BT-Drucksache 16/7455

Türkische Rechtsextreme in Deutschland

Vom 5. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7455
16. Wahlperiode 05. 12. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic,
und der Fraktion DIE LINKE.

Türkische Rechtsextreme in Deutschland

Nach dem Beschluss des türkischen Parlaments, den türkischen Streitkräften
zur Bekämpfung von Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans PKK
auch grenzüberschreitende Operationen in den Nordirak zu erlauben, kam es in
der Türkei und in Europa zu zahlreichen antikurdischen Demonstrationen
nationalistischer Türken. In mehreren deutschen Städten griffen im Anschluss
an diese Kundgebungen nationalistische Türken kurdischstämmige Bürger und
kurdische sowie linksgerichtete türkische Vereine an. Bei den schwersten Über-
griffen in Berlin-Kreuzberg belagerten am 28. Oktober 2007 mehrere Hundert
türkische Nationalisten stundenlang einen kurdischen Moscheeverein und ver-
letzten zahlreiche Menschen durch Stein- und Flaschenwürfe. Vor allem tür-
kische Jugendliche zeigten dabei den Gruß der „Grauen Wölfe“. Der Berliner
Innensenator Ehrhart Körting macht Mitglieder und Anhänger der rechts-
extremen „Grauen Wölfe“ für die Ausschreitungen verantwortlich.

Als „Graue Wölfe“ (türkisch: Bozkurtçular) werden die Anhänger der rechts-
extremen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ MHP und der von dieser ab-
gespaltenen islamisch-nationalistisch orientierten „Großen Einheitspartei“ BBP
aus der Türkei bezeichnet. Die „Grauen Wölfe“ sind in der Bundesrepublik
Deutschland in so genannten Idealistenvereinen (Ülkücü Vereinen) der Deut-
schen Türkischen Föderation (ATF) organisiert, die Teil des europaweiten
Dachverbandes ADÜTDF (Europäische Föderation der Türkischen Demokra-
tischen Idealistenvereine) ist. Daneben existieren Vereine der 1987 von der
ADÜTDF abgespaltenen „Türkisch Islamische Union Europa“ (ATIB), die eine
stärkere Orientierung auf den Islam als konstitutives Element des Türkentums
propagiert. Als Auslandsabteilung der BBP existiert in der Bundesrepublik
Deutschland zudem die „Föderation der Weltordnung in Europa“.

Das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen bescheinigt der
Bewegung der „Grauen Wölfen“ eine rassistisch-nationalistische Orientierung,
Antisemitismus, Antikommunismus, eine stark islamisch gefärbte Ideologie,
Gewaltbereitschaft und am Führerprinzip ausgerichtete totalitäre Strukturen.

Die „Grauen Wölfe“ streben ein Großreich aller „Turkvölker“ vom Balkan bis
nach China an. Sie vertreten einen ausgeprägten Rassismus gegenüber nicht

türkisch-islamischen Bevölkerungsteilen der Republik Türkei wie Kurden,
Aleviten und christlichen Minderheiten. „Zu den ,Feinden‘ gehören Armenier,
Griechen, Juden, Freimaurer, Nachkommen von Sabbatei Zwi, Europäer,
Amerikaner, Russen und Kurden“, heißt es in einer Publikation des Ver-
fassungsschutzes Nordrhein-Westfalen (www.im.nrw.de).

Drucksache 16/7455 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

In der Türkei waren paramilitärische Gliederungen der „Grauen Wölfe“ bis
zum Militärputsch 1980 für mehr als 5 000 Morde an Intellektuellen, Linken,
Gewerkschaftern und kurdischen Politikern verantwortlich (www.nadir.org).

Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen sieht Anhaltspunkte, „dass zumin-
dest Kleingruppen dieser früheren paramilitärischen Verbände weiterhin exis-
tieren und punktuell aktiv werden können“ (www.im.nrw.de).

So kam der Drahtzieher des Mordes an dem armenischen Journalisten H. D.
am 19. Januar 2007 aus dem Umfeld der BBP (www.faz.net).

Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurden aus dem Milieu der „Grauen
Wölfe“ Morde begangen, so 1980 in Berlin am türkischen Gewerkschafter
und Lehrer Celalettin Kesim (www.taz.de). Am 3. September 1995 wurde der
21-jährige Kurde S. K. in Neumünster bei einem Überfall türkischer Rechts-
extremisten ermordet (www.kurdistan-rundbrief.de).

Anhänger der „Grauen Wölfe“ finden sich auch in deutschen Parteien und
demokratische Institutionen. So rief der 1997 verstorbene historische Führer
der MHP Alparslan Türkes seine Anhänger auf der Jahreshauptversammlung
der ATF 1995 zur aktiven Politik in der CDU und CSU auf (www.gew-
koeln.de).

Insbesondere Politiker der Unionsparteien hatten immer wieder Kontakte zu
den „Grauen Wölfen“. So nahm der damalige bayerische Innenminister und
jetzige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) am 29. Novem-
ber 2003 an einem Ramadanessen der Nürnberger „Türkischen Gemeinschaft“,
einem Mitgliedsverein der ADÜTDF, teil (www.spiegel.de).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche rechtsextremen oder rechtsextrem durchsetzten türkischen Organisa-
tionen in der Bundesrepublik Deutschland sind der Bundesregierung be-
kannt?

a) Wie stark sind diese Organisationen?

b) Wie sind türkische Rechtsextremisten und rechtsextremistisch durch-
setzten Gruppierungen in der Bundesrepublik Deutschland organisiert,
und wo befinden sich ihre lokalen und regionalen Organisationsschwer-
punkte?

c) Welchen Einfluss haben rechtsextremistische und rechtsextremistisch
durchsetzte Strömungen unter türkischstämmigen Bürgern in der Bun-
desrepublik Deutschland?

d) Über welche Medien verfügen türkische Rechtsextremisten und rechts-
extremistisch durchsetzte Gruppierungen in der Bundesrepublik Deutsch-
land, und welchen Verbreitungsgrad haben diese bzw. welche Radio- und
Fernsehstationen und Internetseiten aus der Türkei sind für diese Grup-
pierungen auch in der Bundesrepublik Deutschland relevant?

e) Welche Musiker und Musikgruppen rechnet die Bundesregierung der
türkischen rechtsextremen und rechtsextremistisch durchsetzten Be-
wegung zu?

2. Welche türkischen rechtsextremistischen und rechtsextremistisch durch-
setzten Organisationen und Gruppierungen sind Objekt der Beobachtung
durch das Bundesamt für Verfassungsschutz?

a) In welchen Ausgaben des Verfassungsschutzberichtes des Bundes fanden
türkische Rechtsextreme und rechtsextremistisch durchsetzte Gruppie-

rungen Erwähnung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7455

b) Welche Gruppierungen wurden genannt?

3. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Angriffe auf türkische
Landsleute und Institutionen türkischer Migranten, die von Angehörigen
rechtsextremistischer türkischer Gruppierungen oder Organisationen in der
Bundesrepublik Deutschland begangen wurden (bitte auflisten nach Datum,
Ort und Art der Übergriffe)?

4. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Angriffe auf kurdische
Personen und kurdische Institutionen, die von Angehörigen rechtsextremis-
tischer türkischer Gruppierungen in der Bundesrepublik Deutschland be-
gangen wurden (bitte auflisten nach Datum, Ort und Art der Übergriffe)?

5. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über antisemitisch motivierte An-
griffe, die von Angehörigen rechtsextremistischer türkischer Gruppierungen
in der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden (bitte auflisten nach
Datum, Ort und Art der Übergriffe)?

6. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Angriffe auf Homosexuelle,
die von Angehörigen rechtsextremistischer türkischer Gruppierungen in der
Bundesrepublik Deutschland begangen wurden (bitte auflisten nach Datum,
Ort und Art der Übergriffe)?

