuldig befunden wurden.
4. Die Versammlung unterstreicht die Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofs
für das ehemalige Jugoslawien („Gerichtshof“ oder „ICTY“), der bei dem Bemühen um
Gerechtigkeit im Rahmen der Weiterentwicklung des internationalen Strafrechts eine grund-
legende und bahnbrechende Rolle gespielt hat und immer noch erfüllt.

5. Die Versammlung bedauert die Folgen des Todes von Slobodan Miloševiü vor dem
Ende seines Prozesses. Obwohl die Anklageerhebung gegen ihn ein historisches Ereignis war,
da er als erster amtierender Staatschef vor einen internationalen Gerichtshof gestellt wurde,
konnte seine ebenso historische wie symbolkräftige mögliche Verurteilung nicht stattfinden,
womit tausenden von Opfern die gebotene Gerechtigkeit verwehrt wurde.

6. Die Versammlung erinnert die nationalen Behörden der betroffenen Staaten daran,
dass sie völkerrechtlich zu einer vollen und effektiven Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof
verpflichtet sind.

7. Die Versammlung begrüßt die deutliche Verbesserung dieser Zusammenarbeit in
einigen Fällen, insbesondere bei technischen Aspekten. Dennoch bedauert sie, dass die
Behörden einiger betroffener Staaten oder Entitäten es in eklatanter Form an dem politischen
Willen mangeln lassen, sodass sie sogar die konkreten Bemühungen des Gerichtswesens in
diesen Ländern untergraben.

8. Besonders deutlich tritt dies bei der Strafverfolgung und Festnahme der auf der Flucht
befindlichen Personen zu Tage, gegen die der Gerichtshof Anklage erhoben hat: 11 Jahre
nach ihrer Anklage wegen Völkermords sind Radovan Karadžiü und Ratko Mladiü, um nur
die bekanntesten Beispiele zu nennen, immer noch auf freiem Fuß. Dass sie nicht vor Gericht
gestellt wurden, ist eine Beleidigung des Gedenkens an die Opfer und der Erwartungen der
Überlebenden des Konflikts.

9. Die Versammlung ruft die zuständigen Behörden dazu auf, sich nach besten Kräften
dafür einzusetzen, für eine uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof zu sorgen
und dringt insbesondere gegenüber den serbischen Behörden und denen der Republika Srpska
darauf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die flüchtigen Personen aufzuspüren und
festzunehmen und dadurch deutlich zu machen, dass niemand über dem Recht steht.

10. Die Versammlung begrüßt die Festnahme und Überstellung von Zdravko Tolimir und
Vlastimir Djordjevic an das Haager Tribunal und stellt fest, dass dieser positive Schritt es der
Europäischen Union ermöglicht hat, Verhandlungen wieder aufzunehmen. In diesem
Zusammenhang fordert die Versammlung die Europäische Union jedoch weiterhin auf, ihre
Forderungen hinsichtlich einer serbischen Kooperation mit dem ICTY als eine Voraussetzung
für die Unterzeichnung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens aufrecht zu
erhalten.

11. Die Versammlung ist sich bewusst, dass das Mandat des Gerichtshofs bald ausläuft
und dieser deshalb eine Strategie zum Abschluss seiner Tätigkeit erarbeitet hat, deren Erfolg
von der Unterstützung und dem Engagement der Staaten bei der Beendigung der Straflosig-
keit abhängt. Die Versammlung ist besorgt, dass einige flüchtige Personen immer noch auf
freiem Fuß sein könnten, wenn der Gerichtshof seine Arbeit endgültig beendet.

12. Die Versammlung bestärkt die Vereinten Nationen in ihren weiteren Bemühungen, im
Rahmen ihrer Möglichkeiten alles Erdenkliche zu tun, um gegen die Straflosigkeit von

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37 – Drucksache 16/8170

Kriegsverbrechen zu kämpfen und eine Lösung zu finden, die sicherstellt, dass immer noch
auf freiem Fuß befindliche Kriegsverbrecher der internationalen Gerichtsbarkeit nicht
entkommen, unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem sie verhaftet wurden. Angesichts der
langfristigen (und ethischen) Verpflichtungen des ICTY gegenüber seinen Zeugen sollte
außerdem ein Auslaufmechanismus zur Aufrechterhaltung des Zeugenschutzes nach
Mandatsende eingeführt werden.

13. Die Versammlung nimmt die Dauer und die Komplexität der Verfahren vor dem
Gerichtshof zur Kenntnis und fordert den ICTY daher nachdrücklich auf, zusätzliche
Anstrengungen zur Maximierung der Effektivität der Verfahren zu unternehmen.

14. Die Versammlung ist sich dessen bewusst, dass mehr als vier Jahre vergangen sind,
seit Vojidžlav Sedželj sich freiwillig dem Gerichtshof gestellt hat; seit dieser Zeit sitzt er in Haft,
und sein Verfahren hat noch nicht einmal begonnen. Daher fordert die Versammlung den
Gerichtshof auf, einen festen Termin für den Beginn seines Verfahrens festzulegen.

15. Die Versammlung glaubt, dass es für die nationalen Gerichte der betroffenen Staaten
an der Zeit ist, die Arbeiten des Gerichtshofs zu übernehmen und für Kriegsverbrechen
verantwortliche Personen, die noch nicht vor Gericht gestellt worden sind (mit Ausnahme der
sechs von dem Gerichtshof bereits angeklagten flüchtigen Personen, die vor internationalen
Gerichten erscheinen müssen), zu verfolgen.

16. Die Versammlung stellt erfreut fest, dass bei der Stärkung des Gerichtswesens dieser
Staaten Fortschritte erzielt worden sind. Gleichzeitig fordert sie die politischen Stellen der
betroffenen Staaten dazu auf, sich nach Kräften für die Gewährleistung der Unparteilichkeit
und der fairen Durchführung gegenwärtiger und künftiger Prozesse wegen Kriegsverbrechen
einzusetzen und sicherzustellen, dass die Gerichte ihre Entscheidungen nie auf ethnische
Erwägungen gründen.

17. Die Versammlung begrüßt die bedeutsamen Überwachungsaktivitäten, die von der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Bezug auf Kriegs-
verbrecherprozesse innerhalb des nationalen Gerichtswesens durchgeführt werden und
ermutigt die OSZE mit allem Nachdruck, diese wichtige Aufgabe fortzuführen.

18. Die Versammlung stellt mit besonderer Besorgnis fest, dass die nationale Gesetz-
gebung der betreffenden Staaten ein wirkliches Hindernis für die effektive Verfolgung von
Kriegsverbrechen verdächtigten Personen vor ihren eigenen Gerichten darstellen, womit eine
nicht länger zu duldende Grundlage für Straffreiheit geschaffen wird.

19. Es liegt auf der Hand, dass das Verbot der Auslieferung der eigenen Staatsbürger in
allen betroffenen Ländern ein schwer wiegendes Hindernis für die Wahrung des Rechts
bedeutet. Die Versammlung ist der Auffassung, dass

19.1. die Nichtauslieferung der eigenen Staatsbürger sich auf der Begehung von Kriegs-
verbrechen bezichtigte Personen erstrecken sollte, sobald Garantien dafür vorliegen, dass die
Angeklagten ein faires Verfahren erhalten werden. Die Versammlung ist der festen
Überzeugung, dass die betreffenden Staaten diese Situation im Interesse der Gerechtigkeit
abstellen müssen;

19.2. in diesen Zusammenhang gibt der Missbrauch des Erwerbs der doppelten Staats-
angehörigkeit11 Anlass zu Besorgnis, da dieser es einigen Kriegsverbrechen beschuldigten

11 Der Begriff „Nationalität“ bezieht sich nicht auf eine ethnische Zugehörigkeit, sondern auf Staatsbürger eines Staates.

Drucksache 16/8170 – 38 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Personen erlaubt, sich der Justiz in einem bestimmten Land durch Erwerb der Staats-
angehörigkeit eines Nachbarlandes zu entziehen, wobei sie aus dem Verbot der Auslieferung
der eigenen Staatsbürger Nutzen ziehen.

20. Ungeachtet der tatsächlichen technischen Fortschritte, die im Rahmen des „Paliü
Prozesses“ erreicht worden sind, bei dem es um die zwischenstaatliche justizielle Zusammen-
arbeit auf regionaler Ebene geht und trotz der Unterzeichnung von Abkommen zwischen der
kroatischen Staatsanwaltschaft und ihren Pendants in Serbien und Montenegro, bedauert es
die Versammlung, dass aufgrund des Verbots der Auslieferung eigener Staatsbürger eine
große Zahl von Urteilen nach wie vor in Abwesenheit ergehen und bestärkt die Staaten der
Region nachdrücklich in ihren Bemühungen, sich weiterhin für eine Verbesserung der
justiziellen Zusammenarbeit einzusetzen, um die Zahl derartiger Prozesse auf diese Weise zu
verringern.

21. Die Versammlung richtet deshalb einen Aufruf an

21.1. die zuständigen Stellen der betreffenden Staaten für

21.1.1. die sofortige Aufhebung des Verbots der Auslieferung von Staatsbürgern, denen
Kriegsverbrechen vorgeworfen werden;

21.1.2. die sorgfältige Prüfung von Staatsbürgerschaftsanträgen und die Verweigerung der
Staatsbürgerschaft bei Personen, die in einem anderen Land eines Kriegsverbrechens beschul-
digt werden;

21.1.3. die Einleitung positiver Aufklärungsmaßnahmen zur Förderung einer Diskussion über
Kriegsverbrechen, um auf diese Weise in der Öffentlichkeit eine breitere Akzeptanz der
Gerichtsverfahren gegen die Verantwortlichen sicherzustellen;

21.1.4. die Aufhebung der einschränkenden Vorschrift, nach der Unterlagen der Staats-
anwaltschaft nicht in einen anderen Staat weitergeleitet werden dürfen, wenn die gesetzlich
vorgesehene Haftstrafe mehr als zehn Jahre beträgt;

21.1.5. die Verstärkung ihrer Bemühungen um eine bessere justizielle Zusammenarbeit mit
dem Ziel einer Verringerung der Zahl von Abwesenheitsurteilen;

21.1.6. die Verbesserung der Zusammenarbeit und der Weiterleitung zwischen den Polizei-
dienststellen ihrer Staaten bei Ermittlungen über Kriegsverbrecher auf dem Wege über
effektive bilaterale Abkommen;

21.1.7. die Aufstockung der den gerichtlichen Institutionen bewilligten Mittel, nicht nur im
Hinblick auf Ermittlungen, sondern auch in Fragen der Finanzierung und des Personals;

21.1.8. die nachdrückliche Aufforderung der Gerichte zu möglichst großer Objektivität, um so
die Unparteilichkeit der Kriegsverbrecherprozesse zu gewährleisten und sicherzustellen, dass
an lokalen Gerichten tätige Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte eine sachgerechte
Schulung erhalten;

21.1.9. die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Qualität der Verteidigung, um so
für einen fairen Prozess zu sorgen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 39 – Drucksache 16/8170

21.1.10. die Gewährleistung der bestmöglichen Koordinierung zwischen allen an den gericht-
lichen Verfahren zur Verfolgung von Kriegsverbrechen beteiligten Akteuren unter Einschluss
der Polizeikräfte;

21.1.11. die Verbesserung des Zeugenschutzes auf nationaler Ebene und die Koordinierung
auf regionaler Ebene unter Klärung der gesetzlichen Sicherungen;

21.2. die Behörden von Bosnien und Herzegowina,

21.2.1. die Gewährleistung der Harmonisierung der Rechtsprechung, Überlegungen in Bezug
auf die Errichtung eines nationalen Obersten Gerichtshofs oder die Übertragung der Befug-
nisse eines Obersten Gerichtshofes an einen bestehenden Gerichtshof, damit die Rechts-
sicherheit gewährleistet wird, sicherzustellen;

21.2.2. die Unterzeichnung von Abkommen zwischen der Staatsanwaltschaft von Bosnien und
Herzegowina und ihren Pendants in der Region entsprechend den von den
Staatsanwaltschaften Kroatiens, Serbiens und Montenegros unterzeichneten Vereinbarungen
zu unterstützen.

Entschließung 1565 (2007)12

betr. Internetkriminalität gegen staatliche Einrichtungen in Mitglied- und
Beobachterstaaten - welche Möglichkeiten der Vorbeugung gibt es?

1. Die Parlamentarische Versammlung erinnert an ihre Stellungnahme Nr. 226 (2001), in
der sie die Auffassung vertrat, dass die Bekämpfung der Internetkriminalität angesichts der
Hindernisse, die diese Form der Kriminalität für die Entwicklung neuer Technologien und
allgemeiner für die rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit aufwerfen kann, eine
Herausforderung allerersten Rangs ist.

2. Die Versammlung ist der Ansicht, dass die Internetkriminalität eine reale Bedrohung
für die demokratische Stabilität und die nationale Sicherheit darstellt und grundlegende
Fragen im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit aufwirft.
Diese Frage sollte deshalb als ein Anliegen von allerhöchster Priorität behandelt werden.

3. Die politisch motivierten Angriffe gegen militärische oder staatliche Websites
verschiedener Mitglied- und Beobachterstaaten des Europarats werden immer häufiger und
technisch raffinierter. In der Tat haben sich bei dem Versuch, die lebenswichtige Infrastruktur
der Republik Estland funktionsunfähig zu machen, kriminelle Internetangriffe erstmals gegen
einen Staat als Ganzes gerichtet. Zur selben Zeit wurden auch in anderen Ländern einige
Angriffe beobachtet.

4. Dies zeigt, dass die Internetkriminalität eine gefährliche Realität ist, die auf höchster
Ebene ernst genommen werden muss, und dass sie eine echte Bedrohung für Staaten darstellt,
12 Versammlungsdebatte am 28. Juni 2007 (25. Sitzung) (siehe Dok. 11325, Bericht des Ausschusses für Recht
und Menschenrechte, Berichterstatter: Herr Sasi, Dok 11335, Stellungnahme des Politischen Ausschusses,
Berichterstatter: Herr Agramunt, und Dok. 11333, Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft und
Entwicklung, Berichterstatterin: Frau Lilliehöök). Von der Versammlung verabschiedeter Text am 28. Juni 2007
(25. Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 40 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

deren technologiegestützte Infrastrukturen lahmgelegt oder sogar zerstört werden können.
Diese Bedrohung kann von Privatpersonen, organisierten Gruppen oder Staaten ausgehen.

5. Da alle Staaten anfällig gegenüber dieser Bedrohung sind, ist es äußerst wichtig, dass
auf internationaler Ebene ein wirksames Schutz- und Reaktionssystem entwickelt wird.

6. Die Versammlung erinnert daran, dass das Übereinkommen über
Computerkriminalität (SEV Nr. 185, im Folgenden als „Übereinkommen“ bezeichnet)
weitreichende rechtliche Bestimmungen zur Abwehr von Internetangriffen gegen kritische
Infrastruktur enthält. Dieses Vertragswerk – derzeit das einzige verbindliche auf diesem
Gebiet – hat international großen Anklang gefunden; deshalb sollten alle Mitgliedstaaten des
Europarats mit Blick auf eine wirksame Bekämpfung dieser Kriminalität das Übereinkommen
dringend unterzeichnen und ratifizieren und – was noch wichtiger ist – seine Bestimmungen
uneingeschränkt anwenden.

7. Die Versammlung erinnert auch daran, dass sich das Übereinkommen des Europarats
zur Verhütung des Terrorismus (SEV Nr. 196) als zusätzliches Instrument im Kampf gegen
den Internetterrorismus sowie die Nutzung des Internets für terroristische Zwecke anbietet.

8. Die Versammlung bedauert die Tatsache, dass eine ganze Reihe von Mitglied- und
Beobachterstaaten diese wichtigen Übereinkommen noch nicht ratifiziert hat.

9. Die Versammlung stellt fest, dass der Kampf gegen die Internetkriminalität eine
umgehende internationale Zusammenarbeit zwischen den Regierungen, dem privaten Sektor
und Nichtregierungsorganisationen erfordert, da sich Internetkriminelle auf ihre Fähigkeit
stützen, über Grenzen hinweg zu operieren und Abweichungen in den einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften auszunutzen. Die mangelnde Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten setzt
diese einer erheblichen Gefahr aus.

10. Die Versammlung erinnert daran, dass das Übereinkommen ein offener Vertrag ist,
und lädt daher Nichtmitgliedstaaten ein, ihm baldmöglichst beizutreten, um die internationale
Zusammenarbeit auf diesem wichtigen Gebiet zu verbessern.

11. Die Versammlung begrüßt in diesem Zusammenhang die vielfältigen Bemühungen um
die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und Abstimmung bei der Bekämpfung
der Internetkriminalität, darunter auch die 24/7-Kontaktstellen und die Initiative „Check the
Web“, und fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, die Verstärkung ihrer Bemühungen
um die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit fortzusetzen und abgestimmte
konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung eines wirksameren Schutzes zu unterstützen.

12. Dabei betont die Versammlung, dass sich Maßnahmen zur Bekämpfung und
Verhütung von Internetkriminalität auf Gesetze stützen müssen, die die uneingeschränkte
Achtung der Menschenrechte und der bürgerlichen Freiheiten gewährleisten.

13. Um das erforderliche Maß an internationaler Zusammenarbeit zu ermöglichen, müssen
außerdem die einschlägigen Gesetze vereinheitlicht oder zumindest aufeinander abgestimmt
werden.

14. Internetangriffe stellen nicht nur in rechtlicher Hinsicht eine Herausforderung dar; die
Länder sollten Politiken und Strategien für einen wirksamen Schutz ihrer kritischen
Infrastrukturen erarbeiten - eine Aufgabe, die auch die Bereitstellung der dafür erforderlichen
personellen, finanziellen und technischen Ressourcen einschließt. An diesen Bemühungen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 41 – Drucksache 16/8170

sollten sie auch private Akteure einschließlich Computer-, Netzwerk- und Softwarebranche
beteiligen.

15. Aus diesem Grund bittet die Versammlung die Mitgliedstaaten:

15.1. die Frage der Bekämpfung und Verhütung von Internetkriminalität als
vordringliches Anliegen zu betrachten;

15.2. das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus und das
Übereinkommen über Computerkriminalität sowie das dazugehörige Zusatzprotokoll
betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen
rassistischer und fremdenfeindlicher Art (SEV Nr. 189) unverzüglich zu unterzeichnen
und zu ratifizieren und sie so bald wie möglich uneingeschränkt anzuwenden;

15.3. ihre jeweiligen Gesetzesrahmen dahingehend zu überprüfen, ob sie
angemessene Sanktionen für Internetkriminalität vorsehen, insbesondere Vorschriften
für Fälle von computergestützten terroristischen Anschlägen, und bei Bedarf ihre
Rechtsvorschriften zu ändern, wobei die individuellen Freiheiten, insbesondere die
Meinungs- und die Informationsfreiheit, uneingeschränkt zu achten sind;

15.4. zur Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit und des Austauschs von
Informationen sicherzustellen, dass ihre einschlägigen Rechtsvorschriften auf die
anderer Staaten abgestimmt sind;

15.5. einen Rahmen zu entwickeln, um im Falle von großangelegten
Internetangriffen umgehende politische Konsultationen und den Austausch von
Informationen auf allen erforderlichen Ebenen der betroffenen Länder zu erleichtern;

15.6. auf der Grundlage entsprechender technischer Untersuchungen Politiken und
Strategien für einen wirksamen Schutz ihrer kritischen Infrastrukturen zu erarbeiten und
die dafür erforderlichen personellen, finanziellen und technischen Ressourcen
bereitzustellen;

15.7. den privaten Sektor enger einzubinden, insbesondere durch Bildung von
öffentlich-privaten Partnerschaften für eine wirksamere und sektorübergreifende
Kooperation im Kampf gegen die Internetkriminalität;

15.8. auf nationaler Ebene wirksame Vorbeugemaßnahmen gegen Aktivitäten im
Bereich der Internetkriminalität zu ergreifen;

15.9. der Regierung von Estland jede gebotene Unterstützung bei der
Gewährleistung einer umfassenden und gründlich durchgeführten Untersuchung der
unlängst erfolgten Internetangriffe in ihrem Land zukommen zu lassen, damit die
gewonnenen Erkenntnisse als Grundlage für künftige internationale Maßnahmen zur
Bekämpfung der Internetkriminalität dienen können.

