BT-Drucksache 16/7802

Ermittlungsverfahren nach § 129b StGB gegen linke türkische Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland

Vom 17. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7802
16. Wahlperiode 17. 01. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

Ermittlungsverfahren nach § 129b StGB gegen linke türkische Organisationen
in der Bundesrepublik Deutschland

Am 5. Dezember 2007 ließ die Bundesanwaltschaft dreizehn Objekte in Frank-
furt/Main, Offenbach, Gießen, Wetzlar, Köln, Leverkusen, Duisburg und Lübeck
durchsuchen, darunter zwei Migrantenvereine. Die Ermittlungen richteten sich
gegen 10 mutmaßliche Mitglieder einer nach Ansicht der Bundesanwaltschaft
innerhalb der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/
ML) bestehenden ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129b des Straf-
gesetzbuches (StGB)).

In der Meldung der Generalbundesanwaltschaft heißt es: „Die im Jahre 1972
gegründete türkische Kommunistische Partei/Marxisten Leninisten (TKP/ML)
verfolgt das Ziel, das türkische Staatsgefüge zu beseitigen und durch eine ,de-
mokratische Volksrevolution‘ in der Türkei den Sozialismus und schließlich
eine kommunistische Gesellschaft einzuführen. Hierbei betrachtet sie den be-
waffneten Kampf als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele; sie zeichnet
für eine Vielzahl von Bombenanschlägen mit teils tödlichem Ausgang in der
Türkei verantwortlich. In der Bundesrepublik Deutschland und weiteren euro-
päischen Ländern sollen hierzu unter Beteiligung der Beschuldigten die
materiellen und finanziellen Mittel für die TKP/ML organisiert werden.“
(www.polizeipresse.de).

Seit den 90er Jahren ist die TKP/ML in zwei Fraktionen gespalten, von denen
die eine sich seit 2002 in Maoistisch Kommunistische Partei umbenannt hat. Im
Bundesverfassungsschutzbericht heißt es: „Die in Deutschland getrennt vonein-
ander agierenden TKP/ML-Fraktionen beschränken sich auf propagandistische
Aktivitäten und die Gewinnung finanzieller Mittel, die letztendlich der Unter-
stützung der jeweiligen Mutterorganisation dienen sollen.“ (Verfassungsschutz-
bericht 2006, S. 273).

In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zu den bis-
lang geführten Ermittlungsverfahren, Anklagen und Verurteilungen nach § 129b
StGB vom 25. Juni 2007 wurden lediglich Ermittlungs- und Strafverfahren
gegen die Gruppierungen Al Quaida, Ansar al Islam, Hamas, GSPC, Asbat al
Ansar und DHKP-C genannt (Bundestagsdrucksache 16/5820, Antwort zu
Frage 4). Alle diese Gruppierungen werden auch von der Europäischen Union
auf ihrer Liste terroristischer Organisationen geführt. Die TKP/ML ist weder auf

der EU-Liste terroristischer Organisationen aufgeführt noch in der Bundes-
republik Deutschland verboten. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. zur Umsetzung der EU-Liste terroristischer Organisatio-
nen stellt die Bundesregierung klar, dass sie über die EU-einheitliche Liste
terroristischer Personen und Organisationen hinaus „keine nationale Liste terro-
ristisch eingestufter Personen und Organisationen“ führt (Bundestagsdruck-
sache 16/6236, Antwort zu Frage 10).

Drucksache 16/7802 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Organisation und die
Aktivitäten der TKP/ML in der Bundesrepublik Deutschland, anderen euro-
päischen Ländern sowie in der Türkei?

2. Stuft die Bundesregierung die TKP/ML oder einen Teil der TKP/ML als ter-
roristisch im Sinne der §§ 129a oder 129b StGB ein, und wenn ja, worauf
stützt sich diese Einschätzung, und wenn ja, seit wann, und worauf stützt sie
sich dabei?

3. Für welche gewalttätigen Aktionen und Anschläge trägt die TKP/ML bzw.
eine nach Auffassung der Generalbundesanwaltschaft innerhalb der TKP/
ML bestehende ausländische terroristische Vereinigung die Verantwortung
(bitte aufschlüsseln nach Art des Anschlages oder der Aktion, Ort und Zeit-
punkt sowie möglichen Opfern)?

4. Woher stammen die Kenntnisse der Bundesregierung über eine mögliche
Urheberschaft der TKP/ML an diesen Anschlägen oder Aktionen?

5. Inwieweit stützt sich die Bundesregierung bei der Einschätzung der TKP/
ML auch auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte?

6. Für wie zuverlässig hält die Bundesregierung die Erkenntnisse türkischer
Sicherheitsbehörden über die TKP/ML und andere von der türkischen Justiz
als terroristisch eingeschätzte türkische und kurdische Gruppierungen?

7. Welche schriftlichen oder mündlichen Ersuchen türkischer Sicherheits-
kreise, die TKP/ML oder Teile dieser Organisation in der Bundesrepublik
Deutschland strafrechtlich zu verfolgen, sind der Bundesregierung bekannt?

8. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung vor dem jetzt eingeleiteten Er-
mittlungsverfahren gegen die TKP/ML andere einschlägige Ermittlungsver-
fahren gegen die TKP/ML, einzelne ihrer Funktionäre oder mutmaßliche
Teil- oder Frontorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland geführt?

a) Was für Verfahren waren dies?

b) In welchen Fällen kam es zu einer Verurteilung?

c) In welchen Fällen kam es zu einer Verfahrenseinstellung?

9. In welchen Fällen klassifiziert die Bundesregierung ausländische Organisa-
tionen, die nicht auf der EU-Liste terroristischer Organisationen genannt
werden, als ausländische terroristische Vereinigungen nach § 129b StGB?

10. Besteht eine amtliche Liste mit ausländischen extremistischen Organisatio-
nen, und wenn ja,

a) für die Tätigkeit welcher Behörden ist diese Liste erstellt worden,

b) ist die TKP/ML in dieser Liste aufgeführt,

c) welche weiteren Gruppierungen mit Bezügen ins Ausland sind in dieser
Liste aufgeführt?

11. In welchen Fallkonstellationen können mutmaßliche oder tatsächliche Ver-
bindungen zur TKP/ML in aufenthalts- und asylrechtlichen Verfahren rele-
vant sein?

12. In wie vielen Fällen ist es zu Widerrufsverfahren bzw. Rücknahmeverfahren
betreffend den Status als Asylberechtigtem oder anerkanntem Flüchtling
gegen Mitglieder der TKP/ML gekommen, bei denen diese Mitgliedschaft
und die dadurch erfolgte politische Verfolgung gerade ausschlaggebend für
ihre Anerkennung war?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7802

13. Welche Auslieferungsersuchen der türkischen Justiz bezüglich in der Bun-
desrepublik Deutschland lebender mutmaßlicher Mitglieder oder ehemali-
ger Mitglieder der TKP/ML sind der Bundesregierung bekannt?

Berlin, den 17. Januar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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