7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Angriffe auf Deutsche, ins-
besondere linke und antifaschistisch orientierte Jugendliche, die von Ange-
hörigen rechtsextremistischer türkischer Gruppierungen oder Organisatio-
nen in der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden (bitte auflisten
nach Datum, Ort und Art der Übergriffe)?

8. Welche Aufmärsche, Demonstrationen und Veranstaltungen türkischer
Rechtsextremisten in den letzten fünf Jahren sind der Bundesregierung be-
kannt (bitte auflisten wann, wo und aus welchem Anlass diese Demonstra-
tionen oder Veranstaltungen stattfanden)?

a) Welche Symbole und Abzeichen wurden auf diesen Aufmärschen und
Veranstaltungen gezeigt?

b) Wie viele Personen nahmen jeweils an diesen Aufmärschen und Ver-
anstaltungen teil?

c) Kam es auf diesen Aufmärschen und Veranstaltungen zu Straftaten, und
wenn ja, zu welchen?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die „Föderation der
Türkisch Demokratischen Idealistenvereine in Europa“ (ADÜTDF) sowie
deren deutsche Sektion „Deutsche Türkische Föderation“ (ATF)?

a) Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die ADÜTDF
und ATF rechtsextremistische Gruppierungen sind?

b) Ist der Bundesregierung bekannt und kann sie bestätigen, dass es sich bei
diesen Organisationen um Auslandsorganisationen der MHP handelt?

c) Wo ist der Sitz dieser Organisationen, und wer gehört ihrer Führung an?

d) Über welche Zeitungen und sonstige Medien verfügen die ADÜTDF und
ATF, und welchen Verbreitungsgrad haben diese?

e) Über wie viele Mitglieder verfügt die ADÜTDF bzw. ATF in der Bundes-
republik Deutschland?

f) In welchen deutschen Städten gibt es Vereine der ADÜTDF bzw. ATF?

g) Welche von der ADÜTDF bzw. ATF beeinflussten Organisationen wie

Moscheen, Sportvereine oder Studierendenvereine sind der Bundesregie-
rung bekannt, und wie viele Mitglieder haben diese?

Drucksache 16/7455 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

h) Welche Ziele verfolgen ADÜTDF und ATF?

i) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung von
Mitgliedern oder Anhängern der ADÜTDF und ATF an gewalttätigen
Aktionen?

j) Welche rassistischen oder antisemitischen Äußerungen von Funktionä-
ren der ADÜTDF und ATF sowie in den Medien dieser Vereinigungen
sind der Bundesregierung bekannt?

k) Wie schätzt die Bundesregierung die Aktivitäten der ADÜTDF und ATF
unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit ein?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die „Türkisch Islami-
sche Union Europa“ ATIB?

a) Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die ATIB
eine rechtsextremistische Gruppierungen ist?

b) Welche Erkenntnisse über eine Zusammenarbeit der ATIB mit den türki-
schen Parteien BBP und MHP hat die Bundesregierung?

c) Wo ist der Sitz der ATIB, und wer gehört ihrer Führung an?

d) Über wie viele Mitglieder und Vereine in welchen deutschen Städten
verfügt die ATIB in der Bundesrepublik Deutschland?

e) Über welche Zeitungen und sonstige Medien verfügt die ATIB, und
welchen Verbreitungsgrad haben diese?

f) Welche von der ATIB beeinflussten Organisationen wie Moscheen,
Sportvereine oder Studierendenvereine sind der Bundesregierung be-
kannt, und wie viele Mitglieder haben diese?

g) Welche Ziele verfolgt die ATIB?

h) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung von
Mitgliedern oder Anhängern der ATIB an gewalttätigen Aktionen?

i) Welche rassistischen oder antisemitischen Äußerungen von Funktio-
nären der ATIB sowie in den Medien dieser Vereinigungen sind der
Bundesregierung bekannt?

j) Wie schätzt die Bundesregierung die Aktivitäten der ATIB unter dem
Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit ein?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die „Föderation der
Weltordnung in Europa“ ANF?

a) Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die ANF
eine rechtsextremistische Gruppierung ist?

b) Welche Erkenntnisse über eine Zusammenarbeit der ANF mit den türki-
schen BBP hat die Bundesregierung?

c) Wo ist der Sitz dieser Organisation, und wer gehört ihrer Führung an?

d) Über wie viele Mitglieder und Vereine in welchen deutschen Städten
verfügt die ANF in der Bundesrepublik Deutschland?

e) Über welche Zeitungen und sonstige Medien verfügt die ANF, und
welchen Verbreitungsgrad haben diese?

f) Welche von der ANF beeinflussten Organisationen wie Moscheen,
Sportvereine oder Studierendenvereine sind der Bundesregierung be-

kannt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7455

g) Welche Ziele verfolgt die ANF?

h) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung von
Mitgliedern oder Anhängern der ANF an gewalttätigen Aktionen?

i) Welche rassistischen oder antisemitischen Äußerungen von Funktio-
nären der ANF sowie in den Medien dieser Vereinigungen sind der
Bundesregierung bekannt?

j) Wie schätzt die Bundesregierung die Aktivitäten der ANF unter dem
Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit ein?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wahl türkischer
Rechtsextremisten in Ausländerbeiräte?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Mitgliedschaft und
Versuche der Einflussnahme türkischer Rechtsextremisten in Gewerkschaf-
ten?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wahl türkischer
Rechtsextremisten in Betriebsräte?

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Mitgliedschaft
türkischstämmiger Rechtsextremisten, sowie von Mitgliedern aus Vereinen
der ADÜTDF, ATF, ATIB und ANF, in deutschen Parteien?

16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Wahl türkischstäm-
miger Rechtsextremisten, sowie von Mitgliedern aus Vereinen der ATF,
ATIB und ANF, in deutsche Kommunalparlamente?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kontakte oder Zusam-
menarbeit türkischer Rechtsextremisten mit deutschen Rechtsextremisten?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kontakte der „Grauen
Wölfe“ mit radikalislamischen Gruppierungen in der Bundesrepublik
Deutschland?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Verstrickungen türki-
scher Rechtsextremisten in den Drogen- oder Waffenhandel, Schutzgeld-
erpressung oder sonstige organisierte Kriminalität?

20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Zusammenarbeit
türkischer Rechtsextremisten mit dem türkischen Geheimdienst MIT in der
Bundesrepublik Deutschland?

21. Inwieweit sieht die Bundesregierung bei den „Grauen Wölfen“, insbeson-
dere den Verbänden ATF, ATIV, ANF und ADÜTDF, Anhaltspunkte wo-
nach diese gegen den Gedanken der Völkerverständigung nach Artikel 9
Abs. 2 des Grundgesetzes verstoßen?

a) Inwieweit hält die Bundesregierung das von den „Grauen Wölfen“ ver-
tretene Ziel eines Großreiches aller „Turkvölker“ vom Balkan bis nach
China mit dem Grundgesetz vereinbar?

b) Inwieweit hält die Bundesregierung die armenier- und kurdenfeindliche
sowie antisemitische Gesinnung der „Grauen Wölfe“ mit dem Grundge-
setz vereinbar?

c) Ergeben sich hieraus jeweils Anhaltspunkte für völkerverständigungs-
widrige Bestrebungen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Bundesver-
fassungsschutzgesetzes (BVerfSchG)?

Drucksache 16/7455 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

22. Welche Aufklärung gibt es für Angehörige der Bundespolizei und des
Bundeskriminalamtes im Rahmen der Ausbildung über rechtsextremis-
tische türkische Vereinigungen, deren ideologische Ausrichtung und Re-
präsentanten?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über offizielle Kontakte der
Deutschen Botschaft oder der deutschen Konsulate in der Türkei zur MHP
und BBP und die Teilnahme von deutschen Diplomaten an Empfängen
oder Veranstaltungen dieser Organisationen in der Türkei?

Berlin, den 27. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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