16. Die Versammlung ist der Ansicht, dass das Übereinkommen in regelmäßigen
Abständen mit Blick auf technologische Neuerungen und neue Herausforderungen überprüft
werden sollte, und wartet gespannt auf die Feststellungen des Expertenausschusses gegen
Terrorismus (CODEXTER), der sich zurzeit mit der Frage befasst, ob Lücken in den
vorhandenen Instrumenten (einschließlich des Übereinkommens über Computerkriminalität)
die Entwicklung weiterer Instrumente erforderlich machen - bevor er seine Empfehlungen an

Drucksache 16/8170 – 42 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

das Ministerkomitee richtet. Die Versammlung beschließt, sich so bald wie möglich erneut
mit dieser Frage zu befassen.

Entschließung 1566 (2007)13

betr.: die Einhaltung der Pflichten und Verpflichtungen durch Monaco

1. Das Fürstentum Monaco wurde am 5. Oktober 2004 Mitglied des Europarats. Mit
seinem Beitritt akzeptierte es die von allen Mitgliedstaaten einzuhaltenden satzungsgemäßen
Verpflichtungen und übernahm auch eine Reihe von speziellen Verpflichtungen, zu deren
Einhaltung es sich innerhalb der in der Stellungnahme Nr. 250 (2004) genannten Fristen
verpflichtete.

2. Das Überwachungsverfahren sollte sechs Monate nach dem Beitritt beginnen (Absatz
14 der Stellungnahme), mit anderen Worten im April 2005. Dies ist der erste Bericht an die
Versammlung, in dem die Einhaltung der von Monaco mit seinem Beitritt eingegangenen
Pflichten und Verpflichtungen bewertet wird.

3. Die ersten zwei Jahre nach dem Beitritt standen im Zeichen von Ereignissen, die die
Bevölkerung von Monaco tief erschütterten und gleichzeitig auch erhebliche Auswirkungen
auf die Arbeitsweise der monegassischen Institutionen und die Einhaltung des Zeitplans für
die Erfüllung der 2004 eingegangenen Verpflichtungen hatten. Als Nachfolger seines Vaters,
Fürst Rainier, der im April 2005 nach 56-jähriger Regentschaft starb, brachte Fürst Albert II.
das Land auf einen neuen Kurs.

4. Die Parlamentarische Versammlung begrüßt die Unterzeichnung des Abkommens über
die Anpassung und Vertiefung der Verwaltungszusammenarbeit zwischen Frankreich und
Monaco am 8. November 2005 in Paris. Das Abkommen tritt an die Stelle des 1930
geschlossenen Abkommens und gewährleistet die Einhaltung des
Nichtdiskriminierungsprinzips, sodass monegassische Staatsangehöriger in die leitenden
Staats- und Regierungsämter in Monaco berufen werden können, die derzeit französischen
Staatsbürgern vorbehalten sind. Die Versammlung hofft, dass Frankreich das Abkommen
baldmöglichst ratifizieren wird.

5. Sie stellt fest, dass Monaco inzwischen 30 der 200 Übereinkommen des Europarats
ratifiziert und zwei weitere – das Protokoll Nr. 1 zur Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Europäische Sozialcharta (revidiert) –
unterzeichnet hat.

6. Die Versammlung begrüßt die Tatsache, dass Monaco innerhalb der festgelegten Frist
von einem Jahr nach Beitritt die Menschenrechtskonvention und ihre Protokolle 4, 6, 7 und 13
ratifiziert hat; dies geschah am 30. November 2005 zeitgleich mit der Einreichung von zwei
Erklärungen und mehreren Vorbehalten. Das Fürstentum ratifizierte Protokoll Nr. 14 zur
EMRK am 10. März 2006; das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und
13 Debatte der Versammlung am 28. Juni 2007 (26. Sitzung) (siehe Dok. 11299, Bericht des Ausschusses für die
Einhaltung der von den Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Verpflichtungen (Monitoring
Ausschuss), Berichterstatter: Herr Agramunt und Herr Slutsky).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 28. Juni 2007 (26. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43 – Drucksache 16/8170

unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und das Allgemeine Abkommen
über die Vorrechte und Befreiungen des Europarats und seine Protokolle wurden ebenfalls am
30. November 2005 ratifiziert.

7. Die Versammlung bedauert hingegen, dass das Fürstentum Monaco seiner
Verpflichtung, das EMRK-Protokoll Nr. 1 betr. den Schutz des Eigentums, das Recht auf
freie Wahlen und das Recht auf Bildung zu ratifizieren, noch nicht nachgekommen ist, und
erwartet von den monegassischen Behörden, dass sie baldmöglichst die erforderlichen
diesbezüglichen Schritte ergreifen. Sie stellt auch fest, dass Monaco das Protokoll Nr. 12 trotz
entsprechender Verpflichtung nicht innerhalb von einem Jahr nach Inkrafttreten, d. h. bis 1.
April 2006, unterzeichnet hat.

8. Was die Europaratskonventionen betrifft, zu deren Ratifizierung sich Monaco innerhalb
von zwei Jahren nach seinem Beitritt – d. h. spätestens bis 5. Oktober 2006 – verpflichtet hat,
stellt die Versammlung mit Befriedigung fest, dass das Fürstentum am 19. März 2007 das
Strafrechtsübereinkommen über Korruption, das Europäische Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen und das Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen ratifiziert hat.

9. Dagegen sind die Europäische Sozialcharta (revidiert), das Europäische
Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen
Gebietskörperschaften und das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des
Terrorismus noch nicht ratifiziert. Die Versammlung fordert die monegassischen Behörden
auf, dies baldmöglichst zu tun. Sie hofft, dass die Ratifizierung der Übereinkommen durch die
Einrichtung der Direktion für internationale Angelegenheiten (am 16. Februar 2007)
erleichtert wird, zu deren Aufgaben die Prüfung und Überwachung der internationalen
Übereinkommen zählt, denen Monaco als Vertragspartei angehört oder angehören wird.

10. Im Bereich des innerstaatlichen Rechts verpflichtete sich das Fürstentum in
Übereinstimmung mit den Standards des Europarats, innerhalb eines Jahres nach seinem
Beitritt verschiedene Gesetze zu verabschieden. Die Versammlung stellt mit Befriedigung
fest, dass:

10.1. 2003 und 2004 Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs unter Berücksichtigung
des Grundsatzes der Gleichheit von Frauen und Männern, auch als Eltern und Ehegatten,
beschlossen wurden;

10.2. 2003 bzw. 2005 zwei Gesetze zur Änderung des Nationalitätengesetzes vom 18.
Dezember 1992 verabschiedet wurden;

10.3. am 15. Juli 2005 das Gesetz über die Medienfreiheit verabschiedet wurde;

10.4. am 29. Juni 2006 das Gesetz über die Begründung von Verwaltungsakten
verabschiedet wurde.

11. Die Versammlung ist zuversichtlich, dass das Gesetz über die Vereinigungsfreiheit,
das ebenfalls innerhalb eines Jahres nach erfolgtem Beitritt verabschiedet werden sollte, ohne
weitere Verzögerung erlassen wird.

12. Die Versammlung ersucht die monegassischen Behörden, die gegenwärtige Reform
des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung zu beschleunigen und sicherzustellen, dass
die geplanten Änderungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Auslegung

Drucksache 16/8170 – 44 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

des Gerichts, insbesondere in Bezug auf die Artikel 5, 6, 7, 8 und 13 der EMRK,
übereinstimmen.

13. Die Versammlung nimmt mit Zufriedenheit zur Kenntnis, dass die Regierung des
Fürstentums der Veröffentlichung des Berichts des Komitees zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 31. Mai 2007
zugestimmt hat. Sie hofft, dass die Empfehlungen dieses Berichts innerhalb kürzester Zeit
umgesetzt werden. Die Versammlung hofft auch, dass die monegassischen Behörden die
Empfehlungen des Berichts der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz
(ECRI) vom 24. Mai 2007 berücksichtigen werden.

14. Die Versammlung stellt mit Befriedigung fest, dass Monaco erhebliche
Anstrengungen unternommen hat, um sein Gesetzesinstrumentarium gegen Geldwäsche zu
verbessern, und begrüßt insbesondere das im November 2006 verabschiedete Gesetz zur
Änderung des Artikels 218 des Strafgesetzbuchs in Bezug auf Geldwäschestraftaten.

15. Sie begrüßt auch den Erlass eines Gesetzes über die kommunale Selbstverwaltung im
Juni 2006, mit dem es möglich sein dürfte, das Europäische Rahmenübereinkommen über die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften schon bald zu
ratifizieren. Sie ermuntert die monegassischen Behörden, den Reformprozess fortzusetzen,
um sicherzustellen, dass sich ausländische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Monaco in
Übereinstimmung mit den Standards des Europarats an der Gemeindeverwaltung beteiligen
dürfen.

16. Was die Befugnisse des Nationalrats betrifft, deren Erweiterung sie innerhalb einer
Frist von fünf Jahren nach Beitritt empfohlen hatte, ist sich die Versammlung der schwierigen
Situation bewusst, die ein immanentes Merkmal der Arbeitsweise der monegassischen
Institutionen ist. Sie hält es daher für notwendig, auf die Empfehlungen in Absatz 11 der
Stellungnahme Nr. 250 (2004) betr. die Kontrolle der Tätigkeit der Regierung, die jährliche
Vorlage des Regierungsprogramms, das Recht der Gesetzesinitiative und die Haushaltsdebatte
zu verweisen.

17. Die Versammlung fordert die monegassischen Behörden nachdrücklich auf,
baldmöglichst ein neues Gesetz über die Arbeitsweise und Organisation des Nationalrats zu
beschließen, um den 2002 vorgenommenen Verfassungsänderungen Rechnung zu tragen. Sie
hofft in diesem Zusammenhang, dass die Arbeit der gemeinsamen Arbeitsgruppe von
Regierung und Nationalrat bald zum Erfolg führen wird.

18. Außerdem fordert sie den Nationalrat auf, unverzüglich seine Geschäftsordnung zu
überprüfen.

19. Darüber hinaus empfiehlt sie, dass die monegassischen Behörden:

19.1. sich mit der Frage eines Parteiengesetzes zu befassen beginnen, um insbesondere für
mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung zu sorgen;

19.2. die Liste der internationalen Übereinkommen und völkerrechtlichen Verträge, für die
der Nationalrat gemäß Artikel 14 der Verfassung ein Ratifizierungsgesetz verabschieden
muss, überarbeiten und in der Zwischenzeit dem Nationalrat im Voraus etwaige Vorbehalte
oder Erklärungen zu einem Vertrag unterbreiten, für den der Nationalrat ein
Ratifizierungsgesetz verabschieden muss.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45 – Drucksache 16/8170

20. In Anbetracht der seit dem Beitritt Monacos erzielten Fortschritte, aber auch der noch
zu erfüllenden Verpflichtungen beschließt die Versammlung, die Überwachung der von
Monaco einzuhaltenden Pflichten und Verpflichtungen so lange fortzusetzen, bis die
Fortschritte in diesem Bereich zu greifbaren Ergebnissen führen.

Entschließung 1567 (2007)14

betr.: das Atomprogramm des Iran und die Notwendigkeit einer internationalen
Antwort

1. Die Versammlung verweist auf die Entschließung 1436 (2005) zum Atomprogramm des
Iran: die Notwendigkeit einer internationalen Antwort, in der sie beschloss, mit der Frage des
iranischen Atomprogramms befasst zu bleiben. Sie nimmt die wichtigsten Entwicklungen in
Zusammenhang mit der iranischen Atomfrage seit April 2005 zur Kenntnis und bedauert, dass
sich die Situation erheblich verschlechtert hat.

2. Die Versammlung ist besorgt über die anhaltende Weigerung des Iran, auf ernste und
wohl begründete Befürchtungen der internationalen Gemeinschaft über die Natur seines
früheren und seines jetzigen Atomprogramms zu reagieren, und über die Absicht der
iranischen Behörden, die Arbeiten im Atombereich einschließlich Urananreicherung im
großtechnischen Maßstab zu forcieren und auszuweiten.

3. Sie stellt fest, dass die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) am 24.
September 2005 eine Resolution verabschiedet hat, in der festgestellt wird, dass der Iran
gegen seine Verpflichtungen aus dem Kontrollabkommen zum Atomwaffensperrvertrag
(NVV) verstößt.

4. Sie bedauert insbesondere, dass der Iran das Zusatzprotokoll zum Kontrollabkommen
bis heute noch nicht ratifiziert hat, dass er die freiwillige Durchführung dieses Protokolls auf
vorläufiger Basis beendet hat und dass er die Zusammenarbeit mit der IAEO merklich
eingeschränkt hat.

5. Sie bedauert ferner, dass der Iran eine von Herrn Javier Solana im Juni 2006 im Namen
der Sechs-Länder-Gruppe (China, Deutschland, Frankreich, Russische Föderation,
Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten) vorgelegte umfassende Lösung der
Atomfrage abgelehnt hat.

6. Besonders besorgt ist sie außerdem über die Weigerung des Iran, die Resolutionen 1696
(2006), 1737 (2006) und 1747 (2007) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen einzuhalten,
die dem Iran die Verpflichtung auferlegen, alle mit der Urananreicherung
zusammenhängenden Tätigkeiten auszusetzen. Diese Haltung stellt eine offene Kampfansage
an die internationale Gemeinschaft dar und erfordert eine gemeinsame Antwort.

7. In diesem Zusammenhang verweist die Versammlung ausdrücklich auf den innerhalb
der Sechs-Länder-Gruppe vertretenen gemeinsamen Standpunkt, dass ein iranischer
14 Debatte der Versammlung am 28. Juni 2007 (26. Sitzung) (siehe Dok. 11294, Bericht des Politischen
Ausschusses, Berichterstatter: Herr Lindblad).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 28. Juni 2007 (26. Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 46 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Atomwaffenstaat eine inakzeptable Bedrohung nicht nur für die an sich schon unsichere Lage
im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch für den Weltfrieden und die internationale
Sicherheit insgesamt darstellen würde. Sie begrüßt die Tatsache, dass die Mitglieder des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen durch einstimmige Annahme der Resolutionen 1737
und 1747 Geschlossenheit im Hinblick auf Iran demonstriert haben und dass dieser
gemeinsame Standpunkt zunehmend internationale Unterstützung findet.

8. Die Versammlung ist der Überzeugung, dass der Iran das Potenzial hat, ein geachteter
Akteur auf der regionalen und globalen Bühne zu werden und die Rolle einer tragenden Säule
der Stabilität in der Region zu übernehmen, die er anstrebt. Sie erkennt an, dass die legitimen
Rechte des Iran geachtet und seine Sicherheitsbesorgnisse angegangen werden müssen. Dies
setzt jedoch voraus, dass der Iran in verantwortlicher Weise und unter vollständiger
Einhaltung seiner internationalen Verpflichtungen handelt. Außerdem muss der Iran die
universellen und individuellen Menschenrechte uneingeschränkt achten. Die Versammlung
betrachtet es auch als überaus wichtig, dass der Iran Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
herstellt.

9. Bedauerlicherweise stehen manche Handlungen der iranischen Führung wie ihre
provokativen Äußerungen über Israel, ihre Weigerung, die Existenz Israels und sein Recht auf
Sicherheit anzuerkennen, die Leugnung des Holocaust sowie die Unterstützung von
terroristischen Gruppen wie Hamas und Hisbollah in klarem Widerspruch zu den allgemein
anerkannten Normen in den internationalen Beziehungen.

10. Das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in den Iran, das bereits durch eine fast
zwanzigjährige Politik der Verschleierung des iranischen Atomprogramms erschüttert worden
ist, wird durch diese Verhaltensweisen weiter untergraben. Sie führen außerdem zu einer noch
stärkeren Isolierung des Iran, die den Interessen des iranischen Volkes entgegensteht. Ein
weiterer Grund für Misstrauen und Sorge ist die schlechte Menschenrechtsbilanz des Iran.

11. Die Versammlung ist weiterhin überzeugt, dass die iranische Atomfrage durch
Verhandlungen und auf diplomatischem Weg gelöst werden muss. Sie begrüßt die erneuten
Bemühungen von Herrn Solana im Namen der Sechs-Länder-Gruppe, deren Ziel es ist, den
Iran dazu zu bewegen, die Bedingungen des UN-Sicherheitsrats zu erfüllen. Sie begrüßt
darüber hinaus die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, sich direkt an den Verhandlungen zu
beteiligen, sofern der Iran die Urananreicherung aussetzt.

12. Gegenseitiges Vertrauen ist von zentraler Bedeutung, um zum einen eine Lösung für
die Atomfrage zu finden, die den Rechten des Iran Rechnung trägt und gleichzeitig auf die
Befürchtungen anderer Länder eingeht, und zum anderen den Iranern Gelegenheit zu geben,
den ihnen zustehenden Platz innerhalb der Völkergemeinschaft einzunehmen. Zur
Wiederherstellung dieses Vertrauens muss die iranische Führung ihre Trotzpolitik aufgeben
und zur Kooperation bereit sein.

13. Vielfältigere Kontakte mit den verschiedenen Teilen der iranischen Gesellschaft
einschließlich zwischenmenschlicher Kontakte würden zu Schaffung von Vertrauen und
Glaubwürdigkeit beitragen, während die weitere Isolierung des Iran hemmend wirken würde.

14. Die Versammlung steht bereit, um durch Beteiligung an einem Dialog mit dem
iranischen Parlament und durch Kontakte mit der Zivilgesellschaft des Landes einen Beitrag
zu vertrauensbildenden Maßnahmen zu leisten. Ein derartiger Dialog sollte sich nicht auf
Atomfragen beschränken, sondern auch die vom Europarat vertretenen Grundwerte der
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 47 – Drucksache 16/8170

einschließen und könnte auch andere Bereiche betreffen, die von beiderseitigem Interesse
sind. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf ihre Entschließungen 1520 (2006) und 1550
(2007), in denen die Parlamente der Nah- und Mittelostregion einschließlich des Iran dazu
aufgerufen werden, einen Beitrag zur Stabilität in der Region zu leisten und sich an einem
konstruktiven Friedensdialog zu beteiligen.

15. Die Versammlung fordert den Iran nachdrücklich auf:

15.1. seine Trotzpolitik aufzugeben und mit der internationalen Gemeinschaft
zusammenzuarbeiten, um den Befürchtungen im Hinblick auf sein Atomprogramm
entgegenzuwirken, und insbesondere:

15.1.1. unverzüglich den Resolutionen 1696 (2006), 1737 (2006) und 1747 (2007) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nachzukommen und alle Aktivitäten im
Atombereich einzustellen, die nach Maßgabe der genannten Resolutionen Anlass zur
Besorgnis geben;

15.1.2. die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit der IAEO wiederaufzunehmen, ihr
umfassende und genaue Informationen über sein früheres und jetziges Atomprogramm
zu liefern und offene Fragen zu klären, die die Organisation zur Feststellung der
Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen im Rahmen des NVV-Kontrollabkommens
veranlassten;

15.1.3. das Zusatzprotokoll zum NVV-Kontrollabkommen unverzüglich zu ratifizieren
und wirksam in Kraft zu setzen und freiwillige Maßnahmen zu ergreifen, die über die
Vorschriften des Zusatzprotokolls hinausgehen;

15.2. sich mit anderen Fragen zu befassen, die Anlass zu Misstrauen in der internationalen
Gemeinschaft geben, und insbesondere

15.2.1. seine Haltung gegenüber dem Staat Israel grundlegend zu überprüfen, das
Recht Israels auf Sicherheit anzuerkennen und antiisraelische und antisemitische
Äußerungen zu unterlassen;

15.2.2. seine Unterstützung von terroristischen Gruppen wie Hamas und Hisbollah
einzustellen;

15.2.3. alle auf die Destabilisierung des Irak ausgerichteten Aktivitäten zu unterlassen
und seinen Einfluss zugunsten von Frieden, Ordnung und Aussöhnung in diesem Land
geltend zu machen;

15.2.4. die weltweit anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten.

