BT-Drucksache 16/7629

EU-finanziertes Abschreckungsvideo für Afrika

Vom 19. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7629
16. Wahlperiode 19. 12. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel, Ulla Jelpke, Kersten Naumann,
Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

EU-finanziertes Abschreckungsvideo für Afrika

Während seitens der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) jedes Jahr
Millionen Euro ausgegeben werden, um sich durch Image-Kampagnen im Aus-
land ins beste Licht zu rücken, passiert bezogen auf afrikanische Flüchtlinge
genau das Gegenteil. Eine staatlich finanzierte und von der EU unterstützte
Antiwerbung der Schweiz soll Menschen aus Afrika davon abhalten, in die
Länder der EU bzw. in die Schweiz zu immigrieren.

Bereits 2001 versuchte Großbritannien mit einem Abschreckungsvideo, das sich
an 17 500 Flüchtlinge in der Unterkunft Sangatte (nahe des Eurotunnels) rich-
tete, von der Einreise nach Großbritannien abzuhalten. Das Video mit dem Titel
„Würde oder Ausbeutung – Es ist Ihre Entscheidung“ zeigte angeblich typisch
Britisches wie Lagerleben, Ödnis und Erniedrigung von Asylbewerberinnen/
Asylbewerbern sowie eine schlechte Gesundheits- und Notfallversorgung,
Eisenbahnerstreiks und schlechtes Wetter. Für die Produktion war die in Genf
ansässige Internationale Organisation für Migration (IOM) zuständig. Siebzehn
von 17 500 angesprochenen „Sangattisten“ fanden sich zwischen August und
Dezember 2001 bereit, dem Rat der IOM, die auf dem Lagergelände ein Büro
unterhielt, zu folgen und sich in die Herkunftsländer zurückschicken zu lassen
(Welt Online vom 23. Januar 2002).

Auch die neue Kampagne wird von der IOM realisiert, die dafür fast 1,5 Mio.
Euro ausgibt. Initiiert wurde der Kurzfilm durch das Schweizer Bundesamt für
Migration (BFM). Gezeigt wird ein Mann namens Christian, der seinem Vater
in Kamerun telefonisch von seinem angeblich erfolgreichen Aufenthalt in der
Schweiz erzählt. Während jedoch der Vater in Kamerun offensichtlich in sehr
behaglichen Verhältnissen lebt, wird der Bericht des Sohnes mit Bildern kon-
trastiert, die ihn zeigen, wie er auf der Straße schläft, um Essen und Hilfe bettelt
und von der Polizei verfolgt wird. Unterstützt wurde die Kampagne, die neben
diesem Video auch Plakate umfasst, von Christoph Blocher in seiner damaligen
Funktion als Mitglied des Schweizer Bundesrats und Vorsteher des Eidgenössi-
schen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD). In dieser Funktion war ihm auch
das BFM untergeordnet.

Derselbe Christoph Blocher war maßgeblich an der Wahlkampagne der rechts-

konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) beteiligt, die der UN-Son-
derberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung,
Doudou Dienne, als „rassistisch und fremdenfeindlich“ (Deutsche Welle vom
14. Oktober 2007) bezeichnete.

Drucksache 16/7629 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

An den Kosten des Abschreckungsvideos beteiligt sich die EU über das
AENEAS-Programm (Programm für die finanzielle und technische Hilfe für
Drittländer im Migrations- und Asylbereich) mit 250 000 Euro (Welt Online
vom 30. November 2007). Das Programm AENEAS, das für die Laufzeit 2004
bis 2008 mit 250 Mio. Euro ausgestattet ist, finanziert migrationspolitische Pro-
jekte in Drittländern (Herkunfts- und Transitländer), und zielt darauf ab, deren
Bereitschaft zum Abschluss von Rückübernahmeabkommen zu fördern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Projekte bzw. Maßnahmen sind in welchen Ländern bisher aus den
für den Förderzeitraum 2004 bis 2008 zur Verfügung stehenden finanziel-
len Mitteln des AENEAS-Programms (mit)finanziert worden (bitte ent-
sprechend der Maßnahme nach Ländern, Jahr und Höhe der Finanzierung
auflisten)?