16. Die Versammlung ruft die Mitglied- und Beobachterstaaten des Europarats auf:

16.1. die Anstrengungen der Sechs-Länder-Gruppe, deren Ziel eine Verhandlungslösung für
die iranische Atomfrage im Sinne der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen ist, umfassend zu unterstützen;

16.2 zur Stärkung der internationalen Unterstützung für die vom Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen vertretene Position zugunsten von Sanktionen gegen den Iran beizutragen,

Drucksache 16/8170 – 48 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

insbesondere innerhalb der Teilnehmerstaaten der Blockfreienbewegung, und sie
uneingeschränkt und rasch umzusetzen;

16.3. für die Intensivierung der Kontakte und die Vervielfachung der Dialogkanäle mit dem
Iran auf Regierungs- und Parlamentsebene zu sorgen, um auf diesem Weg Vertrauen zu
schaffen und der iranischen Seite die Befürchtungen der internationalen Gemeinschaft
deutlich zu machen;

16.4. die Zusammenarbeit mit dem Iran in Bereichen, die von gemeinsamem Interesse und
ein gemeinsames Anliegen sind und nicht unter die Sanktionen des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen fallen, wie z. B. die Bekämpfung des Drogenhandels, auszubauen;

16.5. zwischenmenschliche Kontakte und den wissenschaftlichen, kulturellen und
studentischen Austausch mit dem Iran zu erleichtern, um auf diese Weise zur Öffnung des
Landes gegenüber der Welt beizutragen.

17. Die Versammlung beschließt:

17.1. mit der Frage des iranischen Atomprogramms befasst zu bleiben, und weist ihren
Politischen Ausschuss an, diese Angelegenheit weiter genau zu verfolgen;

17.2. mit dem iranischen Parlament auf Ausschussebene die Einleitung eines Dialogs
anzustreben, der sich mit Fragen zu den Kernwerten des Europarats sowie mit anderen Fragen
von gemeinsamen Interesse befasst. Sie wiederholt ihren Aufruf an die Parlamente der Nah-
und Mittelostregion einschließlich des Iran, einen Beitrag zur regionalen Stabilität zu leisten
und sich an einem konstruktiven Friedensdialog zu beteiligen.

Empfehlung 1799 (2007)15

betr. das Bild der Frau in der Werbung

1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre Entschließung 1557 (2007) über
das Bild von Frauen in der Werbung und bittet das Ministerkomitee sicherzustellen, dass sie
umgesetzt wird.

2. Sie bittet das Ministerkomitee um die Benennung eines internationalen Experten-
komitees zur Durchführung einer eingehenden Untersuchung über das Bild von Frauen und
Männern in der Werbung.

3. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchung wird das Ministerkomitee
gebeten werden, einen europäischen Verhaltenskodex zu erarbeiten, der Werbefachleute dazu
anhält, Bilder zu zeigen, die nicht diskriminierend sind und die Würde von Frauen und
Männern achten.
15 Debatte der Versammlung am 26. Juni 2007 (21. Sitzung) (siehe Dok 11286, Bericht des Ausschusses für die
Gleichstellung von Frauen und Männern, Berichterstatterin: Frau Bilgehan).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 26. Juni 2007 (21. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 49 – Drucksache 16/8170

4. Die Versammlung bittet das Ministerkomitee außerdem um

4.1. die Einführung der Verleihung eines europäischen Preises für Werbung, die
am wirksamsten mit sexistischen Klischeevorstellungen bricht und die Gleichheit von
Frauen und Männern fördert;

4.2. die dringende Aufforderung an die Regierung der Mitgliedstaaten, nationale
Kampagnen durchzuführen, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für sexistische
oder von Gewalt geprägte Werbung zu sensibilisieren und Möglichkeiten
vorzuschlagen, wie darauf reagiert werden kann.


Empfehlung 1800 (2007)16

betr. die Feminisierung der Armut

1. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verweist auf ihre Entschließung
1558 (2007) über die Feminisierung der Armut.

2. Sie ist der Ansicht, dass dem Europarat bei der Sicherung des sozialen Zusammenhalts
und der Bekämpfung der Armut unter Frauen eine zentrale Rolle zufällt.

3. Daher empfiehlt sie dem Ministerkomitee, in seinen Politiken zur Förderung des
sozialen Zusammenhalts und in seinen Kooperationsprogrammen mit den Mitgliedstaaten des
Europarats der Geschlechterproblematik Rechnung zu tragen und dabei den Akzent auf die
Beseitigung der Armut unter Frauen zu legen.

4. Außerdem empfiehlt sie dem Ministerkomitee, die einschlägigen zwischenstaatlichen
Ausschüsse anzuweisen:

4.1. eine Untersuchung über die Feminisierung der Armut einzuleiten, um geschlechter-
spezifische Armutsindikatoren unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Frauen und der
Einkommensverteilung zwischen Frauen und Männern festzulegen, die als gemeinsame
Referenzwerte für die Mitgliedstaaten des Europarats dienen und ihnen die Möglichkeit geben
sollen, die Gründe für den übermäßig hohen Frauenanteil in der armen Bevölkerung und für
die viel stärker ausgeprägte Armut bei Frauen zu ermitteln, und zur Erreichung dieses Ziels
mit der Europäischen Union insbesondere bei der Erstellung von Statistiken
zusammenzuarbeiten;

4.2. praktikable Wege für die Einbeziehung der Geschlechterproblematik in Strategien zur
Armutsbekämpfung vorzuschlagen;

4.3. ein Programm zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Medien zu entwickeln,
das sich vorrangig mit der Tatsache befasst, dass sowohl Männer als auch Frauen die
Verantwortung für Kinder und andere pflegebedürftige Personen übernehmen sollten.
16 Versammlungsdebatte am 26. Juni 2007 (21. Sitzung) (siehe Dok. 11276, Bericht des Ausschusses für die
Gleichstellung von Frauen und Männern, Berichterstatterin: Frau Naghdalyan). Von der Versammlung
verabschiedeter Text am 26. Juni 2007 (21. Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 50 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Empfehlung 1801 (2007)17

betr. geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit
Beteiligung von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre Entschließung 1562 (2007)
betreffend geheime Verhaftungen und die unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit
Beteiligung von Mitgliedstaaten des Europarates. Sie verweist ferner auf ihre
Empfehlung 1754 (2006) betreffend geheime Verhaftungen und die unrechtmäßige
Verbringung von Häftlingen über die Landesgrenzen hinweg mit Beteiligung von
Mitgliedstaaten des Europarates und stellt mit Bedauern und Besorgnis fest, dass sich das
Ministerkomitee weder mit seinen eigenen Vorschlägen noch mit denen des Generalsekretärs
des Europarates vom Juni 2006, die von der Versammlung vollinhaltlich mitgetragen werden,
befürwortend auseinandergesetzt hat.18

2. Die Versammlung verurteilt das ohrenbetäubende Schweigen des Ministerkomitees auf die
3. öffentliche Erklärung des Antifolterkomitees des Europarates betreffend das
Vorhandensein geheimer Hafteinrichtungen in der Tschetschenischen Republik der
Russischen Föderation vom 13. März 2007. Sie fordert das Ministerkomitee nachdrücklich
auf, seine Rolle als Entscheidungsorgan des Europarates, der Organisation, die die Hüterin
der Menschenrechte in Europa ist, voll und ganz wahrzunehmen.

3. Angesichts der Tatsache, dass sich zahlreiche Regierungen auf den Begriff des
Staatsgeheimnisses bzw. der nationalen Sicherheit berufen, um gerichtliche oder
parlamentarische Verfahren zu erschweren, deren Ziel die Feststellung der Verantwortung der
Regierungsbehörden für schwer wiegende Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen und
die Rehabilitierung und Entschädigung der mutmaßlichen Opfer derartiger Gesetzesverstöße
ist, fordert die Versammlung das Ministerkomitee auf, eine Empfehlung in dieser
Angelegenheit auszuarbeiten, um:

3.1. sicherzustellen, dass Informationen und Beweise, die die zivil-, strafrechtliche
oder politische Verantwortung der Vertreter des Staates für begangene
schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen nicht unter den Schutz als
Staatsgeheimnisse fallen;

3.2. geeignete Verfahren einzuführen, durch die gewährleistet wird, dass die
Schuldigen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden und zugleich die
Staatsgeheimnisse und die nationale Sicherheit nach Recht und Gesetz gewahrt
bleiben, wenn schutzunwürdige Geheimnisse unentwirrbar mit rechtmäßigen
Staatsgeheimnissen verbunden sind.

4. Das Ministerkomitee sollte sich insbesondere vom Vorgehen Kanadas im Fall Maher Arar
und von Untersuchungsverfahren der nationalen Parlamente, etwa den Regelungen für die
17 Aussprache vom 27. Juni 2007 (23. Sitzung) (siehe Dok. 11302 rev., Bericht des Ausschusses für Recht und

Menschenrechte, Berichterstatter: Herr Marty). Der Wortlaut wurde von der Versammlung am 27. Juni 2007
(23. Sitzung) angenommen.

18 Folgebericht zum Bericht des Generalsekretärs gemäß Artikel 52 EMRK zur Frage der geheimen Inhaftierung und
Verbringung von Häftlingen, die terroristischer Straftaten verdächtigt werden, insbesondere auf Verlangen ausländischer
Dienste (SG/Inf(2006)5 and SG/Inf(2006)13), document SG(2006)01).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 51 – Drucksache 16/8170

Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, leiten lassen, die die Möglichkeit
vorsehen, dass der Ausschuss einen Sonderermittler einsetzt.

5. Betreffend die Verbesserung der demokratischen Überwachung der Aktivitäten der
nationalen Geheimdienste wird das Ministerkomitee aufgefordert zu prüfen, ob für die
Mitgliedstaaten die Notwendigkeit besteht, eine solche Überwachung insbesondere
hinsichtlich der militärischen und auch der ausländischen Geheimdienste, die auf ihrem
Hoheitsgebiet tätig sind, durchzuführen.

6. Das Ministerkomitee wird aufgefordert, die Versammlung bis zum Jahresende 2007 über
die Fortschritte seiner Arbeit zur Umsetzung der Vorschläge des Generalsekretärs und der
Empfehlung 1754 (2006) der Versammlung zu unterrichten.

Empfehlung 1802 (2007)19

betr. die Lage von Langzeitflüchtlingen und -vertriebenen in Südosteuropa

1. Die Parlamentarische Versammlung verfolgt die humanitäre Lage von Flüchtlingen
und Vertriebenen in Südosteuropa schon seit dem Beginn des bewaffneten Konflikts in der
Region. Die Versammlung verweist insbesondere auf ihre Empfehlung 1588 (2003) über die
Vertreibung von Bevölkerungsteilen in Südosteuropa und die Empfehlung 1633 (2003) über
die Zwangsrückkehr von aus der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien unter Einschluss
des Kosovo stammenden Roma aus Mitgliedstaaten des Europarats nach Serbien und Monte-
negro.

2. Zwölf Jahre nach dem Krieg in Bosnien und Herzegowina und Kroatien und acht
Jahre nach dem bewaffneten Konflikt im Kosovo befinden sich in der Region immer noch zu
viele Flüchtlinge und Binnenvertriebene – 120 000 Flüchtlinge und 383 000 Binnenvertriebe-
ne (IDPs) – insgesamt über eine halbe Million Vertriebene. Kroatien weist 2 500 Flüchtlinge
und 4 000 IDPs auf; nach einer Neuregistrierung leben in Bosnien und Herzegovina 10 000
Flüchtlinge und 135 000 IDPs; Serbien weist mit 98 500 Flüchtlingen und 228 000 IDPs
einschließlich 21.000 IDPs allein aus dem Kosovo die höchsten Zahlen auf; in Montenegro
leben 6 900 Flüchtlinge und 16 200 IDPs, und „die ehemalige jugoslawische Republik
Mazedonien“ hat 2 000 Flüchtlinge, zumeist ethnische Minderheiten aus dem Kosovo (Roma,
Ashkalija und Ägypter).

3. Diese Zahlen bezeichnen oft die am stärksten gefährdeten Personen, darunter alte
Menschen und Angehörige, traumatisierte Überlebende von Gräueltaten, Kranke und
Behinderte, allein erziehende Mütter, nationale Minderheiten oder auf Zeugenschutz ange-
wiesene Personen, von denen sich einige nach wie vor in Sammelzentren befinden und die
meist in den letzten Jahren vernachlässigt wurden, weil es vor Ort an Mitteln und humanitärer
Hilfe fehlt.

4. Die Versammlung weist mit Nachdruck darauf hin, dass eine angemessene Reaktion
auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge, Rückkehrer und IDPs und die Verwirklichung einer
19 Debatte der Versammlung am 27. Juni 2007 (24. Sitzung) (siehe Dok. 11289, Bericht des Ausschusses für
Wanderbewegungen, Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen, Berichterstatter Herr Dendias).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 27. Juni 2007 (24. Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 52 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

staatlichen Strategie zur Ermittlung dauerhafter Lösungen für ihre freiwillige und nachhaltige
Rückkehr oder lokale Integration auf der politischen Agenda aller Staaten der Region weitaus
höher stehen müsste. Um diese Ziele zu erreichen, sollten die Regierungen einen klaren
rechtlichen und institutionellen Rahmen und die notwendigen Finanzmittel bereitstellen. Die
Kriterien für vorrangige Unterstützung sollten auf dem Grad der Gefährdung beruhen.

5. Es ist Besorgnis erregend, dass einige Rückkehrer und IDPs ihren Status wegen
fehlender gültiger Dokumente immer noch nicht regeln können. Das Fehlen eines solchen
Status schließt sie von dem Zugang zu ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rechten
aus.

6. Obwohl eine de jure geltende Staatenlosigkeit im Allgemeinen durch Aufrecht-
erhaltung der Staatsbürgerschaft der Republik (der ehemaligen Sozialistischen Bundes-
republik Jugoslawien – SFRJ) vermieden worden ist, stellt die ausschließliche Anwendung
dieser Vorschrift für zahlreiche ehemalige Bürger der SFRJ, die in anderen Republiken als der
lebten, in der sie als Inhaber der Staatsangehörigkeit der Republik registriert worden waren,
keine sinnvolle Lösung dar.

7. In „der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien“ wurden im Jahre 2004
Gesetzesänderungen eingeführt, welche die Naturalisierung von etwa 4.200 derartigen
Bürgern erleichterten.

8. Das größte Integrationshindernis ist in dem Umstand zu sehen, dass der Erwerb von
Rechten im Allgemeinen auf dem Wohnrecht innerhalb eines bestimmten Gebiets beruht
(Wohnstatus). Die Versammlung ist besorgt, dass ein solcher gesetzlicher Rahmen, wie er in
den meisten Ländern der Region gilt, der besonderen Gefährdungslage von Flüchtlingen,
Rückkehrern und Binnenvertriebenen nicht Rechnung trägt.

9. Im Hinblick auf die Flüchtlinge betont die Versammlung erneut, wie wichtig es ist, die
Voraussetzungen für ihre nachhaltige Rückkehr oder örtliche Integration in dem Vertrei-
bungsgebiet zu schaffen, indem Sozialversicherungen und Renten übertragen, beschädigtes
Eigentum wiederaufgebaut, Ersatzwohnungen errichtet, Ansprüche auf Wiederinbesitznahme
vollstreckt und angemessene Entschädigungen für frühere Wohn-/Mietrechte gewährt werden.

10. Die Versammlung begrüßt deshalb die regionale Zusammenarbeit zwischen Kroatien,
Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro im Rahmen des Sarajevo-Prozesses und
fordert die jeweiligen Regierungen nachdrücklich auf, die beiden noch offenen Fragen in
Bezug auf Kroatien – ein angemessener Ausgleich für die Inhaber abgelaufener Wohn-/Miet-
rechte und die Anrechnung von Arbeitszeiten (Rentenansprüchen), die in ehemals besetzten
Gebieten abgeleistet wurden – schnell zu lösen und einen regionalen Umsetzungsrahmen zu
verabschieden.

11. Ohne ein verpflichtendes internationales Schutzsystem liegt die Verantwortung für
Binnenvertriebene bei den Regierungen der Region, die sicherzustellen haben, dass diese
IDPs die gleichen Rechte wie andere Bürger haben. In Serbien und Montenegro sehen sich
Binnenvertriebene aus dem Kosovo bei der Ausübung ihrer grundlegenden bürgerlichen,
wirtschaftlichen und sozialen Rechte beträchtlichen Schwierigkeiten gegenüber, auch bei dem
Zugang zu persönlichen Unterlagen, Eigentumsrechten, der Gesundheitsversorgung, der
Sozialfürsorge, einer angemessenen Unterbringung und dem Arbeitsmarkt. Ohne das Be-
stehen besonderer Schutzmaßnahmen haben IDPs keinen Zugang zu sozialen Dienst-
leistungen und versinken immer tiefer in Armut und Ausschluss. Die Versammlung beharrt

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 53 – Drucksache 16/8170

darauf, dass diese besonders gefährdete Bevölkerung bei zukünftigen politischen Lösungen
nicht als Spielball für Erpressungen benutzt werden darf.

12. Die Lage vertriebener Roma bleibt ein besonderes Problem, gerade auch im Lichte
vieler Abkommen über die Wiedereinreise, die in jüngster Zeit mit Mitgliedstaaten der
Europäischen Union unterzeichnet wurden. Die meisten Rückkehrer erleben nach ihrer Heim-
kehr eine zweite Vertreibung. Die Versammlung verweist darum erneut auf ihre Besorgnis,
dass die Wiedereinreiseabkommen die Bedingungen für die Aufnahme von Rückkehrern nicht
eindeutig umreißen. Sie machen den aufnehmenden Staat in keiner Weise für die Wieder-
eingliederung der Rückkehrer verantwortlich, und es fehlt ihnen an begleitenden Hilfs-
programmen oder einer Finanzierung mit dem Ziel der dauerhaften Integration.

13. Es kommt für die gesamte Region entscheidend darauf an, sich mit den tief
verwurzelten Mustern der Diskriminierung von Angehörigen ethnischer Minderheiten zu
beschäftigen, durch die dauerhafte Ergebnisse schwer wiegend untergraben werden. Die
„Ergebnisse für die Minderheiten“ sind gerade auch in ländlichen Gebieten besonders
fragwürdig, weil dort tatsächliche oder wahrgenommene Sicherheitsprobleme und Formen der
Diskriminierung gegeben sind, ebenso auch schwere Sachbeschädigung, fehlende
Infrastruktur und die Unfähigkeit, von der Landwirtschaft zu leben, weil die
Wiederinbesitznahme von Grundstücken schwierig ist oder Minenfelder angelegt bestehen.

14. Die Parlamentarische Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee deshalb,

14.1. die Regierungen Kroatiens, Bosnien und Herzegowinas, Serbiens, die UNMIK und die
Kosovarische Provisorische Selbstverwaltung (PISG) sowie die Regierungen Montenegros
und der „Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien“ aufzufordern,

14.1.1. die internationalen Menschenrechtsinstrumente umzusetzen, insbesondere
das Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und das Protokoll von
1967; ferner die Leitsätze der VN in Bezug auf Binnenvertriebene und die Empfehlung des
Ministerkomitees zu Binnenvertriebenen (Rec(2006)6); außerdem das Übereinkommen von
1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen, das Übereinkommen von 1961 zur Verminde-
rung der Staatenlosigkeit, das Europäische Übereinkommen von 1997 über die Staats-
angehörigkeit und die Konvention des Europarats von 2006 über die Vermeidung von
Staatenlosigkeit in Zusammenhang mit Staatennachfolge;

14.1.2. die nationalen Aktionspläne für eine dauerhafte Lösung der Probleme der
Flüchtlinge, Rückkehrer und Binnenvertriebenen in Kraft zu setzen und dabei einen klaren
rechtlichen und institutionellen Rahmen zu schaffen und die benötigten Finanzmittel
bereitzustellen;

14.1.3. den Prozess der Statusermittlung zur Erleichterung der lokalen Integration zu
vereinfachen und zu beschleunigen;

14.1.4. die Kriterien für vorrangige Unterstützung aufgrund der Gefährdung
anzuwenden;

14.1.5. dauerhafte Lösungen für die am stärksten gefährdeten Personen zu finden,
die in den Sammelzentren untergebracht sind;

14.1.6. den Zugang von Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Rückkehrern zu
Informationen über ihre Rechte nach dem inländischen Recht zu erleichtern und diese in

Drucksache 16/8170 – 54 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

vollem Umfang zu unterstützen, auch durch Finanzhilfe, kostenlose Rechtshilfe und Unter-
stützung durch Ombudsleute und lokale Nichtregierungsorganisationen;

14.1.7. Kapazitäten aufzubauen und Verwaltungs-, Justiz- und Polizeireformen
durchzuführen, um die lokale Integration und die sichere und würdevolle freiwillige Rückkehr
zu erleichtern, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung der Gleichberechtigung und
der Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse ethnischer Minderheiten;

14.1.8. den Versöhnungsprozess insbesondere in den Rückkehrgebieten durch För-
derung eines politischen und kulturellen Klimas der Achtung, der Toleranz und der Nicht-
diskriminierung und die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechern und
Verantwortlichen für Gewalttaten zwischen den Volksgruppen viel nachdrücklicher
voranzutreiben;

14.1.9. die Bestimmungen des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz
nationaler Minderheiten voll umzusetzen, unter Einschluss der Beschäftigung von Angehöri-
gen der Minderheitsbevölkerung in der öffentlichen Verwaltung, dem Justizwesen und bei der
Polizei, gerade auch in Gebieten, in die Minderheiten zurückgekehrt sind;

14.1.10. die Rückkehr und die lokale Wiederansiedlung durch Schaffung angemesse-
ner Unterbringungsmöglichkeiten zu unterstützen, darunter auch durch den Wiederaufbau be-
schädigter Gebäude, die Errichtung von Ersatzwohnungen, die Vollstreckung von An-
sprüchen auf Wiederinbesitznahme und die angemessene Entschädigung für frühere Wohn-
/Mietrechte;

14.1.11. die Priorisierung der wirtschaftlichen Wiederbelebung, des Wiederaufbaus
der Infrastruktur und der Minenräumung in den Rückkehrgebieten;

14.1.12. die uneingeschränkte Wiederaufnahme der bilateralen und regionalen
Zusammenarbeit zur Lösung der offenen Fragen in Bezug auf Flüchtlinge und Binnen-
vertriebene;

14.2. die Aufforderung des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR) zu einem nachdrück-
lichen Beitrag zum Versöhnungsprozess in Bosnien und Herzegowina (BuH) durch eine Be-
schleunigung der Konsensfindung zwischen den Parteien in BuH;

14.3. die Mitgliedstaaten des Europarats im Hinblick auf die Festigung der politischen und
wirtschaftlichen Stabilität in der Region nachdrücklich aufzufordern:

14.3.1. den Prozess der freiwilligen Rückkehr und der lokalen Integration weiterhin
durch Finanzhilfe und sachverständige Unterstützung zu fördern;

14.3.2. freiwillige Beiträge zu den spezifischen Programmen des Europarats zu
leisten, die auf den Ausbau des Schutzes der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der
Demokratie in der Region abzielen;

14.3.3. im Rahmen der Vereinbarungen auf die Rückkehr abgelehnter kosovarischer
Asylsuchender solange zu verzichten, wie die Bedingungen für ihre sichere und würdevolle
freiwillige Rückkehr nicht gegeben sind;

14.4. die Europäische Union nachdrücklich aufzufordern:

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 55 – Drucksache 16/8170

14.4.1. den politischen Anreiz in der Region mit einer klaren Perspektive für die
Integration in Europa aufrechtzuerhalten;

14.4.2. den Prozess der freiwilligen Rückkehr fortzusetzen, u. a. durch Festlegung
klarer Kriterien und Maßstäbe zur Sicherung der Rechte und Interessen von Rückkehrern und
die lokale Integration durch Finanzhilfe und sachverständige Unterstützung zu fördern;

14.4.3. die speziellen Programme des Europarats, die auf die Stärkung des Schutzes
der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in der Region abzielen,
finanziell zu unterstützen;

14.5. das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und
die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aufzufordern, ihre
Präsenz in der Region und vor Ort aufrecht zu erhalten, um ihre Beratungs- und
Überwachungsrolle zu erfüllen und auf diese Weise den Aufbau lokaler Kapazitäten und die
Schärfung des Bewusstseins in Bezug auf die dringlichsten Probleme und Bedürfnisse der
Geber und der internationalen Gemeinschaft in der Region zu fördern.

15. Die Parlamentarische Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee ferner:

15.1. die fortgesetzte Präsenz und die umfassenden Tätigkeiten des Europarats in der
Region sicherzustellen, unter anderem auf dem Gebiet der politischen Zusammenarbeit und
der Über-wachung, bei der rechtlichen Zusammenarbeit (Verfassungsreformen, Reformen des
Justiz-wesens, Aufbau von Kapazitäten, Schulung), den Menschenrechten, den Rechten der
nationa-len Minderheiten, dem Schutz der Roma, der lokalen Demokratie, den sozialen
Rechten, der Migrations- und Asylpolitik, im Bildungswesen und bei der Förderung von
Toleranz und der Achtung des kulturellen Erbes sowie bei Aktivitäten zugunsten der Jugend;

15.2. die Behörden in der Region dabei zu unterstützen, die nationalen Aktionspläne für
dauerhafte Lösungen für Flüchtlinge und Binnenvertriebene mit folgenden Maßnahmen zu
fördern:

15.2.1. Förderung der einschlägigen internationalen Menschenrechtsstandards und
insbesondere des Übereinkommens von 1951 über die Rechtsstellung von Flüchtlingen und
des Protokolls von 1967, der Leitsätze der VN über Binnenvertreibung und der Empfehlung
des Ministerkomitees in Bezug auf Binnenvertriebene (Rec(2006)6), des Übereinkommens
von 1954 betreffend die Rechtsstellung Staatenloser, des Übereinkommens von 1961 über die
Verminderung der Zahl der Staatenlosen, des Europäischen Staatsangehörigkeitsüberein-
kommens von 1997 und der Europaratskonvention von 2006 in Bezug auf die Vermeidung
der Staatenlosigkeit in Zusammenhang mit Staatennachfolge;

15.2.2. Überwachungs- und Hilfsprogramme für die Umsetzung des Rahmenüber-
einkommens zum Schutz nationaler Minderheiten;

15.2.3. Rechtsberatung in Bezug auf die Rückgabe von Eigentum und die Wahrung
von Wohn-/Mietansprüchen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte.

16. Die Versammlung bittet den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas,
Folgemaßnahmen zu ihrer Entschließung 175(2004) über Migrationssströme und den sozialen
Zusammenhalt in Südosteuropa: die Rolle der lokalen und regionalen Stellen zu ergreifen.

Drucksache 16/8170 – 56 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

17. Die Versammlung bittet den Menschenrechtskommissar, die Zusammenarbeit
zwischen Ombudsleuten und nationalen Menschenrechtsinstitutionen in der Region zu
fördern, um ihre Fähigkeiten, ihre Personalsituation und ihre Präsenz vor Ort auszuweiten,
damit sie weiterhin Flüchtlinge, Rückkehrer und Binnenvertriebene bei der Wahrnehmung
ihrer Rechte unterstützen können.

18. Die Versammlung fordert die Entwicklungsbank des Europarats auf, ihre Zusammen-
arbeit mit den Ländern der Region auszuweiten, um über Kredite, eine Finanzierung aus dem
Selective Trust und durch spezifische Leistungen in Zusammenarbeit mit dem UNHCR eine
größere Zahl von Projekten für Flüchtlinge und Binnenvertriebene zu fördern.

Empfehlung 1803 (2007)20

betr. die Verfolgung von unter die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs
für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) fallenden Straftaten

1. Die Parlamentarische Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee unter Bezug-
nahme auf die Entschließung 1564 (2007),

1.1. Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien dazu aufzufordern,
möglichst bald folgende Übereinkommen zu unterzeichnen und zu ratifizieren:

1.1.1. das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen
(ETS Nr. 70);
1.1.2. das Europäische Übereinkommen über die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen
die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (ETS Nr. 82);

1.2. Kroatien, Montenegro und Serbien dazu aufzufordern, die einschränkenden Erklä-
rungen zurückzuziehen, die sie im Hinblick auf das Europäische Auslieferungsüber-
einkommen (ETS Nr. 24) mit dem Ziel des Verbots der Auslieferung eigener Staatsbürger
abgegeben haben;

1.3. Bosnien und Herzegowina und Kroatien dazu aufzufordern, das Zusatzprotokoll zum
Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ETS Nr. 167) möglichst bald zu
unterzeichnen und zu ratifizieren;

1.4. Montenegro und Serbien dazu aufzufordern, das Europäische Übereinkommen über
die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (ETS Nr. 116) möglichst bald zu unterzeichnen
und zu ratifizieren;

1.5. Bosnien und Herzegowina dazu aufzufordern, möglichst bald das Zusatzprotokoll zum
Europäischen Übereinkommen über Rechtshilfe in Strafsachen (ETS Nr. 99) zu unterzeichnen
und zu ratifizieren;
20 Debatte der Versammlung am 28. Juni 2007 (25. Sitzung) (siehe Dok. 11281, Bericht des Ausschusses für
Recht und Menschenrechte, Berichterstatter Herr Lloyd).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 28. Juni 2007 (25. Sitzung)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57 – Drucksache 16/8170

1.6. Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien dazu aufzufordern, möglichst
bald das Zweite Zusatzprotokoll zu dem Europäischen Übereinkommen über Rechtshilfe in
Strafsachen (ETS No 182) zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

1.7. Kroatien dazu aufzufordern, möglichst bald folgende Übereinkommen zu ratifizieren:

1.7.1. das Europäische Übereinkommen über die Übertragung der Strafverfolgung
(ETS Nr. 73);

1.7.2. das Europäische Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten
(ETS Nr. 116).

2. Die Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee außerdem, die Mitgliedstaaten, die
dies noch nicht getan haben, dazu zu ermutigen, die Unterzeichnung von Abkommen mit den
Vereinten Nationen in Bezug auf die Vollstreckung von Urteilen des Internationalen
Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien zu erwägen.

Empfehlung 1804 (2007)21

betr.: Staat, Religion, Säkularität und Menschenrechte

1. Die Parlamentarische Versammlung stellt fest, dass die Religion ein wichtiges Element
der europäischen Gesellschaft ist. Dies ist auf die historische Tatsache zurückzuführen, dass
manche Religionen seit Jahrhunderten bestehen und dass sie die europäische Geschichte
nachhaltig geprägt haben. Auch heute noch wächst die Zahl der Religionen auf unserem
Kontinent, der sich durch eine Vielzahl von Kirchen und Glaubensrichtungen auszeichnet.

2. Die organisierten Religionen an sich sind fester Bestandteil der Gesellschaft und zum
einen als Institutionen zu betrachten, die von Menschen geschaffen wurden und denen
Menschen angehören, die das Recht auf Religionsfreiheit haben, zum anderen aber auch als
Organisationen, die Teil der Zivilgesellschaft sind, mit all ihren Möglichkeiten, Orientierung
in ethischen und staatsbürgerlichen Fragen zu geben, und die eine wichtige religiöse und
säkulare Funktion innerhalb der nationalen Gemeinschaft erfüllen.

3. Der Europarat muss diese Realitäten anerkennen und die Religion in all ihrer Pluralität
als ethische, moralische, ideologische und spirituelle Ausdrucksform der europäischen Bürger
begrüßen und respektieren und dabei die Unterschiede zwischen den Religionen als solchen
und den Gegebenheiten in dem jeweiligen Land berücksichtigen.

4. Die Versammlung bestätigt erneut, dass einer der gemeinsamen europäischen Werte,
der über die nationalen Unterschiede hinweg gilt, die Trennung von Kirche und Staat ist.
Dieser allgemein anerkannte Grundsatz ist in der Politik und in den Institutionen der
demokratischen Länder maßgebend. In der Empfehlung 1720 (2005) betr. Bildung und
Religion zum Beispiel stellte die Versammlung fest, dass „die Religion eines jeden
21 Debatte der Versammlung am 29. Juni 2007 (27. Sitzung) (siehe Dok. 11298, Bericht des Ausschusses für
Kultur, Wissenschaft und Bildung, Berichterstatter: Herr de Puig).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 29. Juni 2007 (27. Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 58 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Menschen, einschließlich der Wahl, keiner Glaubensrichtung anzugehören, eine
ausschließlich persönliche Angelegenheit ist“.

5. Die Versammlung stellt fest, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof zum
einen die Meinungs- und Religionsfreiheit schützt, zum anderen aber auch das Recht der
einzelnen Länder anerkennt, Gesetze in Bezug auf das Verhältnis zwischen Staat und Kirche
im Einklang mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (ETS Nr.
5) zu organisieren und in Kraft zu setzen und stellt fest, dass heutzutage in den
Mitgliedstaaten des Europarates die Trennung zwischen Staat und religiösen Einrichtungen
unter uneingeschränkter Beachtung dieses Übereinkommens in unterschiedlicher Form
gehandhabt wird.

6. In den letzten 20 Jahren hat die Glaubensausübung in Europa deutlich abgenommen.
Weniger als ein Fünftel der Europäer nimmt mindestens einmal pro Woche am Gottesdienst
teil; vor zwanzig Jahren war diese Zahl noch mehr als doppelt so hoch. Gleichzeitig erleben
wir ein kontinuierliches Wachstum der muslimischen Gemeinden in fast allen Mitgliedstaaten
des Europarats.

7. Aufgrund der Globalisierung und der raschen Entwicklung neuer Informations- und
Kommunikationstechnologien sind manche Gruppen besonders deutlich sichtbar.
Unbestreitbar ist jedoch, dass sich die Frage der Religion in den letzten Jahren wieder zu
einem zentralen Diskussionsthema in unseren Gesellschaften entwickelt hat. Mitglieder der
römisch-katholischen, der orthodoxen und der evangelischen Kirche sowie Muslime scheinen
in diesem Zusammenhang besonders aktiv zu sein.

8. Die Versammlung erkennt die Bedeutung des interkulturellen Dialogs und seine
religiöse Dimension an und ist bereit, bei der Ausarbeitung einer umfassenden Strategie des
Europarats in diesem Bereich mitzuhelfen. In Anbetracht des Grundsatzes der Teilung von
Kirche und Staat ist sie jedoch der Auffassung, dass der interreligiöse und der
interkonfessionelle Dialog nicht Sache des Staats oder des Europarats sind.

9. In der Empfehlung 1396 (1999) stellt die Versammlung fest, dass es „bei vielen
Problemen der heutigen Gesellschaft auch einen religiösen Aspekt gibt, wie intolerante
fundamentalistische Bewegungen und Terrorakte, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und
ethnische Konflikte“. Diese Feststellung ist nach wie vor gültig.

10. Politik und Religion sollten nicht miteinander vermischt werden. Jedoch sind Religion
und Demokratie nicht unvereinbar, und in manchen Fällen erfüllen Religionen eine überaus
nützliche Funktion in der Gesellschaft. Indem sie sich den Problemen der Gesellschaft
widmen, können die Zivilbehörden mit Unterstützung der Religionen vieles - wenn auch nicht
alles - ausräumen, was als Nährboden für religiösen Extremismus dienen könnte.

11. Die Regierungen sollten die besondere Fähigkeit der religiösen Gemeinschaften
berücksichtigen, zu mehr Frieden, Zusammenarbeit, Solidarität und interkulturellem Dialog
beizutragen wie auch zur Verbreitung der Werte, zu denen sich der Europarat bekennt.

12. Bildung ist ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung von Ignoranz, Klischees
und mangelndem Verständnis in Bezug auf Religionen und ihre geistigen Führer und spielt
eine zentrale Rolle beim Aufbau demokratischer Gesellschaften.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 59 – Drucksache 16/8170

13. Die Schule ist ein wichtiges Forum für den interkulturellen Dialog und legt auch den
Grundstein für tolerantes Verhalten; indem sie jungen Menschen Entstehung und Philosophie
der wichtigsten Religionen mit Zurückhaltung und Objektivität beibringt, kann sie auf
wirksame Weise zur Bekämpfung von Fanatismus beitragen. Auch die Medien und die
Familie können hier einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

14. Kenntnisse über die Religionen sind ein integraler Teil des Wissens über die
Menschheits- und Zivilisationsgeschichte. Etwas ganz anderes ist jedoch der Glaube an eine
bestimmte Religion und seine Ausübung. Auch Staaten, in denen weitgehend eine Religion
vorherrscht, haben die Pflicht, das Wissen über die Entstehung aller Religionen in Schulen zu
lehren.

15. In Europa existieren verschiedene Situationen nebeneinander. In manchen Ländern ist
immer noch eine bestimmte Religion vorherrschend. Religiöse Vertreter können eine
politische Funktion wahrnehmen, wie es bei den Bischöfen der Fall ist, die im Vereinigten
Königreich einen Sitz im Oberhaus haben. Einige Länder haben das Tragen religiöser
Symbole in Schulen verboten. Die Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten des
Europarats enthalten auch heute noch Anachronismen aus einer Zeit, als die Religion in
unseren Gesellschaften eine größere Rolle spielte.

16. Die Religionsfreiheit ist durch Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention
und durch Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geschützt. Doch diese
Freiheit gilt nicht unbegrenzt: Eine Religion, deren Lehre oder Praxis im Widerspruch zu
anderen Grundrechte steht, ist inakzeptabel. Auf jeden Fall dürfen es nur die „vom Gesetz
vorgesehenen Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige
Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit
und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind“ (Artikel 9.2 der
Konvention).

17. Ebenso wenig ist es Staaten erlaubt, religiöse Glaubensgrundsätze zu verbreiten, die
bei praktischer Anwendung gegen die Menschenrechte verstoßen. Wenn in dieser Hinsicht
Zweifel bestehen, müssen die Staaten von den religiösen Führern verlangen, dass sie
unmissverständlich Stellung zugunsten des Vorrangs der Menschenrechte im Sinne der
Europäischen Menschenrechtskonvention gegenüber jedem religiösen Grundsatz beziehen.

18. Wie die Versammlung wiederholt bestätigt hat, ist die Meinungsfreiheit eines der
wichtigsten Menschenrechte. In der Empfehlung 1510 (2006) betr. die Meinungsfreiheit und
die Achtung religiöser Überzeugungen vertritt sie die Ansicht, dass „die nach Artikel 10 der
Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Meinungsfreiheit nicht weiter
eingeschränkt werden sollte, um den zunehmenden Empfindlichkeiten bestimmter religiöser
Gruppen zu entsprechen“.