2. Welche dieser Projekte bzw. Maßnahmen aus Frage 1 hält die Bundes-
regierung für auf die offizielle Entwicklungshilfe (sog. ODA-Quote – Offi-
cial Development Assistance) anrechenbar (bitte mit Begründung)?

3. In welchem Umfang sind die im Rahmen des AENEAS-Programms ange-
fallenen Aufwendungen bereits in die deutsche ODA-Quote eingeflossen?

4. Plant die Bundesregierung, die Aufwendungen im Rahmen des für den
Zeitraum 2008 bis 2013 programmierten EU-Rückkehrfonds in die ODA-
Quote einzurechnen (bitte mit Begründung)?

5. In welcher Höhe ist das Abschreckungsvideo seitens der EU bisher
kofinanziert worden, und in welcher Höhe sind weitere Mittel für diese
Maßnahme eingeplant?

6. In welchen Ländern wird dieses Abschreckungsvideo bereits gezeigt, und
in welchen Ländern soll es perspektivisch gezeigt werden?

7. Inwieweit finden die oben beschriebenen Kampagnen der IOM die Zustim-
mung der Bundesregierung, die sich erheblich an der Finanzausstattung
der IOM beteiligt (2005: 15,2 Mio. US-Dollar; 2006: 10,25 Mio. US-Dol-
lar, bitte mit Begründung)?

8. Plant die Bundesregierung, analog zur spanischen Regierung, zusätzlich
zur EU eigene Mittel für die Schweizer Aufklärungskampagne zur Ab-
schreckung potenzieller Migrantinnen und Migranten bereitzustellen, und
wenn ja, fließt die Bereitstellung von Mitteln für diese Kampagne in die
Berechnung der ODA-Quote ein?

9. Inwieweit sieht die Bundesregierung in solchen Kampagnen einen Beitrag
zur Entwicklungszusammenarbeit?

10. Plant die Bundesregierung oder planen andere EU-Mitgliedstaaten, gleiche
bzw. ähnliche Schockkampagnen?

11. Planen weitere EU-Mitgliedstaaten, zusätzlich zur EU eigene Mittel zur
Finanzierung dieser Kampagne bereitzustellen bzw. haben dies bereits zu-
gesagt?

12. Inwieweit sieht die Bundesregierung in der Darstellung eines in scheinbar
gutbürgerlichen Verhältnissen lebenden Mannes in Afrika, der mit seinem
nach Europa geflohenen Sohn telefoniert, der wiederum in einem Umfeld
lebt, in dem Menschen aus Afrika unter Brücken schlafen, vor der Polizei
flüchten und ein Dasein als Bettler fristen, eine Verkehrung der Realität?

13. Inwieweit sieht die Bundesregierung ein Problem darin, dass diese Kam-

pagne den Eindruck vermittelt, Hunger, Armut und Krieg wären nicht die
Hauptursache für die Flucht aus Afrika nach Europa?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7629

14. Inwieweit erkennt die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen dem
Inhalt des Abschreckungsvideos und der Tatsache, dass von den rund
3 400 afrikanischen Flüchtlingen, die 2006 in die Schweiz gekommen sind,
die meisten aus Ländern kommen, in denen Krieg oder Bürgerkrieg
herrscht und/oder die Verletzung der Menschenrechte auf der Tagesordnung
steht (vgl. Jahresstatistik 2006 des BFM)?

15. Ist der Bundesregierung die Kritik von Vertretern afrikanischer Staaten
gegen den Spot bekannt, in der den Machern vorgeworfen wird, mit sim-
pelsten Tricks zu arbeiten (Der Standard vom 2. Dezember 2007)?

16. Inwieweit sieht die Bundesregierung wie die britische Zeitung „The Inde-
pendent“ vom 29. November 2007 eine inhaltliche Nähe des Videos zu
dem Wahlkampfplakaten der SVP, auf dem drei weiße Schafe ein schwar-
zes aus dem Land schubsen?

Berlin, den 17. Dezember 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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