19. Auch wenn wir anerkanntermaßen zur Achtung gegenüber anderen verpflichtet sind
und grundlosen Beleidigungen entgegentreten müssen, darf die Meinungsfreiheit
selbstverständlich nicht aus Achtung vor bestimmten Dogmen oder den Überzeugungen einer
bestimmten religiösen Gemeinschaft eingeschränkt werden.

20. Was das Verhältnis zwischen dem Europarat und den religiösen Gemeinschaften
betrifft, sind bestimmte Schritte unternommen worden, um engere Beziehungen zwischen
ihnen zu unterstützen.

Drucksache 16/8170 – 60 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

21. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass sich führende religiöse Vertreter in
der Vergangenheit mehrfach an die Versammlung gewandt haben und dass die Versammlung
im Gegenzug ihre Teilnahme an von den religiösen Gemeinschaften veranstalteten großen
Konferenzen zugesagt hat. Darüber hinaus sind Dutzende von religiösen und humanistischen
Organisationen aufgrund ihres Beobachterstatus als Nichtregierungsorganisationen bereits
beim Europarat vertreten.

22. Die Versammlung begrüßt den Vorschlag des Ministerkomitees, versuchsweise „einen
jährlichen Meinungsaustausch über die religiöse Dimension des interkulturellen Dialogs“ mit
Vertretern der traditionell in Europa vertretenen Religionen und der Zivilgesellschaft zu
veranstalten.

23. Die Versammlung empfiehlt daher dem Ministerkomitee:

23.1. sicherzustellen, dass in allen Mitgliedstaaten des Europarats religiöse Gemeinschaften
das Grundrecht der Religionsfreiheit unter Achtung der Prinzipien der Europäischen
Menschenrechtskonvention ungehindert ausüben dürfen im Einklang mit den Bestimmungen
von Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 18 der Allgemeinen
Menschenrechtserklärung;

23.2. jede Einmischung in religiöse Angelegenheiten auszuschließen, religiöse
Organisationen aber als Teil der Zivilgesellschaft zu betrachten und sie aufzufordern, sich
aktiv an dem Streben nach Frieden, Zusammenarbeit, Toleranz, Solidarität, interkulturellem
Dialog und der Verbreitung der Werte des Europarats zu beteiligen;

23.3. den Grundsatz der Unabhängigkeit von Politik und Recht im Verhältnis zur Religion
zu bekräftigen;

23.4. ihre Betrachtungen über die religiöse Dimension des interkulturellen Dialogs
fortzusetzen, insbesondere durch Abhaltung von Treffen mit führenden Vertretern der
Religionen und Vertretern humanistischer und philosophischer Gruppen;

23.5. von der Konsultation alle die Gruppierungen auszuschließen, die sich nicht eindeutig
für die Grundwerte des Europarats, d. h. die Menschenrechte, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit, aussprechen;

23.6. Beispiele bewährter Verfahren für den Dialog mit Führern religiöser Gemeinschaften
aufzuzeigen und zu verbreiten;

23.7. die Schaffung eines Instituts zu erwägen, das sich mit der Ausarbeitung von
Lehrplänen, Lernmethoden und Unterrichtsmaterialien für das Studium des religiösen Erbes
der Mitgliedstaaten des Europarats befassen soll; derartige Lehrpläne sollten in enger
Zusammenarbeit mit Vertretern der verschiedenen Religionen, die traditionell in Europa
vertreten sind, erarbeitet werden.

24. Die Versammlung empfiehlt darüber hinaus, dass das Ministerkomitee die
Mitgliedstaaten auffordert:

24.1. die Erstausbildung und berufsbegleitende Weiterbildung von Lehrern mit Blick auf
das Ziel eines ausgewogenen Unterrichts über die Religionen in der heutigen Zeit und in der
Geschichte zu fördern und eine Menschenrechtsausbildung für alle religiösen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 61 – Drucksache 16/8170

Verantwortlichen zu verlangen, insbesondere diejenigen, die als Erzieher Kontakt mit jungen
Menschen haben;

24.2. nach und nach aus den Rechtsvorschriften - wenn dies dem Bürgerwillen entspricht -
die Teile zu entfernen, die aus der Sicht eines demokratischen religiösen Pluralismus
diskriminierend sein könnten.

Empfehlung (1805) 200722

betr.: Gotteslästerung, religiöse Beleidigungen und Hassreden gegen
Personen aufgrund ihrer Religion

1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre Entschließung 1510 (2006) betr. die
Meinungsfreiheit und die Achtung religiöser Anschauungen und bekräftigt ihr Eintreten für
die Meinungsfreiheit (Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, ETS Nr. 5, im
Nachfolgenden „die Konvention“ genannt) sowie für die Gedanken-, Gewissens- und
Religionsfreiheit (Artikel 9 der Konvention), welche Eckpfeiler der Demokratie sind. Die
Meinungsfreiheit ist im Rahmen der von Artikel 10 der Europäischen
Menschenrechtskonvention gesetzten Grenzen nicht nur anwendbar auf Äußerungen, die
günstig aufgenommen oder als nicht beleidigend erachtet werden, sondern auch auf solche,
die den Staat oder irgendeinen Bevölkerungssektor schockieren, beleidigen oder stören
könnten. Eine demokratische Gesellschaft muss eine offene Debatte über Fragen der Religion
und des Glaubens erlauben.

2. Die Versammlung bestätigt, wie wichtig die Achtung und das Verständnis der kulturellen
und religiösen Vielfalt in Europa und in der ganzen Welt ist, und erkennt die Notwendigkeit
eines andauernden Dialogs an. Achtung und Verständnis können zur Vermeidung von
Spannungen innerhalb der Gesellschaft und zwischen Einzelpersonen beitragen. Jeder
Mensch sollte unabhängig von seinen religiösen Überzeugungen geachtet werden.

3. In multikulturellen Gesellschaften ist es oft notwendig, Meinungs- und Gedanken-,
Gewissens- und Religionsfreiheit miteinander in Einklang zu bringen. In einigen Fällen kann
es auch notwendig sein, diese Freiheiten zu beschränken. Gemäß der Konvention müssen
solche Beschränkungen gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft
erforderlich sein und im angemessenen Verhältnis zu den verfolgten berechtigten Zielen
stehen. Dabei steht den Staaten ein Spielraum zu, weil nationale Behörden möglicherweise
unterschiedliche Lösungen wählen können unter Berücksichtigung der speziellen
Besonderheiten einer Gesellschaft; die Nutzung dieses Spielraums unterliegt der
Überwachung durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

4. In Bezug auf Gotteslästerung, religiöse Beleidigungen und Hassreden gegen Personen auf
Grund ihrer Religion ist der Staat zuständig für die Festlegung, was im Rahmen der Grenzen,
die durch das Richterrecht des Europäischen Menschenrechtsgerichthofes gesetzt wurden, als
Straftat zu betrachten ist, in diesem Zusammenhang ist die Versammlung der Auffassung,
dass Gotteslästerung als eine Beleidigung einer Religion nicht als Straftat eingestuft werden
sollte. Es sollte ein Unterschied gemacht werden zwischen Fragen, die sich auf die

22 Debatte der Versammlung am 29. Juni 2007 (27. Sitzung) (siehe Dok. 11296, Bericht des Ausschusses für
Kultur, Wissenschaft und Bildung, Berichterstatterin: Frau Hurskainen; Dok. 11319, Stellungnahme des
Ausschusses für Recht und Menschenrechte, Berichterstatter: Herr Cassany; und Dok. 11322, Stellungnahme des
Ausschusses für die Gleichstellung von Männern und Frauen, Berichterstatter: Herr Dupraz).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 29. Juni 2007 (27. Sitzung).

Drucksache 16/8170 – 62 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Gewissensmoral beziehen und Fragen, die das gesetzlich Erlaubte betreffen, zwischen Fragen,
die den öffentlichen Bereich betreffen und jenen, die sich auf die Privatsphäre beziehen.
Obwohl heutzutage eine strafrechtliche Verfolgung in dieser Hinsicht in den Mitgliedstaaten
selten vorkommt, ist sie in anderen Ländern der Welt recht häufig.

5. Die Versammlung begrüßt den vorläufigen Bericht, der von der Venedig-Kommission am
16. und 17. März 2007 zu dieser Thematik angenommen wurde, und stimmt mit der
Kommission darin überein, dass in einer demokratischen Gesellschaft religiöse Gruppen
genau wie andere Gruppen kritische öffentliche Äußerungen und Debatten über ihre
Aktivitäten, Lehren und Überzeugungen tolerieren müssen, sofern diese Kritik nicht auf eine
absichtliche und grundlose Beleidigung oder Hassreden hinausläuft und keine Anstiftung
darstellt zur Störung des öffentlichen Friedens oder zur Gewalt gegen und Diskriminierung
von Anhängern einer bestimmten Religion. Durch eine öffentliche Debatte, einen Dialog und
die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeiten der religiösen Gruppen und der Medien
sollte versucht werden, die Empfindlichkeit zu verringern, wenn sie ein vertretbares Niveau
übersteigt.

6. Unter Hinweis auf ihre Empfehlung 1720 (2005) betr. Bildung und Religion betont die
Versammlung die Notwendigkeit eines größeren Verständnisses und größerer Toleranz
zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen. Wenn Menschen unterschiedlicher
Religionen mehr über die Religion und die religiösen Empfindlichkeiten der anderen wissen,
sind religiöse Beleidigungen aus Unkenntnis weniger wahrscheinlich.

7. Die Versammlung begrüßt in diesem Zusammenhang die von den Vereinten Nationen
gestartete Initiative zur Gründung eines neuen Gremiums namens „Allianz der
Zivilisationen“, das sich mit der Untersuchung und Unterstützung von Kontakten zwischen
muslimischen und so genannten westlichen Gesellschaften befasst, sie vertritt jedoch die
Meinung, dass diese Initiative auch auf andere Religionen und nichtreligiöse Gruppen
ausgedehnt werden sollte.

8. Die Versammlung verweist auf das einschlägige vom Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte entwickelte Richterrecht zur Meinungsfreiheit nach Artikel 10 der
Menschenrechtskonvention. Obgleich es wenig Spielraum für Einschränkungen der
politischen Rede oder der Diskussion von Fragen von öffentlichem Interesse gibt, akzeptiert
der Gerichtshof einen weiteren Einschätzungsspielraum auf Seiten der Vertragsstaaten bei der
Regelung der Meinungsfreiheit im Hinblick auf Belange, welche vertrauliche persönliche
Überzeugungen in Bezug auf Moral oder ganz besonders Religion verletzen können.

9. Die Versammlung unterstreicht jedoch, dass dieser Einschätzungsspielraum nicht
unbegrenzt ist und dass jede Beschränkung der Meinungsfreiheit im Einklang mit dem
Richterrecht des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes stehen muss. Meinungsfreiheit –
wie sie nach Artikel 10 der Konvention garantiert wird – ist von entscheidender Bedeutung
für jede demokratische Gesellschaft. Nach der Satzung des Europarates ist die gemeinsame
Anerkennung der demokratischen Werte die Basis für die Mitgliedschaft im Europarat

10. Der Versammlung ist bewusst, dass sich in der Vergangenheit in der nationalen
Gesetzgebung und Praxis betreffend Gotteslästerung und andere religiöse strafbare
Handlungen oftmals die Vormachtstellung bestimmter Religionen in einzelnen Staaten
widerspiegelte. In Anbetracht der größeren Vielfalt der religiösen Überzeugungen in Europa
und des demokratischen Grundsatzes der Trennung von Staat und Religion sollten die
Blasphemiegesetze von den Mitgliedstaaten und -parlamenten überprüft werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63 – Drucksache 16/8170

11. Die Versammlung stellt fest, dass nach dem Internationalen Übereinkommen zur
Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung die Unterzeichnerstaaten verpflichtet
sind, Diskriminierungen zu verurteilen und wirksame Maßnahmen gegen sie zu treffen. Alle
Mitgliedstaaten, die dieses Übereinkommen unterzeichnet haben, müssen sicherstellen, dass
Mitglieder einer bestimmten Religion im Rahmen von Blasphemiegesetzen und damit
zusammenhängenden Straftaten weder bevorrechtigt noch benachteiligt werden.

12. Die Versammlung bekräftigt erneut, dass Hassreden gegen religiöse Gruppen aus
religiösen oder anderen Gründen in Übereinstimmung mit der von der Europäischen
Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ausgearbeiteten allgemeinen politischen
Empfehlung Nr. 7 über nationale Gesetze zur Bekämpfung von Rassismus und
Rassendiskriminierung gesetzlich unter Strafe gestellt werden sollten. Um als Hassrede in
diesem Sinne zu gelten, muss eine Rede gegen eine Person oder eine bestimmte
Personengruppe gerichtet sein. Nach innerstaatlichem Recht sollten Äußerungen unter Strafe
gestellt werden, die zu Hass, Diskriminierung oder Gewalt gegen eine Person oder eine
Personengruppe aufgrund ihrer Religion aufrufen.

13. Die Versammlung betont, dass die Religionsfreiheit nach Artikel 9 der Europäischen
Menschenrechtskonvention Religionen auch bei ihrer Festlegung von Werten für ihre
Anhänger schützt. Den Religionen steht es zwar frei, religiöse Verstöße unter Strafe zu
stellen, doch diese Strafen dürfen weder das Leben noch die körperliche Unversehrtheit, die
Freiheit oder das Eigentum einer Person oder die zivilen und grundlegenden Rechte von
Frauen bedrohen. Die Versammlung verweist in diesem Zusammenhang auf ihre
Entschließung 1535 (2007) betr. die Bedrohung des Lebens und der Meinungsfreiheit von
Journalisten und verurteilt ausdrücklich die Todesurteile, die von muslimischen Führern
gegen Journalisten und Schriftsteller verhängt wurden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet,
den Einzelnen vor religiösen Sanktionen zu schützen, die das Recht auf Leben und das Recht
auf Freiheit und Sicherheit einer Person nach Artikel 2 und 5 der Europäischen
Menschenrechtskonvention bedrohen. Darüber hinaus hat kein Staat das Recht, derartige
Strafen für religiöse Verstöße als solche zu verhängen.

14. Die Versammlung stellt fest, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 9 der Europäischen
Menschenrechtskonvention verpflichtet sind, die Religionsfreiheit einschließlich der freien
Religionsausübung zu schützen. Dies bedeutet, dass Vorkehrungen zum Schutz vor einer
Störung dieser Ausübung durch andere getroffen werden müssen. Diese Rechte können
jedoch manchmal bestimmten berechtigten Beschränkungen unterliegen. Die
Herausforderung für die Behörden besteht darin, ein faires Gleichgewicht zwischen den
Interessen von einzelnen als Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft bei der Gewährleistung
der Beachtung ihres Rechts auf Religionsausübung oder ihres Rechts auf Bildung und dem
allgemeinen öffentlichen Interesse oder den Rechten und Interessen von anderen zu finden

15. Die Versammlung ist der Auffassung, dass, soweit es in einer demokratischen
Gesellschaft gemäß Artikel 10 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention
unentbehrlich ist, nach innerstaatlichem Recht nur die Äußerungen zu religiösen
Angelegenheiten unter Strafe gestellt werden sollten, die eine absichtliche und massive
Störung der öffentlichen Ordnung darstellen und zu öffentlicher Gewalt auffordern.

16. Sie fordert die nationalen Parlamente auf, entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen
und Maßnahmen zur Überprüfung der Umsetzung dieser Empfehlung auf nationaler Ebene
einzuleiten.

17. Die Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee:

Drucksache 16/8170 – 64 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

17.1. die Entschließung 1510 (2006) betr. die Meinungsfreiheit und die Achtung religiöser
Überzeugungen zusammen mit dieser Empfehlung zur Kenntnis zu nehmen und beide Texte
den zuständigen nationalen Ministerien und Behörden zu übermitteln;

17.2. sicherzustellen, dass die nationale Gesetzgebung und Praxis:

17.2.1. eine offene Debatte über Fragen der Religion und der religiösen Überzeugungen
zulassen und keine Bevorrechtigung einer bestimmten Religion in diesem Zusammenhang
vorsehen, die mit den Artikel 10 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention
unvereinbar wäre;

17.2.2. Äußerungen, die zu Hass, Diskriminierung oder Gewalt gegen eine Person oder
eine Personengruppe aufgrund ihrer Religion sowie aus irgendwelchen anderen Gründen
aufrufen, unter Strafe stellen;

17.2.3. Aktionen verbieten, die die öffentliche Ordnung absichtlich und massiv stören und
unter Berufung auf religiöse Gründe zu öffentlicher Gewalt aufrufen, soweit dies in einer
demokratischen Gesellschaft in Einklang mit Artikel 10 Absatz 2 der Europäischen
Menschenrechtskonvention notwendig ist;

17.2.4. dahingehend überprüft werden, dass Gotteslästerung als eine Beleidigung einer
Religion entkriminalisiert wird;

17.3. die Mitgliedstaaten zu ermutigen, das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen
Menschenrechtskonvention (ITS Nr. 177) zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

17.4. seinen zuständigen Lenkungsausschuss anzuweisen, Praxisleitlinien für die
einzelstaatlichen Justizministerien auszuarbeiten, die die Umsetzung der Empfehlungen in
Absatz 17.2 erleichtern sollen;

17.5. den zuständigen Lenkungsausschuss anzuweisen, Praxisleitlinien für die
einzelstaatlichen Bildungsministerien auszuarbeiten, die zu mehr Verständnis und Toleranz
zwischen den Schülerinnen und Schülern aus unterschiedlichen Religionen führen sollen;

17.6. über ihre Außenministerien Maßnahmen auf der Ebene der Vereinten Nationen
einzuleiten, um sicherzustellen, dass:

17.6.1. nationale Gesetze und Praxis der Unterzeichnerstaaten des Internationalen
Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Personen einer
bestimmten Religion nicht bevorrechtigen;

17.6.2. die Allianz der Zivilisationen bei ihrer Arbeit das Klischee einer so genannten
„westlichen“ Kultur vermeidet, dass sie sich für andere Weltreligionen öffnet und dass sie
offenere Debatten zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen und nichtreligiösen
Gruppen fördert;

17.7. im Namen ihrer Regierungen alle Todesdrohungen und Aufstachelungen zu Gewalt
durch religiöse Führer und Gruppen zu verurteilen, die gegen Personen gerichtet sind, die von
ihrem Recht auf Meinungsfreiheit in religiösen Angelegenheiten Gebrauch gemacht haben.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 65 – Drucksache 16/8170

17.8. die Mitgliedstaaten aufzufordern, mehr Initiativen zur Förderung von Toleranz in
Zusammenarbeit mit ECRI zu ergreifen.

Drucksache 16/8170 – 66 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Redebeiträge deutscher Parlamentarier

Annahme der Tagesordnung

Abg. Walter Riester (SPD):

Herr Präsident,
Ich möchte zur Tagesordnung sprechen und zwar deswegen, weil wir den Bericht zur sozialen
Dimension Europas, zur Weiterentwicklung unserer Sozialcharta, wie ich meine zu einem der
wichtigsten Dokumente, die dieses hohe Haus jemals gefasst hat, in der Tagesordnung an die
letzte Stelle gesetzt haben. Welches Symbol setzen wir damit?
Sie wissen, was es bedeutet, wenn dieses Haus nur noch mit wenigen Abgeordneten besetzt
ist und wir dann eine der zentralen Zukunftsdebatten auf diesen Platz setzen.
Ich beantrage, dass dieses Thema vom letzten Platz weggenommen und vorgezogen wird, an
einen Zeitpunkt, wo dieses Haus voll besetzt ist. Das Signal das wir geben wäre andernfalls
fatal.
Ich beantrage, dass wir diesen Tagesordnungspunkt am Dienstag aufnehmen.

Abg. Prof. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):

Danke, Herr Vorsitzender.
Die vereinigte europäische Linke unterstützt den Vorschlag der Sozialisten.

Rede von Alfred Gusenbauer, Bundeskanzler von Österreich

Abg. Doris Barnett (SPD):

Vielen Dank.
Herr Bundeskanzler, ich begrüße es sehr, dass Sie sich dafür einsetzen, dass die EU der
europäischen Menschenrechtskonvention beitritt, aber führt der Vorbehalt der Briten mit
ihrem Opt-out nicht dazu, dass die Rechtspersönlichkeit der EU eben nicht hergestellt wird
und es deswegen eben nicht zum Beitritt zur Menschenrechtskonvention kommt?
Und zweitens würde ich Sie gerne fragen: Sie haben sich für die Leistungsfähigkeit, für die
Steigerung des Menschenrechtsgerichtshof eingesetzt, und gerade eben haben Sie auch
angesprochen, dass es oft am Kleingeld hängt. Wäre es dann nicht sinnvoller, sich auch so
wie bei der Ausstattung der europäischen Menschenrechtsagentur in Wien, die doch relativ
üppig ausgestattet ist, auch für eine entsprechende Ausstattung des europäischen
Menschengerichtshofs einzusetzen?

Euro-mediterrande Politik für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum

Abg. Rainder Steenblock (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):

Herr Vorsitzender,
Der vorliegende Entwurf der Resolution zur euro-mediterranen Agrarpartnerschaft ist zu
begrüßen:

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67 – Drucksache 16/8170

Er erwähnt zu Recht die notwendige, aber noch wünschenswerte Verknüpfung und Kohärenz
der Arbeit des Europarates, der EU-Nachbarschaftspolitik und des bisher enttäuschend
verlaufenden Barcelona-Prozesses der euro-mediterranen Partnerschaft.
Die Landwirtschaft wird als strategischer Pfeiler der euro-mediterranen Partnerschaft
herausgestellt.
Das ist entscheidend, denn die Landwirtschaft hat für die Bevölkerung dieser Region
existenzielle Bedeutung. Ein Drittel der Bevölkerung lebt im ländlichen Raum und
nachhaltige Entwicklung ist direkt mit Armutsbekämpfung verbunden.
Er bietet eine sehr gute Grundlage für die zukünftige Arbeit, durch die Betonung der
Zusammenarbeit auf drei Qualifikationsebenen: Politikern, d.h. Entscheidungsträgern,
Wissenschaftlern sowie Branchenzugehörigen und Erzeugern.
Wichtig wären aus grüner Position jedoch noch folgende Punkte:
Der Zusammenhang zwischen nachhaltiger Entwicklung der Landwirtschaft und Klimaschutz
muss deutlicher definiert werden. Die globale Herausforderung des Klimawandels, die Rolle
der Landwirtschaft für den Klimaschutz und die besondere Leistungsfähigkeit des
ökologischen Landbaus muss in den Mittelpunkt der gemeinsamen Agrarpolitik gerückt
werden. Es müssen Anreize geschaffen werden, damit Landwirte klimafreundlich
wirtschaften und die CO2-Bindung erhöht wird.
Die Beziehung zur WTO muss klarer formuliert werden. Handelsverzerrende Subventionen
wie die Exportsubventionen der EU müssen abgeschafft werden. Dies ist nicht nur aus
entwicklungspolitischer Sicht dringend notwendig. Die Entwicklung stabiler heimischer
Agrarmärkte ist für die Entwicklungsländer ein erster wichtiger Schritt aus der Abhängigkeit.
Gleichzeitig müssen soziale und ökologische Standards in die WTO-Verhandlungen integriert
werden. Ein gezielter Schutz der Agrarmärkte der Entwicklungsländer und der Respekt der
Ernährungssouveränität sind unabdingbar.
Die euro-mediterrane Landwirtschaftpolitik muss in Einklang mit der EU-internen
Gemeinsamen Agrarpolitik, der Entwicklungshilfepolitik und der Nachbarschaftspolitik der
Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, sowie dem “Recht auf Nahrung” gebracht
werden.

Die soziale Dimension Europas: vollständige Umsetzung der revidierten Europäischen
Sozialcharta und Evaluierung neuer Arbeitsstandards und Mindestlöhne

Abg. Walter Riester (SPD):

Herr Präsident,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Der Bericht und die Entschließung beschäftigen sich mit der sozialen Dimension Europas,
und darüber hinausgehend mit der sozialen Gestaltung von Globalisierung. Wir befinden uns
somit im Kern unserer Aufgabenstellung des Europarates.
Europa, von dem ich der Auffassung bin, dass es das größte Zukunftsprojekt nach dem
Zweiten Weltkrieg ist, hat uns einen ungeheuren Gewinn an Friedenssicherung gebracht,
einen enormen Zuwachs an Wachstum, eine Vielfalt von Kulturen, die aufeinander zugingen
– das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite steht aber auch, dass der Wettbewerb sich verschärft hat - der
Wettbewerb um Wohlstand, der Wettbewerb um Arbeitsplätze, der Wettbewerb der
Sozialsysteme -, und dass dieser Wettbewerb bei vielen Menschen auch Ängste und Sorgen
auslöst.
Hier exakt ist die Politik gefordert, dem Markt auch Schranken zu weisen und soziale
Ordnungsprinzipien zu entwickeln. Es gibt kein Gremium in Europa, das dies so früh

Drucksache 16/8170 – 68 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

angegangen ist wie der Europarat, und es gibt keine Charta, die das so ausführlich regelt wie
die Sozialcharta. Ich bin dem Kanzler der Republik Österreich dankbar, dass er es in seinen
Ausführungen gestern so in den Mittelpunkt gestellt hat.
Ich fand aber auch richtig, dass er sagte, dass die Umsetzung der Charta Praxisdefizite hat.
Und ich ergänze: Sie hat auch Informationsdefizte. Zu wenige aktiv handelnde Politiker und
schon gar nicht die Menschen in Europa wissen um diese Charta. Dem muss Abhilfe
geschaffen werden, denn sie ist neben der Menschenrechtscharta, wie ich meine, das
wichtigste Dokument dieses Hauses.
In der Entschließung wird nun eine Überlegung aufgenommen, diesen Prozess der sozialen
Gestaltung an die Menschen heranzuführen. Wir alle haben in unseren Ländern Prozesse der
Reform, in denen es in vielfältiger Weise um Gesundheits- und Rentensysteme und den
Arbeitsmarkt geht, Systeme, die nahe bei den Menschen sind.
Die Entschließung fordert uns auf, die Elemente der Charta zu den jeweiligen Themen in den
nationalen Reformprozess einzugliedern, weil es uns die Chance eröffnet, dann in einen
europäischen Prozess sozialer Gestaltung überzugehen und gleichzeitig die wichtigsten
Elemente der Charta im Prozess der sozialen Auseinandersetzung in den Nationalstaaten
transparent zu machen.
Es gibt aber auch Bereiche, in denen die Charta noch keine Aussagen macht, Bereiche, die
gleichzeitig aber große Sorgen auslösen. Ich erinnere an die Diskussion um die europäische
Dienstleistungsrichtlinie, die letztes Jahr heftige Diskussionen um die Frage ausgelöst hat,
welche Normen bei der Ausführung von Dienstleistungen bei den sehr unterschiedlichen
Wohlstandsniveaus, die wir in Europa haben, denn gelten. Die Bolkenstein-Richtlinien haben
aufgezeigt, dass sie nicht akzeptiert wurden. Ein Rückgriff auf die Charta war nicht möglich.
Deswegen der zweite, richtungsweisende Vorschlag: Wir sollten dem Unterausschuss der
Sozialcharta mit der Kommission für die Entwicklung der sozialen Rechte Europas auch ein
Normenraster entwickeln, das bei Arbeitsmarktfreizügigkeit, bei Dienstleistungsfreiheit und
im Übrigen auch bei der Freiheit der Niederlassung von Selbständigen zu berücksichtigen ist.
Das wäre der zweite große Schritt für die Weiterentwicklung der Sozialcharta.
Der Bericht geht aber darüber hinaus. Er zeigt auf, dass durch das Eintreten großer Teile
dieser Welt, der Schwellenländer – ich denke vor allem an China, an Indien, an Brasilien; drei
Länder, die die Hälfte der Menschheit ausmachen -, die mit einem Tempo in den
Wachstumsprozess eintreten, wie er uns bisher auf diesem Planeten nicht bekannt war,
gleichzeitig völlig neue Problemstellungen in Bezug auf Sozialstandards aufgeworfen werden.
Allein in China sind 200 Millionen Wanderarbeiter im Kern völlig rechtlos – das bedeutet,
etwa so viel, wie wir Arbeitnehmer im EU-Europa haben. Sie setzen aber gleichzeitig
weltweit Standards. Deswegen ist es wichtig, dass wir über den europäischen Prozess sozialer
Gestaltung hinaus vom Europarat aus den Dialog mit darüber hinausgehenden Organisationen
aufnehmen. Hier denkt die Entschließung vor allem an das internationale Arbeitsamt. Um in
Abstimmungsprozesse zu kommen darüber, wie Globalisierung sozial gestaltet werden kann,
wie wir diesen aus unserer Sicht wichtigen Prozess der sozialen Gestaltung auch
fruchtbringend einbringen können in die politische Debatte der Welt.
Der vorliegende Bericht lag bei zwei Anhörungen der Wissenschaft, aber auch wichtiger
Organisationsvertreter der europäischen Gewerkschaften, des europäischen Arbeitsmarktes,
zur Beurteilung vor. Ich freue mich über die große Zustimmung, die wir erhalten haben. Ich
freue mich natürlich auch, dass der Bericht einstimmig angenommen worden ist.
Aber das für mich wichtigste wäre, dass wir, ausgehend von einem solchen Bericht, die Praxis
verbessern. Ein kleines Beispiel: Ich als deutscher Abgeordneter habe mich furchtbar
geärgert, dass mein Land bisher die ratifizierte Sozialcharta nicht gezeichnet hat. Ich selbst
habe vor zwei Monaten einen sehr kritischen Beitrag im deutschen Parlament gegeben, in
dem ich sagt: "Wenn bis zum Abschluss der deutschen Präsidentschaft keine Unterzeichnung
vorliegt, werde ich eine öffentliche Anhörung dazu durchführen und entsprechende Publizität
auslösen".

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 69 – Drucksache 16/8170

Und ich freue mich, dass vor drei Wochen die deutsche Regierung die Unterzeichnung
beschlossen hat, und in dieser Woche die Unterzeichnung der deutschen Regierung zur
ratifizierten Sozialcharta eingebracht wurde. Das aber sind Punkte, die wir als Parlamentarier
auch in der Frage der weitergehenden Umsetzung der Sozialcharta in unseren Nationalstaaten
einbringen müssen.
Deswegen erhoffe ich mir von diesem Bericht von der Entschließung über die heutige Debatte
hinaus, dass wir das Profil des Europarates in dieser Sicht schärfen, und dass die Menschen
wissen, dass dieser Europarat der stärkste Garant für die Entwicklung der Sozialgestaltung
dieses Europas ist.
Herzlichen Dank.

Die soziale Dimension Europas: vollständige Umsetzung der revidierten Europäischen
Sozialcharta und Evaluierung neuer Arbeitsstandards und Mindestlöhne

Abg. Prof. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
Gestern haben wir sowohl vom Bundeskanzler Österreichs als auch vom Präsidenten des
Europäischen Parlaments in diesem Saal viel Lob über den neuen Vertrag gehört.
Der EU-Gipfel der vergangenen Woche wurde notwendig, weil zuvor der Verfassungsvertrag
in Frankreich und den Niederlanden per Volksentscheid abgelehnt wurde. Die Franzosen und
Niederländer sahen vor allem ihre sozialen Rechte und Interessen in der Verfassung nicht
genügend berücksichtigt.
Dementsprechend wäre es Aufgabe des Gipfels gewesen, dieses Bedürfnis der Bürgerinnen
und Bürger nach einem sozialen Europa ernst zu nehmen. Doch die Bilanz des EU-Gipfels ist
in dieser Hinsicht mehr als ernüchternd.
Die Menschenrechts-Charta und hierbei die Sozial-Charta bei dem Vertrag der EU-Staaten
hätte also eine besondere Bedeutung für Europa gehabt. Das erzielte Ergebnis bleibt weit
hinter dem des EU-Verfassungsvertrages zurück. Auch die Verbindlichkeit der Sozial-Charta
wird sehr unterschiedlich bewertet. Die neoliberale Orientierung in Europa wurde auf dem
Gipfel weiter gestärkt.
Europa, meine Damen und Herren, unterscheidet sich ganz wesentlich von anderen
Kontinenten, auch von Nordamerika, vor allem dadurch, dass dier der Sozialstaat, die sozialen
Sicherungssysteme, die Rechte der Gewerkschaften, Schutz der Armen und Benachteiligten
und die Idee der sozialen Gerechtigkeit historische Errungenschaften sind.
Breite Teile der Bevölkerung in vielen europäischen Staaten haben sich diese Werte unbeirrt
zu eigen gemacht. Sie gehören im Wertekatalog Europas zu den wichtigsten zivilisatorischen
Errungenschaften und zur Lebensqualität der Menschen. Sie sind nicht geschenkt worden
sondern wurden im Laufe der Jahrhunderte insbesondere in Europa erkämpft.
Mit Bedauern stellen wir jedoch fest, dass der Neo-Liberalismus, das heißt, die Schicksale der
Menschen dem sogenannten freien Markt überlassen, alles andere dominiert. Lieberalisierung
und Privatisierung führen jedoch sehr oft zur Monopolbildung und somit zur Beherrschung
der Märkte von einer Handvoll transnationaler Konzerne.
Der viel beschworene Wettbewerb und die so genannte freie Marktwirtschaft bleiben auf dem
Papier. Mehr als 90 Prozent des Stroms beispielsweise in Deutschland wird von nur vier
Konzernen beherrscht. im Bereich Gas und Erdöl kann eine ähnliche Entwicklung beobachtet
werden.

Drucksache 16/8170 – 70 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Von der Privatisierung sollten die Bürger profitieren, so wurde diese Liberalisierung verkauft.
Was wir aber erleben, ist gerade das Gegenteil: Die Energiepreise sind in den letzten Jahren
extrem gestiegen.
Die Linke, meine Damen und Herren, will ein Europa, in dem die soziale Gerechtigkeit, der
Schutz der Benachteiligten und Armen, der Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme
als Rechte der Bürger im Wertekatalog Europas angehören.
Das Verhindern von Lohn- und Sozialdumping zwischen den Ländern und Regionen Europas
und gleiche Rechte für eingewanderte Migranten müssen in Europa selbstverständlich sein.
Die europäische Linke will nicht nur den Frieden in Europa, sondern überall in der Welt ohne
militärische Interventionen. Sie will die wirtschaftliche Entwicklung im Einklang mit dem
Schutz der Natur harmonisieren sehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Die soziale Dimension Europas: vollständige Umsetzung der revidierten Europäischen
Sozialcharta und Evaluierung neuer Arbeitsstandards und Mindestlöhne

Abg. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):

Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
Ich möchte Walter Riester danken dafür, dass er uns an die Qualitäten der Arbeit des
Europarates erinnert. Der Europarat hat hier Werte gesetzt, die gelten und zukunftsweisend
sind. Sie sind fast fünfzig Jahre alt, und sie müssen fortgeschrieben werden, weil die Welt
sich ändert. Aber die Prinzipien der Sozial-Charta sind richtig, und ich freue mich, dass wir
uns heute zu diesem Zeitpunkt vornehmen wollen, sie wieder zu neuem Glanz und auch in das
Bewusstsein der Menschen in Europa zu bringen.
Wir haben von vielen Vorrednern gehört, was passiert in der Welt. Und wir erleben selbst in
den europäischen Staaten, dass es Prozesse gibt, denen wir zum Teil hilflos gegenüber stehen.
Wo selbst die Regierungen versucht sind, zu sehen, wie schaff ich dass, das die Unternehmen
die ich hier im Lande gerne haben möchte, herkommen, ist es nicht mehr selbstverständlich,
dass sie nicht nur an sich und an ihre Aktionäre denken, sondern daran, dass auch die
Menschen, die in diesen Unternehmen arbeiten, davon gut leben können. Das ist nicht mehr
selbstverständlich.
Wir haben „the working poor“ in Europa, auch in den reichen Ländern. Zunehmend gibt es
Menschen, die mehrere Jobs brauchen. Sowieso muss schon die ganze Familie arbeiten, damit
der Lebensstandard einigermaßen erhalten bleibt, und das sind Millionen von Menschen, auch
in Deutschland, wo die Frauen gar nicht mehr an Kinder denken können, weil sie die
Wohnung sonst nicht bezahlen können und weil sie sonst nicht auskommen mit dem Geld.
Wir haben in vielen Ländern Osteuropas ganz stark zurückgehende Geburtenzahlen: die
Frauen bekommen keine Kinder mehr, weil sie am Wohlstand teilhaben wollen und weil der
Staat es nicht schafft, und weil die Gesellschaft es nicht schafft, diese beiden Dinge
zusammenzubringen. Deshalb, glaube ich, ist es ganz wichtig, dass wir diese Werte, die in der
Sozial-Charta enthalten sind, zur Geltung bringen in jedem einzelnen Mitgliedstaat. Das mag
unterschiedlich möglich sein.
Wenn ich in der skandinavischen Tradition dann arbeiten kann, und die Zugehörigkeit, die
Identität der Arbeitgeber mit dem eigenen Land so groß ist, dass sie stolz sind, wenn sie was
für ihre Arbeitnehmer tun, dann ist das gut; das gibt es noch in Europa. Aber es ist nicht mehr
die Regel.
Manchmal weiß man gar nicht mehr, wer der Arbeitgeber ist. Wem gehört der Betrieb
eigentlich, wer hat da eigentlich die Verantwortung? Und die, denen der Betrieb gehört,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 71 – Drucksache 16/8170

wissen gar nicht was überhaupt mit ihrem Geld gemacht wird, weil das Ganze unübersichtlich
wird, weil die Zuständigkeit, die Verantwortung sich verwischen.
Das Gleiche sehen wir auf der Arbeitnehmerseite. Dort werden ganze Gruppen von Menschen
aus dem einen Land mit Bussen ins andere Land gebracht, weil sie dann dort billiger arbeiten,
als die eigenen Leute. Das ist alles möglich. Es sind Unternehmen, die Menschen hin- und
herschieben, in Containern hin- und herfahren, an der Baustelle in Containern wohnen lassen,
weil es billiger ist. Das ist menschenunwürdig.
Weshalb lassen es sich das diese Menschen gefallen? Weil es ihnen so immer noch besser
geht, weil sie nämlich mehr Geld nach Hause nehmen, weil da noch weniger zu verdienen ist.
Wir haben diesen Dumping-Prozess in Europa, der dazu führt, dass die Arbeitnehmer nicht
mehr in der Lage sind, hier ihre eigenen Rechte wahrzunehmen, dass sie oft ohnmächtig sind,
sich nicht mehr organisieren.
Und ich denke, das ist eine ganz wichtige Forderung, die wir zu erfüllen haben. Wir haben die
politischen Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass Menschen sich organisieren und für
ihre Rechte in ihrem Land, da wo sie leben wollen, eintreten können. Das gelingt in einigen
Ländern besser und in anderen Ländern schlechter.
Wir haben Länder mit einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von 80%: In den
skandinavischen Ländern, auch in Österreich ist der gewerkschaftliche Organisationsplan
höher, und das sind häufig Länder, die sehr stabil und stark sind, die investieren können. Dort
gibt es viele Menschen, die Geld verdienen und also auch Steuern zahlen können. Und wenn
man Steuern zahlen kann, kann man etwas für seine Leute tun, das hängt ja alles miteinander
zusammen.
Von daher denke ich, das skandinavische Modell ist ein gutes Modell. Doch Deutschland, als
reiches Land, hat einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von 20%. Das heißt, nur 20%
der Arbeitnehmer engagieren sich für die gesamte Arbeitnehmerschaft, engagieren sich dafür,
dass das Geld im Lande bleibt und dass das Geld, welches erwirtschaftet wird, den Menschen
zugute kommt.
Diese Tatsache muss uns zu denken geben. Und ich glaube, es ist schon ein Armutszeugnis,
wenn wir uns in den Ländern Europas über einen gesetzlichen Mindestlohn Gedanken
machen: Das ist notwendig, aber es ist traurig, das es so kommen musste. Jetzt müssen die
Regierungen selbst dafür sorgen, dass die Menschen genug verdienen; früher haben die
Menschen in diesen Ländern selbst dafür sorgen können.
Das heißt, wir müssen die Arbeitsbedingungen für Gewerkschaften verbessern. Ich denke, die
Menschen zu ermutigen sich zu organisieren, dass wir Ihnen das Recht und den Staaten die
Pflicht geben, dafür zu sorgen, dass das möglich ist; das ist eine sehr große Errungenschaft
dieser Sozial-Charta.
Daher freue ich mich, dass wir sie wieder ins Gespräch bringen und ich freue mich, wenn
möglichst viele in ihren Ländern, in ihren Parlamenten dafür sorgen, dass die Menschen selbst
die Chancen wahrnehmen können und für ein besseres Leben in ihrem Land auch streiten
dürfen, und dass es ihnen leicht gemacht wird, das zu tun.
Ich danke Ihnen.

Die soziale Dimension Europas: vollständige Umsetzung der revidierten Europäischen
Sozialcharta und Evaluierung neuer Arbeitsstandards und Mindestlöhne

Abg. Walter Riester (SPD):

Danke schön, Herr Präsident!
Als erstes möchte ich mich bedanken für die ungeschmälerte und ungeteilte Zustimmung, die
von allen Fraktionen dieses Hauses zu diesem Bericht kam. Ich danke auch für alle

Drucksache 16/8170 – 72 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Debattenbeiträge einzelner Abgeordneter; es wurde sichtbar und hörbar, welch große
Herausforderung in der sozialen Gestaltung Europas noch vor uns liegt.
Das kann keinen überraschen. Frau Tomaszewska, Sie haben auf die Frage des freien Falls
von Normen hingewiesen, und einige Redner haben auf die Unterschiede zwischen hoch
entwickelten Ländern und Ländern mit Entwicklungsdefiziten hingewiesen.
Ich will Ihnen sagen, ich habe in der letzten Woche mit Schrecken einen Bericht aus meinem
Land, aus Deutschland, gelesen. Im Süden dieses Landes wurden einhundert rumänische
Landarbeiter zu Löhnen zwischen 1,00 € und 1,20 € beschäftigt. Natürlich greift die Polizei
dort ein, aber dass so etwas, wenn es denn sichtbar wird, in einem so reichen Land wie
Deutschland möglich ist, macht klar, welch große Defizite im Umsetzen wir in solchen
Fragen haben.
Es ist eine große Herausforderung, und ich würde mir sehr wünschen, wenn diese Debatte, die
wir heute geführt haben, Ausgangspunkt wäre für eine regelmäßige Dabatte, möglichst mit
noch vollerem Haus, vielleicht im Abstand von zwei Jahren. Eine Debatte, in der wir uns über
den Stand der Entwicklung dieses sozialen Europas informieren und darüber, was wir selbst
als Abgeordnete in unseren Ländern eingebracht haben, sowie das Haus selbst und die
Ausschüsse informieren, welche nächsten Schritte gemacht worden sind.
Und ich wünsche mir, dass wir als Abgeordnete auch vor unseren Wählern, vor der
Bevölkerung, in unseren Parlamenten berichten können, dass dieser Europarat Kernmotor ist
für die Entwicklung und Absicherung sozialer Rechte. Das wäre als Ausgang einer solchen
Debatte ein Wunsch von mir.
Ich sehe auf die Zeit, jetzt haben wir gerade die Hälfte, und frage meinen Kollegen vom
Wirtschaftsausschuss, ob er noch eine Erklärung dazu abgeben möchte.
Wenn das nicht der Fall ist, dann glaube ich nicht einzelnen Wortbeiträgen mit zusätzlichen
Argumenten nochmals Wirkung zu geben, sondern ich möchte mich nochmals bedanken, vor
allem auch beim Sekretariat, das mich sehr stark unterstützt hat, denn eine solche Arbeit ist
nie die Arbeit eines einzelnen. Das war eine sehr gute Arbeit, und sie verdient, dass Sie sie
umsetzen und in die nationalen Parlamente einbringen.
Herzlichen Dank.

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung
von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

Abg. Christoph Strässer (SPD):

Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Teilweise, muss ich gestehen, habe ich bei dieser Versammlung heute den Eindruck, hier wird
etwas verwechselt: Ein parlamentarisches Gremium diskutiert über einen Bericht wie in einer
Gerichtsverhandlung. Auch ich persönlich bin der Ansicht, dass der Bericht, den wir
diskutieren, Schwächen und Mängel hat, die man aufdecken muss, über die man nachdenken
muss, aber wir sollten keine Länder an den Pranger stellen oder verurteilen. Sondern ich
meine, wir machen hier eine vernünftige Arbeit auf der Grundlage eines Berichts, über den
man politisch diskutieren muss.
Auch mein Land ist ja angesprochen und ich sage auch, dass ich Teile der Vorwürfe, die dort
gemacht worden sind, nicht akzeptiere, und ich denke auch, dass man weiterhin darüber
diskutieren muss. Der größte Mangel, aus meiner Sicht, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist in der Tat der, dass das, was hier beklagt worden ist, und was
ich auch politisch beklage, nämlich eine nicht ganz für uns nachvollziehbare Transparenz, mit
der Dauer des Verfahrens zusammenhängt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73 – Drucksache 16/8170

Wir haben im Rechtsausschuss sehr wenig Zeit gehabt, substanziell über die Dinge zu
diskutieren, aber ich sage trotzdem, dass all das, was in diesem Bericht steht, und dieser
Bericht insgesamt, von mir in seiner Tendenz unterstützt wird, weil er der Aufgabe und der
Arbeit dieser Parlamentarischen Versammlung des Europarates nachkommt.
Deshalb, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur noch einige wenige
Anmerkungen zum Inhalt und zu den Aussagen des Berichtes, soweit sie sich mit der Materie
befassen, die Kernproblematik des Europarates ist.
Wenn nicht wir, wer den dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann in der Lage sein,
Menschenrechtsverletzungen unter verschiedensten politischen Aspekten anzusprechen und
Vorschläge zu machen, wie damit umzugehen ist. Mehr bzw. etwas anderes interpretiere ich
in diesem Bericht auch nicht hinein. Hier geht es meines Erachtens um drei Kernbegriffe:
Der eine Kernbegriff ist der der Bekämpfung des Terrorismus, der zweite ist der des
Staatsgeheimnisses, und ich denke, der dritte und wichtigste für uns ist unter all diesen
Aspekten die Wahrung der Menschenrechte. Also Bekämpfung des Terrorismus, Wahrung
von Staatsgeheimnissen, Wahrung der Menschenrechte.
Ich kann nicht alle Vorwürfe verifizieren, die in dem Bericht stehen. Aber was dieser Bericht
bewirkt hat, und ich denke, das ist doch eigentlich die Kernbotschaft, ist ein Debatte in allen
Mitgliedsländern des Europarates, aber auch darüber hinaus, selbst in den Vereinigten
Staaten. Er hat eine Debatte losgetreten über das Verhältnis zwischen
Terrorismusbekämpfung, Staatsgeheimnissen und Wahrung der Menschenrechte. Meine
Kernaussage, die ich aus diesem Bericht entnehme, ist die folgende.
Jawohl, wir alle wollen mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, den Terrorismus
bekämpfen. Jawohl, auch wir und auch ich sage ganz deutlich, natürlich gibt es einen
Kernbereich von geschützten Informationen, die wir auch in dem Bereich der Geheimhaltung
belassen wollen. Aber, und das ist glaube ich auch sehr wichtig, es kann nicht sein, dass mit
dem Argument der Wahrung des Staatsgeheimnisses und mit dem Argument der Bekämpfung
des Terrorismus Menschenrechte verletzt werden in der Art und Weise, wie sie zum Teil in
diesem Bericht beschrieben worden sind.
Daher muss ich sagen, an der Stelle kann ich die Tendenz dieses Berichtes nur unterstützen,
auch bei Kritik in Einzelpunkten. Aus meiner Sicht ist es z.B. falsch und nicht der
Glaubwürdigkeit des Berichtes zuträglich, wenn man die Verletzung des Staatsgeheimnisses
und alle darauf folgenden staatlichen Restriktionen gleichsetzt.
Es ist ein Unterschied, ob in Staaten Staatsgeheimnisse zurückgehalten werden, um
Aufklärung zu behindern, oder ob Staatsgeheimnisse als Instrument behandelt werden, um
missliebige Journalisten und andere Kritiker des Systems zu bestrafen, zu belangen und in
Haft zu nehmen, wie es in anderen Ländern auch Europas geschieht. Ich glaube, an dieser
Stelle besteht ein deutlicher Nachbesserungsbedarf, den wir auch gleich noch bei den
Amendments besprechen werden.
Dennoch glaube ich, ist der Bericht insgesamt geeignet, die Diskussion über das Verhältnis
von Terrorismusbekämpfung und Menschenrechten zu beleben. Für uns steht ganz klar bei
der Bekämpfung des Terrorismus die Wahrung der Menschenrechte immer noch im
Vordergrund.
Danke schön.

Drucksache 16/8170 – 74 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung
von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es zeichnet den Europarat aus, dass wir einen so hervorragenden Bericht zu diesem Thema zu
einem unstreitigen Sachverhalt hier diskutieren und ich denke, es ist wirklich an der Zeit,
deutlich zu machen, dass ohne Dick Marty als Berichterstatter es diese Berichte, und zwar
jetzt den zweiten, nicht gegeben hätte. Sie wären nicht möglich gewesen, wenn er nicht so
unermüdlich, auch gegen Anfeindungen, gegen Vorwürfe, auch sehr persönliche Vorwürfe,
an seiner Arbeit drangeblieben wäre.
Genau das wird vom Europarat und von der Parlamentarischen Versammlung erwartet, dass
das, was in Nationalstaaten vielleicht nicht aufgeklärt werden kann, hier ein anderes Gewicht
bekommt. Denn hier werden Informationen, Fakten vorgelegt, aber dann auch ein
Gesamtbericht, der einfach in dieser sehr bedrückenden Situation von illegalen
Verschleppungen und Verhaftungen in Europa und über Europa hinaus, auf die Tagesordnung
gesetzt wird.
Und es heißt nicht, es gibt sogenannte illegale Verschleppungen und Verhaftungen. Nein,
schon der Titel dieses Mandates des Berichtes sagt: Hier geht es um geheime Verhaftungen
und die unrechtmäßige Verbringung von Menschen innerhalb Europas und über Europa
hinaus. Und ein Berichterstatter des Europarates kann nicht eine Gerichtsentscheidung
vorlegen mit Beweisen, so wie sie in einem Gerichtsverfahren dann auch auf den Tisch gelegt
werden können.
Dazu haben wir nicht das Mandat, wir haben nicht die Befugnis, und es ist nicht unsere
Aufgabe. Das machen die Gerichte. Hier wird auf Grund von Fakten, von Anhaltspunkten,
auch von Indizien, eine gesamte politische Bewertung dieser Vorgänge vorgenommen. Und
das ist Herrn Marty in wirklich überzeugender Weise gelungen.
Hier sind mehrere Länder betroffen, auch Deutschland wird im Bericht erwähnt. Auch in
Deutschland haben wir einen Untersuchungsausschuss, der sich unter anderem mit der
Verschleppung von el-Masri, den Flügen und vielem anderen beschäftigt, und dieser Bericht
hat uns einige Fakten mehr gebracht. Manche Flugnummern auch über den Rücktransport von
el-Masri über europäische Länder kannten wir vorher nicht.
Und wir diskutieren natürlich auch in Deutschland darüber: Was ist Staatsgeheimnis? Was ist
Regierungshandel? Was darf eben nicht in einem Untersuchungsausschuss gegeben werden,
aber was gehört dorthin? Aber wir setzen uns damit auseinander und wir als Opposition
haben, weil es da auch in Deutschland Streitpunke gibt, das Bundesverfassungsgericht
angerufen, damit uns im Untersuchungsausschuss mehr Unterlagen zur Verfügung gestellt
werden.
Das ist doch der richtige Weg, sich so damit auseinanderzusetzen, und der
Untersuchungsausschuss Deutschlands hat eben noch viel mehr Befugnisse, als Herr Marty
sie hier im Europarat hatte. Und es ist richtig und legitim, Zeugen zu benennen und ihre
Anonymität zu bewahren. Denn wenn das nicht möglich ist, werden viele Dinge überhaupt
nicht mehr ausgesprochen werden können.
Ich wehre mich dagegen, dass Herrn Marty gerade mit diesem Vorwurf jetzt die
Glaubwürdigkeit abgesprochen werden soll. Er hat doch dargelegt, wie er auf verschiedenen
Ebenen Informationen gegengecheckt hat, und das ist der Maßstab unserer Arbeit, für jeden
von uns, wenn wir Berichterstatter sind und uns mit solchen schwierigen Situationen zu
befassen haben.
Deshalb sollte dieser Bericht, mit vielleicht noch einigen Verbesserungen, die aber nur
manches noch klarstellen, unbedingt heute hier mit einer überwältigenden Mehrheit

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 75 – Drucksache 16/8170

beschlossen werden. Denn hier zeigt sich, dass der Europarat das menschenrechtliche
Gewissen in dieser Auseinandersetzung ist, in Europa aber auch weit über Europa hinaus.
Vielen Dank.

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung
von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

Abg. Rainder Steenblock (Bündnis 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident!
Danke für die Möglichkeit, zu diesem Bericht Stellung zu nehmen. Ich möchte mich bei Dick
Marty sehr herzlich bedanken.
Ich komme aus einem Land, Deutschland, das in diesem Bericht auch angesprochen worden
ist. Aber ich finde, dass die Tatsache, dass wir uns als Vertreter nationaler Parlamente hier
hauptsächlich damit beschäftigen, unsere Länder zu verteidigen oder zu loben, diesem
Gremium nicht angemessen ist.
Der Titel des Untersuchungsberichts ist "Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige
Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung der Mitgliedstaaten des Europarates". Es ist
mittlerweile bewiesen, dass dieser Titel des Berichtes zu Recht besteht. Diese unglaublichen
Vorgänge haben stattgefunden; diese Kooperation auch zwischen Regierungen und dem CIA
hat stattgefunden bei Vorgängen, die aus meiner Sicht völlig inakzeptabel sind, die, um es
deutlich zu sagen, Menschenrechtsverletzungen in gigantischem Ausmaß von demokratischen
Staaten erlaubt haben.
Und es ist unsere Aufgabe als Parlamentarische Versammlung des Europarates, der sich zu
allervörderst dazu versammelt hat, um die Menschenrechte zu schützen, dass wir an dieser
Stelle wirklich gemeinsam unterstützen, was an Möglichkeiten besteht, um aus diesem
Gremium heraus Menschenrechtsverletzungen auch in Zukunft unmöglich oder zumindest
schwerer möglich zu machen.
Das bedeutet in allererster Linie, Öffentlichkeit herzustellen. Es ist doch völlig klar, dass der
Berichterstatter all die Möglichkeiten der Justiz - Beweisverfahren, Androhung von Strafe bei
Aussageverweigerung -, all die Möglichkeiten, die es bei einem Strafverfahren gibt, nicht hat.
Deshalb ist das Beweisverfahren auch nicht mit gerichtlichen Beweisverfahren vergleichbar.
Doch darum geht es nicht; es geht um politische Aussagen, die hier gemacht werden, um das,
wovon wir alle wissen, dass es passiert ist, in Zukunft unmöglich zu machen. Deshalb bin ich
dem Berichterstatter sehr dankbar, dass er so klar und mit solcher Beharrlichkeit sich an
dieser Stelle wirklich auf den Weg gemacht hat, die Wahrheit herauszufinden.
Es ist unter diesen Bedingungen nicht an allen Stellen möglich gewesen, die Wahrheit
eindeutig festzustellen. Das liegt jedoch nicht am Berichterstatter, sondern an den
unvollständigen Möglichkeiten, die er in seiner Funktion hat. Was ihm aber gelungen ist, und
dafür bin ich ihm sehr dankbar, ist, Öffentlichkeit herzustellen, und das ist tatsächlich das
Schutzinstrument, das wir als Politikerinnen und Politiker an erster Stelle bemühen müssen,
wenn wir Opfer schützen wollen. Öffentlichkeit ist das erste Instrument, das wir brauchen.
In Deutschland nähern wir uns den Vorwürfen mit einem Untersuchungsausschuss, der
härtere Waffen zur Verfügung hat als der Berichterstatter hier, und wir haben auch in
Deutschland sehr harte Auseinandersetzungen darüber auch parlamentarisch, zwischen
Opposition und Regierung. Wir haben hier, was die Rechte eines Untersuchungsausschusses
angeht, harte Möglichkeiten. Deshalb klagen wir auch jetzt vor dem
Bundesverfassungsgericht, weil wir der Auffassung sind, dass die Bundesregierung an dieser
Stelle Geheimhaltung nicht so interpretiert, dass eine parlamentarische Kontrolle möglich ist.

Drucksache 16/8170 – 76 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ich würde mir wünschen, wenn aus diesem Bericht die Konsequenzen gezogen würden, dass
wir in allen nationalen Parlamenten tatsächlich schärfere Waffen brauchen, um die
Geheimdienste zu kontrollieren. Das heißt nicht, dass wir überall die Öffentlichkeit über die
Geheimdienste herstellen wollen; wir brauchen dieses Instrument, aber wir brauchen eine
vernünftige parlamentarische Kontrolle in allen unseren Ländern, wenn wir unserer Aufgabe,
dem Schutz von Menschenrechten, auch im Kampf gegen Terrorismus tatsächlich
nachkommen wollen. Deshalb, herzlichen Dank, Dick Marty, für die Herstellung der
Öffentlichkeit; das ist das allerwichtigste an dieser Stelle.

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung
von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

Abg. Holger Haibach (CDU/CSU):

Vielen Dank, Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich glaube, dass wir heute einen der wichtigsten Berichte diskutieren, den diese
Parlamentarische Versammlung in den letzten Jahren überhaupt auf der Tagesordnung gehabt
hat. Nicht nur deshalb, weil das Thema wichtig ist, sondern auch deshalb, weil dieser Bericht
wie kaum ein anderer öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat.
Es ist ja schon darauf hingewiesen worden, dass öffentliche Aufmerksamkeit an diesem Punkt
eine ausgesprochen wichtige Angelegenheit ist. Es ist auch zu Recht darauf hingewiesen
worden, dass wir uns hier nicht in einem Gerichtssaal befinden, dass es nicht darum geht,
Länder auf die Anklagebank zu setzen - das kann ich als Vertreter Deutschlands sagen, das ja
ebenfalls in diesem Bericht angesprochen worden ist -, sondern darum, herauszufinden, was
wahrscheinlich ist.
Denn wie Herr Sasi festgestellt hat, wird es sehr schwierig werden, endgültige Beweise zu
finden, aber man kann gewisse Wahrscheinlichkeiten herstellen und sagen, ob man einem
Bericht glaubt, ihn für wahrscheinlich hält, oder nicht. Ich glaube, dass viele der Hinweise,
die in diesem Bericht gegeben werden, Vermutungen und Schlüsse nahelegen. Das, was der
amerikanische Präsident z.B. gesagt hat, tut es ja auch.
Insofern glaube ich, dass dieser Bericht wichtig ist für unsere weitere Arbeit und für die
Schlüsse, die wir in nationalen Parlamenten in der Arbeit von Untersuchungsausschüssen
ziehen, und er ist auch deshalb wichtig, weil wir als Parlamentarische Versammlung des
Europarates daran messen können, ob wir unsere eigene Aufgabe ernst nehmen oder eben
nicht.
Es gibt, glaube ich, kein Land auf dieser Welt und es wird, fürchte ich, keine Gelegenheit,
keine Zeit auf dieser Welt geben, wo es keine Menschenrechtsverletzungen gibt. Aber der
Unterschied, den wir machen müssen, ist der, dass es Mechanismen, Gremien geben muss, wo
Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt und angesprochen werden können. Und dazu ist
nicht nur dieser Bericht, sondern die Parlamentarische Versammlung, wie ich finde, der
richtige Ort.
Auf die unterschiedlichen Gegebenheiten in den Ländern ist auch schon hingewiesen worden.
Da dieser Bericht aber so wichtig ist und wie kaum ein anderer in der Öffentlichkeit diskutiert
wurde und wird, erlaube ich mir, in der verbleibenden Zeit noch einmal auf ein oder zwei
Dinge hinzuweisen, die mir persönlich an dem Verfahren, wie der Bericht diskutiert worden
ist, nicht gefallen haben. Und das ist zum Schluss auch eine Frage, wie wir uns ernst nehmen,
welche Ernsthaftigkeit wir eigentlich unserer eigenen Arbeit beimessen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 77 – Drucksache 16/8170

Ist es einem so wichtigen Bericht wirklich angemessen, dass er den Kolleginnen und
Kollegen, die darüber im Ausschuss entscheiden sollen, quasi am Tag der Verabschiedung auf
den Tisch gelegt wird? Ich habe ihn noch einmal mitgebracht. Ich weiß, er war am Abend
vorher verfügbar, aber für die Kollegen, die erst vorher angereist sind, war es sehr schwierig,
ihn zu lesen. Es ist immerhin ein achtzigseitiger Bericht.
Ist es wirklich angemessen, eine Pressekonferenz festzusetzen, ohne zu wissen, wie der
Ausschuss entscheiden wird? Ist es wirklich angemessen, über 20 Amendments in einer
unglaublichen Geschwindigkeit, einer Dreiviertelstunde gestern mittag, zu diskutieren? Ich
frage mich, ob das der Bedeutung dieses Berichtes angemessen ist. Ich fürchte, das ist es
nicht.
Das finde ich ausgesprochen schade. Das ist nichts, was sozusagen in die Vergangenheit
wirkt, sondern etwas, was wir in Zukunft, wenn wir solche wichtigen Berichte diskutieren, in
berücksichtigen müssen. Ich glaube, wir sollten an der Stelle noch einmal dringend darüber
nachdenken, ob unsere Prozeduren wirklich richtig sind und ob wir unsere Aufgabe, die wir
zweifellos haben, nämlich die Verteidigung der Menschenrechte im Bereich des Europarates
und darüber hinaus, auf diese Art und Weise wirklich vernünftig übernehmen können, und ob
das unserer Aufgabe gerecht wird.
Herzlichen Dank.

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung
von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

Abg. Holger Haibach (CDU/CSU):

Änderungsantrag 18

Danke, Herr Präsident!
Wir schlagen vor, im Paragraphen 8 das Verb "bedauert zutiefst" durch "stellt fest" zu
ersetzen, denn es wird unserer Meinung nach dem Sachverhalt eher gerecht, denn es geht
darum, dass natürlich die Untersuchungen durch die Existenz geheimer Einschränkungen
eingeschränkt werden, aber es nicht unsere Aufgabe, an dieser Stelle eine Wertung
vorzunehmen. Deswegen schlagen wir den geänderten Text vor.

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung
von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

Abg. Holger Haibach (CDU/CSU):

Änderungsantrag 19

Danke, Herr Präsident!
Diese Änderung dient dazu, den Sachverhalt noch einmal klarer und deutlicher darzustellen.
Es geht darum, deutlich zu machen, dass die aufgezählten Länder sich in sehr
unterschiedlichen Situationen befinden und dass auch z.B. in Deutschland, wie das auch
vorhin in der Debatte schon deutlich geworden ist, eine sehr intensive Debatte über die Frage
des Geheimhaltungsbegriffes ausgebrochen ist, und dass es eben auch in Deutschland ein
Verfassungsgerichtsverfahren gibt wegen der Frage, was geheimzuhalten ist und was nicht,
und das wollen wir mit dieser Veränderung zum Ausdruck bringen.

Drucksache 16/8170 – 78 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Geheime Verhaftungen und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen mit Beteiligung
von Mitgliedstaaten des Europarates: Zweiter Bericht

Abg. Holger Haibach (CDU/CSU):

Änderungsantrag 20

Herr Präsident,
Wir schlagen vor den Punkt Nr. 3 der Recommendation so zu verändern, dass er von der
Wortwahl her dem jetzt geänderten Punkt Nr. 8 der Resolution entspricht, damit beide Teile
aufeinander abgestimmt sind.

Die Mitgliedstaaten des Europarates für ein internationales Moratorium der
Todesstrafe

Abg. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Herzlichen Dank, Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich freue mich darüber, dass alle Vorrednerinnen und Vorredner sehr deutlich gemacht haben,
dass sie leidenschaftlich für die Abschaffung der Todesstrafe eintreten. Ich nehme gerne das
auf, was die Kollegin aus Österreich gerade sagte: Ich glaube, wir sollten die Kollegen, die
Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung aus den neuen Ländern des Europarates, die
seit 1990 zu uns gestoßen sind, ganz gezielt ansprechen, um sie nicht nur darin zu bestärken,
dass der Weg, den sie eingeschlagen haben, der richtige ist, sondern, sie auch zu ermutigen,
hier zu sprechen und die Gründe für ihr Eintreten für die Abschaffung der Todesstrafe laut
und deutlich zu sagen.
Ich glaube, alles das, was gesagt wurde, warum wir für die Abschaffung der Todesstrafe sind,
hat heute mehr Gewicht denn je. Es sind ja auf der einen Seite moralisch-ethische Gründe, es
sind aber auch juristische Gründe und Gründe unseres Verständnisses von einem
demokratischen Rechtsstaat, davon, was ein solcher Staat darf, was er soll und was er nicht
darf, und es sind zum Dritten eben auch Gründe ganz pragmatischer Art.
Wir alle wissen, die Todesstrafe ist unmenschlich, grausam und entwürdigend. Wer sie als
Staat praktiziert, stellt sich auf die gleiche Stufe wie der Verbrecher, den er hinrichtet. Wir
wissen aber auch, und auch das ist schon mehrfach betont worden, dass die Todesstrafe eben
keinen Raum für Reue oder auch Veränderung bei einem schwer kriminell gewordenen
Menschen lässt, und dass sie bei Fehlurteilen nicht korrigierbar ist.
Meine Kollegin aus Österreich hat gerade darauf hingewiesen: Wir haben heute
erschreckende Nachweise, dass mit den Mitteln der modernen Technik, insbesondere auch
DNA, Dutzende von Fehlurteilen und damit Justizmorden, die nicht mehr korrigiert werden
können, nachgewiesen worden sind. Es kommt noch hinzu, dass in Ländern, die die
Todesstrafe praktizieren, in der Tat der Grad der Brutalisierung und auch die Anzahl der
Gewaltdelikte eher höher ist als in Ländern, die sie nicht praktizieren.
Lassen Sie mich noch einen Punkt hinzufügen, der mir als aktiver Politikerin immer ganz
besonders wichtig war: Wenn wir die Umstände von Hinrichtungen und Todesurteilen
anschauen, ob das nun in einigen Staaten der USA oder in Saudi-Arabien oder in China ist,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79 – Drucksache 16/8170

dann beobachten wir dort einen degoutanten Einfluss von politischem Kalkül. Das heißt, hier
geht es sehr häufig um öffentliche Darstellung, und weniger um Gerechtigkeit.
Genau das ist eines der Probleme, die wir immer wieder betonen müssen, und ich denke, dass
wir das heute mit dieser Entschließung und dem Bericht, und auch mit der italienischen
Initiative, die wir unterstützen, und für die wir ganz herzlich danken, auch tun.
Nun ist bemerkt worden, dass wir heute nur die Forderung nach einem weltweiten
Moratorium unterstützen. Das ist in der Tat nur ein Zwischenschritt und nicht die
Abschaffung, die wir wirklich wollen, aber ich halte es für einen sehr nützlichen, einen
politisch klugen Zwischenschritt, den wir deshalb auch unterstützen.
Alle, und ich denke, es werden viele unter uns sein, die z.B. in China oder auch in
Zentralasien oder den USA oder Saudi-Arabien über das Thema der Abschaffung der
Todesstrafe reden, werden feststellen, dass es dort ideologische Verhärtungen gibt. Da wird
mit der Forderung nach einem Moratorium der Todesstrafe oder mit Überzeugung schwer
etwas zu machen sein, jedenfalls jetzt. Da helfen nur das klare Aussprechen von
Standpunkten und auch ganz harte politische Forderungen.
Aber man wird dort auch der Tatsache begegnen, dass da immer noch die Sorge verbreitet ist,
eine Abschaffung der Todesstrafe könnte in der Tat zu einem Anstieg von Gewalt und
Kriminalität führen. Wir wissen, dass das ein Vorurteil ist und nicht zutrifft. Aber ich denke,
dass eine Überlegungsphase nach einem Moratorium es für diese Staaten möglich machen
kann, zu sehen, dass eher das Gegenteil ihrer Befürchtungen eintritt.
Deswegen könnte die Möglichkeit des Moratoriums nicht nur in den neuen Staaten des
Europarates oder in Zentralasien, sondern eben auch bei den Staaten, die sie heute anwenden,
wirksam sein. Wir wünschen dieser Initiative jeden Erfolg und werden sie im Rahmen unserer
Möglichkeiten unterstützen. Wir danken dem Berichterstatter für seinen vorzüglichen Bericht.
Danke schön.

Die Verfolgung von unter die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichthofs für das
ehemalige Jugoslawien (ICTY) fallenden Straftaten

Abg. Christoph Strässer (SPD):

Herr Präsident,
meine Damen und Herren!
Auch ich möchte mich zunächst beim Berichterstatter für diesen wirklich hervorragenden
Bericht bedanken. Ich bin auch sehr froh darüber, dass er zum jetzigen Zeitpunkt kommt, weil
er jetzt doch einmal deutliche Aussagen macht auch darüber, wie eigentlich die Europäische
Union in ihren weiteren Verhandlungen mit der Republik Serbien umgeht.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es bei allen Möglichkeiten und Ansätzen, die es gibt,
eine komplette Umsetzung der Beitrittsverhandlung zur EU nur dann geben kann, wenn alle
Voraussetzungen erfüllt sind, und dazu gehören auch die Verhaftung und die Überstellung der
Herren Mladic und Karadzic an den Gerichtshof.
Ich wünsche und hoffe, dass Frau del Ponte dies auch in der Amtszeit des Tribunals noch
erleben kann, denn Sie sind, und das sage ich mit voller Überzeugung und vollem
Bewusstsein, ein wirklicher Hoffnungsschimmer in der Durchsetzung der Menschenrechte
auch auf diesem Kontinent, und dafür wünsche ich Ihnen persönlich für die Zukunft ganz viel
Erfolg.
Meine Damen und Herren, ich glaube aber, wenn wir heute über dieses Tribunal reden, dann
geht es auch um ein Stück weit mehr. Es geht um grundsätzliche Fragen, z.B. die Frage: Was
ist stärker, die Macht oder das Recht, die Politik oder die Justiz? Diese Fragen ließen sich in

Drucksache 16/8170 – 80 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

der Vergangenheit relativ einfach beantworten: Macht und Politik rangieren vor Recht und
Justiz.
Diese Antwortet bedeutete in der Geschichte unseres Kontinents zugleich auch immer: Das
Unrecht ist stärker als das Recht, und wer die Macht hat, hat auch die Macht, sich dem Zugriff
des Rechts zu entziehen, er hat also auch die Macht, ungestraft Unrecht zu verüben. Diese
Antwort wird mit all dem, was in den letzten Jahren in den internationalen Gremien, in der
internationalen Etablierung von Strafgerichten auf den Weg gebracht worden ist, zum ersten
Mal, und ich finde, zu Recht, in Frage gestellt.
Ich verweise insoweit auch noch einmal auf den Beschluss des Weltsicherheitsrates, der die
Einsetzung dieses Tribunals möglich gemacht hat. Danach sollen schwerwiegende Verstöße
gegen die Genfer Kriegsrechtskonventionen von 1949 verfolgt werden. Außerdem, und das
finde ich sehr wichtig, definiert das Statut dieses Tribunals das Verbrechen des Völkermordes
und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wobei, und das ist in dieser Frage die
eigentlich zentrale Botschaft, die Verbrechen unabhängig davon zu verfolgen sind, ob sie in
internationalen oder in internen Konflikten begangen werden.
Artikel 28 des Statuts verpflichtet alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur
Mitwirkung bei der Ermittlung und Überführung von Tätern und zur Erfüllung aller
Hilfeersuchen und Anordnungen des Gerichts, und zwar, ich zitiere: without undue delay, also
unverzüglich, ohne schuldhaftes Zögern.
Dabei ist vor allem Absatz 2 des Artikels 7 zu beachten: Die amtliche Position eines
Beschuldigten, sei sie nun Staatsoberhaupt, Regierungschef oder verantwortlicher
Regierungsbeamter, berührt weder ihre strafrechtliche Verantwortung, noch mildert sie die
Strafe.
Diese Bestimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist neu im Völkerrecht. Sie ist neu, weil
sie die traditionelle Immunität der Staatsmänner aufhebt. Überdies setzt sie zwei
hergebrachten Ausreden der Staatsterroristen ein Ende: Weder können sich Schreibtischtäter
darauf hinausreden, nicht selber Hand angelegt zu haben, noch können die nachgeordneten
Mörder sich unter Berufung auf übergeordnete Befehle entlasten.
Nirgendwo in diesem Statut findet sich auch nur die Andeutung einer politischen
Opportunitätsklausel. Diese wirkliche völkerrechtliche Innovation, meine Damen und Herren,
gilt es zu verteidigen, denn eins sollte das Ergebnis dieses Tribunals, aber auch anderer
Gerichtshöfe sein, nämlich die klare Botschaft an die Menschen, für die wir stehen, aber auch
an die Regierungen, die sich nicht daran halten: Das Recht des Stärkeren muss ersetzt werden
durch die Stärke des Rechts.
Da sind wir auf einem guten Weg. Herzlichen Dank.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 81 – Drucksache 16/8170

3. Mitgliedsländer und Funktionsträger

Mitgliedsländer der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (47)

Albanien

Andorra

Armenien

Aserbaidschan

Belgien

Bosnien und Herzegowina

Bulgarien

Dänemark

Deutschland

Estland

Finnland

Frankreich

Georgien

Griechenland

Irland

Island

Italien

Kroatien

Lettland

Liechtenstein

Litauen

Luxemburg

„ehem. jugoslawische Republik Mazedonien“

Malta

Moldau

Monaco

Montenegro

Niederlande

Norwegen

Österreich

Polen

Portugal

Rumänien

Russland

San Marino

Schweden

Schweiz

Serbien

Slowakische Republik

Slowenien

Spanien

Tschechische Republik

Türkei

Ukraine

Ungarn

Vereinigtes Königreich

Zypern

Länder mit Sondergaststatus

- zur Mitwirkung in der Parlamentarischen Versammlung ohne Stimmrecht berechtigt

Der Sondergaststatus von Belarus wurde am 13. Januar 1997 ausgesetzt.

Beobachter (3): Israel, Kanada, Mexiko

Drucksache 16/8170 – 82 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Funktionsträger der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

Präsident René van der Linden (Niederlande – EPP/CD)

Vizepräsidenten 20, darunter Joachim Hörster (Bundesrepublik Deutschland –

CDU/CSU / EPP/CD)

Generalsekretär Mateo Sorinas (Spanien)

Politischer Ausschuss

Vorsitzender Abdülkadir Ateú (Türkei – SOC)

Stv. Vorsitzende Konstantin Kosachev (Russland – EDG)

Zsolt Németh (Ungarn – EPP/CD)

Giorgi Bokeria (Georgien – ALDE)

Ausschuss für Recht und Menschenrechte

Vorsitzender Dick Marty (Schweiz – ALDE)

Stv. Vorsitzende Erik Jurgens (Niederlande – SOC)

György Frunda (Rumänien – EPP/CD)

Herta Däubler-Gmelin (Deutschland – SOC)

Ausschuss für Wirtschaft und Entwicklung

Vorsitzender Konstantinos Vrettos (Griechenland – SOC)

Stv. Vorsitzende Antigoni Pericleous Papadopoulos (Zypern – ALDE)

Márton Braun (Ungarn – EPP/CD)

Doris Barnett (Deutschland – SOC)

Ausschuss für Sozialordnung, Gesundheit und Familie

Vorsitzender Lajla Pernaska (Albanien – EPP/CD)

Stv. Vorsitzende Christine McCafferty (Vereinigtes Königreich – SOC)

Cezar Florin Preda (Rumänien – EPP/CD)

Michael Hancock (Vereinigtes Königreich – ALDE)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83 – Drucksache 16/8170

Ausschuss für Kultur, Wissenschaft und Bildung

Vorsitzender Jacques Legendre (Frankreich – EPP/CD)

Stv. Vorsitzende Baroness Gloria Hooper (Vereinigtes Königreich – EDG)

Dr. Wolfgang Wodarg (Deutschland – SOC)

Anne Brasseur (Luxemburg – ALDE)

Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft und kommunale und regionale Angelegenheiten

Vorsitzender Walter Schmied (Schweiz – ALDE)

Stv. Vorsitzende Alan Meale (Vereinigtes Königreich – SOC)

Elsa Papadimitriou (Griechenland – EPP/CD)

Pasquale Nessa (Italien – EPP/CD)

Ausschuss für Wanderbewegungen, Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen

Vorsitzender Mevlüt Çavuúo÷lu (Türkei – EDG)

Stv. Vorsitzende Jean-Guy Branger (Frankreich – EPP/CD)

Doug Henderson (Vereinigtes Königreich – SOC)

Ibrahim Özal (Türkei – EPP/CD)

Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitäten

Vorsitzender Andreas Gross (Schweiz – SOC)

Stv. Vorsitzende Andrea Manzella (Italien – SOC)

Maria Postoico (Moldau – UEL)

Erol Aslan Cebeci (Türkei – EPP/CD)

Ausschuss für die Gleichstellung von Frauen und Männern

Vorsitzende Gülsün Bilgehan (Türkei – SOC)

Stv. Vorsitzende Anna ýurdová (Tschechische Republik – SOC)

Svetlana Smirnova (Russland – EDG)

José Mendes Bota (Portugal – EPP/CD)

Drucksache 16/8170 – 84 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ausschuss für die Einhaltung der von den Mitgliedstaaten des Europarates

eingegangenen Pflichten und Verpflichtungen (Monitoring-Ausschuss)

Vorsitzender Eduard Lintner (Deutschland – EPP/CD)

Stv. Vorsitzende Hanne Severinsen (Dänemark – ALDE)

Mikko Elo (Finnland – SOC)

Tigran Torosyan (Armenien – EDG)

SOC Sozialistische Gruppe

EPP/CD Gruppe der Europäischen Volkspartei

EDG Gruppe der Europäischen Demokraten

ALDE Gruppe der Liberalen, Demokraten und Reformer

UEL Gruppe der Vereinigten Europäischen Linken

Inhaltsverzeichnis
I. Teilnehmer
II. Zusammenfassung
III. Schwerpunkte der Beratungen
IV. Anhang

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